- Bei der sog. halben Vorfahrt darf der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass auch ein für ihn nicht sichtbarer Verkehrsteilnehmer sein Vorfahrtsrecht beachten werde.
- Dies gilt jedoch an Kreuzungen mit nicht gesondert geregelter Vorfahrt nur unter der Voraussetzung, dass er die kreuzende Straße nach rechts zur Beurteilung seiner eigenen Wartepflicht gegenüber dem von dort kommenden Verkehr rechtzeitig und weit genug einsehen kann.
- Der sich von links nähernde Wartepflichtige darf seinerseits vertrauen, dass der ihm gegenüber Berechtigte selbst seiner Wartepflicht nachkommt, so dass bei einer Kollision zwischen beiden den Berechtigten eine Mithaftung treffen kann.
- Bei der sog. halben Vorfahrt ist der Wartepflichtige dafür darlegungs- und beweisbelastet, dass der Vorfahrtsberechtigte auf Grund der besonderen örtlichen Verkehrslage zur Zeit des Unfalls konkreten Anlass hatte, auf die Beachtung seiner Vorfahrt nicht mehr zu vertrauen und seine Geschwindigkeit bei Annäherung und Einfahrt in die Kreuzung entsprechend herabzusetzen.
- Eine höhere, evtl. auch alleinige Haftung des Wartepflichtigen kommt allerdings dann in Betracht, wenn der vom Vorfahrtberechtigten unter Beweisantritt geschilderte Unfallhergang zutrifft, dass der Wartepflichtige mit völlig unangemessener Geschwindigkeit in die Kreuzung gefahren sei, während der Vorfahrtberechtigte zunächst angehalten habe, um den von rechts kommenden Verkehr zu beobachten, und dann vorsichtig und langsam angefahren sei.
Gründe:
I.
Der Kläger macht restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 14.2.2008 gegen 20.10 Uhr in … in dem nicht durch Verkehrszeichen geregelten Kreuzungsbereich …/… ereignet hat. An dem Unfall beteiligt waren der Kläger als Eigentümer und Fahrer des Pkw Skoda Octavia Combi mit dem amtlichen Kennzeichen … sowie der Fahrer des in Frankreich zugelassenen Pkw VW Golf mit dem amtlichen Kennzeichen …, …, für das die Beklagte einstandspflichtig ist. Der Kläger näherte sich aus der … kommend der Kreuzung und beabsichtigte, diese geradeaus zu überqueren. Für ihn war die Sicht nach rechts durch eine Gebüschgruppe und geparkte Fahrzeuge eingeschränkt. Zudem befand sich im Einmündungsbereich der … zur … eine Baustelle. Das Beklagtenfahrzeug näherte sich der Kreuzung auf der … in Richtung stadteinwärts. Als dieses den Kreuzungsbereich bereits weitgehend passiert hatte, kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge, wobei das klägerische Fahrzeug frontal gegen die hintere rechte Seitenwand des Beklagtenfahrzeugs stieß. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs die Vorfahrt des Klägers verletzte. Der Kläger hat seinen Schaden auf insgesamt 5 489,92 Euro (Reparaturkosten 3.325,61 Euro, Wertminderung 300 Euro, Sachverständigenkosten 650,95 Euro, Mietwagenkosten 1.188,36 Euro und Auslagenpauschale 25 Euro) beziffert. Die Beklagte regulierte vorgerichtlich einen Betrag von 2.723,68 Euro bei Annahme einer 50 %igen Haftung. Der Kläger begehrt Zahlung des restlichen Betrags von 2.723,68 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Der Kläger hat unter Anerbietung der zur Unfallstelle gerufenen Polizeibeamten … und … als Zeugen behauptet, das Beklagtenfahrzeug sei mit völlig unangemessener Geschwindigkeit in die Kreuzung gefahren. Jedenfalls habe der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs eine gute Übersicht über den Kreuzungsbereich gehabt. Die Anrechnung einer Betriebsgefahr oder gar eines Mitverschuldens des Klägers komme aufgrund des groben Vorfahrtsverstoßes des Beklagtenfahrzeugs nicht in Betracht.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, aufgrund der vorliegenden Situation der „halben Vorfahrt“ müsse sich der Kläger eine Mithaftung von 50 % anrechnen lassen.
