Die Richtlinien 92/61/EWG des Rates vom 30. Juni 1992 über die Betriebserlaubnis für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge und 2002/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. März 2002 über die Typgenehmigung für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge und zur Aufhebung der Richtlinie 92/61 sind dahin auszulegen, dass sie es, wenn einem Fahrzeug, einem Bauteil oder einer technischen Einheit, die sich auf dieses Fahrzeug beziehen, nicht das mit den Richtlinien eingeführte Typgenehmigungsverfahren zugutekommt, u. a. weil sie nicht vom Geltungsbereich dieser Richtlinien erfasst werden, einem Mitgliedstaat nicht verwehren, für dieses Fahrzeug, dieses Bauteil oder diese technische Einheit im Rahmen seines nationalen Rechts eine entsprechende Regelung für die Anerkennung der von anderen Mitgliedstaaten durchgeführten Kontrollen einzuführen. Auf jeden Fall muss eine solche Regelung das Unionsrecht, insbesondere die Art. 34 AEUV und 36 AEUV, beachten.
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
18. November 2010(*)
„Richtlinien 92/61/EWG und 2002/24/EG – Typgenehmigung für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge – Ausschluss von Fahrzeugen, die für den sportlichen Wettbewerb auf der Straße oder im Gelände bestimmt sind – Nationale Regelung, die das Inverkehrbringen und die Benutzung von Vorrichtungen zur Steigerung der Leistung und/oder der Geschwindigkeit von Kleinkrafträdern verbietet“
In der Rechtssache C-142/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Rechtbank van eerste aanleg te Dendermonde (Belgien) mit Entscheidung vom 18. März 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2009, in dem Strafverfahren gegen
Vincent Willy Lahousse,
Lavichy BVBA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet, M. Ilešič und E. Levits (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Herrn Lahousse und der Lavichy BVBA, vertreten durch E. De Ridder, advocaat,
– der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. van Vliet und G. Wilms als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. September 2010
folgendes Urteil.
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2002/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. März 2002 über die Typgenehmigung für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge und zur Aufhebung der Richtlinie 92/61/EWG des Rates (ABl. L 124, S. 1).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Lahousse und die Lavichy BVBA (im Folgenden: Angeklagte) wegen des Verdachts, Vorrichtungen für das Frisieren von Kleinkrafträdern verkauft und eingebaut und den Kunden entsprechende Ratschläge erteilt zu haben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Die Richtlinie 2002/24 legt das Typgenehmigungsverfahren für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge auf der Ebene der Europäischen Union fest. Damit hebt sie die Richtlinie 92/61/EWG des Rates vom 30. Juni 1992 über die Typgenehmigung für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge (ABl. L 225, S. 72) auf, behält jedoch die meisten ihrer Bestimmungen bei.
4 Art. 1 der Richtlinie 2002/24 legt deren Geltungsbereich wie folgt fest:„(1) Diese Richtlinie gilt für alle zur Teilnahme am Straßenverkehr bestimmten zweirädrigen oder dreirädrigen Kraftfahrzeuge mit oder ohne Doppelrad sowie deren Bauteile oder selbständige technische Einheiten.
Diese Richtlinie gilt nicht für die nachstehend genannten Fahrzeuge:
…
d) Fahrzeuge, die für den sportlichen Wettbewerb auf der Straße oder im Gelände bestimmt sind;
…
und auch nicht für deren Bauteile und technische Einheiten, sofern diese nicht zum Einbau in Kraftfahrzeuge im Sinne dieser Richtlinie bestimmt sind.
