Der Fahrer eines Kraftfahrzeugs, der nicht zugleich Halter desselben ist, muss sich die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs nur dann zurechnen lassen, wenn er seinerseits für Verschulden gemäß § 823 BGB oder für vermutetes Verschulden gemäß § 18 StVG haftet.
Tatbestand:
Der Kläger, ein im Dienst des Landes Rheinland Pfalz stehender Polizeibeamter, nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich künftiger materieller Schäden in Anspruch.
Am 16. September 2000 gegen 22.30 Uhr befuhr der Kläger, der im Rahmen der Veranstaltung „Rhein in Flammen“ als Motorradstreife eingesetzt war, mit seinem Dienstkraftrad die Bundesstraße 9 außerhalb der Ortschaft St. Goar in Richtung Koblenz. Auf einem von ihm aus gesehen neben der rechten Fahrbahn befindlichen Seitenstreifen waren verschiedene Reisebusse geparkt. Als der Kläger an diesen vorbeifuhr, betraten die Beklagten zwischen zwei hintereinander geparkten Bussen die Fahrbahn, um die Straße zu überqueren. Der Kläger wich nach links aus, kam zu Fall und verletzte sich. Die nach dem Unfall entnommene Blutprobe ergab bei der Beklagten zu 1 eine Blutalkoholkonzentration von 1,16 ‰, bei der Beklagten zu 2 eine solche von 1,3 ‰.
Der Kläger war bis zum 31. Dezember 2001 krankgeschrieben. Seit 4. Januar 2002 ist er im Innendienst – zunächst in Koblenz, seit 1. Mai 2002 in Trier – zur Bekämpfung der Internetkriminalität eingesetzt. Ohne den Unfall wäre er bereits im Januar 2002 nach Trier versetzt worden. Infolge der unfallbedingten Übertragung von Aufgaben im Innendienst entgingen dem Kläger verschiedene Zulagen und entstanden ihm Kosten durch Fahrten zu Ärzten und wegen der längeren Strecke zu seiner Dienststelle in Koblenz. Darüber hinaus konnte der Kläger krankheitsbedingt seinen Urlaub nicht nehmen.
Mit der Klage hat er den Ersatz entgangener Schichtzulagen in Höhe von insgesamt 4 663,63 €, Fahrtmehrkosten in Höhe von 4 512 €, Fahrkosten zu Ärzten sowie Zeitaufwand in Höhe von insgesamt 2 346,22 €, die Abgeltung entgangener Urlaubsstunden in Höhe von 6 800 €, die Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 32 000 € abzüglich vorgerichtlich gezahlter 2 556,46 € sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle Schäden aus dem Unfallereignis begehrt.
Das Landgericht hat dem Kläger materiellen Schadensersatz in Höhe von 2 048,11 € sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 7 443,54 € zuerkannt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Auf die Berufung des Klägers, mit der dieser seinen erstinstanzlichen Klagantrag mit Ausnahme von Fahrtkosten zu Ärzten und Zeitaufwand in Höhe von 1 543,66 € weiterverfolgt hat, hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagten zum Ersatz materieller Schäden des Klägers in Höhe von 6 194,80 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat es festgestellt, dass diese verpflichtet sind, dem Kläger (nur) 80 % des ihm infolge des Unfalls künftig entstehenden materiellen Schadens zu ersetzen. Die weitergehenden Berufungen der Parteien hat es zurückgewiesen.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge aus dem Berufungsverfahren mit Ausnahme des Urlaubsabgeltungsanspruchs in Höhe von 6 800 € weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger ständen gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß den §§ 823, 847 Abs. 1 a.F. BGB zu. Allerdings hafteten die Beklagten nur in Höhe einer Quote von 80 %. 20 % seines Schadens müsse der Kläger selbst tragen. Er habe den Unfall zwar nicht schuldhaft herbeigeführt. Dieser sei für ihn aber auch kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F. gewesen, weshalb im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gemäß den § 9 StVG a.F., § 254 BGB die Betriebsgefahr des vom ihm geführten Dienstkraftrads zu seinen Lasten zu berücksichtigen sei.
Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Ersatz ihm entgangener und durch Leistungen des Landes Rheinland-Pfalz nicht ausgeglichener Schichtzulagen sowie von Fahrt- und Fahrtmehrkosten zu, wobei als Kilometerpauschale ein Betrag in Höhe von 0,25 € zugrunde zu legen sei. Ein Anspruch auf Ersatz entgangener Urlaubsstunden sei dagegen nicht gegeben. Im Wegfall des Urlaubs liege kein Vermögensschaden. Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von insgesamt 10 000 € sei auch unter Berücksichtigung der sich zu Lasten des Klägers auswirkenden Betriebsgefahr angemessen.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Nicht zu beanstanden und von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach dem Kläger gegen die Beklagten als Gesamtschuldnern Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB, 847 Abs. 1 BGB a.F. i.V.m. Art. 229 § 8 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB zustehen, weil die Beklagten den Unfall des Klägers schuldhaft herbeigeführt haben.