Das Amtsgericht hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sich der Kläger aufgrund der „halben Vorfahrt“ zumindest wegen der Betriebsgefahr entlasten und die Unabwendbarkeit nachweisen müsse; ein Beweis sei bislang nicht erkennbar. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat der Kläger behauptet, er habe im Einmündungsbereich angehalten und gesehen, dass von rechts kein Fahrzeug komme. Nachdem er wieder angefahren sei, sei es dann zur Kollision gekommen.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Erstgericht die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 1 361,09 Euro nebst Zinsen und Anwaltskosten in Höhe von 316,18 Euro verurteilt und zur Begründung ausgeführt, aufgrund der „halben Vorfahrt“ bestehe kein Anscheinsbeweis für eine Alleinhaftung der Beklagten. Vielmehr müsse der Kläger darlegen und beweisen, dass der Unfall für ihn unabwendbar gewesen sei. Hierzu fehle es jedoch an jeglichen Darlegungen, so dass auch keine Veranlassung zu einer Beweisaufnahme bestehe. Zudem spreche das Schadensbild, wonach das Beklagtenfahrzeug die Kreuzung schon fast passiert hatte, gegen eine Unabwendbarkeit für den Kläger. Der Vortrag des Klägers in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz sei nach § 296a ZPO nicht zu berücksichtigen und könne auch für den nicht sachverständigen Beobachter offensichtlich nicht zutreffend sein. Damit müsse sich der Kläger eine Betriebsgefahr anrechnen lassen, so dass im Ergebnis eine Haftungsteilung von ¾ zu ¼ zulasten der Beklagten angemessen erscheine.
Der Kläger, dessen Prozessbevollmächtigten das am 27.11.2008 verkündete Urteil am 18.3.2009 zugestellt wurde, begehrt mit der Berufung die Verurteilung der Beklagten auf der Grundlage einer alleinigen Haftung. Er meint, die Regeln des Anscheinsbeweises sprächen für eine Alleinhaftung des Beklagtenfahrzeugs. Das Erstgericht habe eine Überraschungsentscheidung getroffen mit der Feststellung, der Kläger habe die Unabwendbarkeit nicht dargelegt. Er habe davon ausgehen dürfen, dass das angebotene Sachverständigengutachten eingeholt werde. Das Gericht habe zudem ohne Darlegung der eigenen Sachkunde den Unfallhergang ohne Einholung eines Gutachtens rekonstruiert. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs müsse nach alldem zurücktreten. Hilfsweise beantragt er,das Urteil nebst dem zugrunde liegenden Verfahren aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
II.
Auf die form- und fristgerecht eingelegte, zulässig erhobene Berufung und den hilfsweise gestellten Antrag des Berufungsklägers war das angefochtene Urteil nebst dem zugrunde liegenden Verfahren aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Verfahren im ersten Rechtszug leidet an einem wesentlichen Verfahrensfehler, aufgrund dessen eine umfangreiche Beweisaufnahme zu erwarten ist.
A. Der Kläger hat die Berufung fristgerecht erhoben. Gemäß § 517 ZPO beginnt die einmonatige Rechtsmittelfrist mit der Zustellung des Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Das Urteil des Amtsgerichts wurde am 27.11.2008 verkündet, den Prozessbevollmächtigten des Klägers jedoch erst am 18.3.2009 zugestellt. Die am 9.4.2009 eingelegte und zugleich begründete Berufung erfolgte mithin noch binnen der gesetzlichen Frist.
B. Die Berufung ist auch begründet, denn das erstinstanzliche Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, der eine aufwändige Beweisaufnahme notwendig macht und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens erfordert (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
1. Das Erstgericht ist zunächst mit Recht davon ausgegangen, dass sich der Unfall zweifelsfrei beim Betrieb der unfallbeteiligten Fahrzeuge ereignete und nicht durch höhere Gewalt verursacht wurde (§ 7 Abs. 2 StVG), so dass für den Umfang der beiderseitigen Haftung nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr geboten ist, sofern sich das Geschehen nicht für einen der Unfallbeteiligten als unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Unabwendbar in diesem Sinne ist ein Ereignis nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers – nicht abgewendet werden kann (vgl. Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage, § 17 StVG Rn. 22 m.w.N.). Für den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs war der Unfall schon deshalb nicht unabwendbar, weil dieser unstreitig die Vorfahrt des von rechts kommenden Klägers verletzte und die Kollision somit verschuldet hat. Der Unfall war indes auch für den Kläger nicht unabwendbar, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer in der Situation des Klägers die Kollision vermieden hätte.
Selbst wenn – wie der Kläger vorträgt – er zunächst angehalten hatte, um den von rechts kommenden Verkehr zu beobachten, und dann vorsichtig und langsam anfuhr, hat er damit nicht äußerste Sorgfalt walten lassen, denn er hat nicht auch nach links geschaut. Dies hätte jedoch ein Idealfahrer insbesondere im Hinblick auf die dort befindliche Baustelle getan, die für den aus der Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeugs kommenden Verkehr den Einblick in die … erschwerte, so dass die Gefahr bestand, dass das klägerische Fahrzeug übersehen oder nicht rechtzeitig erkannt werden konnte. Ein solches Verhalten hat jedoch der Kläger selbst nicht behauptet, so dass eine Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens für ihn nicht festgestellt werden kann.
