- Bei Auffahrunfällen auf Bundesautobahnen setzt der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis nicht den Nachweis voraus, dass der Auffahrende „eine gewisse Zeit“ hinter dem Vordermann auf derselben Fahrspur her gefahren ist.
- Bei einem Fahrspurwechsel des Vorausfahrenden ist der Anscheinsbeweis erst dann entkräftet, wenn der Fahrspurwechsel erwiesenermaßen in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Auffahrunfall erfolgte.
Gründe:
A.
Die Parteien machen klagend und widerklagend Schadensersatzansprüche wegen eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am 3.7.2007 ereignet hat.
Der Drittwiderbeklagte zu 1) befuhr am Unfalltag gegen 15.00 Uhr mit dem bei der Drittwiderbeklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW der Klägerin und Widerbeklagten die Überholspur der A 1 von S. in Richtung R.. In Höhe der Auffahrt K. fuhr er aus Gründen, über die die Parteien streiten, auf das Heck des vor ihm fahrenden PKW des Beklagten zu 1) auf, der von diesem gesteuert wurde und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.
Die Klägerin und die Drittwiderbeklagten behaupten, der Beklagte zu 1) sei unter Verletzung der aus § 7 Abs. 5 StVO folgenden Sorgfaltspflichten mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h so knapp vor dem Drittwiderbeklagten zu 1) von der rechten auf die linke Fahrspur der A 1 gewechselt, dass dieser nicht mehr rechtzeitig habe anhalten oder ausweichen können. Der Beklagte zu 1) habe nach dem Unfall seine Alleinschuld eingeräumt, weshalb keine Polizei gerufen worden sei.
Die Klägerin, deren PKW wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hat, begehrt Ersatz ihres unter Vorlage eines Privatgutachtens mit 2 975 EUR angegebenen Fahrzeugschadens (Wiederbeschaffungswert von 3.700 EUR abzüglich Restwert von 725 EUR), den die Beklagten nur in Höhe von 2.230 EUR anerkannt haben, weil die Klägerin ein Restwertangebot über 1 470 EUR abgelehnt habe. Des weiteren hat die Klägerin Kosten des Privatgutachtens von 714,42 EUR, An- und Abmeldekosten von 70 EUR, eine Benzinpauschale von 30 EUR und eine Auslagenpauschale von 25 EUR geltend gemacht und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt.
Die Klägerin hat beantragt,die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 3.814,42 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit dem 31.7.2007 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 402,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt.
Sie haben behauptet, der Beklagte zu 1) habe bei regem Verkehrsaufkommen vor ihm befindliche Fahrzeuge überholen wollen. Zu diesem Zweck sei er, nachdem er sich durch Rückschau vergewissert habe, dass die Überholspur frei war, unter Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers auf die Überholspur gewechselt. Wegen eines danach einsetzenden plötzlichen starken Platzregens habe der Beklagte zu 1) – wie andere Verkehrsteilnehmer – die Geschwindigkeit auf ca. 70 bis 80 km/h herabgesetzt. Etwa 2 bis 3 Minuten später habe er plötzlich hinter sich ein Reifenquietschen gehört. Unmittelbar danach sei der Drittwiderbeklagte zu 1) gegen das Heck seines Fahrzeugs gestoßen. Es sei nicht richtig, dass der Beklagte zu 1) seine Schuld nach dem Unfall eingeräumt habe. Der Drittwiderbeklagte zu 1) habe ihm nach dem Anstoß lediglich vorgeworfen, er sei zu langsam gefahren.
