Bleibt der Hergang eines Unfalls letztlich ungeklärt, weil es Anzeichen sowohl für einen typischen Auffahrunfall als auch dafür gibt, dass der Vorausfahrende kurz zuvor den Fahrstreifen gewechselt hat, ist der Schaden hälftig zu teilen.
Gründe:
1. Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg; auf die nach durch Beschluss des Senats vom 7. Mai 2009 gewährte Wiedereinsetzung hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ebenfalls zulässige Berufung der Beklagten war das Urteil des Landgerichts Berlin insoweit abzuändern, als die Beklagten zur Zahlung an die Klägerin über den aus dem Tenor ersichtlichen Betrag hinaus verurteilt worden sind. Im übrigen hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg.
a. Zu Unrecht ist das Landgericht in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz von 100 % des ihr bei dem Unfall vom 3. September 2007 in Berlin-Treptow entstandenen Schadens zusteht.
Dabei rügt die Berufung der Beklagten zu Recht, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts insoweit unvollständig ist, als das Landgericht die Zeugen V… und S… bei der Vernehmung nicht ausdrücklich nach einem Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1. befragt sondern festgestellt hat, dass die Zeugen zur Fahrweise des Beklagtenfahrzeugs vor und zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes keine Wahrnehmungen und Angaben haben machen können.
b. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
Dies ist nicht der Fall, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges sich bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen.
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, den Sachverhalt auf der Grundlage des Parteivorbringens möglichst vollständig aufzuklären (BGH, Urteil vom 26. März 1997 – IV ZR 91/96 – NJW 1997, 1988). Er hat die in erheblicher Weise beantragten Beweise erschöpfend zu erheben und sich in der Urteilsbegründung mit dem Prozessstoff und dem Beweisergebnis umfassend und widerspruchsfrei auseinanderzusetzen (BGH, Urteil vom 15. März 2000 – VIII 31/99 – NJW 2000, 2024; Senat , Urteil vom 12. Januar 2004 – 12 U 211/02, DAR 2004, 223). Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 286 Rn. 3 und 5 m. w. N.).
Auch wenn der Richter im Rahmen seiner Überzeugungsbildung einer Partei mehr Glauben schenken darf, als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung als erwiesen ansehen kann (KG, Urteil vom 3. November 2003 – 22 U 136/03 - KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533), können Widersprüche bei der Beweiswürdigung dazu führen, dass Anlass besteht, von dieser abzuweichen.
Das Landgericht hat in seiner eher kurzen Beweiswürdigung darauf abgestellt, dass durch die Aussage des Zeugen A… bewiesen sei, der Unfall habe sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem unzulässigen Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1. ereignet. Dabei hat das Landgericht nicht im Einzelnen ausgeführt, weshalb der von ihm angenommene Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1. unzulässig gewesen sein soll und von welchem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen es hinsichtlich des von dem Zeugen geschilderten Fahrstreifenwechsel bei seiner Beweiswürdigung ausgegangen ist.
Insoweit führt das Landgericht sodann nur aus, die Aussagen der Zeugen V… und S… seien nicht geeignet gewesen, die Angaben des Zeugen A… in Zweifel zu ziehen, weil beide Zeugen zur Fahrweise des Beklagtenfahrzeugs vor und zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes keine Wahrnehmungen und Angaben hätten machen können.
Dem kann im Hinblick auf die sich aus dem Sitzungsprotokoll ergebende Vernehmung der Zeugen V… und S… im Zusammenhang mit ihren schriftlichen Angaben im polizeilichen Ermittlungsverfahren so nicht gefolgt werden.
Eine genaue Nachfrage nach einem möglichen Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1. vor dem Zusammenstoß war bereits deshalb erforderlich, weil die Zeugin V… in ihrer erstinstanzlichen Aussage angegeben hatte, dass das Fahrzeug (der Beklagten zu 1.) so weit nach links gefahren war, dass es die linke Spur benutzte und sie zudem in ihrer schriftlichen Aussage angegeben hatte: „Auf der linken Fahrbahnseite fuhren drei KFZ in Richtung Elsenstraße“. Beide Angaben hätten das Landgericht dazu veranlassen müssen, die Zeugin nach dem von dem Zeugen A… behaupteten Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1., den dieser bereits erstinstanzlich als unmittelbar vor dem Unfall („3 - 4 m vor mir“) schilderte, ausdrücklich zu befragen.