…
(2) Die Fahrzeuge nach Absatz 1 werden in die nachstehenden Klassen unterteilt:
a) Kleinkrafträder, d. h. zweirädrige Kraftfahrzeuge … oder dreirädrige Kraftfahrzeuge … mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von bis zu 45 km/h und folgenden Eigenschaften:
i) zweirädrige Kraftfahrzeuge:
– Hubraum von bis zu 50 cm3 im Falle von Verbrennungsmotoren oder – maximale Nenndauerleistung von bis zu 4 kW im Falle von Elektromotoren;
ii) dreirädrige Kraftfahrzeuge:
– Hubraum von bis zu 50 cm3 im Falle von Fremdzündungsmotoren oder
– maximale Nenndauerleistung von bis zu 4 kW im Falle von Elektromotoren;
– maximale Nenndauerleistung von bis zu 4 kW im Falle von Elektromotoren;
…“
5 Nach Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2002/24 ist unter „Typgenehmigung“ das Verwaltungsverfahren zu verstehen, durch das ein Mitgliedstaat bestätigt, dass der Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, einer selbständigen technischen Einheit oder eines Bauteils die technischen Anforderungen dieser Richtlinie oder der Einzelrichtlinien erfüllt, sowie die Überprüfung der Richtigkeit der Herstellerangaben entsprechend der umfassenden Liste nach Anhang I der Richtlinie. In diesem Zusammenhang verweist Anhang I in Bezug auf bestimmte technische Merkmale der Bauteile und der technischen Einheiten auf die genannten Richtlinien und insbesondere auf die Richtlinie 97/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1997 über bestimmte Bauteile und Merkmale von zweirädrigen oder dreirädrigen Kraftfahrzeugen (ABl. L 226, S. 1).
6 Art. 3 der Richtlinie 2002/24 lautet:„Der Antrag auf Erteilung der Typgenehmigung wird vom Hersteller bei der Genehmigungsbehörde eines Mitgliedstaats gestellt. Dem Antrag auf Erteilung einer Fahrzeug-Typgenehmigung ist ein Beschreibungsbogen nach dem Muster des Anhangs II und dem Antrag auf Erteilung einer Typgenehmigung für Systeme, selbständige technische Einheiten oder Bauteile ein Beschreibungsbogen nach dem Muster in einem Anhang oder einer Anlage zu der für das System, die selbständige technische Einheit oder das Bauteil geltenden Einzelrichtlinie beizufügen; ferner sind die im Beschreibungsbogen bezeichneten anderen Unterlagen beizufügen. Für ein und denselben Typ eines Fahrzeugs, einer selbständigen technischen Einheit oder eines Bauteils kann der entsprechende Antrag jeweils nur in einem Mitgliedstaat gestellt werden.“7 Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2002/24 schreibt vor:„Die Mitgliedstaaten erteilen die Typgenehmigung für alle Typen von Fahrzeugen, Systemen, selbständigen technischen Einheiten oder Bauteilen, wenn diese die nachstehenden Bedingungen erfüllen:
…
b) Das System, die selbständige technische Einheit oder das Bauteil erfüllt die technischen Anforderungen der einschlägigen Einzelrichtlinie und entspricht den Angaben des Herstellers gemäß der umfassenden Liste nach Anhang I.“
8 Art. 15 der Richtlinie bestimmt:„(1) Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen, den Verkauf, die Inbetriebnahme oder die Benutzung neuer Fahrzeuge nicht verbieten, wenn sie dieser Richtlinie entsprechen. Nur bei Fahrzeugen, die dieser Richtlinie entsprechen, ist eine Erstzulassung möglich.
(2) Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen, den Verkauf oder die Benutzung neuer selbständiger technischer Einheiten oder neuer Bauteile nicht verbieten, wenn sie dieser Richtlinie entsprechen. Nur selbständige technische Einheiten und Bauteile, die dieser Richtlinie entsprechen, dürfen zur Benutzung in den Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht und erstmals verkauft werden.
