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Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 06.10.2009 - 3 Ss 425/09 - Zur Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde

OLG Hamm v. 06.10.2009: Zur Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde




Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 06.10.2009 - 3 Ss 425/09) hat entschieden:

   Der Nachweis der Unrichtigkeit einer Postzustellungsurkunde ist substantiiert anzutreten und kann nur durch die vollständige Entkräftung ihres Inhalts geführt werden. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist dieser noch nicht erbracht. - Der Zustellungsempfänger, der ein Schriftstück nicht erhalten haben will, muss in aller Regel Einzelheiten vortragen und glaubhaft machen, aus denen sich ergeben kann, dass aufgrund der konkreten Umstände ein Abhandenkommen der Sendung möglich erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 1987 - 2 BvR 1007/97).

Siehe auch
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
und
Zustellung und Ersatzzustellung - Zugang von Schriftstücken und Bescheiden


Gründe:


I.

Das Amtsgericht Detmold hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 23. Februar 2009 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Auf die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat der Vorsitzende der II. kleinen Strafkammer des Landgerichts Detmold Termin zur Hauptverhandlung zunächst auf den 24. Juni 2009 bestimmt, diesen Termin aufgrund der Verhinderung eines Zeugen auf Mittwoch, den 15. Juli 2009, 9.00 Uhr verlegt. Ausweislich der in der Akte befindlichen Postzustellungs- urkunde vom 13. Mai 2009 ist dem Angeklagten an diesem Tag die Umladung durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden. Nachdem der Verteidiger des Angeklagten am Morgen des Hauptverhandlungstermins telefonisch mitgeteilt hatte, nicht aufzutreten und in der Berufungshauptverhandlung weder der Verteidiger noch der Angeklagte erschienen waren, hat das Landgericht die Berufung durch Urteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass der Angeklagte zwar rechtzeitig Berufung eingelegt habe, in dem Termin zur Hauptverhandlung aber ungeachtet der durch die Urkunde vom 13. Mai 2009 nachgewiesenen Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei.

Gegen dieses ihm am 21. Juli 2009 zugestellte Verwerfungsurteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22. Juli 2009 Revision eingelegt und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt. Unter Vorlage einer von ihm selbst und von seiner Ehefrau abgegebenen eidesstattlichen Versicherung hat er sein Wiedereinsetzungsgesuch damit begründet, eine Ladung zu dem Hauptverhandlungstermin am 15. Juli 2009 nicht erhalten zu haben. Entweder sei die Niederlegung in einen "falschen Postkasten" erfolgt oder es sei davon auszugehen, dass die Post aus dem Brief- kasten von unbekannten Personen entfernt worden sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. September 2009 hat das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag verworfen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde.




II.

Der gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthaften sofortigen Beschwerde des Angeklagten ist in der Sache kein Erfolg beschieden.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht verworfen.

In der Rechtsprechung ist überwiegend anerkannt, dass ein zum Termin nicht ordnungsgemäß geladener Angeklagter dem Säumigen gleichzustellen ist, obgleich ein Fall der Säumnis nicht gegeben ist. Danach ist auch dem Nichtsäumigen in entsprechender Anwendung der §§ 329 Abs. 3, 44, 45 StPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Ladungsmangel vorliegt, dieser kausal für sein Nichterscheinen ist und er fristgerecht einen Wiedereinsetzungsantrag mit den nach §§ 44, 45 Abs. 2 StPO erforderlichen Tatsachenangaben stellt (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 329, Rn. 41 m.w.N.; OLG Köln in NStZ-RR 2002, 142; OLG Hamm in NStZ 1982, 521 f.; Senatsbeschlüsse vom 31. Juli 2008 - 3 Ss 288/08 m.w.N. und vom 15. Juli 2009 - 3 Ws 231/09). Der Antragsteller hat hierzu einen Sachverhalt vorzutragen und glaubhaft zu machen, dem sich das Fehlen einer ordnungsgemäßen Ladung ebenso wie deren Ursächlichkeit für sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung ohne Weiteres entnehmen lässt. Erforderlich ist eine genaue Darstellung sämtlicher Umstände, die für die Nichtteilnahme an dem Hauptverhandlungstermin relevant gewesen sind.

Diesen Begründungsanforderungen wird das Wiedersetzungsgesuch nicht gerecht. Der Angeklagte hat nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, dass er zu der Berufungshauptverhandlung am 15. Juli 2009 nicht geladen worden ist. Ausweislich der gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 182 Abs. 1 S. 2 ZPO formell ordnungsgemäß ausgestellten und unterzeichneten Zustellungsurkunde vom 13. Mai 2009 ist dem Angeklagten an diesem Tag die Umladung - im Wege der Ersatzzustellung gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 180 ZPO - durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden. Als öffentliche Urkunde begründet diese gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich demzufolge auch darauf, dass der Postzusteller die Sendung am 13. Mai 2009 in den Briefkasten des Angeklagten eingeworfen hat. Aufgrund der Postzustellungsurkunde ist daher von einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten auszugehen.




