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OLG München Beschluss vom 09.09.2005 - 4St RR 031/05 - Vorlagefragen in der Strafsache gegen Kremer

OLG München v. 09.09.2005: Vorlagefragen an den EuGH zur Zulässigkeit "vorgeschalteter Maßnahmen" vor der Anerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis




Das OLG München (Beschluss vom 09.09.2005 - 4St RR 031/05) hat dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage im Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt:

   Lässt Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG1 in einem derartigen Fall eine gesetzliche Regelung des Aufnahmestaats zu, wonach von der Fahrerlaubnis des Ausstellungsstaats nur auf Antrag und nach Prüfung, ob die Voraussetzungen der Maßnahme nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie entfallen sind, im Aufnahmestaat Gebrauch gemacht werden darf,

oder folgt aus dem Gebot der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie sowie aus dem Gebot, Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie eng auszulegen, dass der Aufnahmestaat die Gültigkeit der Fahrerlaubnis ohne Vorschaltung eines Kontrollverfahrens anerkennen muss und dass ihm lediglich die Befugnis zusteht, das Recht zum Gebrauch der Fahrerlaubnis im Aufnahmestaat abzuerkennen, sofern Gründe (fort-)bestehen, die die Anwendung von Maßnahmen nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie rechtfertigen?

Anmerkung:
Die Vorlagefragen hat der EuGH mit Beschluss. vom 28.09.2006 - C-340/05 - beantwortet.


Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Der Vorlagebeschluss des OLG München hat folgenden Wortlaut:
(Die Nationalität der Fahrerlaubnis wurde vom OLG anonymisiert)

Der Europäische Gerichtshof wird gemäß Art. 234 Abs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) zur Vorabentscheidung angerufen:

Die Vorlage betrifft den Fall, dass einer Person in einem Mitgliedstaat (Aufnahmestaat) durch die Verwaltungsbehörden wegen Eignungsmängeln die Fahrerlaubnis aberkannt oder der Erwerb einer solchen versagt worden ist, der Neuerwerb einer Fahrerlaubnis im Aufnahmestaat davon abhängig ist, dass der Antragsteller seine Eignung durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung nach den Regeln des Aufnahmestaats nachweist, er diesen Nachweis nicht führt und in der Folgezeit - ohne dass eine Sperrfrist des Aufnahmestaats gelaufen ist - die Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat (Ausstellungsstaat) erwirbt.

Folgende Fragen werden zur Vorabentscheidung vorgelegt:

   Lässt Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG in einem derartigen Fall eine gesetzliche Regelung des Aufnahmestaats zu, wonach von der Fahrerlaubnis des Ausstellungsstaats nur auf Antrag und nach Prüfung, ob die Voraussetzungen der Maßnahme nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie entfallen sind, im Aufnahmestaat Gebrauch gemacht werden darf, oder folgt aus dem Gebot der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie sowie aus dem Gebot, Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie eng auszulegen, dass der Aufnahmestaat die Gültigkeit der Fahrerlaubnis ohne Vorschaltung eines Kontrollverfahrens anerkennen muss und dass ihm lediglich die Befugnis zusteht, das Recht zum Gebrauch der Fahrerlaubnis im Aufnahmestaat abzuerkennen, sofern Gründe (fort-)bestehen, die die Anwendung von Maßnahmen nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie rechtfertigen?




Gründe:

I.

Der Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Dem Angeklagten wurde vom Oberkreisdirektor E mit Verfügung vom 25.1.1996, bestandskräftig seit 1.3.1996, die Fahrerlaubnis der Klasse 3 wegen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nach wiederholter Begehung verkehrsrechtlicher Verstöße entzogen. Den Antrag des Angeklagten auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis lehnte der Oberkreisdirektor E nach einer medizinisch-psychologischen Begutachtung mit Verfügung vom 13.12.1996, bestandskräftig seit 17.1.1997, ab, da die Bedenken gegen die Kraftfahreignung nach Auswertung des Untersuchungsergebnisses nicht ausgeräumt seien.

Der Angeklagte erwarb am 10.5.1999 eine Fahrerlaubnis in B... .