…
(4) Das Recht der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung des Vertrags Anforderungen vorzuschreiben, die sie zum Schutz der Benutzer bei der Verwendung der betreffenden Fahrzeuge für erforderlich halten, wird durch diese Richtlinie nicht berührt, sofern dafür keine Änderungen an den Fahrzeugen notwendig werden.“
9 Im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 97/24 heißt es:„Die Einführung harmonisierter Vorschriften für diese Bauteile und Merkmale zweirädriger und dreirädriger Kraftfahrzeuge ist notwendig, damit auf alle diese Fahrzeugtypen die Betriebserlaubnis- und Bauartgenehmigungsverfahren der Richtlinie 92/61 … angewandt werden können.“
10 In Kapitel 7 („Maßnahmen gegen unbefugte Eingriffe an zweirädrigen Kleinkrafträdern und Krafträdern“) der Richtlinie 97/24 finden sich unter Abschnitt 1 folgende Begriffsbestimmungen:„1. Begriffsbestimmung
Im Sinne dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck
1.1. ‚Maßnahmen gegen unbefugte Eingriffe an zweirädrigen Kleinkrafträdern und Krafträdern‘: sämtliche technischen Vorschriften und Spezifikationen, mit denen soweit wie möglich unzulässige Veränderungen verhindert werden sollen, die die Umwelt und aufgrund einer Leistungssteigerung des Fahrzeugs die Sicherheit beeinträchtigen können;
…
1.3.1. Fahrzeuge der Klasse A, d. h. Kleinkrafträder;
…
1.4. ‚unzulässige Veränderung‘: eine Veränderung, die nach den Bestimmungen dieses Kapitels nicht zulässig ist;
…“
11 Kapitel 7 Abschnitt 2 der Richtlinie 97/24 enthält insbesondere allgemeine Vorschriften in Bezug auf die Austauschbarkeit nicht identischer Teile zwischen zugelassenen Fahrzeugen. Nach Abschnitt 2.1.1 von Kapitel 7 darf die Austauschbarkeit nicht zur Folge haben, dass die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs der Klasse A um mehr als 5 km/h erhöht wird, und die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit darf in keinem Fall überschritten werden.
12 Kapitel 7 Abschnitt 3 („Besondere Vorschriften für Fahrzeuge der Klassen A und B“) der Richtlinie 97/24 sieht vor:„Die Vorschriften in diesem Abschnitt sind nur dann verbindlich, wenn eine oder mehrere dieser Vorschriften sich als notwendig erweisen, um zu verhindern, dass durch unbefugte Eingriffe die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von Fahrzeugen der Klasse A um mehr als 5 km/h … erhöht wird. Die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit und die maximale Motornutzleistung der betreffenden Klasse dürfen auf keinen Fall überschritten werden.“
Nationales Recht
13 Art. 1 Abs. 5 des Gesetzes vom 21. Juni 1985 über die technischen Anforderungen, denen jedes Fahrzeug für den Transport auf dem Landweg, seine Bestandteile und sein Sicherheitszubehör entsprechen müssen (Belgisch Staatsblad vom 13. August 1985, S. 11647), lautet:„Die Herstellung, die Einfuhr, der Besitz zu Verkaufszwecken, das Anbieten zum Kauf, der Verkauf und die kostenlose Abgabe von Vorrichtungen zur Steigerung der Motorleistung und/oder der Geschwindigkeit von Kleinkrafträdern sind ebenso wie das Anbieten von Hilfe beim Einbau solcher Vorrichtungen oder das Erteilen von Ratschlägen zu deren Einbau verboten.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
14 Herr Lahousse und Herr Lavichy sind Geschäftsführer der Lavichy BVBA, eines Geschäfts für den Verkauf, die Vermietung, die Wartung und die Reparatur von Fahrrädern und Kleinkrafträdern. In diesem Geschäft werden Vorrichtungen, die die Erhöhung der Motorleistung und/oder der Geschwindigkeit von Kleinkrafträdern ermöglichen, verkauft und eingebaut.
15 Infolge von Ermittlungen, einer Durchsuchung und der Beschlagnahme von Beweisgegenständen wurden die Angeklagten von der Politierechtbank te Sint-Niklaas für schuldig befunden, gegen Art. 1 Abs. 5 des Gesetzes vom 21. Juni 1985 verstoßen zu haben, indem sie Vorrichtungen zur Steigerung der Motorleistung und/oder Geschwindigkeit von Kleinkrafträdern verkauft und entsprechende Dienstleistungen angeboten hätten.
16 Die Angeklagten legten gegen die
se Entscheidung Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein. 17 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, es bestehe ein möglicher Widerspruch zwischen Art. 1 Abs. 5 des Gesetzes vom 21. Juni 1985 und der Richtlinie 2002/24, da es in dieser nationalen Bestimmung im Gegensatz zur Richtlinie 2002/24 keine Ausnahme von ihrem Geltungsbereich gebe. Daher hat die Rechtbank van eerste aanleg te Dendermonde das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:Ist die Richtlinie 2002/24, insbesondere Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. d, wonach die Richtlinie nicht für Fahrzeuge gilt, die für den sportlichen Wettbewerb auf der Straße oder im Gelände bestimmt sind, dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten die Anwendung dieser Richtlinie auf jeglichen Verkehr zu Lande (d. h. auf den Gebrauch von zweirädrigen oder dreirädrigen Kraftfahrzeugen auch abseits von öffentlichen Straßen und/oder auf Privatgrundstücken) ausweiten und damit anwendbar machen können, ohne die Ausnahme für Fahrzeuge, die für den sportlichen Wettbewerb auf der Straße (Rennen) bestimmt sind, oder Geländefahrzeuge vorzusehen?