Nach den §§ 418 Abs. 2, 415 Abs 2 ZPO ist zwar bei öffentlichen Urkunden der Gegenbeweis grundsätzlich zulässig. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist dieser indes noch nicht erbracht (zu vgl. Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 418, Rn. 4 m.w.N.). Ebenso kann der Gegenbeweis nicht durch die bloße Behauptung geführt werden, die zugestellte Sendung nicht erhalten zu haben, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung gerade nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Der Nachweis der Unrichtigkeit der Postzustellungsurkunde ist vielmehr substantiiert anzutreten und kann nur durch die vollständige Entkräftung ihres Inhalts geführt werden. Erforderlich ist, dass ein Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht wird, der zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen ausschließt (zu vgl. KG Berlin, Beschluss vom 25. Mai 2000 - 2 Ss 47/00; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Mai 1994 - 3 Ws 192, 193/94). Die Richtigkeit der Behauptung muss dabei in einem nach Lage der Sache vernünftigerweise zu verlangenden Grad von Wahrscheinlichkeit dargetan werden. So muss ein Zustellungsempfänger, der ein Schriftstück nicht erhalten haben will, in aller Regel Einzelheiten vortragen und glaubhaft machen, aus denen sich ergeben kann, dass aufgrund der konkreten Umstände ein Abhandenkommen der Sendung möglich erscheint (zu vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 1997 - 2 BvR 1007/97; OLG Hamm, Beschluss vom 18. September 2001 - 2 Ws 233/01; KG Berlin, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Daran mangelt es hier. Nach Maßgabe der aufgezeigten Grundsätze ist das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet, die Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde zu erschüttern. Unabhängig davon, dass die eigene eidesstattliche Versicherung des Angeklagten als Mittel der Glaubhaftmachung nicht zugelassen und ein - gegenüber der öffentlichen Urkunde - durchgreifender Beweiswert der eidesstattlichen Versicherung seiner Ehefrau fraglich erscheint (zu vgl. BVerfG, a.a.O.), erschöpft sich das Wiedereinsetzungsvorbringen in der bloßen Behauptung, eine Ladung zu dem Termin nicht erhalten zu haben. Konkrete Umstände, die deren Abhandenkommen ausnahmsweise als denkbar erscheinen lassen (z.B. defekter Briefkasten), sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Soweit der Angeklagte anführt, dass die Niederlegung in einen "falschen Postkasten" erfolgt oder aber von unbekannten Personen aus dem Briefkasten entfernt worden sein müsse, handelt es sich um reine Vermutungen, für die es keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Da die Zustellung der - von dem Angeklagten empfangenen - Ladung zu dem ursprünglichen Termin am 24. Juni 2009 von derselben Postbediensteten ("T") vorgenommen worden ist (Bl. 128 R. d.A.), liegt ein Versehen des Zustellers infolge Ortsunkenntnis fern. Ebenso ist ein Entwenden der Ladung durch Dritte angesichts der Beschaffenheit des Briefkastens (Briefeinwurfschlitz mit Klappe im oberen Bereich des Postkastens) ohne Hinzutreten weiterer Umstände nur schwer vorstellbar.

Deshalb muss es bei der Beweiskraft der Postzustellungsurkunde verbleiben, so dass der Angeklagte das Fehlen einer ordnungsgemäßen Terminsladung nicht mit Erfolg als Wiedereinsetzungsgrund reklamieren kann.-

III.

Nachdem der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen war, konnte der Senat zugleich über das mit diesem verbundene Rechtsmittel der Revision entscheiden.

Die Revision erweist sich gemäß § 349 Abs. 1 StPO bereits als unzulässig, weil der Angeklagte sein Rechtsmittel nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend begründet hat, § 344 StPO.



Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2009 hat der Verteidiger des Angeklagten lediglich "Revision" eingelegt und die "Aufhebung des Urteils" beantragt, ohne das Rechtsmittel und den Antrag zu begründen. Es wird weder die Rüge der Verletzung formellen Rechts (hier des § 329 StPO) oder die Sachbeschwerde erhoben noch lässt sich der Rechtsmittelschrift im Wege der Auslegung überhaupt eine Angriffsrichtung entnehmen; das Vorbringen verhält sich allein über die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Damit fehlt es indes an der gesetzlich vorgeschriebenen Revisionsbegründung. Diese war - unbeschadet des mit der Revision verbundenen Wiedereinsetzungsgesuchs - gemäß § 342 Abs. 2 S. 1 StPO innerhalb der durch die Zustellung des Verwerfungsurteils am 21. Juli 2009 ausgelösten Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO bei Gericht anzubringen. Legt ein Angeklagter Revision ein und beantragt er zugleich gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, so darf er die Entscheidung über dieses Gesuch nicht abwarten, sondern er muss so verfahren, als wäre der Wiedereinsetzungsantrag nicht gestellt worden und die Revision rechtzeitig begründen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 342, Rn. 1).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 473 Abs. 1 S. 1 und S. 2 StPO.

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