Am 28.7.2000 hat das Amtsgericht Sch... den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis - Tatzeit 15.10.1999 - zur Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 70 DM verurteilt, die Entziehung der b... Fahrerlaubnis ausgesprochen und eine Fahrerlaubnissperre bis 8.12.2001 verhängt. In den Urteilsgründen wird u.a. ausgeführt, der Angeklagte habe nach Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis - unter Beibehaltung seines Erstwohnsitzes in Deutschland - einen Zweitwohnsitz in B begründet und dort eine Fahrerlaubnis erworben. Aus § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ergebe sich, dass der Angeklagte nicht berechtigt sei, mit der b... Fahrerlaubnis Fahrzeuge im Inland zu führen, da ihm die deutsche Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden sei.

Wegen erneuten vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis - Tatzeit: 20.11.2001 - wurde der Angeklagte am 26.6.2002 durch das Amtsgericht Sch...... zu sechs Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung - Bewährungszeit: drei Jahre - verurteilt, die b... Fahrerlaubnis wurde erneut entzogen und eine Fahrerlaubnissperre bis 25.9.2003 festgesetzt. In den Urteilsgründen wird u.a. ausgeführt, der Angeklagte habe nach Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis - unter Beibehaltung seines Erstwohnsitzes in Deutschland - einen (formalen) Zweitwohnsitz in B... begründet, um dort eine Fahrerlaubnis zu erwerben.




Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Sch... vom 30.12.2002 wurde der Angeklagte ein weiteres Mal wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis - Tatzeit 17.6.2002 - zur Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt, die Fahrerlaubnis wurde entzogen und eine Fahrerlaubnissperre bis 2.4.2005 verhängt.

Im vorliegenden Verfahren hat das Amtsgericht Ingolstadt den Angeklagten am 26.4.2004 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis - Tatzeit 15.10.2003 - zur Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und eine Sperrfrist von 15 Monaten angeordnet. Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft verwarf das Landgericht Ingolstadt mit Urteil vom 14.10.2004. Gegen diese Entscheidung hat der Angeklagte Revision eingelegt.


II.

Der Senat legt dem Europäischen Gerichtshof die im Tenor formulierten Fragen zur Auslegung der Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG gemäß Art. 234 Abs. 2 EG zur Vorabentscheidung vor.

Für die Entscheidung des Gerichts sind die aufgeworfenen Fragen erheblich.

1. Um auf öffentlichen Straßen in der Bundesrepublik Deutschland ein Kraftfahrzeug zu führen, bedarf es einer Fahrerlaubnis, die durch die Fahrerlaubnisbehörden erteilt wird. Nur geeigneten Personen wird eine Fahrerlaubnis erteilt. Eignung ist nur dann gegeben, wenn die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt sind und der Antragsteller nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften und Strafgesetze verstoßen hat. Bestehen Eignungszweifel, kann die Fahrerlaubnisbehörde u.a. anordnen, dass der Antragsteller oder der Fahrerlaubnisinhaber ein medizinisch-psychologisches Gutachten zum Nachweis des Bestehens der Fahreignung beibringt. Ist eine Eignung nicht mehr gegeben, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Eine Entziehung der Fahrerlaubnis kann jedoch auch durch die Strafgerichte erfolgen, wenn jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt wird, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, und wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB). Wird die Fahrerlaubnis entzogen, bestimmt das Gericht eine Frist, innerhalb der keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf (§ 69 a Abs. 1 Satz 1 StGB).




a) Die einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften aus dem Straßenverkehrsgesetz (StVG), der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) und dem Strafgesetzbuch (StGB) lauten wie folgt:

   § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und Abs. 8 StVG:

(1) Wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, bedarf der Erlaubnis (Fahrerlaubnis) der zuständigen Behörde (Fahrerlaubnisbehörde).

(4) Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.

(8) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde anordnen, dass der Antragsteller ein Gutachten oder Zeugnis eines Facharztes oder Amtsarztes, ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines amtlichen anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr innerhalb einer angemessenen Frist beibringt.

§ 21 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StVG:

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat … .

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen wird bestraft, wer

1. eine Tat nach Absatz 1 fahrlässig begeht, … .

§ 28 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 FeV:

(1) 1Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 - im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. … 3 Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,



3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben, …

(5) 1 Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nr. 3 … genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen.

2 § 20 Abs. 1 und 3 gilt entsprechend.