Zur Vorlagefrage
Vorbemerkungen
Zur Anwendung der Richtlinie 2002/24
18 Der Vorlageentscheidung zufolge haben die Angeklagten die ihnen zur Last gelegten Taten in der Zeit zwischen dem 1. Januar 2002 und dem 7. Dezember 2005 begangen.
19 Da die Richtlinie 2002/24 am 18. März 2002 zur Aufhebung der Richtlinie 92/61 erlassen wurde, war die letztgenannte Richtlinie auf einen Teil der den Angeklagten zur Last gelegten Taten anzuwenden.
20 Die Richtlinie 2002/24 beschränkt sich jedoch, wie aus ihrem vierten Erwägungsgrund hervorgeht, darauf, bestimmte Verwaltungsvorschriften genauer festzulegen und die in den Anhängen der Richtlinie 92/61 enthaltenen Vorschriften zu ergänzen.
21 Daher sind, wie der Generalanwalt in Nr. 28 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Begriffe, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, und die im Unionsrecht vorgesehenen Einzelheiten des Verfahrens der Typgenehmigung für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge unverändert geblieben.
Zu dem in den Richtlinien 92/61 und 2002/24 vorgesehenen Verfahren der Typgenehmigung
22 Wie aus ihrem dritten Erwägungsgrund hervorgeht, sollen mit der Richtlinie 92/61 Vorschriften für technische Merkmale eingeführt werden, die an die Stelle der verschiedenen nationalen Vorschriften treten, um den Handelsverkehr mit zweirädrigen oder dreirädrigen Kraftfahrzeugen in der Europäischen Gemeinschaft zu erleichtern.
23 Da die Vorschriften allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind, wird durch die Richtlinien 92/61 und 2002/24 ein System der Typgenehmigung eingeführt, d. h. ein Verfahren, das es letztlich den Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten erlaubt, sich zu vergewissern, dass Fahrzeuge, für die in einem anderen Mitgliedstaat eine Genehmigung erteilt worden ist und die dazu bestimmt sind, in ihrem Hoheitsgebiet verkauft, in den Verkehr gebracht oder benutzt zu werden, diese Vorschriften erfüllen.
24 Auf diese Weise stellt ein Mitgliedstaat durch das Verfahren der Typgenehmigung fest, dass der Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, einer selbständigen technischen Einheit oder eines Bauteils sowohl die technischen Anforderungen der Richtlinien 92/61 und 2002/24 oder der Einzelrichtlinien als auch die in der erschöpfenden Liste in Anhang I der Richtlinien 92/61 und 2002/24 vorgesehenen Prüfungen der Richtigkeit der Herstellerangaben erfüllt.
25 Es obliegt dem Hersteller eines Fahrzeugs, das von den Richtlinien 92/61 und 2002/24 erfasst werden kann, einen Genehmigungsantrag bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats einzureichen, in dem er einen Fahrzeugtyp zum Verkauf anbieten will. Diese Behörden prüfen dann, ob dieser Fahrzeugtyp den technischen Anforderungen der einschlägigen Richtlinien genügt.
26 Für jedes Fahrzeug, für das die zuständige nationale Behörde eine Typgenehmigung erteilt hat, wird vom Hersteller eine Übereinstimmungsbescheinigung erteilt, die jedem Fahrzeug beiliegen muss. Daraufhin beschränken sich die Behörden der Mitgliedstaaten, bei denen ein Antrag auf Inverkehrbringen oder Zulassung dieses Fahrzeugs gestellt wird, auf die Feststellung, dass es der Übereinstimmungsbescheinigung entspricht, die ihm beiliegt. Das gleiche Verfahren wird, was die in den Einzelrichtlinien vorgesehenen technischen Anforderungen betrifft, auf Bauteile und technische Einheiten der Fahrzeuge angewandt, die von den Richtlinien 92/61 und 2002/24 erfasst werden oder dazu bestimmt sind, in solche Fahrzeuge eingebaut zu werden.
