Der Nachweis des äußeren Bildes eines Diebstahls kann auch dann geführt sein, wenn der Grund für das Abstellen des Fahrzeuges für Außenstehende nicht dem gängigen Verhalten entsprechen mag. Daraus folgt nicht schon die Unglaubhaftigkeit der Angaben oder die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung. Für diese genügt es auch nicht, dass später - als Zufallsfund bei polizeilichen Ermittlungen - Teile des Fahrzeugs in einer Werkstatt gefunden werden, gegen deren Betreiber ermittelt wird, wenn eine Verbindung zu dem Versicherungsnehmer oder dessen Repräsentanten nicht aufgezeigt wird.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Versicherungsleistung mit der Behauptung, ihr zum damaligen Zeitpunkt bei der Beklagten im Rahmen einer Kaskoversicherung versicherter PKW Jaguar Typ Limousine XJ, N 3 (Variante E, Version 503, Fahrzeugidentifikationsnummer: H ... ) sei am Vormittag des 20. Juni 2007 bedingungsgemäß entwendet worden.
Das Landgericht hat die Beklagte mit seinem am 30. Oktober 2008 verkündeten Urteil –unter Abweisung der Klage im Übrigen– verurteilt, an die Klägerin den Nettowiederbeschaffungswert in Höhe von 50.250,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. Oktober 2007 zu zahlen. Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf das dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 10. Februar 2009 zugestellte Urteil (Bl.94–102 d.A.) Bezug genommen.
Am 17. März 2009 wurden anlässlich einer polizeilichen Durchsuchung von Werkstatt-räumen im Rahmen eines anderweitigen Ermittlungsverfahrens Fahrzeugteile, die zu einer Jaguar Limousine Typ XJ mit Schiebedach, Baujahr 2006 oder 2007 und einer Fahrzeugidentifikationsnummer im Bereich zwischen H ... und H ... gehören, aufgefunden und sichergestellt.
Mit seiner am 09. März 2009 eingegangenen und – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 11. Mai 2009 – am 15. April 2009 begründeten Berufung greift die Beklagte die Verurteilung an und verfolgt ihren Klageabweisungsantrag aus erster Instanz weiter.
Sie ist der Ansicht, die Beweiswürdigung des Ausgangsgerichts sei im Ergebnis nicht haltbar. Im Hinblick auf die zeitnah zu seiner Vernehmung erfolgte Verurteilung des Zeugen wegen einer Gläubigerbegünstigung sei der Zeuge W... nicht glaubwürdig; jedenfalls aber wäre das Landgericht gemäß § 139 ZPO verpflichtet gewesen, die Beklagte vor Erlass des Urteils über die Verurteilung des Zeugen W... in Kenntnis zu setzen. Unabhängig davon sei die Aussage des Zeugen aber auch nicht glaubhaft, was sich bereits aus den im angefochtenen Urteil zutreffend als „merkwürdig“ bezeichneten weiteren Umständen und sonstige „Ungereimtheiten“ ergebe. Letztlich meint die Beklagte, der Fund der Fahrzeugteile im Rahmen der polizeilichen Durchsuchung gebe ernsthafte Veranlassung, zu prüfen, ob der Diebstahl nicht nur vorgetäuscht worden sei.
Die Beklagte beantragt,das am 30. Oktober 2008 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin zum Aktenzeichen 17 O 215/07 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen; hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Landgericht zurückzuverweisen;Klägerin beantragt,
weiterhin hilfsweise,
die Revision zuzulassen.die Berufung zurückzuweisen.Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist darauf, dass ein Zusammenhang zwischen der Sicherstellung der Jaguarteile und dem hier streitgegenständlichen Verfahren nicht festgestellt sei.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. September 2010 hat der Senat den Geschäftsführer der Klägerin persönlich angehört. Wegen der Einzelheiten seiner Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14. September 2010 (Bl. 173 - 175 d.A.) Bezug genommen.
Die Akten der Staatsanwaltschaft Berlin zu den Aktenzeichen 5 U Js 09865/07 und 5 Wi Js 3885/07 lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 517, 519 ZPO) und begründet (§ 520 ZPO) worden.
In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg, da sich die Verurteilung zur Zahlung der Versicherungsleistung –die mit einer Höhe von 50.250,00 € zwischen den Parteien nicht mehr im Streit steht– im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemäß § 286 ZPO auch aus Sicht des Senats als zutreffend erweist.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung des Nettowiederbeschaffungswertes des PKW Jaguar Typ Limousine XJ aus §§ 1, 49 VVG a.F., § 12 Abs. 1 I b) AKB. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat die Klägerin den Nachweis einer bedingungsgemäßen Entwendung der Jaguar–Limousine am Vormittag des 20. Juni 2007 erbracht.