§ 20 Abs. 1 und 3 FeV:

(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung.

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5.

§ 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 FeV:

(1) Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen.

(5) 1 Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis. 2 Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland.

§ 69 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 StGB:

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt …, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

(3) 1 Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. 2 Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.

§ 69 a Abs. 1 Sätze 1 und 3 und Abs. 5 Satz 1 StGB:

(1) 1 Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, dass für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). … 3 Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.

(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils.

§ 69 b StGB:

(1) 1 Darf der Täter aufgrund einer im Ausland erteilten Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge führen, ohne dass ihm von einer deutschen Behörde eine Fahrerlaubnis erteilt worden ist, so hat die Entziehung der Fahrerlaubnis die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. 2 Mit der Rechtskraft der Entscheidung erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. 3Während der Sperre darf weder das Recht, von der ausländischen Fahrerlaubnis wieder Gebrauch zu machen, noch eine inländische Fahrerlaubnis erteilt werden.

(2) 1 Ist der ausländische Führerschein von einer Behörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden und hat der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, so wird der Führerschein im Urteil eingezogen und an die ausstellende Behörde zurückgesandt. 2 In anderen Fällen werden die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Sperre in den ausländischen Führerscheinen vermerkt.


Im Übrigen wird auf die in Ablichtung beigefügten Gesetzestexte Bezug genommen (Anlage 1).


Zur Entziehung bei einer ausländischen Fahrerlaubnis ist Folgendes anzumerken:

Voraussetzung für die Anwendung von § 69 b StGB ist, dass der Täter aufgrund einer im Ausland erteilten Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge führen darf. Ob einem Täter, der eine im Ausland erteilte Fahrerlaubnis besitzt, die ihn nicht berechtigt, im Inland Kraftfahrzeuge zu führen, die Fahrerlaubnis entzogen werden darf, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Nach herrschender Meinung ist dies möglich, wenn der Täter einen ausländischen Fahrausweis besitzt (BGHSt 44, 194; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 69 b Rn. 4; MK-Athing StGB § 69 b Rn. 5; Schneider NZV 2002, 333; zweifelnd Hentschel NZV 1999, 134; a.M. Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 69 b Rn. 1 a: zulässig sei lediglich die Anordnung einer Fahrerlaubnissperre nach § 69 a Abs. 1 Satz 3 StGB).

Die zitierten Entscheidungen und das angegebene Schrifttum sind in Kopie als Anlage 2 dem Beschluss beigefügt.

b) Die Entziehung der b... Fahrerlaubnis durch die deutschen Gerichte, die ihren Entscheidungen jeweils zugrunde gelegt haben, dass der Angeklagte nicht berechtigt war, aufgrund der b... Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge im Inland zu führen, hat die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen (BGHSt 44, 194/196).

Unbeschadet der Frage, ob die erste Entscheidung des AG Sch... vom 28.7.2000 insbesondere im Hinblick auf europarechtliche Regeln materiell zutreffend ist, hat ihre Rechtskraft zur Folge, dass dem Angeklagten kein Recht zustand, in der Folgezeit im Inland (Bundesrepublik Deutschland) Kraftfahrzeuge zu führen. Da er hiergegen verstoßen hat, ist er in den nachfolgenden Entscheidungen zu Recht wegen eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG verurteilt worden.

Bedeutung hat die Vorlagefrage aber in jedem Fall für die Rechtsfolgenentscheidung.

Das Berufungsgericht hat bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten die drei Vorahndungen wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis berücksichtigt und die Verhängung der Freiheitsstrafe mit der Unbelehrbarkeit, die sich aus der mehrfachen Wiederholung gleichartiger Straftaten ergebe, begründet. Der Angeklagte hat die Fehlerhaftigkeit des Strafausspruchs gerügt. Die erste Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 28.7.2000 und die hierbei erfolgte Entziehung der b... Fahrerlaubnis seien zu Unrecht erfolgt, weil er bei der ihm angelasteten Fahrt im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis gewesen sei. Denn die b... Fahrerlaubnis habe ihn ohne vorherige Durchführung eines Anerkennungsverfahrens berechtigt, am innerstaatlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Die Nichtanerkennung der b... Fahrerlaubnis durch die Bundesrepublik Deutschland verletze Gemeinschaftsrecht.