Dies gilt ebenfalls für den Zeugen S… , aus dessen erstinstanzlichen Angaben sich jedenfalls mittelbar ergab, dass er das Fahrzeug der Beklagten zu 1. in einer Entfernung von 10 - 12m direkt hinter sich, also ebenfalls im linken Fahrstreifen, wahrgenommen hatte.
c. Nach der im Berufungsrechtszug deshalb wiederholten Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung des Gerichts nach § 286 ZPO fest, dass ein unmittelbar vorangegangener Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1. unfallursächlich gewesen ist.
aa. Der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden setzt voraus, dass beide Fahrzeuge – unstreitig oder erwiesenermaßen – so lange in einer Spur hintereinander hergefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können (OLG Celle, VersR 1982, 960; OLG München, NZV 1989, 438; Senat, Urteile vom 22. Juni 1992 – 12 U 7008/ 91 – ; vom 7. Juni 1999 – 12 U 4408/97 – ; vom 11. September 2000 – 12 U 1361/99 – ).
Der Beweis des ersten Anscheins spricht gegen den Auffahrenden, wenn sich beide Fahrzeuge im gleichgerichteten Verkehr bewegt haben und der Nachfolgende auf das Heck des Vorausfahrenden gestoßen ist. Dies gilt auch bei bloßer Teilüberdeckung der Stoßflächen, weil sich hintereinander fahrende Fahrzeuge auf der überschießenden Breite eines Fahrstreifens unterschiedlich einrichten (vgl. Senat , Urteil vom 2. Oktober 2003 – 12 U 53/02 – KGR 2004, 106).
Der Anscheinsbeweis versagt dann, wenn der Vorausfahrende erst einige Augenblicke vor dem Auffahrunfall in den Fahrstreifen des Auffahrenden gewechselt ist. Ob ein vorangegangener Fahrstreifenwechsel geeignet ist, den gegen den klägerischen Fahrer sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern, kann jedoch nur dann gefragt werden, wenn ein solcher Fahrstreifenwechsel unstreitig oder bewiesen ist.
Die Beweislast für die Möglichkeit eines anderen, untypischen Verlaufs und damit auch für einen Fahrstreifenwechsel trifft den Auffahrenden.
bb. Nach der Aussage des Zeugen A… ist die Beklagte zu 1. mit ihrem Fahrzeug von der rechten Spur zu etwa einem Drittel in die von ihm eingehaltene Spur gezogen, ohne dies durch Setzen des Blinkers anzukündigen. Der Spurwechsel sei etwa 3 – 4 m vor der Einfahrt zur Kita erfolgt. Auf der rechten Spur sei Fahrzeugverkehr gewesen, vor ihm auf der linken Spur hingegen nicht.
Demgegenüber hat die Zeugin V… angegeben, von dem Küchenfenster der Kita aus das Fahrzeug des Zeugen S… gesehen zu haben, der auf den Parkplatz der Kita eingefahren sei. Gleich danach sei ein weiteres Auto gefahren, welches blinkte aber dann geradeaus weiter gefahren sei. Nach den Angaben der Zeugin sind beide Fahrzeuge, wobei sie erst später bemerkt habe, dass es sich bei dem zweiten Fahrzeug um das Fahrzeug einer Aushilfskraft der Kita, der Beklagten zu 1., gehandelt habe, hintereinander auf der linken Seite gefahren. Dabei hat die Zeugin ausgeführt, dass es sich bei der Straße Am Treptower Park um eine verkehrsreiche, breite Straße handelt, deren Fahrspuren jedoch nicht markiert sind. Auch auf Nachfrage war sich die Zeugin V… sicher, dass die Beklagte zu 1. den Blinker gesetzt hatte. Dies entspricht auch ihrer erstinstanzlichen Aussage sowie ihren schriftlichen Angaben im polizeilichen Ermittlungsverfahren. Die Zeugin konnte auch auf mehrfache Nachfrage ausschließen, dass die Beklagte zu 1. mit ihrem Fahrzeug erst kurz zuvor auf die linke Spur gefahren war; einen Fahrstreifenwechsel hatte sie nicht beobachtet. Die Zeugin konnte die Fahrbahn nach ihren Angaben von ihrem Sichtplatz aus ca. 4 Autolängen weit einsehen.
