Das Erfordernis der Weiterbenutzung des Unfallfahrzeugs nach einer Reparatur im Rahmen der 130-%-Grenze für mindestens sechs Monate berechtigt den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nicht, für diesen Zeitraum ein Zurückbehaltungsrecht an der Entschädigungsleistung geltend zu machen.
Zum Sachverhalt: Die Klägerin nahm die Beklagte auf Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls in Anspruch. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach war zwischen den Parteien unstreitig.
Der PKW der Klägerin hatte nach dem Unfallereignis einen Wiederbeschaffungswert von 4 900,- Euro und einen Restwert von 1.800,- Euro. Die Klägerin ließ das Fahrzeug fachgerecht für 5.840,07 Euro reparieren. Die Beklagte zahlte auf der Basis der Totalschadenabrechnung an die Klägerin 3.100,- Euro auf den Fahrzeugschaden. Eine weitergehende Zahlung lehnte sie mit der Begründung ab, zum Nachweis des Integritätsinteresses der Klägerin sei eine sechsmonatige Weiterbenutzung des PKW nach Durchführung der Reparatur erforderlich, vorher sei ein weitergehender Anspruch der Klägerin nicht fällig.
Das Amtsgericht ist der Auffassung der Beklagten gefolgt und hat die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils vom 29.04.2008 wird Bezug genommen.
Die Klägerin hat dagegen Berufung eingelegt und aufgrund zwischenzeitlichen Ablaufs der 6-Monatsfrist und weiterer Zahlung der Beklagten ihren Antrag umgestellt.
In Höhe von 2.740,07 Euro haben die Parteien den Rechtsstreit mit wechselseitigen Kostenanträgen übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Beklagte verteidigt die Gründe des angefochtenen Urteils unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach nach ihrer Auffassung die 6-Monats-Wartefrist auch bei fachgerecht durchgeführter Reparatur gelte.
Die Berufung war erfolgreich.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Soweit die Parteien den Rechtsstreit nicht übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben und die Klägerin ihren Anspruch mit der Berufung weiterverfolgt, ist die Klage begründet.
Die Klägerin kann von der Beklagten gem. §§ 288 I, 280 II, 286 II Nr. 3 BGB die geltend gemachten Zinsen und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.
Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der restlichen Reparaturkosten war bereits vor Ablauf der 6-Monatsfrist fällig. Der Beklagten stand kein Zurückbehaltungsrecht bis zum Ablauf der Frist zu.
Die Auffassung der Berufung ist zwar insofern zutreffend, als der Geschädigte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH NJW 2008, 134 f. und zuletzt BGH Urteil vom 22.04.2008 - VI ZR 237/07 -) sein für den Zuschlag von bis zu 30 % erforderliches Integritätsinteresse regelmäßig dadurch hinreichend zum Ausdruck bringt, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt. Wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen, wird danach ein Zeitraum von 6 Monaten anzunehmen sein. Daraus folgt indes nicht, dass ein Anspruch des Geschädigten auf vollständigen Ersatz seines Schadens stets erst nach Ablauf der Frist fällig wird. In den den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zugrunde liegenden, mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbaren Konstellationen, ging es nicht darum, wann der Anspruch des Geschädigten fällig wird, sondern allein um die Frage, wie lange der Geschädigte sein Fahrzeug weiternutzen muss, um sein Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck zu bringen. Nur darüber hat der Bundesgerichtshof entschieden. Dass der Geschädigte in jedem Fall die zulässige Reparatur seines Fahrzeugs im Rahmen der „130-%-Grenze“ bis zum Ablauf der Frist vorfinanzieren muss, ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu entnehmen (vgl. zum Ganzen auch Wittschier, NJW 2008, 898, 899 m.w.N.).
Das für einen Anspruch auf vollständige Erstattung der Reparaturkosten innerhalb der „130 %- Grenze“ im Totalschadenfall erforderliche Integritätsinteresse hatte die Klägerin hier ausreichend dargelegt. Die Klägerin hat ihr Fahrzeug vollständig und fachgerecht reparieren lassen und tatsächlich weiterbenutzt. Anhaltspunkte dafür, dass sie das Fahrzeug nur eine kürzere Zeit als 6 Monate weiternutzen wollte, bestanden nicht. Vielmehr hat die Klägerin von vornherein erklärt, den PKW selbst weiternutzen zu wollen und der Beklagten versichert, ihr ihre fortbestehende Haltereigenschaft auch nach Ablauf der Frist nachzuweisen. ..."