Nach dem Urteil des EuGH vom 29.4.2004 im Fall Kapper sei Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG so auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaates gegen den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis verhängt wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist. Im Zeitpunkt des Erwerbs des b Führerscheins hätte weder eine durch ein deutsches Strafgericht verhängte Sperre zur Erteilung einer Fahrerlaubnis gegen ihn existiert noch hätten andere denkbare Hindernisse bestanden. Soweit sich Hindernisse aus den Regelungen in § 28 FeV - hier: die bestandskräftige Versagung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde - ergäben, seien diese unbeachtlich, weil sie gegen das Gemeinschaftsrecht verstießen. Alle nachfolgenden Verurteilungen, so auch die im hiesigen Verfahren beruhten letztlich auf der gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden Nichtanerkennung der b... Fahrerlaubnis durch die Gerichte.

Da bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist, ob Taten, die den Vorahndungen zugrunde liegen, wegen eines Wandels in der rechtlichen Bewertung aus heutiger Sicht in gleicher Weise strafbar wären, wenn sie heute abgeurteilt würden, kann die Frage nicht offen bleiben, ob die deutschen Gerichte zu Recht oder zu Unrecht davon ausgegangen sind, dass der Angeklagte nicht berechtigt war, aufgrund der b... Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge im Inland zu führen.

2. Die EuGH-Entscheidung, auf die sich der Angeklagte beruft, hat in Rechtsprechung und Schrifttum zu einer Kontroverse darüber geführt, ob § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV, auf den das Amtsgericht Sch... die Nichtanerkennung der b... Fahrerlaubnis gestützt hat, richtlinienkonform ist und - falls nicht - durch welche Einschränkung seines Anwendungsbereiches Richtlinienkonformität hergestellt werden könnte. Der Senat legt dem EuGH daher die im Tenor formulierten Fragen vor (vgl. auch Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts München vom 4.5.2005 Az: M 6a K 04.1).

a) Nach der Grundregel des § 28 Abs.1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU/EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne von § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben, grundsätzlich im Umfang der erteilten Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge im Inland führen. § 28 Abs.1 Satz 1 FeV setzt Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG in nationales Recht um. Nach dieser gemeinschaftsrechtlichen Regelung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anzuerkennen. Aufgrund des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG in der derzeit gültigen Fassung und aufgrund des § 28 Abs. 1 FeV sind die Inhaber einer gültigen EU/EWR-Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland daher ohne weiteres befugt, im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Berechtigung des ausländischen Führerscheins bzw. der ausländischen Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge zu führen. Es bedarf auch keiner förmlichen Umschreibung des EU/EWR-Führerscheins, weil dessen Inhaber hiermit ohne weiteres zum Führen von Kraftfahrzeugen in jedem Mitgliedstaat der EU berechtigt ist (vgl. VGH Baden-Württemberg DAR 2004, 606/607).

Die grundsätzliche Berechtigung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV steht aber unter dem ausdrücklichen Vorbehalt von Einschränkungen nach § 28 Abs. 2 bis 4 FeV, deren Anwendung allerdings vom sog. Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts - hier gemessen an der Regelung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG - abhängig ist.

Nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung des § 28 Abs. 1 FeV, im Umfang der ausländischen Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland zu führen, nicht für Inhaber eines EU/EWR-Führerscheins, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben. Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des Angeklagten erfüllt. Ihm ist mit Verfügung des Oberkreisdirektors E... vom 25.1.1996, unanfechtbar seit 1.3.1996, die Fahrerlaubnis der Klasse 3 entzogen und mit Verfügung vom 13.12.1996, unanfechtbar seit



Fahrerlaubnis der Klasse 3 versagt worden.




