Verwaltungsgericht Bremen Beschluss vom 31.03.1999 - 5 V 452/99 - FeV § 28 Abs 4 Nr 3 ist auf sog. Altfälle unanwendbar, wenn zwar eine gerichtliche Fahrerlaubnisentziehung vorliegt, die Sperrzeit aber vor dem 01.01.1999 abgelaufen war
VG Bremen v. 31.03.1999: FeV § 28 Abs 4 Nr 3 ist auf sog. Altfälle unanwendbar, wenn zwar eine gerichtliche Fahrerlaubnisentziehung vorliegt, die Sperrzeit aber vor dem 01.01.1999 abgelaufen war.
Das Verwaltungsgericht Bremen (Beschluss vom 31.03.1999 - 5 V 452/99) hat entschieden:
FeV § 28 Abs 4 Nr 3 ist auf sog. Altfälle unanwendbar, wenn zwar eine gerichtliche Fahrerlaubnisentziehung vorliegt, die Sperrzeit aber vor dem 01.01.1999 abgelaufen war.
Anmerkung:
Diese verwaltungsrechtliche Entscheidung steht im Widerspruch zum Beschluss des BGH v. 20.06.2002 - 4 StR 371/01 -, in dem festgestellt wurde, dass sich die sog. Altfälle wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar machen, wenn sie nach dem In-Kraft-Treten der FeV weiterhin eine ausländische EU-EWR-Fahrerlaubnis im Inland benutzen.
Der Antragsteller ist britischer Staatsangehöriger und Inhaber einer am 18.10.1979 ausgestellten britischen Fahrerlaubnis. Seinen ständigen Wohnsitz hat er in Bremen. Nachdem der Antragsteller bei einer Trunkenheitsfahrt aufgefallen war wurde er - nach vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis am 30.10.1996 - durch das Amtsgericht Bremen mit Strafbefehl vom 8.1.1997 (Gesch.-Nr. 93 Cs 610 Js 38675/96), rechtskräftig seit dem 28.1.1997, wegen eines Vergehens nach § 316 StGB zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt und ihm für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen. Im Strafbefehl heißt es weiter, ihm dürfe für die Dauer von 4 Monaten keine Fahrerlaubnis erteilt werden. Gemäß § 69 b Abs. 1 Satz 2 StGB habe diese Entziehung die Wirkung eines Verbotes, während der Sperre in der Bundesrepublik Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen, soweit es dazu im innerdeutschen Verkehr einer Fahrerlaubnis bedürfe.
Nachdem das Stadtamt der Antragsgegnerin den Antragsteller zunächst mit Schreiben vom 25.8.1998 aufgefordert hatte, wegen Bedenken an seiner Fahreignung ein Gutachten eines medizinisch-psychologischen Instituts vorzulegen, wurde ihm mit Schreiben vom 15.2.1999 mitgeteilt, er dürfe seit dem 1.1.1999 keinen Gebrauch von seiner britischen Fahrerlaubnis mehr machen. Dies beruhe auf § 28 der zum Jahresbeginn in Kraft getretenen Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Gleichzeitig wurde in den am 8.11.1996 in Swansea, England, ausgestellten Führerschein des Antragstellers eingetragen, daß der Inhaber nicht berechtigt ist, Kraftfahrzeuge auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Mit Schreiben vom 17.2.1999 bat der Antragsteller um Überprüfung dieser Entscheidung und Erlaß eines rechtsmittelfähigen Bescheids, der bisher nicht ergangen ist.
Am 5.3.1999 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, daß er auch über den 1.1.1999 hinaus berechtigt sei, aufgrund seiner britischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland zu fahren. Er ist der Auffassung, die Vorschrift des § 28 FeV sei hier nicht einschlägig, da er im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift berechtigt gewesen sei, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu fahren. Absatz 4 dieser Vorschrift sei nur dann einschlägig, wenn die Dauer der Entziehung noch bestehe.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung war erfolgreich.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der Antragsteller hat Anspruch auf Erlaß der begehrten Anordnung, da nach summarischer Prüfung durch das Gericht der Antragsteller gegenwärtig berechtigt ist, in der Bundesrepublik Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen.