Widerklagend hat der Beklagte zu 1) einen der Höhe nach unstreitigen Unfallschaden von 6.748,01 EUR geltend gemacht und beantragt,die Klägerin und Widerbeklagte sowie die Drittwiderbeklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 6.748,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit dem 24.7.2007 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 603,92 EUR seit Klagezustellung zu zahlen.Die Klägerin und die Drittwiderbeklagten haben beantragt,die Widerklage abzuweisen.Das Landgericht hat sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von keiner Unfallversion überzeugen können, einen gegen den auffahrenden Drittwiderbeklagten sprechenden Anscheinsbeweis verneint und ausgehend von hälftigen Mitverursachungsbeiträgen der Klage in Höhe von 1.857,21 EUR nebst Zinsen und wegen vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 229,55 EUR stattgegeben. Die Klägerin und die Drittwiderbeklagten hat es auf die Widerklage als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 1) 3.374 EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 359,49 EUR jeweils nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage und die Widerklage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, richten sich die Berufung des Beklagten zu 1) und die Anschlussberufung der Klägerin. Während der Beklagte zu 1) mit seinem Rechtsmittel die Widerklage weiter verfolgt, soweit das Landgericht diese abgewiesen hat, wendet sich die Klägerin, die ihren Klageanspruch ohne eigene Mithaftung weiter verfolgt, mit der Anschlussberufung gegen die teilweise Klageabweisung.
Der Beklagte zu 1) greift die Beweiswürdigung des Landgerichts an. Er ist der Ansicht, aufgrund der glaubhaften Bekundungen der Zeugin A.- J. stehe fest, dass er zwei bis drei Minuten vor dem Anstoß auf die Überholspur gewechselt sei und dass ihn am Zustandekommen des Unfalls keine Schuld treffe. Im Übrigen spreche gegen den Drittwiderbeklagten zu 1) als Auffahrenden der Anscheinsbeweis. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass es Aufgabe der Klägerin und der Drittwiderbeklagten sei, den Anscheinsbeweis zu widerlegen oder zu erschüttern, was ihnen nicht gelungen sei. Die Widerklage sei daher insgesamt begründet.
Der Beklagte zu 1) beantragt (Bl. 129, 160 d.A.),die Klägerin und die Drittwiderbeklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 3.374 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 24.7.2007 sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 244,43 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 13.12.2007 zu zahlen.Die Klägerin und die Drittwiderbeklagten beantragen (Bl. 142, 160 d.A.),die Berufung zurückzuweisen.Zur Rechtfertigung ihrer Anschlussberufung macht die Klägerin geltend, ihre Unfallversion werde durch die glaubhaften Parteiangaben des Drittwiderbeklagten M. bestätigt, weshalb von der Alleinschuld des Beklagten zu 1) auszugehen und die Klage in vollem Umfang begründet sei.
Die Klägerin beantragt (Bl. 142, 160 d.A.),das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verurteilt werden, an sie 3.814,42 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit dem 31.7.2007 sowie 402,82 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit Rechtshängigkeit mit der Maßgabe zu zahlen, dass die nach Erlass des angefochtenen Urteils regulierten Beträge von 1.857,21 EUR und 229,55 EUR nicht erneut geltend gemacht werden.Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen (Bl. 150, 160 d.A.),die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.
B.
I.
Während die Berufung des Beklagten zu 1) gemäß den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässig ist, ist die in der Frist des § 524 Abs. 2 ZPO formgerecht eingelegte Anschlussberufung der Klägerin nur insoweit zulässig, als die Klägerin Zahlung von weiteren 1 857,21 EUR und Erstattung weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 173.27 EUR begehrt. Im Übrigen fehlt es an einer ordnungsgemäßen Begründung der Anschlussberufung. Warum An- und Abmeldekosten von 70 EUR und eine Benzinpauschale von 30 EUR entgegen den Feststellungen des Landgerichts ersatzfähig sein sollen, ist der Anschlussberufungsbegründung nicht zu entnehmen, weshalb die Anschlussberufung in diesem Umfang bereits unzulässig ist (§§ 520 Abs. 3 Nr. 2 und 3, 522 Abs. 1 ZPO).
II.
Die Berufung des Beklagten zu 1) hat auch in der Sache Erfolg, wohingegen die Anschlussberufung der Klägerin nicht begründet ist.
Soweit das Landgericht von hälftigen Mitverursachungsbeiträgen ausgeht, bedarf die Entscheidung der Korrektur und beruht sie auf einer Rechtsverletzung (§§ 546, 513 ZPO). Das Landgericht hat im Rahmen der Feststellungen zur internen Ausgleichspflicht bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG die Regeln des Anscheinsbeweises gegen den auffahrenden Drittwiderbeklagten zu 1) rechtsfehlerhaft nicht zur Anwendung gebracht.