Andererseits erscheint es nach Auslegung von Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG denkbar, dass die einschränkende Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV im vorliegenden Fall kraft Vorrangs des Gemeinschaftsrechts unanwendbar sein könnte. Denn Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG verbürgt den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine und zwar ohne jede Formalität (EuGH U. v. 29.4.2004 - C 476/01 - Frank Kapper - Rn. 45, NJW 2004, 1725). Allerdings sieht das Gemeinschaftsrecht selbst Ausnahmen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine vor. Gemäß Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG kann es ein Mitgliedstaat ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG genannten Maßnahmen - Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis - angewendet wurde. Der EuGH geht davon aus, dass Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG eng auszulegen ist, weil die in ihr enthaltene Bestimmung von einem in der Richtlinie aufgestellten allgemeinen Grundsatz abweicht. Ziel der Richtlinie ist es, die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben (aaO Rn. 71 f.). In Anwendung dieser Grundsätze hat der EuGH in der genannten Entscheidung Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG daher so ausgelegt, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist (aaO Rn. 78).

b) Über die Auswirkungen dieser Entscheidung des EuGH auf die Anwendung des § 28 FeV bestehen in Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen:

aa) Nach Geiger (DAR 2004, 340 f. sowie DAR 2004, 690/691) müsse die EuGH-Entscheidung im Rahmen teleologischer Reduktion dahingehend interpretiert werden, dass es eine automatische Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis kraft Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nur in den Fällen gebe, in denen eine Sperrfrist ausgesprochen worden, diese verstrichen sei und das nationale Fahrerlaubnisrecht keine weiteren Anforderungen an die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stelle. Dies folge daraus, dass die Richtlinie außer allgemeiner Mindestanforderungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit für das Führen von Kraftfahrzeugen in ihrem Anhang III keine weitergehenden materiellen Anforderungen enthalte; deren Festlegung obliege vielmehr dem nationalen Gesetzgeber.

Schreibe die Fahrerlaubnisverordnung z.B. vor, dass die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis von der Beibringung eines - positiven - ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig sei, könne deren Fehlen der Anerkennung einer im Ausland nach Ablauf einer Sperrfrist erworbenen Fahrerlaubnis entgegengehalten werden.

Eine ähnliche Rechtsauffassung vertritt Haus (ZfS 2004, 483 sowie ZfS 2005, 214):

Nur soweit nach Ablauf der Sperrfrist zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deutschem Recht keine weiteren Maßnahmen zur Bestätigung der Eignung nötig seien, sei die Fahrerlaubnis des Mitgliedstaates im Inland anzuerkennen. Die Fahrerlaubnisbehörde dürfe in diesem Fall keine Eignungszweifel geltend machen. Soweit jedoch nach Ablauf der Sperrfrist nach deutschem Recht zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach StVG und FeV weitere Maßnahmen zur Bestätigung der Eignung nötig seien (z.B. eine medizinisch-psychologische Untersuchung), bleibe die Möglichkeit der Anwendung nationaler Vorschriften zur Wieder-/Neuerteilung der Fahrerlaubnis bestehen. Der Fahrerlaubnisbewerber müsse, um die Fahrerlaubnis zu erhalten, die Voraussetzungen nach deutschem Recht, z.B. die Beibringung einer medizinischpsychologischen Untersuchung, die ihm die Eignung bestätige, erfüllen. Dasselbe gelte für einen Führerscheinerwerb im Mitgliedstaat nach verwaltungsrechtlicher Entziehung im Inland.




In ähnlichem Sinn hat sich Bräutigam geäußert (BA 2004, 441/444).

Weitergehend als die drei genannten Autoren vertritt der VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 12.10.2004 (VRS 108, 141) den Rechtsstandpunkt, dass § 28 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 FeV mit dem vorrangigen Gemeinschaftsrecht generell vereinbar seien. Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG überlasse die Regelung der Anerkennung von im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnissen nach einer vorangegangenen Entziehung der Fahrerlaubnis dem innerstaatlichen Recht und beschränke die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten nicht auf die Einhaltung einer im Inland ausgesprochenen Fahrerlaubnissperre (vgl. Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts München vom 4.5.2005 Seiten 18/21).

