Kommt es zur Kollision eines vorwärts fahrenden Fahrzeuges mit einem zurücksetzenden Auto, spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Zurücksetzenden. Dies gilt auch, wenn der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt bereits zum Stehen gekommen ist, wenn noch ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang zwischen dem Zurücksetzen und der Kollision vorliegt.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die Berufung der Klägerin bietet keine Aussicht auf Erfolg. Die Kammer beabsichtigt deshalb, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten aus den §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Absatz BGB - hinsichtlich der Beklagten zu 2) i.V.m. § 3 PflVersG a.F. (jetzt § 115 VVG) - verneint.
Der Umfang der Ersatzpflicht im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter / Versicherer hängt gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Dass der Unfall vom 29.10.2007 hier für einen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis i.S. des § 17 Abs. 3 S. 1 StVG darstellte, ist nicht ersichtlich. Soweit sich die Klägerin nunmehr in der Berufungsinstanz sogar auf ein für sie unabwendbares Ereignis beruft, ist der diesbezügliche Vortrag unsubstantiiert. Zu der Kollision mit der Beklagten zu 1) ist es unstreitig im Zusammenhang mit einem Ausparkvorgang der Klägerin aus einer - wie sie selbst vorträgt - sehr unübersichtlichen Parklücke gekommen. Ein „Idealfahrer“ hätte sich in dieser Situation eines Einweisers bedient, um von vornherein jegliche Gefährdung des fließenden Verkehrs auszuschließen.
Entscheidende Frage ist deshalb, welche jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteile in die gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung einzubeziehen sind.
1) Unter Zugrundelegung des beiderseitigen Parteivortrages und des Ergebnisses der Beweisaufnahme zum Unfallhergang spricht gegen die Klägerin der Anscheinsbeweis eines Verstoßes gegen die deutlich erhöhten Sorgfaltspflichten der §§ 9 Absatz 5 und 10 Satz 1 StVO.
In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob das Fahrzeug der Klägerin - wie diese es behauptet - zum Zeitpunkt der Kollision bereits gestanden hat, oder ob die Beklagte zu 1) in das rückwärts fahrende Fahrzeug der Klägerin gefahren ist. Denn der Grundsatz, dass im Falle einer Kollision der Anschein gegen den Zurücksetzenden spricht (vgl. Hentschel, 40. Auflage, Rn. 51 zu § 9 StVO), gilt auch dann, wenn der Zurücksetzende zum Kollisionszeitpunkt bereits zum Stehen gekommen ist, gleichwohl aber ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem Zurücksetzen gegeben ist ( OLG Köln, Urteil vom 19.07.2005, 4 U 35/04, BeckRS 2005 m.w.N., 09836; LG Berlin, Urteil vom 19.10.2000, 58 S 112/00, Juris; AG Hamburg, Urteil vom 16.02.2006, 51a C 121/05, Juris). Ein solcher „enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang“ besteht hier. Auch nach den eigenen Angaben der Klägerin ereignete sich der Unfall nach einer allenfalls sehr kurzen Standzeit ihres Fahrzeugs. Die Klägerin hat damit den Grundsatz, dass beim Rückwärtssetzen die größtmögliche Sorgfalt gefordert wird, missachtet.
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin vorliegend einen „Korrekturzug“ ausführen wollte. Zwar ist zweifelhaft, ob § 9 Absatz 5 StVO auch beim Rückwärtsrangieren im Verhältnis zu anderen parkenden Fahrzeugen gilt. Jedenfalls gegenüber dem fließenden Verkehr gilt die besondere Sorgfaltspflicht auch beim Rangieren uneingeschränkt (Hentschel, a.a.O.). Auch die Tatsache, dass die Beklagte zu 1) unmittelbar vor der Kollision möglicherweise einen leichten Schlenker nach Rechts vorgenommen hat, um dem links auf der Fahrbahn stehenden Ehemann der Klägerin auszuweichen, steht der Annahme des Anscheinsbeweises zu Lasten der Klägerin nicht entgegen. Zum einen gilt der Vorrang des fließenden Verkehrs über die gesamte Straßenbreite. Zum anderen kann der Beklagten zu 1) ein Schlenker nach rechts allein deshalb nicht vorgeworfen werden, weil gemäß § 2 Absatz 2 StVO ohnehin möglichst weit rechts zu fahren ist.
