Vom Mindestaltererfordernis kann nur abgesehen werden, wenn dies nach einer verständigen Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Einzelnen notwendig ist, um eine - vom Verordnungsgeber nicht beabsichtigte - unbillige Härte zu vermeiden bzw. eine Abweichung im öffentlichen Interesse liegt. Dabei ist zu bedenken, dass das Allgemeininteresse an der Verkehrssicherheit einen sehr hohen Stellenwert einnimmt und junge Fahranfänger an schweren Unfallgeschehen extrem überproportional beteiligt sind. Auch gibt § 10 Abs. 2 FeV einen Anhaltspunkt dafür, dass bei der Führerscheinklasse B grundsätzlich nur aus Berufs- und Ausbildungsgründen ein Unterschreiten der 18-Jahre-Grenze möglich ist.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten im einstweiligen Rechtsschutz um die Zulassung zu einer vorzeitigen Fahrerlaubnisprüfung.
Die am ... geborene Antragstellerin gehört zu den Spitzennachwuchsschwimmerinnen in der Bundesrepublik Deutschland, die sich derzeit neben der Schule (Gymnasium Kempten, 11. Klasse) auf die Europameisterschaften und Olympiaqualifikationen vorbereitet. Die gesetzlichen Vertreter der Antragstellerin stellten am 20. Mai 2002 für ihre Tochter unter Vorlage des Trainingsplans (dreimal werktäglich Frühschwimmen von 6.00 Uhr bis 7.30 Uhr; mehrmals Nachmittagstraining; fünfmal Abendtraining, zum Teil bis 21.00 Uhr, davon viermal Schwimmen) beim Antragsgegner den Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum vorgeschriebenen Mindestalter des § 10 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Darin heißt es, dass es ihnen als Eltern auf Grund ihrer Berufstätigkeit fast immer unmöglich sei, ihre Tochter zu fahren, sodass sie auf das Fahrrad oder auf Laufen angewiesen sei, was vor allem bei schlechter Witterung oftmals zu Erkältungen führe und auch im Hinblick auf das mitzuführende Gepäck - Schulsachen, Sportsachen - unzumutbar sei. Daraufhin erhielt der Vater der Antragstellerin ein Schreiben des Antragsgegners vom 7. Juni 2002, in dem im ersten Absatz der Antrag auf vorzeitige Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B während der Wintermonate genehmigt wird. In den folgenden Sätzen heißt es, dass Voraussetzung für eine Erteilung die Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens sei und nach der Ausbildung mit bestandener Führerscheinprüfung eine Fahrerlaubnis mit der Beschränkung in den Wintermonaten (13.11.2002 bis 30.4.2003) erteilt werden könne. Die durchgeführte medizinisch-psychologische Untersuchung ergab die Eignung der Antragstellerin. Nach Bürgerbeschwerden schaltete sich die Regierung von Schwaben und das Innenministerium ein, was zu einer weiteren Sachverhaltsklärung führte. Die Unmöglichkeit hinsichtlich des "Bringens" der Antragstellerin durch ihre berufstätigen Eltern beziehe sich vor allem auf den Weg von der Schwimmhalle zur Schule um 7.30 Uhr (ca. 1,5 km) und von der Schule zur Trainingsstätte nachmittags (Behördenakte Bl. 90). Als die Antragstellerin über ihre Fahrschule die Zulassung zur theoretischen und praktischen Prüfung im November 2002 stellte, wurde sie nicht zugelassen. In einem Schreiben vom 11. Dezember 2002 teilte der Antragsgegner den gesetzlichen Vertretern der Antragstellerin mit, dass auf Grund der zwischenzeitlich bekannt gewordenen näheren Umstände die bisherige Auffassung der beabsichtigten vorzeitigen Fahrerlaubniserteilung für die Antragstellerin nicht aufrechterhalten werde. Nach wiederholter Prüfung der Sachlage handle es sich nicht um einen Härtefall. Allerdings könne die bereits absolvierte - zwei Jahre geltende - Ausbildung später mit Vollendung des 18. Lebensjahres berücksichtigt werden, sodass die bereits aufgewendeten Kosten und Mühen nicht verloren gingen. Daraufhin faxten die Eltern der Antragstellerin am 18. Dezember 2002 einen Brief an den Landrat des Landkreises Oberallgäu, in dem sie nochmals die Sachlage darstellten und ankündigten, die entstandenen Gutachterkosten (130,00 EUR) einklagen zu wollen; sie gaben dem Gefühl Ausdruck, ungerecht behandelt worden zu sein.