bb) Demgegenüber vertritt das OLG Saarbrücken (NStZ-RR 2005, 50) im Anschluss an Otte/Kühner (NZV 2004, 321/328) den Rechtsstandpunkt, § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV sei wegen des teilweise entgegenstehenden vorrangigen Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf im EU-Ausland ausgestellte Führerscheine nach dem Urteil des EuGH in der Sache Kapper in weitem Umfang unanwendbar. Der im Wege der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung reduzierte tatbestandliche Anwendungsbereich erfasse nicht Inhaber einer erst nach Ablauf der letzten im Inland verhängten Sperrfrist erteilten EU/EWR-Fahrerlaubnis. Der von Geiger vorgeschlagenen „teleologischen Reduktion“ der Entscheidung des EuGH mit der Begründung, der Angeklagte habe die in seinem Fall erforderlichen Nachweise für die Wiedererlangung der Fahreignung oder Fahrfähigkeit (z.B. Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik nach § 13 Nr. 2 FeV) nicht erbracht, könne nicht gefolgt werden. Zwar sei der EuGH im Fall Kapper nicht ausdrücklich mit der Frage einzelner Voraussetzungen für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis befasst gewesen. In Rn. 74 der Entscheidung nehme der EuGH jedoch allgemein auf § 28 Abs. 4 Nr. 3 und 4 FeV, das Antragserfordernis und die „mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deutschem Recht verbundenen Voraussetzungen und Prüfungen“ Bezug und begründe die Verpflichtung zur Anerkennung der EU-Fahrerlaubnis anschließend allein mit dem Ablauf der Sperrfrist. In diesem Zusammenhang führe der EuGH aus, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG berufen könne, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früher von ihm erteilten Fahrerlaubnis angewendet worden sei, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt werde. Die Entscheidung des EuGH hindere im Übrigen die deutschen Fahrerlaubnisbehörden nicht daran, bei Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung gegen den Inhaber der ipso iure im Inland gültigen EU/EWR-Fahrerlaubnis verwaltungsrechtlich nach § 46 FeV vorzugehen und zur Vorbereitung der Entscheidung über den Entzug der Berechtigung aus der EU/EWR-Fahrerlaubnis die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der am 1.9.2002 in Kraft getretenen Neuregelung des § 28 Abs. 5 FeV. Hierdurch werde die Zuerkennung des Rechts, von der im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, unter erneutem Verstoß gegen den Grundsatz der Anerkennung ipso iure von der Stellung eines Antrags abhängig gemacht.

Eine ähnliche Rechtsauffassung wie das OLG Saarbrücken dürfte auch das OLG Karlsruhe (ZfS 2004, 531) vertreten. Dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall lagen folgende Feststellungen zugrunde:

   Der Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger. Nachdem ihn das Amtsgericht S mit Urteil vom 21.10.1996 - rechtskräftig seit dem 26.11.1996 - wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm zudem - bei Verhängung einer Sperrfrist für die Neuerteilung - die Fahrerlaubnis entzogen hatte, verlegte der Angeklagte seinen Wohnsitz nach S... , wo er am 6.11.1997 - nach Ablauf der gegen ihn festgesetzten Sperrfrist am 20.6.1997 - die s... Fahrerlaubnis erwarb. Den Antrag des Angeklagten, von seiner s... Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Gebrauch machen zu dürfen, lehnte das Landratsamt K. am 18.6.2001 ab, weil der Angeklagte sich einer von dort geforderten medizinisch-psychologischen Begutachtung nicht unterziehen wollte. Der gegen den Bescheid vom 18.6.2001 gerichtete Widerspruch des Angeklagten wurde vom Regierungspräsidium F am 21.2.2002 - bestandskräftig seit dem 22.3.2002 - abschlägig beschieden. Am 19.10.2003 befuhr der Angeklagte mit seinem Pkw öffentliche Straßen in G-R.

Auf die Revision des Angeklagten hob das OLG Karlsruhe die Entscheidung des Amtsgerichts S auf und sprach den Angeklagten frei. Das OLG begründete den Freispruch mit dem vom EuGH im Fall Kapper entwickelten Rechtsgrundsatz, dass kein Hindernis dafür bestehe, die EU/EWR-Fahrerlaubnis als gültig anzuerkennen, da sie nach Ablauf der Sperrfrist erteilt worden sei. Mit der Frage, welche rechtlichen Auswirkungen die rechtskräftige Ablehnung des Antrags des Angeklagten, von seiner s Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch machen zu dürfen, haben könnte, hat sich das OLG Karlsruhe nicht auseinandergesetzt.

