Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung, dass jedenfalls ein 8jähriges Kind, das ein Fahrrad hinreichend sicher zu fahren vermag, über die Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden ist und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, auch ohne Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen kann, um etwa zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten geläufigen Weg zurückzulegen.Aus den Entscheidungsgründen:
"Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache unbegründet.
Allerdings ist die Anhörung der Klägerin zum Hergang des Verkehrsunfalls vom 14.10.2007 verfahrensfehlerhaft unterblieben. Zeugen, die den Hergang des Verkehrsunfalls hätten schildern können, sind nicht vorhanden. Die Beklagten befanden sich zum Unfallzeitpunkt 200 bis 300 m von der Unfallstelle entfernt und konnten deshalb auch keine konkreten Angaben zum Unfallhergang machen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist die Anhörung der Klägerin zur Aufklärung des Sachverhalts unverzichtbar. Sie eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, über § 286 ZPO Feststellungen zum Unfallhergang zu treffen.
Die Kammer hat die Anhörung der Klägerin nachgeholt. Danach stellt sich die Unfallsituation so dar, dass die Klägerin im Bereich einer engen Straße eine Linkskurve durchfuhr, und zwar mit einer Geschwindigkeit von höchstens 20 km/h. Im Kurvenbereich kam ihr der Sohn der Beklagten mit seinem Fahrrad entgegen. Der Fahrradfahrer fuhr mitten auf der Fahrbahn. Die Klägerin bremste ihr Fahrzeug ab und kam zum Stehen. Zwischen Abbremsen und der Kollision lag nach der Einschätzung der Klägerin keine große Zeit: „Ich stand und dann krachte es schon.“
Die Klägerin hat das Unfallgeschehen plausibel dargestellt. Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Unfall anders zugetragen hat. Auch die Beklagten haben offensichtlich keine anderen Auskünfte von ihrem Sohn erhalten. Ansonsten wäre es nicht erklärlich, weshalb zunächst versucht worden ist, über die Haftpflichtversicherung eine Schadensregulierung für die Klägerin zu erreichen.
Eine Haftung der Beklagten für die Verletzung ihrer Aufsichtspflicht aus § 832 Abs. 1 BGB scheidet dennoch aus. Denn die Beklagten haben ihre Aufsichtspflicht nicht dadurch verletzt, dass sie ihren minderjährigen Sohn zum Unfallzeitpunkt ohne Sichtkontakt im öffentlichen Straßenverkehr haben Fahrrad fahren lassen.
Das Maß der gebotenen Aufsicht (Überwachung, Belehrung, erforderliche Kontrollen) bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie nach der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens, insgesamt danach, was verständige Eltern vernünftigerweise in der konkreten Situation an erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern (Palandt-Sprau, BGB, 67. Aufl. § 832 Rn. 10).
Das Kind der Beklagten war im Unfallzeitpunkt 8 Jahre alt. Üblicherweise und in diesem Sinne hat auch das Oberlandesgericht Oldenburg bereits unter Geltung der Neufassung des § 828 BGB entschieden (OLG Oldenburg, Urteil vom 04.11.2004, 1 U 73/04), werden Kinder jedenfalls zu Beginn der allgemeinen Schulpflicht mit 6 Jahren an die Teilnahme im Straßenverkehr herangeführt und gewöhnt. Dabei steht zunächst die Verkehrsteilnahme als Fußgänger und die Zurücklegung des Schulweges ohne Begleitung der Eltern im Vordergrund. Nachdem dies erfolgreich geschehen ist, folgt üblicherweise auch die Teilnahme als Radfahrer im Straßenverkehr, und zwar ohne Begleitung der Eltern, nachdem das Kind das Fahrradfahren technisch beherrscht, hinreichende Fahrsicherheit gegeben ist, die wesentlichen Verkehrsregeln erlernt und die Eltern sich – insbesondere durch entsprechende Kontrollen – vergewissert haben, dass sie ein verkehrsgerechtes Verhalten ihrer Kinder im Straßenverkehr erwarten dürfen. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung, dass jedenfalls ein 8jähriges Kind, das ein Fahrrad hinreichend sicher zu fahren vermag, über die Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden ist und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, auch ohne Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen kann, um etwa zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten geläufigen Weg zurückzulegen.
Im vorliegenden Fall hat die Anhörung der Beklagten ergeben, dass ihr Sohn bereits mit 4 Jahren das Fahrradfahren erlernt hat. Es gab darüber hinaus eine Verkehrserziehung im Kindergarten und auch in der Grundschule. Der Sohn der Beklagten hat auch schon vor dem Unfallgeschehen allein mit seinem Fahrrad am Straßenverkehr teilgenommen, beispielsweise um seine Freunde in der Siedlung zu besuchen. Der Sohn der Beklagten hat sich dabei, so die Bekundungen seiner Eltern, als normaler Junge, der ganz normal Fahrrad fuhr, gezeigt. Die Kammer hat keine Veranlassung, den Bekundungen der Beklagten keinen Glauben zu schenken. Die von ihnen beschriebene Entwicklung des Kindes ist lebensnah dargestellt worden. Der Sohn der Beklagten ist so auf die Teilnahme am Straßenverkehr herangeführt worden, wie es allgemein üblich ist. Anhaltspunkte dafür, dass das Kind im Straßenverkehr bereits vor dem hier zu beurteilenden Unfallgeschehen auffällig geworden ist, sind nicht vorhanden.
Es gibt keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.
Die Haftungsprivilegierung des § 828 Abs. 2 BGB für noch nicht 10 Jahre alte Kinder führt nicht zu einer erhöhten Aufsichtspflicht der Eltern. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat sich mit dieser Fragestellung in der o.g. Entscheidung befasst und die Rechtslage dezidiert dargelegt. Dieser rechtlichen Bewertung ist die Kammer gefolgt. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.04.2007 (BGH 172, 83 ff.) steht dem nicht entgegen, denn der Bundesgerichtshof hat sich in dieser Entscheidung ausschließlich mit dem Regelungsinhalt des § 828 Abs. 2 BGB befasst, nämlich mit der beschränkten Deliktsfähigkeit von Kindern. ..."