Diese Aussage wird weder durch die Angaben des Zeugen S… widerlegt, noch wird sie durch das weitere Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 15. Juni 2010 entwertet. Vielmehr ergibt sich aus den von der Klägerin nunmehr vorgelegten Fotos genau die Situation, die die Zeugin beschrieben hat. Auf dem Bürgersteig befinden sich, wie die Zeugin dies in ihrer Aussage auch angegeben hatte, zwei Reihen Platanen, die versetzt stehen und einen durch die Lücken freien, teilweise aber eingeschränkten Blick auf die Straße zulassen. Dies ist insbesondere auch auf dem Foto Nr. 5 ersichtlich, welches einen Blick auf die Straße zeigt, wobei erkennbar noch eine Strecke von sicherlich vier Autolängen zu überblicken ist. Soweit die Klägerin behauptet, auf dem Foto Nr. 7 sei durch eine Mauer und Büsche der Blick eingeschränkt, so ist einerseits ein Foto Nr. 7 dem Schriftsatz nicht beigefügt. Im Übrigen ist auf dem Foto Nr. 2 erkennbar, dass sich diese Mauer deutlich links neben der Einfahrt zur Kita befindet, die Küchenfenster allerdings, wie auch die Klägerin vorträgt, rechts neben dem Kitaeingang gelegen sind. Bereits aus dem Foto Nr. 2 ist ersichtlich, dass die Mauer den Blick aus den deutlich weiter rechts gelegenen Fenstern nicht hindern kann.
Der Zeuge S… hat ausgesagt, dass er das Fahrzeug der Beklagten zu 1. wahrgenommen habe, als er selbst sich noch ca. 5 bis 6 m von der Einfahrt entfernt befunden hatte. Die Entfernung zu dem Fahrzeug der Beklagten zu 1. gab er mit vielleicht 10 m an, wobei sich das Fahrzeug nach den Angaben des Zeugen parallel hinter ihm befand. Weiter gab der Zeuge an, an dem Fahrzeug den eingeschalteten Blinker gesehen zu haben.
Das Gericht ist trotz der konstanten und bereits in erster Instanz durchaus eindeutigen Aussage des Zeugen A… , die Beklagte zu 1. sei unmittelbar vor dem Zusammenstoß ohne den Blinker zu setzen von rechts in seine Fahrspur gefahren, nicht davon überzeugt, dass dem Unfall ein im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang damit stehender Fahrspurwechsel vorausgegangen war.
Soweit der Zeuge A… angegeben hatte, dass die Beklagte zu 1. nicht den Blinker gesetzt hatte, ist dies widerlegt durch die Aussagen der Zeugen V… und S… . Beide waren sich sicher, den eingeschalteten Blinker am Fahrzeug der Beklagten zu 1. gesehen zu haben, was sie auch bereits in ihren schriftlichen Erklärungen und in ihren Aussagen vor dem Landgericht angegeben hatten.
Ebenfalls haben beide Zeugen erinnert, dass die Beklagte zu 1. sich zum Zeitpunkt, als sie deren Fahrzeug wahrnahmen, auf der linken Spur der Straße befand. Nach der Aussage des Zeugen S… betrug die Entfernung zur Kitaeinfahrt zu diesem Zeitpunkt etwa 15 m; nach der Aussage der Zeugin V… konnte sie die Straße etwa vier Fahrzeuglängen einsehen und gab an, auf dieser Strecke einen Fahrstreifenwechsel nicht gesehen zu haben.
Demgegenüber hat der Zeuge A… ausgesagt, die Beklagte habe unmittelbar vor ihm, ca. 3 – 4 m, die Spur gewechselt und danach sei es direkt zum Zusammenstoß gekommen, der sich unmittelbar vor der Einfahrt der Kita ereignet hatte. Unter Zugrundelegen dieser Aussage hätten jedoch sowohl die Zeugin V… , als auch der Zeuge S… einen unfallursächlichen Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1. bemerken müssen. Dies gilt insbesondere für den Zeugen S… , der das Fahrzeug der Beklagten zu 1. unmittelbar hinter sich wahrnahm.
Auch wenn für die im Rahmen der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ erforderlich ist, sondern nur ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (st. Rspr., BGH, Urteil vom 28. Januar 2003 – VI ZR 139/02, NJW 2003, 1116 = VersR 2003, 474; BGHZ 53, 243, 256 = NJW 1970, 946; BGH VersR 1977, 721; Senat, NJW 1989, 2948 = VersR 1989, 758, 759), so gilt doch, dass weniger als die Überzeugung von der Wahrheit der behaupteten Tatsache für das Bewiesensein nicht ausreichen und ein bloßes Glauben, Wähnen, Fürwahrscheinlichhalten den Richter nicht zur Bejahung des streitigen Tatbestandsmerkmals berechtigen (Senat , Urteil vom 21. April 2005 – 12 U 210/03 –).
