- Tritt der Kläger Beweis für den Hergang eines Unfalls durch Zeugenvernehmung an, muss das Gericht im Regelfall erst eine Beweisaufnahme durchführen, bevor es aufgrund sonstiger Indizien von einer Manipulation ausgeht.
- Unterlässt das erstinstanzliche Gericht jegliche Beweisaufnahme und hört sich nicht die Parteien an, liegt ein zur Zurückverweisung führender erheblicher Verstoß gegen Art. 103 GG vor.
Gründe:
I.
Der Kläger ist Inhaber einer Kfz-Reparaturwerkstatt. Er macht Schadensersatz aus einem von ihm behaupteten Unfallereignis vom ….2008 geltend. Nach dem Klägervortrag befuhr Herr A... an diesem Tag mit einem gemieteten Transporter das Firmengelände des Klägers. Aus Unaufmerksamkeit fuhr er mit seinem Transporter beim rückwärtigen Rangieren in einer Halle gegen ein Abgas-Untersuchungsgerät sowie gegen ein Achsvermessungsgerät. Das Abgas-Untersuchungsgerät fiel sodann aufgrund des Zusammenstoßes in eine Montagegrube in der Halle.
Der Kläger verlangt Schadensersatz für beide Geräte. Zum Beweis des Unfallhergangs hat er sich auf den Zeugen ..., ein Sachverständigengutachten sowie das Zeugnis der ermittelnden Polizeibeamten berufen.
Bereits in der Vergangenheit war es zu verschiedenen Unfällen beziehungsweise Schädigungen zwischen dem Kläger, Herrn C und sowie anderen Beteiligten gekommen. Herr C... war insoweit auch als Rechtsanwalt in die Unfallregulierung eingeschaltet.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das Urteil des Landgerichts Darmstadt Bezug genommen. Das Landgericht hat nach mündlicher Verhandlung, zu der der Kläger allerdings nicht geladen wurde, die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass der klägerische Vortrag zum äußeren Geschehen des Unfallereignisses als wahr unterstellt werden könne. Nach den übrigen Umständen könne allerdings ausgegangen werden, dass es sich um ein manipuliertes Unfallereignis gehandelt habe. Die Vielzahl unstreitiger Manipulationsindizien reiche für die Annahme eines Anscheinsbeweises aus, den der Kläger nicht habe erschüttern können. Bei dem Schädigerfahrzeug habe es sich um ein Mietfahrzeug gehandelt, bei dem Unfallereignis hätten sich die Beteiligten selbst keiner Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt und der Kläger habe auf Gutachtenbasis abgerechnet. Außerdem liege eine unstreitige Häufung von Unfallereignissen zwischen den beteiligten Personen und Dritten, die ebenfalls mittelbar Beteiligte waren, vor. Es widerspräche jeglicher Lebenserfahrung, dass in einem Zeitraum von vier Jahren in wechselnden Rollen und Paarungen insgesamt vier Verkehrsunfälle, zwei Fahrzeugschäden und ein Betriebsschadensfall verursacht worden sein könnten.
Der Kläger habe angesichts dieses Anscheinsbeweises keine Beweisangebote hinsichtlich der subjektiven Motivation der Beteiligten unterbreitet.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers mit der er rügt, dass das Landgericht seinen Beweisangeboten nicht nachgekommen sei, eine besondere Häufung von Unfallereignissen nicht vorliege und ein Hinweis des Landgerichts hinsichtlich der Frage einer besonderen subjektiven Motivation nicht erfolgt sei.
Der Kläger beantragt,das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 19.12.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 19.588,70 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4.4.2009 zu zahlen,Die Beklagte beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 151,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.08.2009 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 859,80 € bezüglich außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4.4.2009 zu zahlen;
hilfsweise,
das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 23.12.2009 aufzuheben und die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts Darmstadt zur Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.die Berufung zurückzuweisen.Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und führte erneut zahlreiche Verkehrsunfälle auf, die im Zusammenhang mit Herrn DE geschehen seien, der wegen Betrugs im Rahmen von Unfallverursachungen rechtskräftig verurteilt worden sei.
II.
Die Berufung ist zulässig, sie hat auch in der Sache Erfolg.
Auf den Antrag des Klägers hin ist das angefochtene Urteil nebst dem ihm zugrunde liegenden Verfahren gem. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO aufzuheben und an das Landgericht zurückzuverweisen, denn das Verfahren im 1. Rechtszug leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln, die zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG darstellen. Zudem wird voraussichtlich eine aufwändige Beweisaufnahme erforderlich werden, sodass eine Sachentscheidung des Senats – auch im Hinblick auf den ansonsten eintretenden Verlust einer Tatsacheninstanz – nicht angezeigt ist.