Gegen die Klägerin spricht ferner der Anschein eines Verstoßes gegen § 10 Satz 1 StVO. Ausweislich der von den Parteien zur Akte gereichten Fotos ist die Klägerin über einen „abgesenkten Bordstein“ i.S. dieser Norm hinweg auf die Fahrbahn eingefahren. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit diesem Vorgang ist es zur Kollision mit der Beklagten zu 1) gekommen. Bei dieser Sachlage spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Klägerin die aus § 10 Satz 1 StVO resultierenden äußersten Sorgfaltspflichten gegenüber dem fließenden Verkehr missachtet hat (vgl. dazu auch Hentschel, 40. Auflage, Rn. 11 zu § 10 StVO).
2) Demgegenüber ist auf der Seite der Beklagten lediglich die einfache Betriebsgefahr in die Abwägung einzustellen. Ein Verschulden der Beklagten zu 1) ist nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang kann ebenfalls dahinstehen, ob das Fahrzeug der Klägerin zum Kollisionszeitpunkt stand oder aber in Bewegung war. Zutreffend weist das Amtsgericht darauf hin, dass der Beklagten zu 1) ein Verschuldensvorwurf allenfalls dann gemacht werden könnte, wenn das Fahrzeug der Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Abbiegens der Klägerin um die Kurve gut sichtbar auf der Straße gestanden hätte. In diesem Fall wäre die Beklagte zu 1) gewissermaßen „sehenden Auges“ in das Fahrzeug der Klägerin hineingefahren, was ohne weiteres einen Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot des § 1 Absatz 2 StVO begründen würde. Dies trägt die Klägerin jedoch weder substantiiert vor, noch liegen dafür objektive Anhaltspunkte vor. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen im amtsgerichtlichen Urteil Bezug genommen werden. Der Erhebung des von der Klägerin angebotenen (Sachverständigen-) Beweises bedurfte es nicht. Aus den oben unter 1) dargestellten Gründen kommt es allein auf die Frage, ob das Fahrzeug der Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision bereits gestanden hat, nicht an.
Der Beklagten zu 1) ist schließlich kein Verstoß gegen die Geschwindigkeitsvorschriften der StVO (§ 3) vorzuwerfen. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin, die Beklagte sei mit „überhöhter Geschwindigkeit“ gefahren, ist bereits unsubstantiiert. Die Klägerin gibt schon nicht an, mit welcher ungefähren Geschwindigkeit die Beklagte zu 1) gefahren sein soll. Im Übrigen hat der Zeuge X die Geschwindigkeit der Beklagten zu 1) mit etwa 20 - 30 km/h angegeben. Eine Geschwindigkeit in dieser Größenordnung ist an der fraglichen Unfallstelle - die sich vergleichsweise übersichtlich darstellt - nicht zu beanstanden.
3) Unter Zugrundelegung der dargestellten Umstände teilt die Kammer die Wertung des Amtsgerichts, die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) trete hinter das Verschulden der Klägerin vollständig zurück. Eine Haftung der Beklagten besteht deshalb bereits dem Grunde nach nicht.
II.
Die Kammer beabsichtigt deshalb, nach eingehender Prüfung angesichts der zuvor dargestellten Sach- und Rechtslage die Berufung gemäß § 522 Absatz 2 ZPO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen.
Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Berufung offensichtlich unbegründet ist. Es reicht vielmehr aus, dass nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage das Berufungsgericht eine Aussicht auf Erfolg verneint und keine weitere Sachaufklärung notwendig ist (vgl. dazu OLG Celle, NJW 2002, 2400 (2401) und NJW 2002, 2800 ff.; OLG Rostock NJW 2003, 1676 (1677); OLG Köln, JMBl NRW 2004, 8 ff). Dies ist hier der Fall.
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Absatz 2 Ziffer 2 u. 3 ZPO sind gegeben, denn die Rechtssache hat weder eine allgemeine grundsätzliche Bedeutung, noch fordert die Fortbildung des Rechts eine tatsächliche Entscheidung der Kammer in der Sache. ..."