2. Im Rahmen der somit gebotenen Abwägung der gegenseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge ist zu berücksichtigen, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs unstreitig die Vorfahrt des von rechts kommenden Klägers (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StVO) missachtet und somit seine Sorgfaltspflichten aus § 8 Abs. 2 StVO verletzt hat. Ob die vom Amtsgericht angenommene Haftungsverteilung von drei Vierteln zu einem Viertel zu Lasten der Beklagten zutreffend ist, hängt indes von dem Ergebnis einer weiteren Beweisaufnahme ab:
a) Zutreffend hat das Erstgericht noch angenommen, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt an der nicht mit Verkehrszeichen geregelten Kreuzung den von rechts kommenden, ihm gegenüber bevorrechtigten Verkehr zu beachten hatte. In dieser Situation der sog. halben Vorfahrt darf der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass auch ein für ihn nicht sichtbarer Verkehrsteilnehmer sein Vorfahrtsrecht beachten werde. Dies gilt jedoch an Kreuzungen mit nicht gesondert geregelter Vorfahrt nur unter der Voraussetzung, dass er die kreuzende Straße nach rechts zur Beurteilung seiner eigenen Wartepflicht gegenüber dem von dort kommenden Verkehr rechtzeitig und weit genug einsehen kann. Der sich von links nähernde Wartepflichtige darf seinerseits vertrauen, dass der ihm gegenüber Berechtigte selbst seiner Wartepflicht nachkommt, so dass bei einer Kollision zwischen beiden den Berechtigten eine Mithaftung treffen kann (st. Rspr. BGH NJW 1985, 2757; OLG Hamm NZV 2003, 377; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 8 StVO Rdn. 38; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., 27. Kap. Rdn. 234 f., jew. m.w.N.; LG Gießen DAR 1995, 292; OLG Hamm NZV 2003, 377). Hierbei ist der Wartepflichtige dafür darlegungs- und beweisbelastet, dass der Vorfahrtsberechtigte auf Grund der besonderen örtlichen Verkehrslage zur Zeit des Unfalls konkreten Anlass hatte, auf die Beachtung seiner Vorfahrt nicht mehr zu vertrauen und seine Geschwindigkeit bei Annäherung und Einfahrt in die Kreuzung entsprechend herabzusetzen (LG Berlin, Urteil vom 16.9.2004, 17 O 73/01, zitiert nach juris).
b) Vorliegend hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass für den Kläger die Sicht nach rechts durch eine Gebüschgruppe und geparkte Fahrzeuge eingeschränkt war. Dies ergibt sich ferner aufgrund einer Inaugenscheinnahme der in der Akte befindlichen Lichtbilder (Bl. 6, 64 ff.). Zwischen den Parteien im Streit ist lediglich, ob für den Kläger auch die Sicht nach links durch die Baustelle in Richtung zu dem Beklagtenfahrzeug eingeschränkt war. Grundsätzlich wäre damit die Anrechnung der Betriebsgefahr zu Lasten des Klägers nach den obigen Grundsätzen gerechtfertigt. Da der Kläger nicht in Abrede gestellt hat, dass er nach rechts nur eine eingeschränkte Sicht hatte, hat die Beklagte insoweit ihrer Darlegungs- und Beweislast genügt.
c) Eine höhere, evtl. auch alleinige Haftung des Beklagtenfahrzeugs kommt allerdings dann in Betracht, wenn der vom Kläger unter Beweisantritt geschilderte Unfallhergang zutrifft, dass das Beklagtenfahrzeug mit völlig unangemessener Geschwindigkeit in die Kreuzung gefahren sei, während der Kläger zunächst angehalten habe, um den von rechts kommenden Verkehr zu beobachten, und dann vorsichtig und langsam angefahren sei. Ein solch grob verkehrswidriges Verhalten des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs, der in den Kreuzungsbereich eingefahren wäre, ohne ausreichende Sicht in die … zu haben, rechtfertigte es, die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs gänzlich zurücktreten zu lassen. Diesen Umstand hat das Erstgericht nicht hinreichend aufgeklärt: aa) Das Berufungsgericht ist gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Wird – wie hier – die Beweiswürdigung des Erstgerichts angegriffen, erstreckt sich die Nachprüfung durch das Berufungsgericht auf die (Nicht-)Anwendung gesetzlicher Beweisregeln, Vermutungen und anerkannter Grundsätze, auf die Widerspruchsfreiheit, auf den Verstoß gegen Erfahrungs- und Denkgesetze sowie auf die Einhaltung des von § 286 ZPO geforderten Beweismaßes (vgl. statt aller: Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 546 Rdn. 11 m.w.N.; Urteil der Kammer vom 4.1.2008, 13A S 31/07).
