Das Verkehrslexikon

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Verkehrsrechtliche Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen

Verkehrsrechtliche Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen




Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines



Einleitung:


Zu den Voraussetzungen einer Geschwindigkeitsbeschränkung hat der VGH Kassel (Urteil vom 19.02.2014 - 2 A 1465/13) einen Überblick geliefert:

   "Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken. Diese Befugnis wird durch § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO hinsichtlich Beschränkungen des fließenden Verkehrs dahin modifiziert, dass Voraussetzung hier eine besondere örtliche Gefahrenlage ist, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung durch Lärm und Abgase erheblich übersteigt. Diese Voraussetzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (seit Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 - BVerwGE 74, 234) dann erfüllt, wenn Lärm oder Abgase Beeinträchtigungen mit sich bringen, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss.


Die Grenze der Zumutbarkeit in diesem Sinne wird jedoch nach allgemeiner Auffassung durch keinen bestimmten Schallpegel bestimmt (siehe BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1993 - 11 C 45.92 -, juris Rn. 26; Bay. VGH, Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, juris Rn. 25). Es liegen auch keine auf Rechtsetzung beruhenden Grenzwerte für eine Lärmbelastung vor, die unmittelbar Anwendung finden können. Das hat das Verwaltungsgericht zutreffend im Einzelnen ausgeführt (Urteilsabdruck S. 10). Für die Beurteilung der Frage, wann die Zumutbarkeit einer Lärmbelastung im Zusammenhang mit dem Eingreifen der Ermächtigungsgrundlage nach § 45 Abs. 9 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO überschritten wird, können jedoch die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung (16. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz - 16. BImSchV -) als Orientierungspunkte herangezogen werden (BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1993, a. a. O.; Bay. VGH, Urteil vom 21. März 2012, a. a. O., Rn. 28). Wenn diese Schwelle der Lärmbelastung erreicht ist, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Straßenverkehrsbehörde erfüllt und die Behörde hat dann unter Gebrauch ihres Ermessens über Beschränkungen des fließenden Verkehrs zu entscheiden bzw. ist auf entsprechenden Antrag hin dann zu einer Ermessensentscheidung verpflichtet."

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Weiterführende Links:


Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit

Straßenverkehrsrechtliche Anordnungen

Tempo-30-Zone - Zonengeschwindigkeitsbeschränkungen

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Allgemeines:


BVerwG v. 12.09.1995:
Eine konkrete Gefahrensituation als Voraussetzung zur Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO kann auch auf einem langen Streckenabschnitt bestehen (hier. etwa 116 km einer Bundesautobahn).

BVerwG v. 21.01.1999:
Ist davon auszugehen, dass die auf einem bestimmten Streckenabschnitt - im Gegensatz zu benachbarten Abschnitten - beobachtete deutlich erhöhte Unfallhäufigkeit auf eine erhöhte Verkehrsdichte zurückzuführen war, welcher die Verkehrsteilnehmer nicht mit entsprechend herabgesetzten Geschwindigkeiten entsprochen hatten, dann ist die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung für diesen Abschnitt rechtmäßig.

BVerwG v. 15.04.1999:
Für ein Vorgehen von Straßenverkehrsbehörden in Form von - regelmäßig allein sachgerechten - weiträumigen Verkehrsbeschränkungen zum Schutz der Bevölkerung vor verkehrsbedingten erhöhten Ozonkonzentrationen in den Sommermonaten ("Sommersmog") hält das gültige Straßenverkehrs- und Immissionsschutzrecht über die Bestimmungen der §§ 40 a ff. BImSchG (Ozongesetz 1995) hinaus keine tauglichen Grundlagen bereit.


BVerwG v. 05.04.2001:
Die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO stellt seit jeher die Rechtsgrundlage für Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen dar. Entsprechende Anordnungen sind rechtmäßig, wenn eine Gefahrenlage vorliegt, die auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum erheblich übersteigt.