27 Durch das Typgenehmigungsverfahren auf Unionsebene wird somit ein System der gegenseitigen Anerkennung der Prüfungen der Übereinstimmung mit den in den Richtlinien 92/61 und 2002/24 sowie den Einzelrichtlinien vorgesehenen Anforderungen eingeführt, die von den Genehmigungsbehörden der verschiedenen Mitgliedstaaten durchgeführt werden.
28 Infolgedessen erlaubt es ein solches Verfahren, den Verkehr von zweirädrigen oder dreirädrigen Kraftfahrzeugen und den Verkehr ihrer technischen Einheiten und Bauteile im Gemeinsamen Markt zu erleichtern, denn zum einen werden Waren, die in Übereinstimmung mit einem genehmigten Typ hergestellt werden, keiner Prüfung im Hinblick auf die technischen Anforderungen der Richtlinien 92/61 und 2002/24 sowie der Einzelrichtlinien mehr unterzogen, und zum anderen dürfen die Mitgliedstaaten nach Art. 15 Abs. 1 und 2 der Richtlinien 92/61 und 2002/24 das Inverkehrbringen, den Verkauf, die Inbetriebnahme oder die Benutzung neuer Fahrzeuge nicht verbieten, wenn sie diesen Richtlinien oder den Einzelrichtlinien entsprechen, vorbehaltlich von Art. 15 Abs. 5 der Richtlinie 92/61 und Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2002/24.
Zur Frage
29 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinien 92/61 und 2002/24 dahin auszulegen sind, dass ein Mitgliedstaat das durch diese Richtlinien eingeführte Typgenehmigungsverfahren für Fahrzeuge, Bauteile und technische Einheiten auf Fahrzeuge erstrecken kann, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen, nämlich solche, die für den sportlichen Wettbewerb auf der Straße oder im Gelände bestimmt sind.
30 Erstens ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinien 92/61 und 2002/24 nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für alle zur Teilnahme am Straßenverkehr bestimmten zweirädrigen oder dreirädrigen Kraftfahrzeuge mit oder ohne Doppelrad sowie deren Bauteile oder selbständige technische Einheiten, d. h. insbesondere Kleinkrafträder sowie deren Bauteile und technischen Einheiten, gelten. In diesem Zusammenhang sind nach Art. 1 Abs. 2 unter Kleinkrafträdern zweirädrige Kraftfahrzeuge oder dreirädrige Kraftfahrzeuge mit einem Hubraum bis zu 50 cm³ im Fall von Verbrennungsmotoren oder einer maximalen Nenndauerleistung von bis zu 4 kW im Fall von Elektromotoren zu verstehen.
31 Nach Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 92/61 und Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2002/24 gelten diese Richtlinien nicht für Fahrzeuge, die für den sportlichen Wettbewerb auf der Straße oder im Gelände bestimmt sind, und auch nicht für deren Bauteile und technische Einheiten.
32 Wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, ist es für diese Fahrzeuge als nicht notwendig oder als unverhältnismäßig erachtet worden, harmonisierte technische Vorschriften auf Unionsebene einzuführen.
33 Es ist nämlich festzustellen, dass dieser Fahrzeugtyp anderen Bedürfnissen entspricht, als sie von den Richtlinien 92/61 und 2002/24 erfasst werden, da er nicht zum Betrieb auf öffentlichen Straßen bestimmt ist. Zum einen unterliegen diese Fahrzeuge nicht ebenso zwingenden Normen im Bereich Verkehrssicherheit, und zum anderen werden sie notwendigerweise in geringerer Zahl hergestellt als Kleinkrafträder, die zur Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr bestimmt sind, weshalb eine Regelung der Typgenehmigung kaum angezeigt ist.
34 Somit ist weniger die Bestimmung eines Fahrzeugs für die Möglichkeit maßgebend, diesem die Regelung der Typgenehmigung auf Unionsniveau aufgrund der Richtlinie 92/61 und 2002/24 zugutekommen zu lassen, als dessen Eignung, die technischen Anforderungen zu erfüllen, die die Richtlinien vorschreiben.
