- Verkauft der Geschädigte sein Fahrzeug erst mehr als sechs Monate nach dem Verkehrsunfall, so kann er seinen Schaden in der Regel abstrakt auf der Basis der fiktiven Reparaturkosten abrechnen, wenn die Reparaturkosten laut Schadensgutachten niedriger sind als der Wiederbeschaffungswert (Anschluss an BGH, NJW 2006, 2179).
- Das vom Geschädigten in solchen Fällen zu dokumentierende Integritätsinteresse ist auch dann gewahrt, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall nur unvollständig repariert und - bis zum späteren Verkauf - in nicht verkehrssicherem Zustand benutzt.
- Liegen die Voraussetzungen für eine abstrakte Abrechnung auf Reparaturkostenbasis vor, spielt es keine Rolle, ob und inwieweit der Geschädigte bei einem späteren Verkauf seines Fahrzeugs einen möglicherweise erheblichen Gewinn erzielt.
Gründe:
I.
Der Kläger macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend nach einem Verkehrsunfall vom 11.06.2006 auf der Landesstraße L 151 im Bereich der Gemeinde Todtmoos. Der Kläger war mit seinem Motorrad unterwegs und stürzte im Bereich einer Linkskurve. Die Beklagte ist die für das Kraftrad des Zeugen X. zuständige Haftpflichtversicherung. Der Kläger macht geltend, zu dem Sturz sei es gekommen, weil der Zeuge X. - hinter dem Kläger fahrend - zu Beginn der Kurve zu spät gebremst habe. Aufgrund dieses Fahrfehlers habe das Motorrad des Zeugen X. das klägerische Motorrad von hinten leicht angestoßen, wodurch der Kläger gestürzt sei.
Im Übrigen wird wegen der tatsächlichen Feststellungen auf das Urteil des Landgerichts verwiesen.
Das Landgericht hat die Beklagte - überwiegend entsprechend den Anträgen des Klägers - verurteilt zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 7.940,30 €, Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,00 € und Rechtsanwaltskosten von 389,64 €. Zinsen hat das Landgericht zuerkannt seit 24.08.2006 (hinsichtlich des Schadensersatzes und des Schmerzengeldes, bzw. seit dem 23.01.2007 hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten). Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Landgericht festgestellt, es sei nachgewiesen, dass es tatsächlich zu einer Kollision bei den Motorrädern gekommen sei, und dass der Kläger nicht etwa - ohne Einwirkung eines anderen Fahrzeugs - allein wegen überhöhter Geschwindigkeit gestürzt sei. Daraus ergebe sich die Haftung der Beklagten. Aus rechtlichen Gründen sei der Kläger berechtigt, die erforderlichen Reparaturkosten abstrakt, also auch ohne Nachweis der durchgeführten Reparatur, abzurechnen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie beanstandet in erster Linie die Beweisaufnahme des Landgerichts zum Unfallablauf. Es gebe verschiedene Indizien dafür, dass der Kläger mit seinem Motorrad ohne Einwirkung eines anderes Fahrzeugs, allein aufgrund überhöhter eigener Geschwindigkeit, gestürzt sei. Hierfür spreche unter anderem, dass der Kläger und der Zeuge X. keine Polizei zur Unfallstelle gerufen hätten. Generell sei es beim Sturz eines Motorradfahrers in einer Kurve wesentlich wahrscheinlicher, dass der Sturz allein auf einen Fahrfehler des betreffenden Motorradfahrers beruhe. Gegen die Darstellung des Klägers spreche unter anderem, dass er die Stelle seines Sturzes nicht richtig angegeben habe. Der von der Beklagten vorgerichtlich beauftragte Zeuge Y. habe Kratzspuren von einem gestürzten Motorrad nicht an der vom Kläger angegebenen Stelle, sondern an einer anderen Stelle der betreffenden Kurve festgestellt. Schließlich wäre bei einer Kollision oder Berührung der beiden Motorräder - wie vom Kläger geschildert - eher ein Sturz des nachfolgenden Zeugen X., als ein Sturz des Klägers zu erwarten gewesen.