Die Neubewertung führt dazu, dass die Widerklage begründet ist. Die Anschlussberufung bleibt erfolglos, da der Klägerin über die erstinstanzlich zuerkannten und nach Erlass des angefochtenen Urteils regulierten Beträge hinaus keine Zahlungsansprüche gegen die Beklagten zustehen. Die der Klage teilweise stattgebende Entscheidung ist nicht zur Berufung angefallen und unterliegt daher nicht berufungsgerichtlicher Kontrolle.
1. Die Voraussetzungen der Gefährdungshaftung sind gegeben, da sich der Unfall beim Betrieb zweier Kraftfahrzeuge ereignet hat (§ 7 Abs. 1 StVG). Rechtsfehlerfrei stellt das Landgericht fest, dass kein Fall höherer Gewalt vorliegt (§ 7 Abs. 2 StVG) und dass weder die Klägerin noch die Beklagten nachweisen konnten, dass der Unfall unvermeidbar war, bzw., dass die beteiligten Fahrzeugführer kein Verschulden an dessen Zustandekommen trifft (§§ 17 Abs. 3, 18 Abs. 1 StVG).
Die Feststellung, dass keine der einander widersprechenden Unfallversionen mit dem Maßstab des § 286 ZPO bewiesen ist, bindet den Senat als Berufungsgericht nach § 529 ZPO, da an der Richtigkeit der landgerichtlichen Beweiswürdigung nicht aufgrund konkreter Umstände Zweifel bestehen:
Nach dem vom Landgericht beanstandungsfrei gewürdigten Ergebnis der Parteianhörung der Fahrer der an dem Unfall beteiligten Fahrzeuge und der Aussage der Zeugin A.- J., die sich als Beifahrerin im vom Beklagten zu 1) gesteuerten PKW befand, kann weder mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der Fahrspurwechsel des Beklagten zu 1) in keinem engen zeitlichen Zusammenhang zu dem Unfallgeschehen gestanden hat, noch ist bewiesen, dass dieser unmittelbar vor dem Anstoß auf die Überholspur ausgeschert ist. Die kontroversen Parteiangaben der Fahrzeugführer (Bl. 98, 99 d.A.) lassen weder unter Glaubwürdigkeits- noch unter Plausibilitätsaspekten eine eindeutige Festlegung zu. Auch die Aussage der Zeugin A.- J. vermag entgegen der Sichtweise der Berufung keinen sicheren Beweis dafür zu erbringen, dass sich der Unfall wie von der Zeugin und dem Beklagten zu 1) behauptet zugetragen hat:
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Zeugin nicht nur Mitinsassin in dessen PKW war, sondern dem Beklagten zu 1) auch persönlich nahe steht. Die Zeugin kennt den Beklagten zu 1) eigenen Angaben zufolge seit ihrer Kindheit (Bl. 100 d.A.). Ein dem Beklagten zu 1) zum Vorteil gereichendes interessegefärbtes Aussageverhalten ist jedenfalls nicht auszuschließen. Darüber hinaus sind die Angaben der Zeugin auch aus sachlichen Erwägungen keine verlässliche Grundlage für der Klägerin und den Drittwiderbeklagten nachteilige Tatsachenfeststellungen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die nicht zu beanstandende Würdigung der Zeugenaussage in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. Die Zeugin musste in der landgerichtlichen Vernehmung auf Vorhalt einräumen, dass ihre Angaben zur Verweildauer des Erstbeklagten auf der Überholspur auf bloßer Schätzung beruhen. Solche Schätzungen sind erfahrungsgemäß wenig zuverlässig. Zeit wird situationsabhängig subjektiv höchst unterschiedlich wahrgenommen. Gerade bei Unfällen sind Fehleinschätzungen von Zeugen nicht selten. Im Übrigen dauert das Überholen zweier langsam rechts fahrender PKW' s auf der Autobahn bei verkehrsgerechtem Fahrverhalten (§ 5 Abs. 2 S. 1 StVO) im Regelfall keine zwei bis drei Minuten. Hätte sich der Beklagte zu 1) schon zwei oder drei Minuten vor dem Anstoß auf der Überholspur befunden und wäre der Drittwiderbeklagte zu 1), wie die Beklagten behaupten, deutlich schneller gefahren als der Beklagte zu 1), hätte er den Fahrspurwechsel kaum beobachten können. 2. Liegen die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses somit nicht vor, hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu erfolgen. Hierbei sind nach ständiger Rechtsprechung nur solche Umstände zu berücksichtigen, die zugestanden, unstreitig oder mit dem Maßstab des § 286 ZPO bewiesen und die darüber hinaus nachweislich schadensursächlich geworden sind ( BGH NJW 2000, 3069; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. Rdn. 5 zu § 17 StVG). Bloß vermutete Tatbeiträge haben außer Betracht zu bleiben, es sei denn, es handelt sich um Vermutungen, die ihre Grundlage in den Regeln des Anscheinsbeweises finden.