bb) Hiernach stellt sich die Beweiswürdigung des Amtsgerichts als fehlerhaft dar, aufgrund derer es eine Haftungsverteilung von drei Vierteln zu einem Viertel zulasten der Beklagten angenommen hat. Insoweit hat es versäumt, über den vom Kläger behaupteten Unfallhergang Beweis zu erheben bzw. den Kläger darauf hinzuweisen, dass es die angebotenen Zeugen … und … als ungeeignete Beweismittel erachtete, weil diese den Unfall selbst nicht beobachtet haben. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass der Kläger damit für den von ihm behaupteten Unfallhergang beweisfällig geblieben ist, so dass zugleich ein Hinweis des Gerichts darauf geboten war, dass es nicht beabsichtige, ein Sachverständigengutachten vom Amts wegen gemäß § 141 ZPO einzuholen. Der pauschale Hinweis des Gerichts im Sitzungsprotokoll vom 18.9.2008, der Kläger habe bislang keinen Beweis für die Unabwendbarkeit des Unfalls angetreten, genügt insoweit nicht. Damit hätte das Erstgericht jedenfalls das in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 22.10.2008 angebotene Sachverständigengutachten bei gleichzeitiger Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung einholen müssen und das Beweisangebot nicht als verspätet zurückweisen dürfen (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
cc) Die Einholung eines Sachverständigengutachtens durfte auch nicht mit der Erwägung unterbleiben, dass der klägerseits geschilderte Unfallhergang schon ohne sachverständige Betrachtung nicht zutreffen könne, weil der Kläger zumindest an der Sichtlinie zur … habe anhalten müssen, danach angefahren sei und das Beklagtenfahrzeug am hinteren rechten Radlauf getroffen habe, was aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht möglich sei, weil der Kläger sich bereits vor dem Passieren des französischen Fahrzeugs mindestens auf der Mitte der … befunden habe. Es ist bereits zweifelhaft, ob dieser Rückschluss lediglich auf der Grundlage der Lichtbilder und ohne genaue Vermessung der Unfallstelle gezogen werden kann, zumal die genaue Kollisionsstelle dort nicht abgebildet ist. Jedenfalls hat das Erstgericht eine eigene Sachkunde nicht dargelegt, um eine Aussage zu der klägerseits behaupteten überhöhten Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs treffen zu können, so dass von einer Begutachtung nicht abgesehen werden durfte (vgl. BGH NJW 2000, 1946; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 402 Rdn. 7 m.w.N.).
3. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts beruht damit auf einer unvollständigen Beweiserhebung und ist zugleich verfahrensfehlerhaft i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
a) Was verfahrensrechtlich geboten ist, bemisst sich nach dem materiellrechtlichen Standpunkt des Erstrichters ohne Rücksicht auf dessen Richtigkeit (BGH NJW 2000, 142; BGHZ 123, 15). Aus dem Hinweis in der mündlichen Verhandlung sowie aus den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils ergibt sich, dass der Erstrichter zutreffend davon ausgegangen ist, dass der Kläger für die von ihm behauptete überhöhte Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs beweisbelastet ist.
b) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Erstrichter bei Erhebung der erforderlichen Beweise zu dem Ergebnis gelangt wäre, dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs falle ein so erheblicher Verkehrsverstoß zur Last, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs ganz zurücktrete. Die angefochtene Entscheidung beruht damit auf dem Verfahrensfehler.
4. Da dem Kläger Gelegenheit zu geben ist, vorzutragen, weshalb die von ihm angebotenen Zeugen … und … eigene Wahrnehmungen zum Unfallhergang oder zu sonstigen Umständen, aus denen sich eine Indizwirkung für die Richtigkeit der klägerischen Unfalldarstellung ergeben würden, getroffen haben sollen, und die Einholung eines Sachverständigengutachtens insbesondere zur Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs erforderlich ist, ist eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme zu erwarten. Die Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sind damit erfüllt und eine Aufhebung des Urteils und des Verfahrens und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zur Erhebung der erforderlichen Beweise gemäß dem Hilfsantrag des Klägers geboten. Die Zurückverweisung des nicht zur Entscheidung reifen Rechtsstreits ist auch sachdienlich, da das Interesse an einer schnelleren Erledigung gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz vorliegend nicht überwiegt (vgl. BGH NJW 2000, 2024, juris Rdn. 13).
III.
Eine Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens ist nicht veranlasst, sondern bleibt dem erstinstanzlichen Urteil vorbehalten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 775 Nr. 1, 776 ZPO (MK/Krüger, 3. Aufl., § 704 Rdn. 6; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl., § 538 Rdn. 59, jew. m.w.N.).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da der Sache keine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt und sie keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 1 ZPO).