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Beschluss vom 23.12.2022 - 202 StRR 119/22 - Zur Strafzumessung und zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach verbotenem Kraftfahrzeugrennen

BayObLG v. 23.12.2022: Zur Strafzumessung und zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach verbotenem Kraftfahrzeugrennen




Das BayObLG (Beschluss vom 23.12.2022 - 202 StRR 119/22) hat entschieden:

  1.  Das straffreie Vorleben des Angeklagten stellt regelmäßig einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt zu seinen Gunsten dar.

  2.  Im Falle einer Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verstößt die strafschärfende Berücksichtigung des Fahrens mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit“ gegen das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB).

  3.  Eine nachträgliche Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB kommt auch dann in Betracht, wenn die abzuurteilende Tat zwar nach einer erstinstanzlichen Entscheidung, aber vor einem Berufungsurteil, mit dem eine Sachentscheidung getroffen wurde, begangen wurde.

  4.  Der Ausspruch über die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist rechtsfehlerhaft, wenn die Anordnung mit moralisierenden Erwägungen begründet wird, die keinen Bezug zur Eignung des Angeklagten, ein Kraftfahrzeug zu führen, aufweisen.


Siehe auch
Straßenrennen mit Kfz und Strafrecht
und
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Gründe:


I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 15.11.2021 wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB (Tatzeit: 18.08.2020) zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu jeweils 15 Euro verurteilt. Daneben hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten bestimmt. Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 08.09.2022 als unbegründet verworfen. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die aufgrund der wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch diesen betreffende Revision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafzumessung aus mehreren Gründen durchgreifend rechtsfehlerhaft ist.

a) Die Strafzumessung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht entgegen § 46 Abs. 2 StGB nicht erkennbar zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass er bei Tatbegehung nicht vorbestraft war. Als bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bedarf das straffreie Vorleben des Angeklagten (vgl. § 46 Abs. 2 StGB) indes regelmäßig ausdrücklicher Berücksichtigung (st.Rspr.; vgl. zuletzt u.a. nur BGH, Beschluss vom 21.09.2022 - 1 StR 479/21 bei juris = BeckRS 2022, 29664; Urt. v. 28.07.2022 - 1 StR 470/21 bei juris = NStZ-RR 2022, 374 = BeckRS 2022, 29658; Beschluss vom 30.06.2022 - 1 StR 185/22 bei juris = BeckRS 2022, 24831 und 23.03.2022 - 6 StR 61/22 = BeckRS 2022, 11327, jeweils m.w.N.).




b) Überdies hat die Berufungskammer mit der zu Lasten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung angestellten Erwägung, "dass die von der Polizei verfolgte Fahrt über eine erhebliche Fahrtstrecke innerorts mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit führte" gegen das Verbot der Doppelverwertung gemäß § 46 Abs. 3 StGB verstoßen, indem sie die Tatbegehung als solche strafschärfend berücksichtigt hat. Denn der Straftatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt gerade voraus, dass sich der Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt hat, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

c) Schließlich kann der Senat aufgrund lückenhafter Darstellung im Berufungsurteil nicht prüfen, ob die Strafkammer zu Recht von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB abgesehen hat oder - für den Fall der Erledigung der Strafen aus den im Berufungsurteil geschilderten Verurteilungen durch das Amtsgericht Würzburg vom 30.04.2020 und 10.09.2020, die mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 11.05.2022 zu einer nachträglichen Gesamtstrafe zusammengeführt wurden - ein Härteausgleich vorzunehmen gewesen wäre. Im Berufungsurteil werden weder der Vollstreckungsstand in Bezug auf den genannten Gesamtstrafenbeschluss noch die nach § 55 Abs. 1 StGB relevanten Zeitpunkte der Verurteilungen genannt.