Entgegen den Ausführungen des Landgerichts sind die Aussage der Zeugen V… und S… im Zusammenhang mit ihren schriftlichen Angaben nach der Überzeugung des Gerichts geeignet, gegen einen unfallursächlichen Fahrspurwechsel der Beklagten zu 1. zu sprechen, auch wenn der Zeuge A… keinen unglaubwürdigen Eindruck hinterlassen hat. Im Zusammenhang mit den Aussagen der Zeugen V… und S… , an deren Glaubwürdigkeit ebenfalls kein Anlass zu zweifeln bestand, kann der von dem Zeugen A… geschilderte Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1. jedoch nicht derart kurz vor dem Unfall erfolgt sein, dass ein unfallursächlicher Zusammenhang angenommen werden kann. Dann hätten die Zeugen V… und S… diesen nach dem Inhalt ihrer insoweit auch glaubhaften Aussagen bemerken müssen.
Soweit die Zeugin V… angegeben hatte, den Zusammenstoß selbst gar nicht wahrgenommen zu haben, ist dies im Hinblick auf die von ihr geschilderten örtlichen Gegebenheiten, die durch die von der Klägerin eingereichten Fotos bestätigt werden, glaubhaft und mindert den Gehalt ihrer Aussage nicht. Insoweit ist nicht entscheidend, dass beide Zeugen den Zusammenstoß selbst nicht gesehen haben, sondern, dass ihre Aussagen dem von dem Zeugen A… geschilderten Fahrstreifenwechsel entgegenstehen.
Auch die Tatsache, dass die Zeugin V… angegeben hat, dass ihre Aussage, das Fahrzeug des Zeugen A… habe das Fahrzeug der Beklagten zu 1. nach dem Zusammenstoß an der Einfahrt der Kita vorbei geschoben, nicht auf eigener Wahrnehmung beruhte, sondern sich auf dem nach dem Unfall unter anderem mit den aufnehmenden Polizeibeamten geführten Gespräch gründete, führt nicht dazu, dass das Gericht von dem Inhalt der Aussage des Zeugen A… überzeugt ist.
Die Klägerin hat damit den ihr obliegenden Beweis eines in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfall erfolgten Fahrstreifenwechsels nicht erbracht.
d. Allerdings ist ein solcher Fahrstreifenwechsel im Hinblick auf die Aussage des Zeugen A… und die Stellung der Fahrzeuge beim Zusammenstoß, sowie die unstreitigen Schadensbilder an den Fahrzeugen trotz der nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts führenden Aussage des Zeugen A… ernsthaft in Betracht zu ziehen.
aa. Zwar spricht wiederum gegen einen Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1., dass ausweislich der polizeilichen Ermittlungsakte am Tag des Unfalls keiner der Beteiligten, auch der Zeuge A… nicht, einen angeblichen Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1. auch nur erwähnte. In dem Unfallprotokoll, Bl. 4 der Beiakten, ist vielmehr vermerkt, dass die Beklagte zu 1. hinter dem Zeugen S… fuhr und hinter ihr der Zeuge A… , der sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig zum Stehen brachte. Als vorläufig festgestellte Unfallursache wurde „ungenügender Sicherheitsabstand“ aufgenommen, Bl. 6 der Beiakten.
Auch den zeitnahen schriftlichen Angaben der Zeugen S… und V… und der Beklagten zu 1. ist hinsichtlich eines vorausgegangenen Fahrstreifenwechsels nichts zu entnehmen. Erstmals angeführt ist ein solcher behaupteter Fahrstreifenwechsel in dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 23. Januar 2008 an den Polizeipräsidenten in Berlin, mithin fast vier Monate nach dem Unfall.
bb. Die Fahrzeuge weisen vorliegend jedoch ein Schadensbild auf, welches für einen reinen Auffahrunfall nicht typisch ist. Nach dem aus den bei den Akten befindlichen Lichtbildern des klägerischen Fahrzeugs ist dieses mit der rechten vorderen Ecke offenkundig auf die – insoweit unstreitig – linke hintere Ecke des von der Beklagten zu 1. gefahrenen Fahrzeugs aufgefahren. Insoweit ist ersichtlich eine tiefere Eindellung rechts neben dem Scheinwerfer zu erkennen, die bei einem auch nur teilweise überdeckenden Anstoß mit parallelen Längsachsen nicht zu erwarten wäre, sondern dafür spricht, dass der Aufprall nicht teilüberdeckend parallel auf die Stoßfläche erfolgte, sondern bei Schrägstellung. Dies ist von den Beklagten, die Bilder von dem verunfallten Fahrzeug des Beklagten zu 2. nicht eingereicht haben, auch nicht bestritten worden. Insoweit ist zwischen den Parteien vielmehr unstreitig, dass das von der Beklagten zu 1. geführte Fahrzeug „an der linken hinteren Fahrzeugseite“ beschädigt wurde. Ein solches atypisches Schadensbild (Schrägaufprall, knappe Überdeckung), der Fahrbahnverlauf oder die Stellung der Fahrzeuge auf der Fahrbahn können im Einzelfall ein Indiz für einen behaupteten Fahrstreifenwechsel sein (KG, Urteil vom 22. Januar 2001 – 22 U 1044/00 –, KGR 2001, 93 = MDR 2001, 808).