Die Beklagte wendet sich hilfsweise gegen die Höhe der vom Landgericht berücksichtigten Reparaturkosten. Aus Rechtsgründen könne der Kläger nicht die fiktiven Reparaturkosten geltend machen, sondern nur den Wiederbeschaffungswert des Motorrades abzüglich des Restwerts. Bei einer solchen Berechnung sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass dem Kläger - wie nachträgliche Ermittlungen ergeben hätten - ein außerordentlich günstiger Weiterverkauf seines noch beschädigten Motorrades gelungen sei.
Die Beklagte verweist im Übrigen auf weitere Einwendungen, die sie bereits erstinstanzlich vorgebracht hat.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 09.10.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.Der Kläger beantragt,Die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.Der Kläger verteidigt das Urteil des Landgerichts, insbesondere die erstinstanzliche Beweiswürdigung. Die Einwendungen der Beklagten gegen seine Darstellung des Unfallablaufes seien unberechtigt. Die vom Landgericht vorgenommene Schadensabrechnung sei auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat durch den Einzelrichter Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Z. zum Unfallablauf. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 28.04.2009 verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist - abgesehen von einer geringfügigen Korrektur bei den Zinsen - nicht begründet.
1. a) Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus dem Verkehrsunfall vom 11.06.2006 in Höhe von 7 940,30 € zu. Die Beklagte haftet für den Schaden des Klägers gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Denn der Schaden ist entstanden beim Betrieb des Motorrades des Zeugen X., das bei der Beklagten haftpflichtversichert war.
b) Zu dem Unfall ist es gekommen, weil das Motorrad des Zeugen X. - wegen eines Fahrfehlers des Zeugen - mit dem Vorderrad das Hinterrad des klägerischen Motorrades berührt hat. Die Berührung, bzw. der leichte Anstoß, führte dazu, dass der Kläger, der sich in der Linkskurve bereits in einer gewissen Schräglage befand, die Kontrolle über das Motorrad verlor und stürzte. Die ergänzende Beweisaufnahme im Berufungsverfahren hat insoweit nicht zu einem anderen Ergebnis geführt, als die bereits vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme. … (wird ausgeführt)
c) Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 StVG führt zu einer vollen Haftung der Beklagten. Denn dem schuldhaften Verkehrsverstoß des Zeugen X. (Fahrfehler beim Bremsen, bzw. zu dichtes Auffahren) steht eine Erhöhung der Betriebsgefahr des klägerischen Motorrades nicht gegenüber. Ein Mitverschulden des Klägers lässt sich nicht feststellen. Insbesondere gibt es - worauf auch das Landgericht zu Recht hingewiesen hat - keine Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung des Klägers, vor einem gemeinsamen Ausflug mit dem Zeugen X. Absprachen über einzuhaltende Sicherheitsabstände zu treffen.
d) Der Kläger kann gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB von der Beklagten die erforderlichen Reparaturkosten verlangen, auch wenn er das Motorrad nicht vollständig repariert hat. Die zur Instandsetzung erforderlichen Reparaturkosten betrugen nach dem vorliegenden Schadensgutachten 6 166,76 €.
Bei einer abstrakten Schadensabrechnung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gibt es grundsätzlich zwei mögliche Rechenwege: Zum Einen kann als Naturalrestitution derjenige Betrag angesetzt werden, der - abstrakt - erforderlich ist, um ein Fahrzeug zu reparieren, wobei ein merkantiler Minderwert, der nach einer Reparatur verbleibt, zu addieren ist. In einer anderen Variante kann man die Kosten für eine Naturalrestitution auch so berechnen, dass man - statt der Reparaturkosten - diejenigen Kosten ansetzt, die für die Beschaffung eines gleichwertigen (gebrauchten) Fahrzeugs erforderlich wären, wobei von diesem Betrag der Restwert des beschädigten Fahrzeugs abzuziehen ist. Im vorliegenden Fall wäre eine Ersatzbeschaffung, wie sich aus den Zahlen des vorliegenden Gutachtens ergibt, für den Kläger günstiger gewesen als eine Reparatur. Der Bundesgerichtshof lässt in den Fällen, in denen - wie vorliegend - die Reparaturkosten niedriger sind als der Wiederbeschaffungswert, eine (teurere) Schadensabrechnung auf Reparaturkostenbasis jedoch dann zu, wenn das Integritätsinteresse des Geschädigten eine solche Abrechnung gebietet (vgl. BGH NJW 2003, 2085; BGH NJW 2006, 2179).