VGH Kassel v. 19.02.2014:
Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken. Diese Befugnis wird durch § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO hinsichtlich Beschränkungen des fließenden Verkehrs dahin modifiziert, dass Voraussetzung hier eine besondere örtliche Gefahrenlage ist, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung durch Lärm und Abgase erheblich übersteigt. Diese Voraussetzung ist dann erfüllt, wenn Lärm oder Abgase Beeinträchtigungen mit sich bringen, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss.

VGH Kassel v. 17.12.2015:
Mit der alleinigen Begründung, der Petitionsausschuss des Hessischen Landtages habe die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung für eine Ortsdurchfahrt befürwortet und der Hessische Landtag habe dieses Votum bestätigt, kann nicht eine an die Erfüllug der Voraussetzungen des § 45 Abs. 1, Abs. 9 Sätze 1 und 2 gebundene Geschwindigkeitsbeschränkung angeordnet werden. - Die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verbieten die Bindung der Exekutive an Empfehlungen des Petitionsausschusses, mit deren Umsetzung dem Begehren eines einzelnen Petenten wider geltendes Recht zur Durchsetzung verholfen würde.



VG Berlin v. 04.01.2016:
Anspruchsgrundlage hierfür ist . Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG beschränkt oder verbietet die zuständige Straßenverkehrsbehörde den Kraftfahrzeugverkehr nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, soweit ein Luftreinhalteplan dies vorsieht. Nach dem „Luftreinhalteplan 2011 bis 2017 für Berlin“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Abschnitt „M 2.12 Stadtverträgliche Geschwindigkeit auf Hauptverkehrsstraßen“, ist eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h anzuordnen, wenn im Bereich der konkreten Hauptverkehrsstraße im Jahr 2015 mit einer Überschreitung des NO2-Grenzwertes zu rechnen ist, sofern ein überwiegend stetiger Verkehrsfluss gesichert ist und die Belange des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sowie der anderen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer und die Anforderungen an ein leistungsfähiges Hauptverkehrsstraßennetz ausreichend berücksichtigt werden können sowie keine Verdrängung des Verkehrs in anderer schützenswerte Bereiche oder sogar in Nebenstraßennetz erfolgt. Ein behördliches Ermessen besteht dann nicht mehr.

OVG Münster v. 29.01.2019:
  1.  Ergänzt eine Behörde ihre Ermessenserwägungen zu einem Dauerverwaltungsakt im gerichtlichen Verfahren, ist diese änderung der Sachlage vom Tatsachengericht in prozessualer und materiell-rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen.

  2.  § 45 Abs. 1 StVO i. V. m. § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO setzt für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs auf Autobahnen eine qualifizierte konkrete Gefahrenlage voraus, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht und das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung relevanter Rechtsgüter erheblich übersteigt.

  3.  Die Auswahl der Mittel, mit denen die konkrete Gefahr bekämpft oder gemildert wer-den soll, muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Bei der Frage, welche von mehreren in Betracht zu ziehenden Maßnahmen den bestmöglichen Erfolg verspricht, steht der Straßenverkehrsbehörde aufgrund ihres Sachverstandes und ihres Erfahrungswissens eine Einschätzungsprärogative zu.

VGH München v. 29.01.2021:
Eine verkehrsrechtliche Anordnung setzt zwar nicht voraus, dass Schadensfälle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (BVerwG, U.v. 23.9.2010 – 3 C 37.09 – BVerwGE 138, 21 = juris Rn. 27; BayVGH, U.v. 5.6.2018 – 11 B 17.1503 – KommunalPraxis BY 2018, 320 = juris Rn. 26). Hat aber – wie hier – eine langjährig bestehende verkehrsrechtliche Lage ohne offensichtlich hohes Gefahrenpotential noch nie zu einem Unfall geführt, ist dies durchaus ein Anhaltspunkt dafür, dass es an einer besonderen Gefahrenlage fehlt. - Es obliegt der Straßenverkehrsbehörde, die einer verkehrsrechtlichen Anordnung zugrundeliegenden Umstände zu ermitteln, zu dokumentieren und aktenkundig zu machen. Sie trägt die materielle Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Anordnung eines Verkehrszeichens erfüllt sind (BayVGH, B.v. 28.12.2020 – 11 ZB 20.2176 – juris Rn. 22).

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