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Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss vom 27.03.2023 - 6 L 661/23 -Zur Angabe einer falschen Rechtsgrundlage in der Gutachtenaufforderung zum Nachweis des Trennvermögens

VG Düsseldorf v. 27.03.2023: Zur Angabe einer falschen Rechtsgrundlage in der Gutachtenaufforderung zum Nachweis des Trennvermögens




Das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Beschluss vom 27.03.2023 - 6 L 661/23) hat entschieden:

   Eine Untersuchungsaufforderung ist rechtswidrig, wenn sie bei einer zweimaligen, jeweils mit einem Bußgeld geahndeten, Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV als Rechtsgrundlage angibt und nicht den spezielleren § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV.

Siehe auch
Nachweis von fehlendem Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme - auch durch den aktiven THC-Wert
und
Drogen-Screening - Facharztgutachten - ärztliches Gutachten
sowie
Stichwörter zum Thema Cannabis

Gründe:


Der Einzelrichter ist nach § 6 VwGO zur Entscheidung berufen.

Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner parallel erhobenen Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 00. N. 0000 hat überwiegend Erfolg.

1. Soweit sich der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis wendet, ist der Antrag begründet. Es ist nach Aktenlage überwiegend wahrscheinlich, dass sich die Fahrerlaubnisentziehung im parallelen Klageverfahren als rechtswidrig herausstellen wird. Deswegen überwiegt das Interesse des Antragstellers, einstweilen von der Fahrerlaubnisentziehung verschont zu bleiben, das vom Antragsgegner vertretene öffentliche Interesse, die Rechtsfolge der Entziehungsverfügung bereits vor deren Bestandskraft eintreten zu lassen.




a) Es steht mit für das Eilrechtsschutzverfahren hinreichender Sicherheit fest, dass der Antragsteller gelegentlich, also mindestens zweimal, Cannabis konsumiert hat. Rechtsmedizinisch untersuchte Blutproben aus Januar und Februar 2022 haben jeweils THC-Werte oberhalb des Grenzwerts von 1 ng THC/ml Blutserum ergeben. Da diese Blutproben anlässlich von Verkehrskontrollen erfolgten, bei denen der Antragsteller am Steuer eines Kraftfahrzeuges saß, steht weiter fest, dass er zweifach gegen das Gebot verstoßen hat, den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr zu trennen.

b) Aus dem gelegentlichen Cannabiskonsum kann jedoch auch bei einem zweifachen Verstoß gegen das Trennungsgebot im Regelfall noch nicht nach § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärung auf die Fahrungeeignetheit des Drogenkonsumenten geschlossen werden.

   Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2020 - 16 B 885/19, NJW 2020, 2047.

Zwar mag eine Gesamtwürdigung des Betroffenen im Einzelfall bei besonderen Umständen auch ohne sachverständige Untersuchung den Rückschluss auf die mangelnde Fahreignung zulassen. Solche besonderen Umstände sind der Akte jedoch nicht zu entnehmen. Ein besonders gravierendes verkehrsgefährdendes Verhalten lässt sich beim Antragsteller nicht feststellen. Insbesondere liegen die rechtsmedizinisch bei ihm festgestellten THC-Werte von 4,9 ng/ml und 2,5 ng/ml nur geringfügig oberhalb bzw. sogar unterhalb des Wertes von 3 ng/ml, bei dem nach der Empfehlung der Grenzwertkommission sicher feststeht, dass die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt ist.

   Zum Wert von 3 ng: OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 - 16 A 432/16, NWVBl 2017, 1379.




c) Dem Antragsgegner war es auch nach § 11 Abs. 8 FeV verwehrt, von der Fahrungeeignetheit des Antragstellers auszugehen. Zwar hat dieser das angeforderte medizinischpsychologische Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt. Hieraus durfte der Antragsgegner aber nicht auf die mangelnde Fahreignung des Antragstellers schließen, weil die Begründung der Gutachtenanforderung rechtsfehlerhaft war. Ein solcher Rückschluss aus der Nichtvorlage ist nur zulässig, wenn die Aufforderung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war.

   Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. April 2022 - 3 C 9.21, NJW 2022, 2772, und vom 9. Juni 2005 - 3 C 25.04, NJW 2005, 3081 Rn. 19.

Die Gutachtenaufforderung vom 00. P. 0000 war nach Aktenlage rechtswidrig, weil sie eine unzutreffende Rechtsgrundlage anführt.

Ist in einer Gutachtenanordnung eine Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt, ist für die Rechtmäßigkeit der Anordnung allein maßgeblich, ob die Voraussetzungen der genannten Rechtsgrundlage vorliegen.

   Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. August 2022 - 16 B 1583/21, NJW 2022, 3373.

Die Gutachtenaufforderung nennt ausdrücklich und allein § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV als Rechtsgrundlage. Danach kann die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen.




