Wird vor einer unübersichtlichen Kreuzung vor querenden Radfahrern mit einem Gefahrenschild gewarnt, muss ein vorfahrtberechtigter Motorradfahrer sich zwar nicht mit maximalen 45 km/h der Kreuzung annähern, jedoch ist eine Geschwindigikeit von 65 km/h bei erlaubten 70 km/h zu schnell. Der wartepflichtige Radfahrer haftet für den Schaden des Motorradfahrers gleichwohl zu 70%, sofern er diesen bei sorgfältiger Beobachtung der Fahrbahn hätte sehen können.Zum Sachverhalt: Der Kläger und der Beklagte haben in erster Instanz mit Klage und Widerklage Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 28.8.2008 um 12:55 Uhr außerorts geltend gemacht. Dabei hat der Kläger der Höhe nach unstreitigen Schadensersatz wegen der Beschädigung seines Motorrades verlangt, während der Beklagte Widerklage erhoben und den Kläger sowie den Widerbeklagten zu 2) als Haftpflichtversicherer des Motorrades auf Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz,. insoweit wegen der Beschädigung seines Fahrrades, in Anspruch genommen hat.
Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad Triumph 950 l Daytona die L.… in Richtung Südosten, auf der im Bereich der Unfallstelle eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h zulässig war. Vor der Kreuzung mit einem untergeordneten Wirtschaftsweg war das Gefahrenzeichen 138 (Radfahrer kreuzen) aufgestellt. Auf diesem Weg näherten sich in Sicht des Klägers von rechts (aus Südwest) der Beklagte und seine Ehefrau auf Fahrrädern. Sie beabsichtigten, die L.… überqueren, hielten zunächst an und stiegen vom Rad. Dann betrat der Beklagte zunächst schiebend die Fahrbahn der Landstraße. Seine Sicht nach links auf die Landstraße war durch Bäume und Büsche ebenso eingeschränkt wie die Sicht des Klägers auf die rechte Einmündung.
Der Kläger fuhr etwa in der Mitte des rechten Fahrstreifens. Um einen Unfall mit dem Beklagten zu vermeiden, lenkte leicht nach links und leitete eine Vollbremsung ein. Dabei kam er zu Fall und rutschte auf den Beklagten zu. Die Kollision fand etwa in der Mitte der Fahrbahn statt.
Der materielle Schaden des Klägers betrug 6.304,89 Euro. Der Beklagte wurde bei dem Unfall schwerverletzt (drittgradiges Schädelhirntrauma, Schädelbasisbruch und Fraktur des Schlüsselbeins).
Der Kläger hat behauptet, er sei weniger als 70 km/h schnell gefahren, da er die Geschwindigkeit wegen der Geschwindigkeitsbeschränkung schon vor der Brücke reduziert habe. Er habe deshalb ausgekuppelt und Gas weggenommen. Der Beklagte sei plötzlich aus den Büschen von rechts aufgetaucht und bis zur Mitte der Fahrbahn gegangen, dann stehen geblieben bzw. habe mehrere kurze Bewegungen vor und zurück gemacht, so dass er keine Möglichkeit mehr zum Ausweichen gehabt habe. Vielmehr habe er sofort die Vollbremsung eingeleitet und noch versucht, von dem Beklagten weg nach links zu lenken.
Der Beklagte hat behauptet, er habe - nachdem er möglichst weit nach links die Straße eingesehen habe, ohne den Kläger sehen zu können - mit der Querung der Landstraße begonnen und sei stehen geblieben, als er den Kläger bemerkt habe. Dieser habe genügend Platz gehabt, ihn zu umfahren, aber aufgrund einer falschen Reaktion eine Vollbremsung eingeleitet.
Das Landgericht hat dem Kläger nach Anhörung der Unfalibeteiligten sowie Vernehmung der Zeugen C, I, V. und W. V sowie Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen H 70 % seiner Klageforderung zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Unfall auf einem schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten beruhe. Er habe gegen die Sorgfaltspflichten aus § 25 Abs. 3 StVO verstoßen. Bei Beobachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte er nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen H. den Unfall vermeiden können.
