Es gibt keine auf einem entsprechenden Erfahrungssatz gestützte Beweisregel, dass die Aussagen von Insassen unfallbeteiligter Kraftfahrzeuge stets von einem „Solidarisierungseffekt“ beeinflusst und deshalb grundsätzlich unbrauchbar sind.Gründe:
Ebenso wenig können Aussagen von Unfallzeugen, die am Prozessausgang wirtschaftlich interessiert oder mit einem Unfallbeteiligten verwandt oder verschwägert sind, stets als von vornherein parteiisch und unzuverlässig gelten.
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch aus einem Verkehrsunfall am 16. November 2006 gegen 17.30 Uhr auf der Schulstraße in Berlin; die Kollision zwischen dem im Eigentum des Klägers stehenden und von ihm geführten Pkw Mercedes- Benz S 500 (rotes Kennzeichen …) und dem von dem Erstbeklagten gehaltenen, geführten und bei der Zweitbeklagten versicherten Pkw Hyundai (…) ereignete sich im gleichgerichteten Verkehr in Höhe der Hausnummer … (Schadenstellen am Mercedes links vorne und am Hyundai rechts seitlich); die Parteien streiten darüber, ob der Erstbeklagte vom linken in den vom Kläger befahrenen mittleren Fahrstreifen gewechselt oder der Kläger nach links in den vom Erstbeklagten befahrenen linken Fahrstreifen geraten ist.
Das Landgericht hat der Klage - nach Beweisaufnahme am 26. März und 21. Mai 2008 -nach einer Quote von 50 % stattgegeben mit der Begründung, der Unfallhergang habe sich auch nach Beweisaufnahme nicht klären lassen, so dass nach § 17 StVG auf der Grundlage der von beiden Pkw ausgehenden Betriebsgefahr der Schaden hälftig zu teilen sei. Die Aussage des Zeugen … habe nicht zur Klärung beitragen können; auch nach den Aussagen der Zeuginnen … und … (Mitfahrerinnen im Klägerfahrzeug) sei ein Fahrstreifenwechsel des Beklagtenfahrzeugs nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen; außerdem spräche gegen einen Spurwechsel des Beklagtenfahrzeugs die Erklärung des Erstbeklagten, der in der linken Spur gefahren sei, um später nach links abzubiegen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verurteilung der Beklagten zur Zahlen von weiteren 50 % seines Schadens erstrebt.
Er macht geltend: Nach „objektiver Bewertung der Beweisaufnahme“ sei es nach Klägerauffassung eindeutig, dass der Erstbeklagte durch nicht angezeigten Spurwechsel den Unfall verursacht habe (S. 3 der Berufungsbegründung); denn beide Mitfahrerinnen hätten übereinstimmend erklärt, dass ein Pkw aus der linken Spur in die Mittelspur gewechselt habe, ohne zu blinken; es wäre lebensfremd, wenn die Zeuginnen vor allem darauf geachtet hätten, wie sich die anderen Fahrzeuge zur Spurbegrenzung verhalten hätten. Demgegenüber seien die Angaben des Erstbeklagten nicht überzeugend, zumal er sich hinsichtlich der Endstellung des Klägerfahrzeugs habe korrigieren müssen.
II.
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Beides ist nicht der Fall.
1. Die Feststellung des Sachverhalts durch das Landgericht, das nach Beweisaufnahme von einem ungeklärten Unfallhergang ausgegangen ist, ist nicht zu beanstanden.
1. a. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. Senat , Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 -; vgl. auch KG [22. ZS], KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533; Senat , Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269).
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf.
So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 286 Rn 2a) oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rn 13).
Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, a.a.O., § 286 Rn 3, 5).
1. b. An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat das Landgericht sich im angefochtenen Urteil gehalten; der Senat folgt der Beweiswürdigung auch in der Sache.
Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nach dem Ergebnis der Aussagen der vernommenen Zeugen, der Anhörung des Beklagten zu 1) sowie dem Inhalt der polizeilichen Ermittlungsakten die Überzeugung gewonnen hat, dass danach der Unfallhergang ungeklärt sei. Das Landgericht hat auf den Seiten 4 bis 6 des angefochtenen Urteils hinreichend dargelegt, dass und warum es zu dieser Überzeugung gelangt ist.
Dies genügt den Anforderungen an eine der Zivilprozessordnung entsprechende Beweiswürdigung.
Daraus, dass der Kläger selbst das Beweisergebnis anders wertet, folgt kein Rechtsfehler des Landgerichts. Rechtsfehler lassen sich auch nicht nach Überprüfung der einzelnen Argumente des Klägers feststellen.
1. b. A. Der Kläger rügt auf S. 2 der Berufungsbegründung, das Erstgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, weshalb der Zeuge … nach Monaten plötzlich den Unfall nicht gesehen haben will, während er der Polizei gegenüber unmittelbar nach dem Unfall genaue Angaben zum Verlauf gegeben habe.
Dieser Vorwurf ist unbegründet.
Denn das Landgericht hat auf S. 5 des angefochtenen Urteils ausdrücklich zu diesem Problem Stellung genommen und darauf hingewiesen, der Zeuge habe vor Gericht„nicht einmal bestätigt, dass seine von den unfallaufnehmenden Beamten protokollierte Angabe, ein Fahrzeug sei ohne zu blinken nach rechts gewechselt, zutrifft. Da er sich während seiner gerichtlichen Vernehmung absolut sicher gewesen ist, den Unfallhergang nicht wahrgenommen zu haben, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass seine unfallnah getätigte Äußerung seiner damals noch vorhandenen Erinnerung entsprochen hat. Es lässt sich vielmehr nicht feststellen, dass der Zeuge … erhebliche Wahrnehmungen bezüglich des Unfallhergangs getroffen hat“.Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen.
Auch die Auffassung des Klägers, die Angaben des Zeugen vor dem Landgericht zu den von ihm wahrgenommenen Standorten der Fahrzeuge würde den Angaben des Erstbeklagten widersprechen, führt nicht dazu, dass die Erklärung des Zeugen hinsichtlich der Streitfrage aussagekräftig ist, welches der Fahrzeuge in den jeweils vom anderen befahrenen Fahrstreifen geraten ist.
Darüber hinaus hat der Zeuge ausdrücklich angegeben, die von ihm wahrgenommene Position der Fahrzeuge habe nicht der Kollisionsstellung entsprochen, und auch der Erstbeklagte hat auf Nachfrage angegeben, der Mercedes habe sich nach dem Unfall in der mittleren Spur befunden.
1. b. B. Auch die Auffassung des Klägers, die Richtigkeit der Aussagen des Erstbeklagten dürften zweifelhaft sein, seine Glaubwürdigkeit als unmittelbar Beteiligter sei fraglich und es sei erkennbar geworden, dass er „wissentlich falsche Angaben“ (S. 2 der Berufungsbegründung) gemacht habe, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Denn einerseits gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Zweitbeklagte vorsätzlich oder auch nur fahrlässig das Gericht belogen hat. Dies folgt insbesondere nicht schon daraus, dass er auf Nachfrage seine Aussage korrigiert oder präzisiert.
Auch folgt daraus, dass der Kläger die Angaben des Erstbeklagten für zweifelhaft hält, nicht zwingend, dass die eigene Unfalldarstellung des Klägers richtig sein muss.
1. b. C. Der Senat kann sich auch der Meinung des Klägers auf S. 3 nicht anschließen, er habe den von ihm behaupteten Unfallhergang durch die Aussagen seiner Mitfahrerinnen … und … als Zeuginnen bewiesen.
Zwar würden die Ausführungen des Landgerichts auf S. 6 des angefochtenen Urteils zur Berücksichtigung des sog. „Solidarisierungseffektes“ dann rechtlich bedenklich sein, wenn das Landgericht allein die Eigenschaft der Zeugen als Mitfahrer benutzt hätte, um ihnen von vornherein nicht zu glauben.