Die wesentlichen Verfahrensfehler des Landgerichts i. S. von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegen darin, dass es erheblichen, unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers übergangen hat. Zudem war das Landgericht nach den Umständen des Falles verpflichtet, die Parteien – hier insbesondere den Kläger – persönlich zur Aufklärung des Sachverhalts gem. § 141 ZPO anzuhören. Der Kläger ist jedoch zum Verhandlungstermin nicht geladen und auch nicht angehört worden.
Einen offenbaren Verstoß gegen den grundgesetzlich verbürgten Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör stellt es dar, dass das Landgericht dem Beweisantritt des Klägers nicht nachgegangen ist, dass der Zeuge ... den Unfallhergang gesehen hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 69, 141; BVerfG 5.11.08 – 1 BvR 1822/08 –) verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge (vgl. auch BGH 4.2.10 – I ZR 160/08 –). Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet.
Die Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil, auf den Beweisantritt komme es nicht an, da der klägerische Vortrag als wahr unterstellt werden könne, sind nicht geeignet, die unterlassene Beweisaufnahme zu rechtfertigen.
Das Landgericht unterstellt ausdrücklich nur den äußeren Geschehensablauf als wahr und rechtfertigt damit die unterlassene Beweisaufnahme. Dabei übersieht es jedoch, dass die Beweisantritte sich nicht nur auf den äußeren Geschehensablauf erstreckten, sondern durchaus auch auf den Bewusstseinszustand der Beteiligten. Der Zeuge ... sowie die übrigen Beweismittel sind ausdrücklich dafür benannt, dass Herr B „aus Unaufmerksamkeit“ gegen die Messgeräte gefahren sei. Es bedurfte deshalb entgegen der Auffassung des Landgerichts keiner weiteren Beweisantritte zur subjektiven Motivation.
Darüber hinaus ist es nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH 13.7.1998 – II ZR 131/97 –, NJW-RR 1998, 1409; BGH 2.4.07 – II ZR 325/05 –, NJW RR 07, 1483) nicht erforderlich, sämtliche Einzelheiten der voraussichtlichen Bekundungen eines Zeugen bereits im Sachvortrag zu benennen. Dies ist zum einen unmöglich, zum anderen ist gerade die Beweisaufnahme dazu da, solche Fragen zu klären. Deckt deshalb der Beweisantritt die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale ab, ist grundsätzlich Beweis zu erheben, soweit dies nicht aus anderen Gründen entbehrlich ist. Der Tatrichter muss sich gemäß § 286 ZPO eine Überzeugung hinsichtlich des behaupteten Geschehens bilden, wozu zahlreiche Kleinigkeiten des Alltags und auch durchaus nebensächliche, jedenfalls nicht tatbestandsrelevante Angaben eines Zeugen gehören können. Gerade die sogenannten Realkennzeichen einer Aussageanalyse, die für die subjektive Richtigkeit einer Aussage sprechen, lassen sich regelmäßig nur bei einer ausführlichen und sachkundigen Vernehmung ermitteln.
Ohne die Durchführung der Beweisaufnahme hatte das Landgericht nicht die Möglichkeit festzustellen, ob sich aus den Bekundungen des Zeugen Anhaltspunkte dafür ergaben, dass es sich vorliegend – trotz bestehender Bedenken hinsichtlich der Häufung von Unfällen und anderer Indizien – um ein zufälliges und nicht abgesprochenes Unfallereignis handelte.
Dazu hätte das Landgericht auch den Kläger als Partei gemäß § 141 ZPO anhören und ihm die Gelegenheit geben müssen, zu den Einzelheiten des Unfallgeschehens und den Bedenken des Gerichts Stellung zu nehmen.
Es liegen auch keine Umstände vor, die ausnahmsweise von diesem prozessordnungsmäßig vorgeschriebenen Ablauf Abweichungen zuließen.
Die vom Landgericht aufgeführten Indizien sind keineswegs so zwingend, dass sich daraus eine durch andere Umstände unumstößliche Gewissheit des Gerichts ergeben konnte.
Für den Nachweis eines gestellten Unfalls genügt es, wenn die für eine Unfallmanipulation sprechenden Indizien in ihrer Gesamtschau nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass der Unfall auf einer Verabredung beruht und der Geschädigte mit der Herbeiführung des Schadens an seinem Fahrzeug einverstanden gewesen ist (OLG Frankfurt am Main 21.9.06 – 16 U 75/06 – NZV 07, 313; OLG Frankfurt am Main 11.3.08 – 3 U 158/07 –; OLG München 7.3.08 – 10 U 5394/07 –, NJW RR 08, 1250).