Dass der Klägerin für den Entwendungsvorgang selbst kein Beweismittel zur Verfügung stand, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Dem für den Eintritt des Versicherungsfalls beweisbelasteten Versicherungsnehmer, der sich in Entwendungsfällen oft in Beweisnot befindet, weil Fahrzeugdiebstähle regelmäßig in Abwesenheit von Zeugen begangen werden, billigt die Rechtsprechung Beweiserleichterungen zu (vgl. Kohlhosser, Beweiserleichterungen bei Entwendungsversicherungen, NJW 1997, 969, 970; Römer, Der Kraftfahrzeugdiebstahl als Versicherungsfall Voraussetzungen und Beweis eines Anspruchs aus der Kaskoversicherung, NJW 1996, 2329, 2331 jeweils m.w.N.). Da die Parteien –dies ergibt eine Auslegung des Versicherungsvertrages im Hinblick auf die in Entwendungsfällen typische Beweisnot – eine Absenkung der normalen Beweisanforderungen vereinbart haben (BGH NZV 1995, 394; BGH NJW-RR 1996, 275), wird es als ausreichend, aber auch notwendig angesehen, dass der Versicherungsnehmer den Beweis für das so genannte “äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung” erbringt. Dazu genügt es, dass er ein Mindestmaß an Tatsachen darlegt und beweist, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine Wegnahme gegen den Willen des Berechtigten zulassen (BGH VersR 1996, 319 und 575; NJW 1995, 2169). Zu diesem Mindestmaß an Tatsachen gehören das Abstellen des versicherten Fahrzeugs an einem bestimmten Ort einerseits und das spätere Nicht-Wiederauffinden gegen den Willen des Versicherungsnehmers andererseits; hinsichtlich dieser Tatsachen muss der Versicherungsnehmer allerdings den Vollbeweis führen (vgl. im Einzelnen BGH VersR 1997, 733, 734; VersR 1993, 571).
Die Klägerin hat diesen für das so genannte “äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung” notwendigen Beweis durch die Aussage des Zeugen T... W... führen können. Nach Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme steht gemäß § 286 ZPO auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Zeuge W... den PKW am 20. Juni 2007 zwischen 9.00 Uhr und 10.00 Uhr auf dem Parkplatz des Reichelt–Supermarktes in der O... abgestellt und dort etwa eine Stunde später nicht wieder aufgefunden hat. Diesen Sachverhalt hat der Zeuge W... im Rahmen seiner uneidlichen Vernehmung durch das Ausgangsgericht am 12. August 2008 glaubhaft bekundet. Die Aussage des Zeugen ist schlüssig und widerspruchsfrei; zudem deckt sie sich inhaltlich ohne erkennbare Abweichungen mit den Angaben, die der Zeuge am 20. Juni 2007 gegenüber der Polizei und im Rahmen des Ausfüllens des Fragebogens am 28. Juni 2007 gegenüber der Beklagten gemacht hatte; dass seine Angaben zu den Zeiten des Abstellens und Nichtwiederauffindens in dem Fragebogen konkreter waren, als im Rahmen seiner Zeugenvernehmung, lässt sich dadurch erklären, dass zwischen dem 20. Juni 2007 und der Einvernahme durch das Landgericht bereits mehr als ein Jahr vergangen war. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass sowohl der von der Klägerin vorgetragene und so von dem Zeugen auch bestätigte Anlass des Abstellens des PKW auf dem Parkplatz des Supermarktes, als auch die näheren Umstände des Treffens nicht in Gänze nachvollziehbar erscheinen; diese vom Ausgangsgericht als „merkwürdig“ bezeichneten Umstände sind jedoch letztlich nicht derart normabweichend, als dass sie geeignet wären, im Rahmen der Gesamtwürdigung mehr als unerhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen zu wecken. Menschliches Verhalten ist unterschiedlich und folgt nicht unbedingt logischen Gesichtspunkten, weshalb es nicht immer mit den gängigen Vorstellungen vom Ablauf gewisser Dinge in Einklang zu bringen ist. Dass die Klägerin im Jahr 2006 den Jaguar zu einem Preis von 70.000,00 € angeschafft hat, hat sie mit nachweislich guten Geschäftsergebnissen im Jahr 2006 erklärt; zudem war bereits zuvor ein PKW-Jaguar auf sie zugelassen, den sie mit einem anrechenbaren Preis von 18.650,00 € in Zahlung geben konnte. Dass der Jaguar nicht überwiegend vom Geschäftsführer der Klägerin, sondern „nur“ von dem Zeugen W... genutzt wurde, haben der Zeuge und der Geschäftsführer insoweit übereinstimmend damit erklären können, dass der Geschäftsführer bei seinen Fahrten durch das Bundesgebiet Werkzeuge mit sich führen musste, weshalb er unter der Woche den Skoda-Kombi und nur am Wochenende den Jaguar gefahren ist. Dass das Treffen des Zeugen mit dem Geschäftsführer in einem nahe gelegenen Hotel und nicht in den Geschäftsräumen der Klägerin stattfand, haben beide damit erklärt, dass sie ungestört von Mitarbeitern oder Telefonaten sprechen wollten, was im Büro zu dieser Zeit in der Regel nicht möglich sei; zudem kann auch der Aussage des Geschäftsführers gefolgt werden, wonach ein Treffen zum Frühstück mehr Spaß macht. Dass der Zeuge W... den Jaguar nicht vor dem Treffen auf dem zum Büro gehörenden Geschäftsparkplatz, sondern auf dem Parkplatz des Supermarktes abgestellt hatte, erscheint angesichts der örtlichen Verkehrsführung nachvollziehbar; die Anfahrt des – im Übrigen auch öffentlich zugänglichen – Büroparkplatzes auf dem Wirtschaftshof hätte einen Umweg bedeutet; zudem hatte der Zeuge nach insoweit übereinstimmenden Angaben die Absicht, nach dem Frühstück sofort zu einer Baustelle weiter zu fahren, die ebenfalls von dem gewählten Parkplatz aus leichter hätte erreicht werden können.