Der Sachverständige habe das nach dem Ergebnis der übrigen Beweisaufnahme festzustellende Bewegungsbild des Beklagten beim Überqueren der Straße zugrunde gelegt. Danach sei der Beklagte zunächst schnell gehend in die Fahrbahn getreten und habe dann etwa in der Mitte begonnen, auf sein Fahrrad aufzusteigen.
Der Anspruch des Klägers sei gem. § 254 BGB um 30 % zu mindern. Er habe schuldhaft gegen § 3 Abs. 1 StVO verstoßen und das Gefahrenzeichen 138 missachtet. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Kläger mindestens 65 km/h schnell gefahren und hätte unter für ihn günstigen Annahmen bei 45 km/h den Unfall vermeiden können. Aufgrund der Erkennbarkeit der Einmündung des Wirtschaftsweges hätte der Kläger seine Annäherungsgeschwindigkeit nach dem Verkehrszeichen 138 stark reduzieren müssen. Er weitergehendes Verschulden des Klägers sei allerdings nicht feststellbar. Die Reaktion des Klägers sei nach dem Sachverständigengutachten angemessen und verkehrsgerecht gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Der Kläger begehrte mit seiner Berufung eine weitergehende Verurteilung des Beklagten auf Grundlage einer von ihm angenommenen Haftung des Beklagten zu 100 %. Das Landgericht habe seine Haftung zu Unrecht gemindert. Dem Verkehrszeichen 138 habe er ausreichend Rechnung getragen, da er nur 65 km/h schnell gefahren sei. Der Sachverständige habe bestätigt, dass er unmittelbar nach Erkennen des Beklagten sofort reagiert und die Vollbremsung eingeleitet habe. Eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 45 km/h, also um mehr als 1/3 der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sei nicht geboten gewesen.
Die Berufung des Klägers blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Nach Rücknahme der Berufung der Widerbeklagten ist nur mehr über die Berufung des Klägers zu befinden, die sich gegen die teilweise Abweisung seiner Klage richtet. Diese Berufung ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg.
Das Landgericht hat der Klage zu Recht nur teilweise entsprochen und bei der Haftungsverteilung eine zutreffende Quote von 30:70 zu Lasten des Beklagten zu Grunde gelegt. Die Berufung vermag eine geringere Haftungsminderung oder gar eine Alleinhaftung des Beklagten nicht zu begründen.
1.) Dabei ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Unfall ganz überwiegend von dem Beklagten verschuldet worden ist. Denn dieser hatte jedenfalls als Radfahrer nach § 8 Abs. 2 StVO bzw. als Fußgänger gem. § 25 Abs. 3 StVO die Vorfahrt des Klägers zu beachten. Es war ihm nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen H. möglich, den Kläger bei einem gewissenhaften Blick nach links so rechtzeitig zu erkennen, dass er hätte stehen bleiben können, bevor es zur Gefahr einer Kollision mit dem herannahenden Kläger hätte kommen können. Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass der Beklagte jedenfalls in der Phase zwischen dem Entschluss, mit dem Queren der Landstraße zu beginnen, und dem ersten Schritt in diese Richtung bei aufmerksamer Beobachtung des linken Verkehrsraums den Kläger hatte erkennen und stehen bleiben können. Das ist auch deutlich belegt durch die Lichtbilder, die noch am Unfalltag von den aufnehmenden Polizeibeamten gefertigt wurden und von dem Sachverständigen eingehend ausgewertet worden sind. Danach war die Sicht des Beklagten nach links zwar durch Bewuchs am Straßenrand beeinträchtigt, jedoch ermöglichte ihm ein vorsichtiges Annähern an den Straßenrand, einen Entfernungsbereich von 56-75 m einzusehen. In diesem Bereich hat sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt mit seinem Motorrad befunden. Das ergibt sich nachvollziehbar aus der Weg-Zeit-Berechnung des Sachverständigen. Wegen dieser visuellen Wahrnehmbarkeit kann den Beklagten auch nicht entlasten, dass er das Motorrad nur schlecht hören konnte, weil der Kläger ausgekuppelt hatte und im Leerlauf auf der abschüssigen Straße fuhr.