35 Somit können unter den Umständen des Ausgangsverfahrens zwei Fallgestaltungen vorliegen: Entweder ist für das bei den Angeklagten beschlagnahmte Material eine Typgenehmigung auf Unionsebene erteilt worden, und ihm kommen daher die Erleichterungen aufgrund des durch die Richtlinien 92/61 und 2002/24 geregelten Systems in Bezug auf deren Inverkehrbringen, Inbetriebnahme und Benutzung zugute, oder für dieses Material ist keine Typgenehmigung erteilt worden, so dass sein Inverkehrbringen, sein Verkauf, seine Inbetriebnahme oder seine Benutzung seiner Natur nach nicht von diesen Richtlinien, sondern vom nationalen Recht erfasst wird.
36 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass weder in der Vorlageentscheidung noch in den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen angegeben worden ist, inwieweit für das bei den Angeklagten beschlagnahmte Material, wegen dessen Verkaufs und Einbaus sie strafrechtlich verfolgt werden, ein Typgenehmigungsverfahren nach den Richtlinien 92/61 und 2002/24 durchgeführt worden ist. Aus dieser Entscheidung geht nur hervor, dass dieses Material für den Einbau in Kleinkrafträder vorgesehen ist und eine Steigerung ihrer Geschwindigkeit und/oder ihrer Motorleistung bewirkt, so dass sie zu Fahrzeugen gemacht worden sind, die zur Teilnahme an sportlichen Wettbewerben bestimmt sind.
37 Unter diesen Umständen ist, um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, erstens hervorzuheben, dass unter den Einzelrichtlinien im Sinne von Anhang I der Richtlinie 2002/24 mit der Richtlinie 97/24 in deren Anhang Maßnahmen gegen unbefugte Eingriffe u. a. an zweirädrigen Kleinkrafträdern erlassen worden sind. Insbesondere ist dort der Einbau von Bauteilen, die für Fahrzeuge mit höherer Leistung als derjenigen eines Kleinkraftrads bestimmt sind, in ein Kleinkraftrad verboten, wenn er zur Folge hat, dass dessen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 5 km/h erhöht wird. Ferner darf in keinem Fall die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit oder die maximale Motornennleistung überschritten werden.
38 Somit stehen zum einen diese technischen Vorgaben notwendigerweise der Typgenehmigung auf Unionsebene im Sinne der Richtlinien 92/61 und 2002/24 von Bauteilen oder technischen Einheiten entgegen, die zur Folge haben, dass die Höchstgeschwindigkeit eines Kleinkraftrads um mehr als 5 km/h erhöht oder die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit bzw. die maximale Motornennleistung überschritten wird.
39 Zum anderen muss, damit einem Bauteil oder einer technischen Einheit die in den Richtlinien 92/61 und 2002/24 vorgesehene Genehmigungsregelung zugutekommen kann, das Bauteil oder die technische Einheit sich auf ein Fahrzeug beziehen, für das diese Richtlinien gelten, d. h. insbesondere ein zweirädriges Kraftfahrzeug, dessen Motor einen Hubraum bis zu 50 cm³ im Fall von Verbrennungsmotoren oder eine maximale Nenndauerleistung von bis zu 4 kW im Fall von Elektromotoren hat, oder aber dazu bestimmt sein, in ein solches Fahrzeug eingebaut zu werden.
40 Daher kann beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts einem Bauteil oder einer technischen Einheit nicht die Regelung der Genehmigung auf Unionsebene zugutekommen, wenn sie eine Änderung der technischen Merkmale eines Kleinkraftrads in der Weise bewirken, dass dieses nicht mehr der Definition nach den Richtlinien 92/61 und 2002/24 entspricht, was insbesondere seine Leistung angeht.
41 Zweitens ist, soweit den im Ausgangsverfahren beschlagnahmten Teilen nicht die Regelung der Genehmigung auf Unionsebene gemäß den Richtlinien 92/61 und 2002/24 zugutekommt, erneut darauf hinzuweisen, dass ihr Inverkehrbringen, ihr Verkauf und ihre Benutzung dem nationalen Recht unterliegen.