Mit dem Grundsatz der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB) soll der Geschädigte die Möglichkeit haben, die beschädigte Sache weiter zu nutzen. Eine (abstrakte) Abrechnung auf Reparaturkostenbasis ist daher - ungeachtet einer günstigeren Abrechnung bei einer Ersatzbeschaffung - immer zulässig, wenn der Geschädigte in derartigen Fällen sein Interesse an der weiteren Nutzung des beschädigten Fahrzeugs eindeutig dokumentiert. Hiervon geht die Rechtsprechung im Regelfall aus, wenn der Geschädigte das Fahrzeug - gegebenenfalls auch unrepariert - mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiternutzt (vgl. BGH NJW 2006, 2179).
Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers gegeben. Er hat das Motorrad erst am 05.04.2007, also fast zehn Monate nach dem Unfall vom 11.06.2006, veräußert. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Kläger mit dem Motorrad etwa 1 500 km gefahren, was sich aus dem Vergleich des abgelesenen Kilometerstands im Schadensgutachten vom 28.06.2006 einerseits mit dem Kilometerstand im Kaufvertrag vom 05.04.2007 (I, 197) andererseits ergibt. Aus der weiteren Nutzung des Motorrads ergibt sich zudem, dass der Kläger - zumindest im gewissen Umfang - sein Motorrad auch teilweise repariert haben muss, da das Motorrad ansonsten nicht fahrfähig gewesen wäre.
Diese Umstände reichen für eine Anwendung der vom Bundesgerichtshof angenommenen Sechs-Monats-Regel ( BGH, NJW 2006, 2179) aus. Es sind keine Umstände nachgewiesen, aus denen sich ergeben würde, dass der Kläger schon lange vor dem Verkauf des Motorrades im April 2007 kein Interesse mehr an der weiteren Nutzung des Motorrads gehabt hätte. Insbesondere der Umstand, dass der Kläger jedenfalls in gewissem Umfang Aufwendungen für die Reparatur des Motorrads getätigt haben muss (siehe oben), spricht gegen eine solche Annahme. Es erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang geboten und sinnvoll, die Sechs-Monats-Regel in derartigen Fällen eher schematisch anzuwenden, da nur so eine vernünftige Schadensabwicklung für die Geschädigten einerseits und für die Versicherungen andererseits möglich ist. In welchen Ausnahmesituationen ein Abweichen von der Sechs-Monats-Regel zugunsten des Schädigers geboten wäre (kein Integritätsinteresse dokumentiert trotz längerer Nutzung eines Fahrzeugs), bedarf daher vorliegend keiner Entscheidung.
Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich das Motorrad zu der Zeit, als es vom Kläger weiter genutzt wurde, in einem verkehrssicheren Zustand befand. Da das Integritätsinteresse des Geschädigten - welches die Abrechnung auf Reparaturkostenbasis rechtfertigt - durch die Nutzung des Fahrzeugs und nicht durch die Reparatur dokumentiert wird, kommt es auf die Qualität der Reparatur nicht an (so ausdrücklich BGH NJW 2003, 2085 und BGH NJW 2006, 2179, 2180). Wenn der Bundesgerichtshof (a.a.O.) in diesem Zusammenhang davon spricht, das Fahrzeug müsse noch „verkehrstauglich“ sein, so ist das aus den angegebenen Gründen so zu verstehen, dass das Fahrzeug fahrbereit sein muss, so dass der Geschädigte tatsächlich in der Lage ist, weitere Fahrten mit dem Fahrzeug zu unternehmen. Hingegen kann es - da es nur um das Nutzungsinteresse des Geschädigten geht - nicht darauf ankommen, ob das (teilreparierte) Fahrzeug verkehrssicher im Sinne der Vorschriften der Straßenverkehrszulassungsordnung ist, bzw., welche Reparaturen zur vollständigen Beseitigung des Unfallschadens noch ausgeführt werden müssten. Es war daher nicht erforderlich, die - teilweise streitige - Qualität der vom Kläger durchgeführten Reparatur weiter aufzuklären. Insoweit gelten bei der Abrechnung von abstrakten Reparaturkosten, die unter dem Wiederbeschaffungswert liegen, andere Grundsätze als beim sogenannten Integritätszuschlag, der bei einer tatsächlichen Reparatur gewährt wird, wenn Reparaturkosten und merkantiler Minderwert den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigen. Nur im letzteren Fall - der vorliegend nicht relevant ist - stellt die Rechtsprechung auf die Qualität der Reparatur ab (vgl. Palandt/Heinrichs BGB, 68. Auflage 2009, § 249 BGB Rn. 27, 28 mit ausführlichen Rechtsprechungsnachweisen).