Der Antragsgegner führt zur Begründung jedoch mit den beiden Rauschfahrten von Januar und Februar 2022 ausdrücklich zwei Verstöße gegen § 24a StVG an. Hierfür hält § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV eine Spezialregelung bereit, die § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV verdrängt. Danach ist die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Absatz 1 anzuordnen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a des Straßenverkehrsgesetzes begangen wurden.

Wiederholt in diesem Sinne begeht Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr, wer - wie der Antragsteller - mindestens zweimal gegen § 24a StVG verstößt. Eine Fahrt unter Cannabiseinfluss stellt einen Verstoß gegen § 24a StVG und damit eine Verkehrsordnungswidrigkeit dar, wie der Antragsgegner durch den Erlass von zwei Bußgeldbescheiden erkannt hat. Auch in der verkehrsverwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass die Anforderung einer medizinischpsychologischen Untersuchung bei zweifachem Verstoß gegen das Gebot, Cannabiskonsum und Kraftfahren zu trennen, auf § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV zu stützen ist.

   Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 14.17, BVerwGE 165, 215, Rn. 12, 40; OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2020 - 16 B 885/19, NJW 2020, 2047; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 14 FeV Rn. 21, 25.

Als tatbestandlich engere und damit speziellere Norm schließt § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV den Rückgriff auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV aus, wenn - wie hier - in der Untersuchungsaufforderung keine weiteren Tatsachen als die Verstöße gegen § 24a StVG angeführt werden, um die Eignungszweifel zu begründen. Dieser Fehler wirkt sich auch potenziell bei der Entscheidung des Adressaten aus, ob er der Anordnung Folge leistet. Denn stützt die Behörde die Gutachtenaufforderung bei wiederholten Zuwiderhandlungen i.S.d. § 24a StVG auf die richtige Rechtsgrundlage, kann wegen des eindeutigen Wortlauts und der gebundenen Rechtsfolge für den Adressaten kein Zweifel daran bestehen, dass er der Aufforderung folgen muss. Stützt sie die Aufforderung unrichtig auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV, können wegen der ausfüllungsbedürftigeren Tatbestandsvoraussetzungen durchaus Zweifel beim Adressaten entstehen, ob die Behörde rechtmäßig handelt.

Ein bloßer Schreibfehler, der ggf. aus der maßgeblichen Sicht des Fahrerlaubnisinhabers hinzunehmen wäre, liegt ersichtlich nicht vor. Der Antragsgegner wiederholt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV in der Anordnung und übt zudem Ermessen aus. § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV hat davon abweichende Tatbestandsvoraussetzungen und stellt die Gutachtenanforderung nicht in das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde.


2. Soweit sich der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der gesetzlich sofort vollziehbare Androhung des Zwangsgeldes richtet (§ 112 JustG NRW), bleibt er ohne Erfolg. Denn insofern wird sich die Anfechtungsklage voraussichtlich als unzulässig erweisen. Denn die Zwangsgeldandrohung hat sich erledigt, als der Antragsteller seine Führerscheinkarte am 00. N. 0000 beim Antragsgegner abgegeben hat, so dass der Anfechtungsantrag seitdem insofern höchstwahrscheinlich unstatthaft ist. Der Antragsteller hat die Verpflichtung erfüllt, deren Durchsetzung das Zwangsmittel sichern sollte. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner das angedrohte Zwangsgeld gleichwohl vollstrecken will.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO; soweit der Antragsteller in geringem Maße unterliegt, fällt das kostenmäßig nicht ins Gewicht.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Das Interesse an der Fahrerlaubnis wird im Hauptsacheverfahren mit dem Betrag des einfachen Auffangstreitwertes des § 52 Abs. 2 GKG (5.000,- Euro) angesetzt, weil weder ersichtlich ist noch dargelegt wurde, dass der Antragsteller in qualifizierter Weise - etwa als Berufskraftfahrer - auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist. Diesen Schluss lässt insbesondere auch der Umstand, dass der Antragsteller mehrere Zuwiderhandlungen mit einem Lastkraftwagen begangen hat, allein nicht zu. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ermäßigt sich der Hauptsachestreitwert um die Hälfte (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). Mit Blick auf § 80 Abs. 6 VwGO geht das Gericht in Ansehung von § 6a Abs. 3 Satz 1 StVG i.V.m. § 22 Abs. 1 Verwaltungskostengesetz in der bis zum 31. August 2013 gültigen Fassung davon aus, dass die Kostenfestsetzung nicht Gegenstand des Eilverfahrens ist und daher den Streitwert nicht erhöht.



Rechtsmittelbelehrung:
(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.

Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV -) wird hingewiesen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz - RDGEG -). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.

Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst 1-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.

(2) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV -) wird hingewiesen.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.

Die Beschwerdeschrift soll möglichst 1-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.

War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden./

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