Nach § 2 Abs. 1 StVG (in der seit dem 1.1.1999 geltenden Fassung, BGBl 1998 I, S. 747) bedarf, wer auf öffentlichen Straßen ein Fahrzeug führt, der Fahrerlaubnis der zuständigen Behörde. Gemäß § 2 Abs. 11 StVG berechtigen, nach näherer Bestimmung durch Rechtsverordnung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 j StVG, auch ausländische Fahrerlaubnisse zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. Diese Ermächtigung wurde vom Bundesminister durch § 28 Abs. 1 FeV umgesetzt, wonach Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 in der BRD haben - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 der Vorschrift - im Umfang ihrer Berechtigung, Kraftfahrzeuge im Inland führen dürfen. Eine der in § 28 Abs. 2 bis 4 FeV genannten Einschränkung ist beim Antragsteller derzeit nicht gegeben. Vom Vorliegen eines Falles des § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV kann hier nicht ausgegangen werden, da nicht ersichtlich ist, daß dem Antragsteller am 8.11.1996 in England eine neue Fahrerlaubnis erteilt, sondern ihm lediglich - aufgrund der jedenfalls für England noch bestehenden Fahrerlaubnis - ein neuer Führerschein ausgestellt wurde.
Die Berechtigung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland ist gleichfalls nicht nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden ist. Nach Auffassung der erkennenden Kammer findet diese Vorschrift jedoch jedenfalls auf Fälle wie den des Antragstellers, in denen vor Inkrafttreten der Fahrerlaubnisverordnung am 1.1.1999 eine gerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgt und eine hiermit in Verbindung stehende Sperrfrist nach § 69 a StGB i.V.m. § 69 b Abs. 1 StGB (in der bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung) abgelaufen war, keine Anwendung. Dies ergibt sich aus folgendem:
Zwar läßt eine Auslegung der Vorschrift allein nach ihrem Wortlaut - auch in Anbetracht dessen, daß eine Übergangsregelung nicht besteht - es durchaus zu, Fälle der bereits vor Inkrafttreten der Vorschrift erfolgten gerichtlichen Fahrerlaubnisentziehungen oder jedenfalls Fälle, in denen die Wirkungen der Gerichtsentscheidung noch andauern, mit einzubeziehen. Die Auffassung der Kammer stützt sich jedoch wesentlich auf die systematische Stellung der Norm sowie den vom Verordnungsgeber verfolgten Zweck. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV muß im Zusammenhang mit der ab 1.1.1999 geltenden Neufassung von § 3 Abs. 1 S. 2 StVG und § 69 b StGB gesehen werden. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 StVG n.F. hat die Entziehung bei einer ausländischen Fahrerlaubnis - auch wenn sie nach anderen Vorschriften erfolgt - die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Entsprechendes gilt nach § 69 b Abs. 1 S. 1 StGB für Fälle der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB, in denen der Täter auf Grund einer im Ausland erteilten Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge führen darf, ohne daß ihm von einer deutschen Behörde eine Fahrerlaubnis erteilt worden ist. Im Gegensatz hierzu war nach der bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung des § 69 b Abs. 1 S. 2 StGB das Verbot, für die betroffenen Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge zu führen, auf die Dauer der nach § 69 a StGB verhängten Sperre beschränkt. Entsprechend sahen bis zum 31.12.1998 sowohl § 4 S. 1 Nr. 2 der Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 19. Juni 1996 (BGBl I S. 885) als auch § 4 Abs. 2 S. 1 b) der Verordnung über den internationalen Kraftfahrzeugverkehr (IntVO), in der Fassung vom 20.6.1994 (BGBl I S. 1291), eine Beschränkung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen für Inhaber ausländischer Führerscheine nur dann vor, solange den Inhabern im Inland die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen war oder ihnen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden durfte. Es ist nicht erkennbar, daß der Verordnungsgeber mit der Neufassung der FeV (ebenso wie auch in § 4 Abs. 3 der Verordnung über den internationalen Kraftfahrzeugverkehr (IntKfZVO, zuletzt geändert am 18.8.1998 (BGBl I S. 2214)) diejenigen zeitlich begrenzten Beschränkungen wieder aufleben lassen wollte, die sich am 1.1.1999 durch Zeitablauf bereits erledigt hatten (Altfälle). Hierfür findet sich in der amtlichen Begründung zur Fahrerlaubnisverordnung (Verkehrsblatt Heft 20-1998, S. 1049 ff) kein Anhaltspunkt. Zur Anerkennung und Umschreibung von ausländischen Fahrerlaubnissen aus EU-und EWR-Staaten heißt es dort (S. 1055), der Inhalt der Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 19. Juni 1996 (BGBl I S. 885) werde - ohne wesentliche Änderungen - in die Fahrerlaubnisverordnung übernommen. Die Begründung zu § 28 Abs. 4 FeV (S. 1081) führt aus, die Neuregelung entspreche der Neufassung des § 69 b StGB. Hätte der Verordnungsgeber die Absicht gehabt, auch Altfälle zu erfassen, hätte es nahegelegen, dies in der Begründung zu erwähnen. Eine solche Begründung hätte sich aufgedrängt, da mit einer Erfassung von (Alt-) Fällen einer nach §§ 69, 69 a, 69 b StGB a.F. ergangenen Entziehung der Fahrerlaubnis, der zum Zeitpunkt ihres Erlasses nur die Wirkung eines inlandsbezogenen Fahrverbots zukam (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 34. Aufl., § 69 b StGB Rdnr. 1), nunmehr für die Zukunft die Wirkung einer inlandsbezogenen Aberkennung der Fahrberechtigung beigemessen würde, die nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbewehrt ist. Ein solcher Fall der mittelbaren Rückwirkung könnte nicht als nur unwesentliche Änderung im Wege der Übernahme der Regelungen der Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 19. Juni 1996 (BGBl I S. 885) angesehen werden. Es zeigt sich auch nach der Begründung, daß § 28 Abs. 4 Fahrerlaubnisverordnung lediglich auf die ab dem 1.1.1999 geltenden Vorschriften des StVG und des StGB abgestimmt ist, nicht dagegen auf deren Bedeutung in ihrer bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung.
Nähme man - entgegen er Auffassung der Kammer - an, eine rückwirkende Geltung von § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 FeV auch für Altfälle wäre vom Verordnungsgeber gewollt, bestünden erhebliche Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Vorschrift mit der gesetzlichen Ermächtigung im Hinblick auf ihre Bestimmtheit und Geeignetheit zur Umsetzung der gesetzlichen Zielsetzung, ungeeignete Kraftfahrer vom Straßenverkehr fernzuhalten. Betroffen wären von der Beschränkung Personen, unabhängig davon, wie lange bei ihnen der Ablauf des Verbots nach § 69 b Abs. 1 StGB a.F., im Inland Kraftfahrzeuge zu führen, zurückliegt, die unter Umständen zwischenzeitlich langjährig wieder am Kraftfahrzeugverkehr im Inland teilgenommen haben und auch unabhängig von vorhandenen Zweifeln an ihrer gegenwärtigen Kraftfahreignung, so daß sie mit einer Rechtsänderung zu ihrem Nachteil nicht zu rechnen brauchen.
Die Entscheidungen des VG Bremen vom 9.7.1997 - 5 A 94/96 -, und des OVG Bremen vom 25.2.1998 - 1 B 131/97 - stehen der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Der dort entschiedene Fall ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da dem dortigen Kläger durch eine deutsche Verwaltungsbehörde die Erteilung einer Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden war. Eine derartige Versagung war entgegen der in § 69 b Abs. 1 StGB a.F. benannten Rechtsfolgen nicht zeitlich befristet, so daß hieran - auch noch rückwirkend - andere Rechtsfolgen geknüpft werden konnten, als in einem Fall wie hier.
Dem Antragsteller ist es gegenwärtig auch nicht aus anderen Gründen versagt, im Inland ein Kraftfahrzeug zu führen. Das Verhalten der Antragsgegnerin kann nicht dahingehend umgedeutet werden, sie habe dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entziehen wollen. Dies würde ihrer geäußerten Rechtsauffassung, im vorliegenden Fall bedürfe es einer solchen Entziehung gerade nicht, zuwiderlaufen.
Für die beantragte einstweilige Anordnung besteht auch ein Anordnungsgrund. Das Interesse des Antragstellers, der als Selbständiger auf die Nutzung seines Kraftfahrzeugs angewiesen ist, einstweilen weiterhin ein Kraftfahrzeug im Inland führen zu dürfen, überwiegt das öffentliche Interesse an seiner Fernhaltung vom Straßenverkehr. Die Beschäftigung eines Chauffeurs ist für ihn mit Kosten verbunden. Der Antragsgegnerin ist es unbenommen, bei fortbestehenden Zweifeln an der Kraftfahreignung des Antragstellers das bereits begonnene Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis fortzuführen. ..."