Schließlich kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht darauf an, zu welchem Preis der Kläger sein Motorrad im April 2007 verkauft hat. Denn bei einer - zulässigen - Abrechnung der abstrakten Reparaturkosten (siehe oben) kommt es der Beklagten nicht zugute, wenn der Kläger durch besonderes Geschick oder günstige Umstände einen günstigen Verkaufspreis erzielt.
e) Für den Schadensersatzanspruch des Klägers ergibt sich demnach folgende Abrechnung: Reparaturkosten: 6.166,76 €
Merkantiler Minderwert: 1.011,41 €
Gutachterkosten: 493,37 €
Helm: 223,96 €
Attest: 20,00 €
Unkostenpauschale 25,00 € Summe:7.940,50 €
Aus dem Umstand, dass der Kläger zu einer Abrechnung der abstrakten Reparaturkosten berechtigt ist, ergibt sich, dass er auch einen merkantilen Minderwert geltend machen kann. Dieser ist der Höhe nach - wie im Übrigen auch die anderen Schadenspositionen - zwischen den Parteien unstreitig. Die Summe ist um 0,20 € höher als der vom Landgericht zuerkannte Betrag, sodass die Verurteilung der Beklagten durch das Landgericht nicht zu beanstanden ist.
2. Dem Kläger steht gegen die Beklagte im Übrigen ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 1.500.00 € gemäß § 253 Abs. 2 BGB zu. Die vom Landgericht festgestellten Verletzungen des Klägers und die sich darauf ergebenden Beeinträchtigungen nach dem Unfall sind unstreitig. Der Senat hält in Übereinstimmung mit dem Landgericht den ausgeworfenen Betrag von 1 500,00 € für angemessen. 3) Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Kläger nach dem Verkehrsunfall auch den Ersatz der Rechtsanwaltskosten verlangen, die ihm vorgerichtlich entstanden sind. Die Abrechnung dieser Kosten mit 389,64 € durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden.
4) Gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB stehen dem Kläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu, und zwar seit Rechtshängigkeit, also seit dem 23.01.2007.
Ein früherer Verzugseintritt, der Zinsen ab einem früheren Zeitpunkt rechtfertigen könnte, ist nicht dargetan. Das ablehnende Schreiben der Beklagten vom 23.08.2006 (Anlage LG K 2 I, 13) reicht für einen Verzugseintritt gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht aus. Denn eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB kann sich immer nur auf eine bestimmte Forderung beziehen. Aus dem Schreiben der Beklagten vom 23.08.2006 ergibt sich nicht, auf welche Forderung sich die Ablehnung bezieht. Das wäre nur dann anders, wenn dem Schreiben eine Forderungsaufstellung des Klägers (bestimmte Schadenspositionen in bestimmter Höhe) vorausgegangen wäre. Hierzu hat der Kläger jedoch nichts vorgetragen.
5) Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf § 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.
6) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Ziffer 10, 713 ZPO.
7) Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen - insbesondere die Voraussetzungen der Schadensabrechnung nach einem Verkehrsunfall auf Reparaturkostenbasis - sind nach Auffassung des Senats durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.