3. Die Bewertung der beiden unterschiedlichen Auffassungen ergibt aus Sicht des Senats Folgendes:

Für die Vertreter der Rechtsauffassung, die wie das OLG Saarbrücken die rechtstechnische Form eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt zur Anerkennung von EU/EWR-Fahrerlaubnissen ganz oder teilweise als gemeinschaftsrechtswidrig in Frage stellen, sprechen zwei Gründe:

So wird zutreffend einerseits auf das in der Entscheidung Kapper vom EuGH erneut unterstrichene Gebot der gegenseitigen Anerkennung von EU/EWR-Fahrerlaubnissen ohne jede Formalität (aaO Rn. 45) hingewiesen (vgl. Otte/Kühner NZV 2004, 321/328), andererseits wird zutreffend auf die Möglichkeit der Fahrerlaubnisbehörden, bei festgestellten Eignungsdefiziten nach § 46 FeV den ausländischen Führerschein zu entziehen, abgestellt (OLG Saarbrücken aaO; Ludovisy DAR 2005, 7/13; Bräutigam BA 2004, 441/444; Grohmann BA 2005, 106/112). Für die Richtigkeit dieser Rechtsauffassung könnte schließlich sprechen, dass das erst nachträgliche Einschreiten der Fahrerlaubnisbehörden bei vermuteten Eignungsdefiziten eines EU/EWR-Fahrerlaubnisinhabers gegenüber dem durch § 28 Abs. 5 FeV statuierten Verfahren einer systematischen Vorkontrolle nicht nur gemeinschaftsfreundlicher ist, sondern auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt.

Gegen diese Rechtsauffassung spricht jedoch, dass der EuGH in der Entscheidung Kapper weder die Regelungen in § 28 Abs. 4 Nr. 3 und 4 noch die in § 28 Abs. 5 FeV als dem Gemeinschaftsrecht widersprechend in Frage gestellt hat (aaO Rn. 74). Zudem verkennen die Kritiker eines Anerkennungsverfahrens nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 FeV, dass ein Mitgliedstaat nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG die Gültigkeit eines Führerscheines ablehnen darf, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet nach innerstaatlichen Vorschriften eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis angewendet wurde. Zweck dieser Richtlinie ist - der Senat schließt sich insoweit der Begründung des VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 12.10.2004 - Az: 10 S 1346/04 (VRS 108, 141/156) an - folgender:

   „Bereits in den Begründungserwägungen der Richtlinie 91/439/EWG kommt der Aspekt der Verbesserung der Verkehrssicherheit als Zweck der Richtlinie 91/439/EWG deutlich zum Ausdruck. Die Europäische Kommission betont im Zusammenhang mit der Anerkennung von im EU-Ausland erteilten Fahrerlaubnissen die Überlegung, dass im Interesse der Verkehrssicherheit und damit im Interesse sämtlicher Mitgliedstaaten durch geeignete Maßnahmen einem Missbrauch der gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsregeln vorgebeugt werden müsse („Führerscheintourismus“). Unionsbürger könnten sich - die Möglichkeiten des Gemeinschaftsrechts missbrauchend - der Anwendung des nationalen Rechts dadurch entziehen, dass sie sich in einem anderen Mitgliedstaat niederließen, um eine Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat zu erhalten, nachdem ihnen in einem anderen Mitgliedstaat zuvor wegen eines schweren Verstoßes die Fahrerlaubnis entzogen worden sei (vgl. z.B. Vorbringen der Kommission in der Rechtssache C - 476/01 - Kapper -, EuGH, Urteil vom 29.4.2004, Rn. 67; Begründung des Entwurfs der Kommission zur Neufassung einer Richtlinie EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Führerschein vom 21.10.2003 KOM [2003] 621).“

Angesichts des Umstandes, dass die Vorschriften über die Anforderungen an die Eignung einer Person zur Teilnahme am Straßenverkehr und die Anerkennung eines von einem Mitgliedstaat ausgesprochenen Fahrerlaubnisentzuges durch einen anderen noch nicht harmonisiert sind, dürfte zur Abwehr des Führerscheintourismus, wie er im vorliegenden Fall ersichtlich gegeben ist, eine Regelung in der Form eines generellen Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt, von dem der deutsche Gesetzgeber in § 28 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 FeV Gebrauch gemacht hat, derzeit grundsätzlich im Einklang mit Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG stehen. Ein erst nachträgliches Einschreiten der Fahrerlaubnisbehörde nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfte dem Schutz des Gemeinschaftsrechtsguts Verkehrssicherheit nicht gerecht werden.



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