42 Daher besteht, wie der Generalanwalt in den Nrn. 82 und 83 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, grundsätzlich kein Hindernis dafür, dass ein Mitgliedstaat die Regelung der Genehmigung auf Unionsebene, wie sie in den Richtlinien 92/61 und 2002/24 vorgesehen ist, entsprechend anwendet und das Inverkehrbringen von Fahrzeugen, Bauteilen oder technischen Einheiten, für die eine Einzelgenehmigung in einem anderen Mitgliedstaat erteilt worden ist, auf seinem nationalen Markt erlaubt, soweit diesen Bauteilen oder technischen Einheiten nicht bereits die Regelung auf Unionsebene zugutekommt.
43 Allerdings hat der Mitgliedstaat in diesem Fall bei der Ausübung seiner gesetzgeberischen Zuständigkeiten das Unionsrecht und insbesondere die Art. 34 AEUV und 36 AEUV zu beachten.
44 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass ein allgemeines Verbot des Verkaufs oder der Benutzung von Material, das die Steigerung der Leistung und/oder Geschwindigkeit von Kleinkrafträdern ermöglicht, wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, geeignet ist, den freien Verkehr dieser Waren zu behindern (vgl. entsprechend Urteil vom 10. Februar 2009, Kommission/Italien, C-110/05, Slg. 2009, I-519, Randnr. 58). Ein solches Hemmnis ist nach Art. 34 AEUV verboten, sofern es nicht durch einen der in Art. 36 AEUV aufgeführten Gründe des Allgemeininteresses oder durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt ist.
45 Zwar kann die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Bestimmung insbesondere mit dem Ziel gerechtfertigt werden, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten, doch muss eine solche Maßnahme auch geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was dazu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Italien, Randnr. 59).
46 Im vorliegenden Fall bewirkt das allgemeine Verbot des Verkaufs und der Benutzung von Material, das es erlaubt, die Leistung und/oder die Geschwindigkeit von Kleinkrafträdern, die am Straßenverkehr teilnehmen, zu steigern, zwangsläufig, dass deren Benutzung insbesondere zu sportlichen Zwecken außerhalb des Straßenverkehrs verhindert wird. Somit stellt sich insbesondere die Frage, ob es eine weniger einschneidende Maßnahme als ein allgemeines Verbot gibt, die die Sicherheit des Straßenverkehrs in ebenso wirksamer Weise gewährleistet.
47 Da der Gerichtshof jedoch nicht über Angaben hierzu verfügt, obliegt es dem nationalen Gericht, diese Prüfungen vorzunehmen.
48 Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass die Richtlinien 92/61 und 2002/24 dahin auszulegen sind, dass sie es, wenn einem Fahrzeug, einem Bauteil oder einer technischen Einheit, die sich auf dieses Fahrzeug beziehen, nicht das mit den Richtlinien eingeführte Typgenehmigungsverfahren zugutekommt, u. a. weil sie nicht vom Geltungsbereich dieser Richtlinien erfasst werden, einem Mitgliedstaat nicht verwehren, für dieses Fahrzeug, dieses Bauteil oder diese technische Einheit im Rahmen seines nationalen Rechts eine entsprechende Regelung für die Anerkennung der von anderen Mitgliedstaaten durchgeführten Kontrollen einzuführen. Auf jeden Fall muss eine solche Regelung das Unionsrecht, insbesondere die Art. 34 AEUV und 36 AEUV, beachten.
Kosten
49 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:Die Richtlinien 92/61/EWG des Rates vom 30. Juni 1992 über die Betriebserlaubnis für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge und 2002/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. März 2002 über die Typgenehmigung für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge und zur Aufhebung der Richtlinie 92/61 sind dahin auszulegen, dass sie es, wenn einem Fahrzeug, einem Bauteil oder einer technischen Einheit, die sich auf dieses Fahrzeug beziehen, nicht das mit den Richtlinien eingeführte Typgenehmigungsverfahren zugutekommt, u. a. weil sie nicht vom Geltungsbereich dieser Richtlinien erfasst werden, einem Mitgliedstaat nicht verwehren, für dieses Fahrzeug, dieses Bauteil oder diese technische Einheit im Rahmen seines nationalen Rechts eine entsprechende Regelung für die Anerkennung der von anderen Mitgliedstaaten durchgeführten Kontrollen einzuführen. Auf jeden Fall muss eine solche Regelung das Unionsrecht, insbesondere die Art. 34 AEUV und 36 AEUV, beachten.