Denn es gibt keine auf einen entsprechenden Erfahrungssatz gestützte Beweisregel, dass der Aussage eines Mitfahrers, eines wirtschaftlich Interessierten, eines Freundes oder Verwandten überhaupt nicht oder nur bei Bestätigung durch objektive Beweismittel geglaubt werden darf (Senat , Urteil vom 21. Januar 1985 - 12 U 6078/83 - VM 1985, 53 Nr. 58). Vielmehr verstößt es gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, den Aussagen von Insassen unfallbeteiligter Kraftfahrzeuge oder Verwandten nur für den Fall Beweiswert zuzuerkennen, dass sonstige objektive Gesichtspunkte für die Richtigkeit der Aussagen sprechen (sog. Beifahrer-Rechtsprechung; BGH, Urteil vom 3. November 1987 - VI ZR 95/87 - NJW 1988, 566 = DAR 1988, 54; KG VersR 1977, 771; OLG München NZV 2005, 582). Dies gilt ebenso für die Aussagen von Personen, die am Prozessausgang wirtschaftlich interessiert sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1995 - VIII ZR 23/94 - NJW 1995, 955). Nach diesen Grundsätzen bedarf es einer konkreten tatrichterlichen Würdigung der Aussagen von Mitfahrern, Verwandten usw. nach ihrer objektiven Stimmigkeit und der persönlichen Glaubwürdigkeit; dabei gilt es nach Wahrhaftigkeits- und Unwahrhaftigkeitskriterien im Aussageverhalten sowie in Inhalt und Struktur der Aussage selbst zu suchen (BGH, a.a.O. NJW 1988, 566).
Letzteres hat das Landgericht jedoch zutreffend getan; es hat auf S. 5-6 des angefochtenen Urteils richtig darauf hingewiesen, dass die Angaben der Zeuginnen schon inhaltlich nicht zum Beweis des vom Kläger behaupteten Unfallhergangs reichen.
Denn die Aussagen … und … lassen keine objektiven Anknüpfungstatsachen erkennen, aus denen mit Sicherheit auf einen Spurwechsel des Beklagtenfahrzeugs geschlossen werden könnte.
Es mag sein, dass die Zeuginnen - trotz Schummerlichts am 16. November gegen 17.30 Uhr - ein Blinken des rechten Fahrtrichtungsanzeigers am Beklagtenfahrzeug nicht wahrgenommen haben. Daraus kann jedoch nicht auf einen Spurwechsel des Beklagtenfahrzeugs nach rechts geschlossen werden, sondern eher darauf, dass der Erstbeklagte nicht nach rechts den Fahrstreifen gewechselt hat.
Es mag auch - so der Kläger auf S. 3 der Berufungsbegründung - lebensfremd sein, wenn die Zeuginnen während der Fahrt beim Hinausschauen vor allem darauf geachtet hätten, wie sich die Fahrzeuge zur Spurbegrenzung verhielten. Aber daraus, dass die Zeuginnen derartiges nicht getan haben und bekunden konnten, folgen eben auch keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass es der Zweitbeklagte war, der in den Fahrstreifen des Klägers geraten ist.
Vielmehr hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass nach den Aussagen der Mitfahrerinnen des Klägers nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie nur die seitliche Annäherung der Fahrzeuge zueinander wahrgenommen haben, ohne objektiv beobachtet zu haben, welches der Fahrzeuge seinen Fahrstreifen verlassen hat.
2. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch die Polizeibehörde die gegen den Kläger und den Zweitbeklagten jeweils eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren jeweils mit Bescheid vom 20. Dezember 2006 eingestellt hat, „weil kein Tatbeweis möglich ist“.
III.
Es wird angeregt, die Rücknahme der Berufung zu erwägen.