Zur Klageabweisung reicht es aus, wenn auf Grund der gebotenen Gesamtschau aller Umstände die Feststellung einer erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Unfallmanipulation getroffen werden kann. Es kommt auch nicht darauf an, ob einzelne Indizien plausibel erklärbar sind. Entscheidend ist die Werthaltigkeit der einzelnen Beweisanzeichen (KG 29.11.07 – 12 U 185/07 – NZV 08, 243; LG Lübeck 27.1.09 – 6 O 315/08 –; OLG Frankfurt am Main 21.4.09 – 16 U 175/08 –).
Die objektiven Kriterien des behaupteten Unfallereignisses reichen für sich genommen auch in der Gesamtschau aber keinesfalls aus, eine Unfallmanipulation anzunehmen. Die Indizien „Mietfahrzeug“, „keine Gefahr für Leib und Leben“ und „fiktive Abrechnung“ liegen zwar häufig bei gestellten Unfällen vor. Angesichts der darüber hinaus massenhaften unproblematischen Abwicklung von Verkehrsunfällen mit diesen Merkmalen reichen sie als solche aber nicht aus, um eine richterliche Überzeugung im Sinne eines Anscheinsbeweises anzunehmen (OLG Frankfurt am Main 22.11.2005 – 10 U 44/05 –).
Eine solche pauschalierte Indizwürdigung findet sich auch nicht in der obergerichtlichen Rechsprechung, die zahlreiche Kriterien für die verschiedenen Formen der Unfallmanipulation entwickelt hat. Dem Landgericht ist zwar zuzustimmen, dass es gerade eine Besonderheit der Unfallmanipulation ist, eine objektive Sachaufklärung zu erschweren, so dass oft lediglich Indizien maßgeblich sind. Es ist aber dennoch erforderlich, dass sich der Richter ein Gesamtbild von dem Unfallhergang macht und, wie dies auch in den meisten veröffentlichten Entscheidungen der Fall ist, soweit wie möglich den Hergang aufklärt (vgl. nur die vom OLG Karlsruhe – 23.3.01 – 10 U 230/00 – geschilderte ausführliche Beweisaufnahme; so auch OLG Köln 2.3.10 – 9 U 122/09 –).
Gleiches gilt auch für die von der Beklagtenseite aufgelistete Häufung von Schadensereignissen, die das Landgericht ohne nähere Prüfung zugrunde gelegt hat. Es mag durchaus sein und der Senat schließt ein solches Ergebnis keineswegs aus, dass sich vorliegend die Überzeugung einer Unfallmanipulation angesichts solcher Gesamtumstände ergeben kann (vgl. OLG Düsseldorf 27.10.09 – 4 U 63/08 – : 7 Unfälle in 3 Jahren), allein aus der Addition mehrerer Ereignisse kann diese aber nicht gefolgert werden. Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die unmittelbaren Unfallbeteiligten nur hinsichtlich zweier Schadensfälle verbunden waren, dabei noch in unterschiedlichen Rollen. Außerdem haben beide beruflich mit Unfällen und Fahrzeugen zu tun, der Kläger als Reparaturwerkstatt, der Unfallverursacher als Rechtsanwalt in Verkehrssachen.
Will ein Gericht die Häufung von Unfällen im Sinne einer Verabredung als Indiz zugrunde legen, muss es der betroffenen Seite zumindest die Möglichkeit geben, darzulegen und zu beweisen, dass der vorliegende Unfall nicht dazu gehört – im vorliegenden Fall durch den Beweis des Hergangs – oder dass besondere Umstände vorliegen, die eine anderweitige Beurteilung erlauben. Dazu ist grundsätzlich auch die Anhörung der Beteiligten oder Zeugen erforderlich.
Von der Zurückverweisung kann auch nicht abgesehen werden; eine eigene Entscheidung scheint dem Senat nicht sachdienlich, bedarf es doch bis zur Entscheidungsreife des Rechtsstreits voraussichtlich einer (erstmaligen) und ggf. durchaus aufwändigen Beweisaufnahme; denn das Landgericht wird nicht nur den Kläger und den Zeugen ..., sondern auch die zum Beweis der Verabredung eines Unfallrings durch die Beklagte benannten Zeugen zu vernehmen haben. Gegebenenfalls kommt sogar ein Gutachten über den genauen Unfallhergang bzw. die Frage der Schadenshöhe in Betracht, die von der Beklagtenseite bestritten worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 GKG, da die unterlassene Beweisaufnahme eine unrichtige Sachbehandlung darstellt. Über die weiteren Kosten auch des Berufungsrechtszuges hat das Landgericht zu entscheiden. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Zurückverweisung erfolgt an dieselbe Kammer des Landgerichts, da das Gesetz die vom Kläger beantragte anderweitige Zurückverweisung nicht vorsieht.