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Das Wesen des Anscheinsbeweises

Das Wesen des Anscheinsbeweises




Siehe auch
Anscheinsbeweis - Beweis des ersten Anscheins - Beweis prima facie
und
Stichwörter zum Thema Beweisführung

Bei typischen Geschehensabläufen, besonders im Straßenverkehr, kann nach der Erfahrung regelmäßig von einem bestimmten Ereignis auf eine bestimmte Folge geschlossen werden und umgekehrt von einem bestimmten Ergebnis auf einen bestimmten zugrundeliegenden Ablauf (BGHZ 39, 107; NZV 90, 386; KG VM 89, 37), und zwar sowohl hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs sowie hinsichtlich des Verschuldens (BGH NJW 66, 1263).

Entkräftet wird der Anscheinsbeweis nicht durch bloße gedankliche Möglichkeiten, sondern nur durch erwiesene Tatsachen, die einen atypischen Verlauf möglich gemacht haben können (BGH NZV 90, 386; OLG Düsseldorf VR 87, 909 u. viele andere), etwa durch den Nachweis der Behinderung durch ein anderes Fahrzeug (BGH VR 67, 583).


So führte schon der BGH (Urteil vom 19.11.1985 - VI ZR 176/84) aus:

   "Die Anwendung des Anscheinsbeweises bei Verkehrsunfällen setzt Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung zunächst der Schluss aufdrängt, dass der Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (Senatsurteil vom 24.3.1959 aaO). Der bloße Umstand, dass ein Kraftfahrer auf die Gegenfahrbahn geraten ist, reicht als Grundlage für einen Anscheinsbeweis nicht stets aus. Wenn im zu entscheidenden Einzelfall weitere Umstände des Unfallgeschehens bekannt sind sei es, dass der Kl. sie selbst vorträgt oder dass sie unstreitig oder vom Gericht festgestellt sind, so müssen sie in die Betrachtung mit einbezogen werden. Das gesamte feststehende Unfallgeschehen muss nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, der sich im Augenblick des Zusammenstoßes auf seiner Gegenfahrbahn befunden hat, schuldhaft gehandelt hat.

Wenn das feststehende Gesamtgeschehen nicht die notwendige Typizität aufweist, d. h. wenn dieses Geschehen nicht so eindeutig ist, dass sich nach der Lebenserfahrung der Schluss auf das Fehlverhalten eines der Beteiligten aufdrängt, dann reicht der bloße Umstand, dass einer der Unfallbeteiligten sich am Schluss des Unfallgeschehens auf der Gegenfahrbahn befand, als Grundlage für einen gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht aus. In einem solchen Fall spricht der erste Anschein nicht für ein schuldhaftes Fehlverhalten des auf die Gegenfahrbahn Geratenen. Das bedeutet, dass dieser Unfallbeteiligte nicht gezwungen ist, einen gegen ihn sprechenden Anschein auszuräumen oder zu entkräften. Vielmehr hat, wer daraus einen Ersatzanspruch herleiten will, das schuldhafte Fehlverhalten ohne die Erleichterungen des Anscheinsbeweises aufgrund der konkreten Umstände des Falls nachzuweisen."



Der Anscheinsbeweis kann nur durch vollen Gegenbeweis widerlegt werden; Darlegungen eines atypischen Verlaufs genügen hierzu nicht, siehe hierzu OLG Saarbrücken (Urteil vom 13.04.2010 - 4 U 425/09):

   "Der Anscheinsbeweis erlaubt bei typischen Geschehensabläufen den auf der Lebenserfahrung beruhenden Schluss, dass ein Ereignis auf einer bestimmten Ursache oder einem bestimmten Ablauf beruht (st. Rspr. BGHZ 100, 31, 33; vgl. BGH, Urt. v. 29.6.1982 – VI ZR 206/80, NJW 1982, 2447, 2448; Urt. v. 22.9.1982 – VIII ZR 246/81, VersR 1982, 1145). Die Anknüpfungstatsachen des Erfahrungssatzes müssen entweder unstreitig oder nach Maßgabe des § 286 ZPO bewiesen sein. Jedoch steht der durch den Anscheinsbeweis bewiesene Zusammenhang nicht unverrückbar fest. Hierbei ist der Gegenbeweis nicht erst dann geführt, wenn ein atypischer Unfallverlauf in einer den Anforderungen des § 286 ZPO entsprechenden Weise feststeht. Vielmehr kann der Gegner die auf dem Erfahrungssatz beruhende Schlussfolgerung bereits dann erschüttern, wenn aufgrund erwiesener Tatsachen die Möglichkeit besteht, dass sich der Unfall durch einen atypischen Verlauf ereignet haben kann (BGHZ 6, 169, 170; Urt. v. 17.1.1995 – X ZR 82/93, VersR 1995, 723, 724; Urt. v. 3.7.1990 – VI ZR 239/89, NJW 1991, 230, 231; vgl. Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., vor § 284 Rdnr. 29; MünchKomm(ZPO)/Prütting, 3. Aufl., § 286 Rdnr. 48 ff., 65; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 286 Rdnr. 87 ff., 98; Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, § 286 Rdnr. 28)."

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