2.) Die Haftungsminderung hat das Landgericht zutreffend bemessen. Der Kläger hat sich dabei auch im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB die Betriebsgefahr seines Motorrades anrechnen zu lassen. Diese Betriebsgefahr tritt in Abwägung zu dem Verschuldensbeitrag des Beklagten nicht vollständig zurück. Denn bei der Abwägung war neben der Mitverursachung des Unfalls durch den Kläger auch ein Mitverschulden zu berücksichtigen. Denn der Kläger ist nach den ihm günstigen sachverständig ermittelten Unfalldaten und dem daraus folgenden Unfallhergang mit 65 km/h zu schnell gefahren.
Eine höhere Geschwindigkeit konnte allerdings nach der vom Landgericht zutreffend gewürdigten Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Das Überholen des Zeugen I. mit womöglich höherer Geschwindigkeit fand vor der Brücke statt und war längst abgeschlossen, als der Kläger den Kreuzungsbereich erreichte. Dass die Annäherungsgeschwindigkeit nicht niedriger als 65 km/h gewesen sein kann, ist dagegen durch das Sachverständigengutachten festgestellt. Denn der Sachverständige hat überzeugend anhand der dokumentierten Unfallspuren und der Endlage des Motorrades bzw. des Fahrrades, das durch den Unfall ca. 20 m weit geschleudert wurde, unter Berücksichtigung der Masseverhältnisse eine Kollisionsgeschwindigkeit von 58-67 km/h ermittelt. Durch den Aufprall auf das Fahrrad hat das Motorrad eine Geschwindigkeit von ca. 10 km/h einbebüßt. Dabei hat der Sachverständige zu Grunde gelegt, dass der Beklage zum Kollisionszeitpunkt auf dem Fahrrad saß und die linke Pedale hochgestellt war. Dafür spricht neben der glaubhaften Aussage der Zeugen V, die den Beklagten zum Unfallzeitpunkt in Bewegung auf seinem Fahrrad sitzen gesehen haben, auch die Tatsache, dass der Beklagte sich bei dem Unfall keine erheblichen Verletzungen am Bein zugezogen hat. Diese wären aber zu erwarten gewesen, wenn er ber der Kollision mit dem rutschenden Motorrad die Füße am Boden gehabt hätte. So lässt sich auch die Lage des Beklagten nach dem Unfall erklären, da er bei dieser Annahme lediglich einen Teilstoß erfahren und weniger weit geschleudert worden ist als bei einer direkten Kollision mit dem Motorrad. Der Beklagte blieb nach den Berechnungen etwa 3,5 m von dem Kollisionsort entfernt auf der rechten Fahrspur liegen. Vor der Kollision hatte der Kläger eine Blockierbremsung eingeleitet, die zu seinem Sturz führte. Unter Berücksichtigung der für diese Phase anzunehmenden Verzögerung hat der Sachverständige nachvollziehbar eine Annäherungsgeschwindigkeit von 65-75 km/h errechnet. Dass der Kläger vor Beginn der Bremsspur eine Angleichbremsung durchgeführt hat, ist nicht erweislich. Denn dafür konnte der Sachverständige keine objektiven Hinweise ermitteln. Auch die Angaben des Klägers im Senatstermin sprechen dagegen.