Am 2. Januar 2003 hat die Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren beantragt,den Antragsgegner zu verpflichten, die Antragstellerin zur vorzeitigen Fahrerlaubnisprüfung der Klasse B zuzulassen und die Fahrerlaubnis der Klasse B nach bestandener Prüfung in dem im Schreiben vom 7. Juni 2002 genannten Umfang zu erteilen.Das Schreiben vom 7. Juni 2002 stelle selbst einen die Klägerin begünstigenden Verwaltungsakt dar, aus dem sich der Rechtsanspruch auf Zulassung zur Fahrprüfung ergebe. Eine Aufhebung sei bislang nicht erfolgt. Die Antragstellerin habe sich auf die Aussagen des Beklagten verlassen und bereits Vermögensdispositionen getroffen (Fahrschulkosten, Bestellung eines Sponsor-Fahrzeugs). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liege in der Natur der Sache.
Der Antragsgegner beantragt,den Antrag abzulehnen.Das Schreiben vom 7. Juni 2002 stelle nur eine Zusicherung dar. An diese sei der Antragsgegner auf Grund der widersprüchlichen Angaben der gesetzlichen Vertreter der Antragstellerin nicht gebunden. Jedenfalls sei mit Schreiben vom 11. Dezember 2002 eine Rücknahme erfolgt. Eine besondere Eilbedürftigkeit sei nicht zu erkennen.
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bleibt in der Sache erfolglos.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 123 Abs. 1, 3 VwGO voraus, dass die Antragstellerin die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den sog. Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den sog. Anordnungsanspruch) glaubhaft macht.
Offen bleiben kann, ob sich die Antragstellerin auf einen Anordnungsgrund im Sinne "Abwendung wesentlicher Nachteile" berufen kann. Jedenfalls steht ihr derzeit kein Anordnungsanspruch zur Seite. Ein materieller Anspruch der Antragstellerin auf Zulassung zur vorzeitigen Fahrerlaubnisprüfung der Klasse B und anschließender Erteilung einer beschränkten Fahrerlaubnis bis 30. April 2003 aus einem bereits erlassenen Verwaltungsakt oder den § 74 Abs. 2, § 10 i.V.m. § 11 Abs. 3 Nr. 2 FeV oder Art. 38 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) besteht nicht.
1. Eine Härtefallsituation im Sinne der § 74 Abs. 2, § 10 FeV, die das (gerichtlich nur in den Grenzen des § 114 Satz 1 VwGO überprüfbare) Ermessen des Antragsgegners hinsichtlich der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung auf Null reduzieren würde, ist bei der Antragstellerin nicht ersichtlich. Vom Mindestaltererfordernis kann nur abgesehen werden, wenn dies nach einer verständigen Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Einzelnen notwendig ist, um eine - vom Verordnungsgeber nicht beabsichtigte - unbillige Härte zu vermeiden bzw. eine Abweichung im öffentlichen Interesse liegt (Bouska, Fahrerlaubnisrecht, 2. Aufl. 2000, § 74 Anm. 2.). Dabei ist zu bedenken, dass das Allgemeininteresse an der Verkehrssicherheit einen sehr hohen Stellenwert einnimmt und junge Fahranfänger an schweren Unfallgeschehen extrem überproportional beteiligt sind (Bouska, a.a.O., § 11 Anm. 19 c). Auch gibt § 10 Abs. 2 FeV einen Anhaltspunkt dafür, dass bei der Führerscheinklasse B grundsätzlich nur aus Berufs- und Ausbildungsgründen ein Unterschreiten der 18-Jahre-Grenze möglich ist. Das Erreichen des Schwimmtrainings kann der Wertigkeit einer Schul- und Berufsausbildung im vorliegenden Fall nicht gleichgestellt werden. Auch wenn die Antragstellerin mittlerweile Weltklasse-Niveau erreicht hat und zukünftig unter Umständen den Beruf Schwimmprofi anstrebt, so stellt derzeit das Trainieren nur eine - allerdings gewichtige - Freizeitaktivität neben ihrer Schulausbildung dar. Ein bloßer organisatorischer Vorteil für die Familie begründet noch keine Härte. Es geht hier um die Überbrückung des Weges von der Schwimmhalle zum Gymnasium ab 7.30 Uhr (ca. 1,5 km) und Erreichen der nächsten Trainingsstätte nach der Schule. Nur zu dieser Zeit sind die berufstätigen Eltern der Antragstellerin tatsächlich verhindert, ihre Tochter zu befördern. Es ist zu bedenken, dass auch bisher diese Wegüberbrückung organisiert wurde und einem 17-jährigen Mädchen ein Fahren mit dem Fahrrad bzw. zu Fuß gehen einer 1,5 km langen Strecke zumutbar ist. Ab 16 Jahren besteht zudem die Möglichkeit, einen Führerschein der Klasse A 1 oder M zu erwerben. Getroffene Vermögensdispositionen sind bei einer Härtefallprüfung unbeachtlich, da bei einer etwaigen Amtspflichtverletzung zivilrechtlich Ausgleich geschaffen werden kann bzw. u.U. öffentlich-rechtlich ein Vertrauensschaden zu ersetzen ist. Damit ergibt sich bei der Betrachtung und Abwägung der Interessen der Antragstellerin keine unbillige Härte, die eine Abweichung vom gesetzlichen Mindestalter rechtfertigen würde.