aa) Aufgrund dieser Darstellungsmängel kann der Senat nicht nachvollziehen, ob die Berufungskammer dem Entscheidungsdatum des amtsgerichtlichen Urteils vom 30.04.2020 zu Recht Zäsurwirkung beigemessen hat. Über die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB zu entscheiden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als eine frühere Verurteilung gilt gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB das letzte tatgerichtliche Sachurteil oder ein ihm gleichstehendes Erkenntnis, das sich mit der Schuld und/oder zumindest noch einem Teil der Straffrage befasst (vgl. BGH, Beschluss vom 14.09.2022 - 4 StR 287/22; 27.10.2020 - 3 StR 338/20, jew. bei juris; 26.02.2020 - 4 StR 347/19 = NJW 2020, 2202 = StraFo 2020, 381 = NStZ 2020, 601 = StV 2021, 44 = BGHR StGB § 55 Abs. 1 S. 2 Sachentscheidung 3). Da aber das im Berufungsurteil genannte Datum der Entscheidung des Amtsgerichts Würzburg vom 30.04.2020 und das zitierte Datum der Rechtskraft (13.09.2021) weit auseinanderliegen, ist es nicht ausgeschlossen, dass eine letzte tatrichterliche Entscheidung aufgrund einer Berufung ergangen ist. Sollte dies so gewesen sein, käme es für die Zäsurwirkung auf den Zeitpunkt des Berufungsurteils an, der sich aus dem angefochtenen Urteil indes nicht ergibt.




bb) Sollte ein Berufungsurteil nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat ergangen sein, hinge eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung davon ab, ob die andere Strafe bereits vollstreckt oder anderweitig erledigt war. Da das Landgericht aber auch nicht den Vollstreckungsstand hinsichtlich des Gesamtstrafenbeschlusses des Amtsgerichts Würzburg vom 11.05.2022 mitteilt, kann nicht beurteilt werden, ob im Ergebnis zu Recht von der Bildung einer Gesamtstrafe abgesehen wurde. Sollte die Geldstrafe aus dem Gesamtstrafenbeschluss vollstreckt oder in anderer Weise erledigt sein, so hätte das Landgericht diesen Umstand jedenfalls im Wege des Härteausgleichs bei der Bemessung der Einzelstrafe berücksichtigen müssen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 02.12.2020 - 4 StR 398/20 = NStZ-RR 2021, 105 = StV 2021, 301; 26.06.2019 - 2 StR 104/19 bei juris).

2. Die neben der Geldstrafe angeordnete Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben, weil die Berufungskammer ihre Entscheidung mit sachfremden Erwägungen begründet hat. Zwar hat die Berufungskammer gesehen, dass es für die Verhängung der Maßregel darauf ankommt, ob der Angeklagte ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen ist. Allerdings wurde verkannt, dass sich nach § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB die Ungeeignetheit "aus der Tat" ergeben muss. Die stark moralisierenden Erwägungen zum Auftreten des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ("betont desinteressiert", "herablassend siegesgewiss", sich "nur gelegentlich in überheblich-spöttischer Weise äußernd"), die schon für sich genommen bedenklich sind (vgl. nur BGH, Beschluss vom 03.08.2021 - 2 StR 217/21 = StV 2022, 224; 22.10.2020 - 2 StR 232/20 bei juris; Urt. v. 04.12.2018 - 1 StR 477/18 = NStZ-RR 2019, 105), lassen keinen konkreten Bezug zur Frage der Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr erkennen. Zudem hat die Berufungskammer die Begehung der Straftaten, die zu den späteren Verurteilungen in anderen Verfahren führten, und die daraus abgeleitete "Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber anderen Rechtsgütern" zusätzlich für ihre Einschätzung herangezogen, dass der Angeklagte auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch charakterlich zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ungeeignet sei. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass die Taten, die diesen Verurteilungen zu Grunde lagen, in keinem Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen standen. Auch wenn es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Delikt um einen Regelfall im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 1a StGB handelte, kann der Senat nicht völlig ausschließen, dass die Strafkammer im Falle einer am Gesetz orientierten Begründung der Maßregel von dem Regelfall abgewichen wäre, sodass die Entscheidung auch insoweit auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).




III.

Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Rechtsfehler (§ 337 StPO) ist das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückzuverweisen.

Für die neue Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, dass es bei der Prüfung einer nachträglichen Gesamtstrafe auf den Vollstreckungsstand im Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Berufungsurteils, also den 08.09.2022, ankommt, weil dem Angeklagten durch seine Revision nicht der Rechtsvorteil der nachträglichen Gesamtstrafenbildung genommen werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 11.01.2022 - 3 StR 325/21; 28.09.2021 - 2 StR 265/21, jew. bei juris; 24.03.2021 - 1 StR 13/21 = NZWiSt 2021, 353).

IV.

Die Entscheidung ergeht durch einstimmigen Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.

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