Der Kläger war allerdings vor der Gefahr, dass Radfahrer die Landstraße kreuzen könnten, durch das Gefahrenzeichen 138 - in Fahrtrichtung jenseits der Brücke - gewarnt. Auch wenn ein dem Warnzeichen entsprechendes Gefahrensignal noch nicht wahrzunehmen war und also der Beklagte mit seinem Rad noch nicht auffällig geworden war, hatte sich der Kläger vorsorglich auf möglicherweise kreuzende Radfahrer einzurichten. Denn dazu forderte die Beschilderung auf, ohne dass eine Gefahr, vor der gewarnt wird, schon sichtbar geworden sein müsste (OLG Düsseldorf VersR 1981, 537 m.w. Nachweisen). Daraus folgt allerdings noch keine generelles Gebot die Geschwindigkeit herabzusetzen, aber doch die Aufforderung zu einer Fahrweise, die bei gespannter Aufmerksamkeit erfolgreiche Abwehrreaktionen gegenüber einem plötzlichen Gefahrensignal gewährleistete. Angesichts der ungenügenden Sicht des Klägers auf den kreuzenden Wirtschaftsweg, dessen westliche Einmündung, aus der der Beklagte mit seiner Ehefrau kam, erst auf eine Entfernung von unter 75 m überhaupt auszumachen war, ohne dass diese freilich wegen des Sicht hindernden Bewuchses einsehbar gewesen wäre, waren 65 km/h für das Motorrad zu schnell. Der Kläger müsste nämlich damit rechnen, dass die erschwerten Sichtverhältnisse auch für Radfahrer, die die Landstraße zu queren beabsichtigten, die Gefahr begründeten, das Motorrad nicht schon im ersten Augenblick seiner Wahrnehmbarkeit zu erfassen, wie das vorliegenden Fall auch gewesen ist. So war der Kläger nur noch 39 bis 52 m vom späteren Kollisionsort entfernt, als der Beklagte 80 cm weit in die Fahrlinie des Klägers eingedrungen war, also gerade mal einen Schritt in die Fahrbahn gesetzt hatte. Bedenkt man, dass nach sachverständiger Beurteilung bei einer Bremsverzögerung von 5 m/sec^ ein unkritischer, weil ein Sturzrisiko minimierender Anhalteweg aus 65 km/h gut 50 m beträgt, offenbart sich von allein, dass bei einer solchen Geschwindigkeit eine unfallvermeidende Gefahrenabwehr nicht sicher gestellt war.
Nun folgt der Senat zwar nicht der Auffassung des Landgerichts, dass der Kläger allenfalls 45 km/h hätte fahren dürfen, was nach der technischen Unfallanalyse zur Vermeidung des Unfalls geführt hätte. Denn die Landstraße war gut ausgebaut und nicht unübersichtlich. Außerdem war es in erster Linie Sache der kreuzenden Radfahrer, die gefahrenträchtige Querung der übergeordneten Straße durch entsprechend hohe Eigensorgfalt sicher zu stellen, wie die Ausführungen zum Fehlverhalten des Beklagten zeigen. Andererseits aber bedeuteten solche Radfahrer, zumal wenn sie erst im letzten Augenblick Sichtbarwerden mochten, für den bevorrechtigten Verkehr ein hohes Gefahrenrisiko vergleichbar mit innerörtlichen Straßenverkehrsverhältnissen, bei denen regelmäßig, insbesondere bei hoher Verkehrsdichte, mit unerwartetem Querverkehr durch Fußgänger zu rechnen ist. Deshalb wäre auch hier eine solchen Umständen angepasste Geschwindigkeit geboten gewesen, weil dann sowohl der Kläger als auch der Beklagte eine größere räumliche und zeitliche Reserve für eine Unfallabwehr gehabt hätten. Wäre der Kläger jenseits des Warnzeichens nur 50 km/h schnell gewesen, wäre der Unfall nach der sachverständigen Unfallanalyse räumlich vermeidbar gewesen, weil der Beklagte dann die kritische Unfallposition bereits geräumt gehabt hätte, als der Kläger diese erreichte. Aber selbst wenn der Beklagte noch vom Motorrad erfasst worden wäre, hätte es nicht zu den schweren Verletzungen des Beklagten kommen können, weil das Motorrad im Augenblick d Kollision nur noch eine geringe Restgeschwindigkeit gehabt hätte. Zwar schließen geringe Kollisionsgeschwindigkeiten schwere Verletzungen davon betroffener Verkehrsteilnehmer nicht schlechthin aus; hier aber wäre dergleichen nicht zu befürchten gewesen, weil es zu keinem Vollstoß zwischen dem Kläger, dessen Motorrad und dem Beklagten gekommen ist, sondern sich der Stoß gegen das Hinterrad des Fahrrades gerichtet hat. Dass ein leichter Schlag gegen das Hinterrad nur einen geringen Stoßimpuls ausgelöst hätte, folgt aus physikalischer Gesetzmäßigkeit; daraus leitet sich dann aber auch ein geringeres Verletzungsrisiko ab.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3, 709 Nr. 10 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO)."