cc. Wenn der Unfallhergang - bei einem ernsthaft möglichen Fahrstreifenwechsel als Unfallursache – letztlich ungeklärt bleibt, versagt der gegen den Auffahrende sprechende Anscheinsbeweis und der Schaden ist hälftig zu teilen (Senat , Urteil vom 19. Juni 1997 – 12 U 2131/96 – VM 1997, 76 Nr.98; siehe auch Senat , Urteil vom 6. Februar 1997 – 12 U 5521/95 – VM 1997, 43 Nr.58 = KGR 1997, 223 und Senat , Urteil vom 26. August 2004 – 12 U 195/03).
Insoweit war auch kein Sachverständigengutachten einzuholen, weil durch ein solches weitere Aufklärung nicht zu erwarten ist. Der Senat kann aus eigener Sachkunde auf Grund der jahrelangen Tätigkeit als Spezialsenat für Verkehrssachen beurteilen, dass ein Sachverständigengutachten keinen Aufschluss darüber erbringen wird, ob die unstreitige Schrägstellung des Beklagtenfahrzeugs auf einem Fahrspurwechsel beruhte oder daher rührte, dass die Beklagte zu 1. im Zuge des beabsichtigten Abbiegens bereits eine leichte Schrägstellung eingenommen hatte.
e. Die Klägerin kann deshalb nur 50 % des von ihr geltend gemachten Schadens ersetzt verlangen.
Dieser Schaden ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin in ihrer Berufung mit dem Landgericht nach einem Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 5.630,00 EUR zu berechnen.
Das Landgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die Beklagten den von der Klägerin berücksichtigten Restwert des verunfallten Fahrzeugs als zu niedrig angreifen konnten. Die Beklagte zu 3. hat dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 19. Oktober 2007, also zu einem Zeitpunkt, als die Klägerin ihr Fahrzeug weder bereits repariert, noch verkauft hatte, mehrere Angebote von Aufkäufern übermittelt, die ausweislich der eingereichten Liste verbindliche Kaufangebote darstellten und gegenüber dem Eigentümer auch die kostenlose Abholung des Fahrzeugs beinhalteten. Sämtliche Angebote waren höher, als der in dem von der Klägerin eingeholten Gutachten angegebene Restwert. Weshalb es der Klägerin nicht zuzumuten gewesen wäre, insbesondere das höchste, von einem in Berlin ansässigen Aufkäufer stammende Angebot anzunehmen, führt die Berufung der Klägerin nicht näher aus, sondern behauptet lediglich formelhaft, dass dies nicht der Fall gewesen wäre.
Soweit sich die Klägerin für ihre Auffassung auf die Entscheidung des BGH vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08 – NJW 2009, 1265 stützt, ist der dortige Fall mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dem von der Klägerin vorliegend eingereichten Gutachten des Büros Demmler & Koch vom 13. September 2007 ist nämlich – anders, als dies im vom BGH zu entscheidenden Fall gegeben war – nicht einmal zu entnehmen, auf welcher Grundlage der angegebene Restwert ermittelt wurde. Die Angabe, dass der Restwert auf der Grundlage von drei regional eingeholten Angeboten ermittelt worden sei, fehlt. Auch die Klägerin trägt hierzu weiteres nicht vor.
Der Klägerin stehen mithin zu:
5.630,00 EUR Wiederbeschaffungsaufwand 550,00 EUR Nutzungsentschädigung 20,00 EUR Kostenpauschale 6.200,00 EUR x 50 % = 3.100,00 EUR
Außerdem kann die Klägerin Zahlung von 50 % der Sachverständigenkosten, mithin 481,95 EUR, an diese verlangen sowie Zahlung von vorgerichtlichen Anwaltskosten nach einem Streitwert von 3.581,95 EUR.
2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. Soweit das Landgericht die Beklagten im Tenor zu 3. zur Zahlung nebst Zinsen in Höhe von 7 % über dem Basiszinssatz verurteilt hat, war dies abzuändern, weil die Klägerin selbst lediglich eine Verzinsung in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz beantragt hatte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 92Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den § 708 Nr. 10, 713 ZPO.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).