3. Wie bereits ausgeführt steht gemäß § 529 ZPO mit Bindungswirkung fest, dass nach den kontroversen Parteiangaben und der Aussage der Zeugin A.- J. keinem der beteiligten Fahrzeugführer schuldhafte Verkehrsverstöße positiv nachgewiesen sind.
4. Rechtsfehlerfrei geht das Landgericht davon aus, dass die Klägerin die zum Anscheinsbeweis entwickelten Grundsätze nicht für sich nutzbar machen kann (a). Jedoch wird ein zur Alleinhaftung führender Verkehrsverstoß des Drittwiderbeklagten zu 1), der auf den vor ihm fahrenden, vom Beklagten zu 1) geführten PKW aufgefahren ist, entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts nach den Regeln des Anscheinsbeweises unwiderlegt vermutet (b).
Anwendungsvoraussetzung für den Anscheinsbeweis ist bei Verkehrsunfällen ein Geschehensablauf, der nach allgemeiner Lebenserfahrung zu dem Schluss einer Sorgfaltspflichtverletzung drängt, weil er für schuldhafte Verursachung typisch ist ( BGH NZV 96, 277). Handelt es sich nicht um einen typischen „formelhaften“ Geschehensablauf, greift der Anscheinsbeweis nicht ein. Dabei muss ein konkreter typischer Geschehensablauf unstreitig oder bewiesen sein ( BGH NZV 96, 231); das bloße Vorliegen eines abstrakten Unfalltyps (z.B. Vorfahrtsfall) genügt nicht (Hentschel a.a.O. Rdn. 157a Einleitung). Der Anscheinsbeweis versagt mithin immer dann, wenn aufgrund unstreitiger oder erwiesener Tatsachen die für ein Verschulden sprechende Typizität der Unfallkonstellation fehlt. Aufgabe desjenigen, gegen den der Anscheinsbeweis spricht, ist es, den ihm prozessual zum Nachteil gereichenden Anschein dadurch zu widerlegen oder zu erschüttern, dass Umstände bewiesen werden, nach denen ein atypischer Verlauf zumindest ernsthaft möglich erscheint ( BGH NZV 89, 105: Hentschel a.a.O. Rdn. 18 zu § 4 StVO mwNw.).
a. Auch wenn der Beklagte zu 1) vor dem Unfall unstreitig einen Fahrspurwechsel vorgenommen hat, spricht kein Anscheinsbeweis für einen unfallursächlichen Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVG, da weder unstreitig noch bewiesen ist, dass es unmittelbar während oder jedenfalls in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel zur Kollision mit dem nachfolgenden Fahrzeug der Klägerin gekommen ist, was Voraussetzung für die Geltung des Anscheinsbeweises wäre (Hentschel a.a.O. Rdn. 17 zu § 7 StVO mwNw.).
b. Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts spricht jedoch für einen Verkehrsverstoß des auffahrenden Drittwiderbeklagten zu 1) ein Anscheinsbeweis dergestalt, dass der Drittwiderbeklagte zu 1) entweder den nach § 4 Abs. 1 StVO erforderlichen Abstand zum vorausfahrenden PKW nicht eingehalten hat oder aber nicht aufmerksam genug war (§ 1 Abs. 1 und 2 StVO) und dadurch maßgeblich zu dem Unfallgeschehen beigetragen hat:
aa. Es steht außer Streit und wird durch das Schadensbild an den beteiligten Fahrzeugen belegt, dass der Drittwiderbeklagte zu 1) zentral im Heckbereich auf das vor ihm auf der Überholspur befindliche Fahrzeug des Beklagten zu 1) aufgefahren ist. Wer im Straßenverkehr auf den Vordermann auffährt, war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht hinter ihm. Damit liegen Umstände vor, unter denen im allgemeinen der Verschuldensanschein gegen den auffahrenden Hintermann spricht ( BGH NZV 89, 105; VersR 1987,1241; 1982, 672).
bb. Dass der Beklagte zu 1) auf der Überholspur langsam gefahren ist – der Beklagte zu 1) gibt an, er sei ca. 70 bis 80 km/h gefahren, während die Geschwindigkeit nach beweislos gebliebener Darstellung der Klägerin 50 km/h betragen haben soll – steht der Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises nicht entgegen. Bei Auffahrunfällen, die sich bei Tageslicht auf Bundesautobahnen ereignen, lastet die Rechtsprechung dem Auffahrenden selbst dann die volle Haftung an, wenn der Vordermann sehr langsam gefahren ist (vgl. die Rechtsprechungsbeispiele bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 10. Aufl. Rn. 132 f.).
cc. Von einem atypischer Verlauf, der die Verschuldensfrage in einem anderen Licht erscheinen lässt, wäre bei einem Fahrspurwechsel auszugehen, wenn das vorausfahrende Fahrzeug unmittelbar vor dem Auffahrunfall die Fahrspur gewechselt hätte. Mit der bloßen Behauptung, der Unfallgegner habe dicht vor ihm plötzlich die Fahrspur gewechselt, kann sich der Hintermann nicht entlasten. Die rein theoretische Möglichkeit eines solchen Geschehens genügt naturgemäß nicht. Ob der Umstand, dass der Vordermann zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt vor dem Unfall von der rechten Fahrspur der Autobahn auf die Überholspur gewechselt ist, die Typizität der Unfallkonstellation für sich allein bereits in Frage stellt, wird kontrovers beurteilt:
(1) Einige Obergerichte gehen, wenn vor dem Auffahren ein Fahrspurwechsel stattgefunden hat, aber streitig und nicht aufklärbar ist, ob die Fahrspur unmittelbar vor dem Anstoß gewechselt wurde oder nicht, davon aus, dass der Anscheinsbeweis versage und dass eine hälftige Schadensteilung zu erfolgen habe (so etwa OLG Celle, VersR 82,960; KG NVZ 2006, 374; OLG Köln Urt.v. 17.12.2004, Az. 9 U 178/ 02). Begründet wird dies damit, dass der Zusammenstoß mit einem vorausfahrenden Fahrzeug nur dann das typische Gepräge eines Auffahrunfalls trage, der nach der Lebenserfahrung den Schluss auf zu schnelles Fahren, mangelnde Aufmerksamkeit und/oder einen unzureichenden Sicherheitsabstand des Hintermannes zulasse, wenn feststehe, dass sich das vorausfahrende Fahrzeug schon „eine gewisse Zeit“ vor dem nachfolgenden PKW befunden habe (so OLG München NZV 1989, 438, allerdings für eine andere Unfallkonstellation). Würde man dieser Auffassung, der sich das Landgericht angeschlossen hat, folgen, wäre der Anscheinsbeweis im Streitfall erschüttert, da nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme der „typizitätsbegründende Umstand“ nicht belegt ist, dass sich der Drittwiderbeklagte zu 1) schon „eine gewisse Zeit“ hinter dem vorausfahrenden Beklagten zu 1) befunden hat.