2. Das Schreiben des Antragsgegners vom 7. Juni 2002 (Gerichtsakte Bl. 6) stellt trotz des etwas missverständlichen Wortlauts des ersten Abschnittes ("wird genehmigt") entgegen der Ansicht der Antragstellerin noch nicht die Ausnahmegenehmigung vom erforderlichen Mindestalter selbst dar. Dies ergibt sich bei objektiver Betrachtung aus dem Kontext mit dem zweiten und dritten Abschnitt des Briefes, in dem die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung (positives medizinisch-psychologisches Gutachten) benannt werden und die Erteilung einer beschränkten Fahrerlaubnis im Falle der bestandenen Prüfung angekündigt wird. Mithin ist in diesem Schreiben lediglich eine Zusicherung im Sinne des Art. 38 Abs. 1 BayVwVfG zu sehen.
3. Diese vom Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin am 7. Juni 2002 abgegebene Zusicherung im Sinne des Art. 38 Abs. 1 BayVwVfG vermittelt der Antragstellerin derzeit keinen Anspruch auf Zulassung zur vorzeitigen Fahrerlaubnisprüfung der Klasse B.
Obwohl sich die Zusicherung wegen der inhaltlichen Verstöße gegen die FeV (vgl. oben) rechtswidrig darstellt, vermittelte sie der Antragstellerin ursprünglich einen Anspruch. Auch rechtswidrige Zusicherungen entfalten auf Grund ihres Wirksamwerdens Bindungswirkung für die Behörden (Art. 38 Abs. 2 BayVwVfG; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl. 2000, Rd.Nr. 7 zu § 38). Die Ansicht des Antragsgegners, dass die Führerscheinbehörde auf Grund veränderter Sachlage nicht mehr an die Zusicherung gebunden sei (Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG) ist abzulehnen. Hier änderte sich gerade nicht nach der Abgabe der Zusicherung die Sachlage. Die Eltern der Antragstellerin führten zum Zeitpunkt der Erstantragstellung richtig an, dass ein Fahrer ihrer Tochter fast immer unmöglich sei. Diese Aussage stimmt, wenn man den Zeitraum ab 7.30 Uhr und nachmittags betrachtet. Infolge der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß Art. 24 BayVwVfG wäre es Sache der Behörde gewesen, vor Abgabe der Zusicherung den Sachverhalt näher aufzuklären.
Allerdings wurde diese Zusicherung mit Schreiben des Antragsgegners vom 11. Dezember 2002 zurückgenommen (Art. 38 Abs. 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 BayVwVfG). Auch wenn die für einen Bescheid übliche Rechtsbehelfsbelehrung fehlt, geht doch aus dem Wortlaut des Schreibens, insbesondere der Passage, dass die bisherige Auffassung der Behörde nicht aufrecht erhalten werden könne, der Rücknahmecharakter hervor. Dass sich diese Zusicherungsaufhebung des Antragsgegners unter Umständen selbst ermessensfehlerhaft im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO (Ermessensausfall bzw. Ermessensdefizit) - also rechtswidrig - darstellt, ändert nichts an ihrer derzeitigen Wirksamkeit. Eine Anfechtung des Verwaltungsaktes "Rücknahme" mit der Konsequenz des Eintritts der aufschiebenden Wirkung ist bislang nicht erfolgt. Insbesondere kann ein Anfechtungswiderspruch nicht im Fax der gesetzlichen Vertreter der Antragstellerin an den Landrat vom 18. Dezember 2002 (Behördenblatt 118, 119) gesehen werden. Vielmehr stellt sich dieses Schreiben als formlose Gegenvorstellung dar, in der von einer bereits bestehenden Ausnahmegenehmigung ausgegangen wird.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Streitgegenständlich ist die Verpflichtung zur vorzeitigen Zulassung zur Fahrerlaubnisprüfung der Klasse B. Unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 606 ff.) ist daher nach II.45.2 der Auffangwert von 4.000 EUR anzusetzen; hiervon ist der Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach I.7 auf die Hälfte zu reduzieren.