Der Senat hält den Zeugen W... auch für glaubwürdig; jedenfalls können konkrete Anhaltspunkte, die durchgreifende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen begründen könnten weder aus seinem Verhalten unmittelbar nach der behaupteten Entwendung noch aus seinem Verhalten im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits hergeleitet werden. Die Tatsache, dass der Zeuge W... wenige Tage vor seiner erstinstanzlichen Vernehmung wegen Gläubigerbegünstigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, rechtfertigt –entgegen der Ansicht der Beklagten– die Annahme erheblicher Zweifel jedenfalls allein noch nicht. Zwar ist die strafrechtliche Verurteilung wegen eines Vermögensdelikts im Regelfall geeignet, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen durchgreifend in Frage zustellen; im vorliegenden Fall liegen der Verurteilung jedoch Besonderheiten zugrunde, die eine Abweichung vom Regelfall durchaus rechtfertigen. Die der strafrechtlichen Verurteilung zugrunde liegende Gläubigerbegünstigung fand im familiären Umfeld statt; der Zeuge hatte seinem Schwiegervater im laufenden Insolvenzverfahren ein Darlehen zurückgezahlt, das der Schwiegervater –nur deshalb konnte überhaupt eine inkongruente Deckung angenommen werden– zuvor nicht zur Tabelle angemeldet hatte. Weitere Umstände, auf die erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen – ggf. in einer Gesamtschau mit der erfolgten Verurteilung – gestützt werden könnten, sind jedoch weder vorgetragen noch sonst aus dem Akteninhalt ersichtlich.
Konkrete Tatsachen, aus denen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit geschlossen werden könnte, dass die Klägerin den Diebstahl nur vorgetäuscht hat, sind dem Akteninhalt ebenfalls nicht zu entnehmen. Zwar verweist die Beklagte zu Recht auf den Bericht des Kriminalkommissars B?? vom 18.11.2009, in dem dieser die Meinung geäußert hat, die Vortäuschung des Diebstahls müsse ernsthaft geprüft werden. Diese Wertung kann der Senat jedoch im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Würdigung gemäß § 286 ZPO nicht ungeprüft übernehmen; es wäre Sache der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten gewesen, die Ausführungen des Kriminalkommissars mit feststehenden oder nachgewiesen Tatsachen zu unterlegen. Die Beklagte hat jedoch auch nach Hinweis auf das Durchsuchungsergebnis keinen konkreten Zusammenhang zwischen der hier streitigen Entwendung und dem Auffinden einzelner Jaguarteile in der Autowerkstatt hergestellt oder herzustellen versucht. So kann nach den vorliegenden Unterlagen zwar als wahrscheinlich, aber eben nicht als feststehend angenommen werden, dass es sich bei den in der durchsuchten Werkstatt aufgefundenen Fahrzeugteilen überhaupt um solche des von der Klägerin als gestohlen gemeldeten Fahrzeugs gehandelt hat, weshalb auch für eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 149 ZPO bis zum Abschluss des Strafverfahrens, in dessen Rahmen die Durchsuchung stattgefunden hat, keine Veranlassung bestand.
Dem als Hilfsantrag gestellten Antrag der Beklagten, den Rechtsstreit an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen, war nicht zu entsprechen, weil die Voraussetzungen der insoweit allein in Betracht kommenden Regelung des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht gegeben sind.
Entgegen der Ansicht der Beklagten leidet das Verfahren des ersten Rechtszuges nicht an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, insbesondere nicht an einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Es kann schon nicht festgestellt werden, dass der Beklagten die Tatsache der Verurteilung des Zeugen W... vor Erlass des Urteils nicht bekannt war; ausweislich der Vernehmungsniederschrift vom 12. August 2008 hatte der Zeuge seine Verurteilung und sogar die Höhe der Geldstrafe selbst offen gelegt. Unabhängig davon ist aber jedenfalls die weitere Voraussetzung des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erfüllt, weil auch nach dem Vortrag der Beklagten in 2. Instanz eine umfangreiche Beweisaufnahme, die allein eine Zurückverweisung rechtfertigen könnte, nicht in Betracht kommt.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision zum Bundesgerichtshof war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind; weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.