(2) Demgegenüber wird in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend die Meinung vertreten, dass nur die bewiesene ernsthafte Möglichkeit, dass das vorausfahrende Fahrzeug in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Auffahrunfall in die Fahrbahn des Auffahrenden wechselte, den Anscheinsbeweis erschüttern kann (so im Ergebnis wohl BGH, Urteil vom 16.1.2007, VI ZR 248/05; Fundstelle bei juris Rn. 2 ff. mwNw; BGH VersR 1987, 358, 359 f.; Hentschel a.a.O.; Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. Rn. 24 zu § 4 StVO; OLG Naumburg VM 03, 45; OLG Koblenz NZV 93, 28).
Würde man der Gegenansicht folgen, müsste der Vordermann auch bei typischen Auffahrunfällen auf Autobahnen den in der Praxis kaum möglichen Nachweis führen, dass der Auffahrende schon „eine gewisse Zeit“ auf derselben Fahrspur hinter ihm hergefahren ist. Auf Autobahnen sind Überholmanöver gewollt und die Regel. Bei starkem Verkehrsaufkommen benutzen Fahrzeuge nicht selten längere Zeit die Überholspur, etwa um langsamere, im Kolonnenverkehr rechts fahrende Fahrzeuge „in einem Zug“ zu überholen. Der Überholende wird sein Augenmerk regelmäßig primär auf die vor ihm befindlichen Fahrzeuge richten und nicht permanent den rückwärtigen Verkehr beachten, um Feststellungen zu treffen, wie lange sich ein bestimmtes Fahrzeug bereits hinter ihm befindet. Der Nachweis, dass ein Fahrzeug „eine gewisse Zeit“ hinter dem Vordermann hergefahren ist, wird bei lebensnaher Betrachtung daher kaum je gelingen. Im Übrigen muss jeder, der sich auf der Autobahn auf der Überholspur befindet, irgendwann einmal von der rechten Fahrspur auf diese gewechselt sein. Damit wäre der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis auf Überholspuren von Autobahnen praktisch ausgehebelt und dem Vordermann würde im Ergebnis der Vollbeweis einer Verkehrspflichtverletzung abverlangt.
Deshalb erscheint es sachgerecht, davon auszugehen, dass auf Autobahnen ein stattgefundener Wechsel auf die Überholspur den gegen den Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweis so lange nicht entkräftet, wie nicht die ernsthafte Möglichkeit eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Fahrspurwechsel und dem Anstoß und damit eines atypischen Auffahrunfalls belegt ist. Hinweise auf ein atypisches Geschehen kann eine Unfallanalyse und eine Auswertung der Schadensbilder liefern. Wenn hiernach feststeht, dass sich der Vordermann in Schrägfahrt befunden hat oder wenn eine „Eckkollision“ vorliegt (Senat in MDR 2006, 329), kann der Anscheinsbeweis als widerlegt oder zumindest als erschüttert angesehen werden.
Das vom Landgericht als Ergebnis der Beweisaufnahme mit Bindungswirkung für diesen Rechtszug festgestellte „non liquet“ und das Fehlen belastbarer Indizien, die auf einen Fahrspurwechsel in engem zeitlichen Zusammenhang zu dem Anstoß hinweisen, wirkt sich prozessual zum Nachteil der Klägerin und der Drittwiderbeklagten aus.
Da ein schuldhafter Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1) nicht nachgewiesen ist und weil für ein Alleinverschulden des auffahrenden Drittwiderbeklagten zu 1) der nicht widerlegte oder erschütterte Anscheinsbeweis spricht, ist der mit der Berufung geltend gemachte, der Höhe nach außer Streit stehende Schadensersatzanspruch des Beklagten zu 1) und Widerklägers begründet, wohingegen die Anschlussberufung der Klägerin, soweit nicht bereits unzulässig, unbegründet ist.
III.
Die Kostenentscheidung für beide Instanzen beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 (analog) und 100 Abs. 4 ZPO. Die Vollstreckbarkeitserklärung folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die in § 543 Abs. 2 ZPO geregelten Voraussetzungen nicht vorliegen.