2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe 20 % des ihm entstandenen Schadens selbst zu tragen, weil im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gemäß den §§ 9 StVG a.F., 254 BGB die Betriebsgefahr des von ihm geführten Motorrads anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei.
a) Zwar ist die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter alle Umstände vollständig und richtig gewürdigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2005 – VI ZR 68/04 – VersR 2006, 369, 371 m.w.N.).
b) Die Revision beanstandet aber mit Erfolg, dass das Berufungsgericht der Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge unzutreffende Erwägungen zugrunde gelegt hat. Es ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sich auch der Fahrer eines Kraftfahrzeugs, der nicht zugleich Halter desselben ist, gemäß § 7 Abs. 2 StVG a.F. die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs zurechnen lassen müsse. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger lediglich Fahrer, nicht hingegen Halter des Motorrads. Er war mit seinem Dienstkraftrad unterwegs, als er den Unfall erlitt. Halter eines Dienstkraftrads ist aber, worauf die Revision zutreffend hinweist und was die Revisionserwiderung nicht in Abrede stellt, der Dienstherr. Dementsprechend hat das Berufungsgericht dem Kläger auch lediglich die Betriebsgefahr des von ihm „geführten Motorrads“ zugerechnet. Die Auffassung, der nicht haltende Fahrer eines Kraftfahrzeugs müsse sich die einfache Betriebsgefahr gemäß § 7 Abs. 2 StVG a.F. zurechnen lassen, widerspricht aber der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzuweichen kein Anlass besteht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1962 – III ZR 1/62 – VersR 1963, 380, 382; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 173, 182, 188; Staudinger/Schiemann (2005), § 254 BGB Rn. 11 f. m.w.N.). Eine entsprechende Zurechnung kommt nur in Betracht, wenn der Fahrer seinerseits für Verschulden gemäß § 823 BGB oder für vermutetes Verschulden gemäß § 18 StVG haftet (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1962 – III ZR 1/62 – VersR 1963, 380, 382; Senatsurteil BGHZ 173, 182, 188). Denn die Anwendung des § 254 BGB setzt stets einen haftungsbegründenden Tatbestand auf der Seite des Geschädigten voraus (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1962 – III ZR 1/62 – aaO; Staudinger/Schiemann, aaO).
Eine Haftung des Klägers für Verschulden oder vermutetes Verschulden scheidet im Streitfall aber aus. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass den Kläger an der Schadensentstehung kein Verschulden trifft. Es hat zwar ausgeführt, dass ein Verschulden des Klägers nicht festgestellt werden könne. Im Gesamtzusammenhang und unter Berücksichtigung der Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil sind die Ausführungen des Berufungsgerichts aber dahingehend zu verstehen, dass dem Kläger ein Verschuldensvorwurf nicht gemacht werden kann. Diese Annahme lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts fuhr der Beamte außerorts auf gerader Strecke mit einer Geschwindigkeit von lediglich ca. 30 km/h auf der Mitte seiner Fahrspur an den rechts neben der Fahrbahn geparkten Bussen vorbei. Bei dieser Sachlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung des konkreten Unfallgeschehens unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten angenommen hat, der Beamte habe durch vorsichtige Fahrweise und Einhalten eines entsprechenden Sicherheitsabstandes der dort stattfindenden Veranstaltung und der Parkweise der Busse ausreichend Rechnung getragen. Zu einer noch vorsichtigeren Fahrweise war der Beamte auch nicht aufgrund des von den Beklagten mit der Gegenrüge geltend gemachten Umstands gehalten, dass er ausweislich seiner Aussage im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vor dem Unfall Fußgänger aus seiner Sicht rechts neben den Bussen wahrgenommen hatte. Aufgrund dieses Umstands musste der Beamte nicht damit rechnen, dass sich die in einigem Abstand zur Fahrbahn aufhaltenden Fußgänger von den Bussen entfernen und unvermittelt versuchen würden, die Fahrbahn zu überqueren mit der Folge, dass er eine Kollision trotz seiner vorsichtigen Fahrweise und trotz der Einhaltung eines Sicherheitsabstands nicht würde verhindern können.
3. Die Revision wendet sich auch mit Erfolg gegen die Bemessung der Höhe des dem Kläger zustehenden Schmerzensgeldes.
a) Allerdings ist die Bemessung des Schmerzensgeldes der Höhe nach grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält (st. Rspr.; vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1973 – VI ZR 189/72 – VersR 1974, 489, 490; vom 19. September 1995 – VI ZR 226/94 – VersR 1996, 380), insbesondere ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt (vgl. Senatsurteil vom 24. Mai 1988 – VI ZR 159/87 – VersR 1988, 943) und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 138, 388, 391; vom 15. Januar 1991 – VI ZR 163/90 – VersR 1991, 350, 351; vom 12. Juli 2005 – VI ZR 83/04 – VersR 2005, 1559, 1562).
b) Die Festsetzung der Höhe des Schmerzensgeldes ist aber von Rechtsfehlern beeinflusst. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die einfache Betriebsgefahr des vom Kläger geführten Dienstkraftrads zu seinen Lasten berücksichtigt hat, obwohl der Kläger nicht Halter des Kraftrads war und sich die Betriebsgefahr mangels Verschuldens an der Schadensentstehung auch nicht aus anderen Gründen den Schädigern gegenüber zurechnen lassen muss.
c) Demgegenüber rügt die Revision ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes wesentlichen Tatsachenvortrag des Klägers unberücksichtigt gelassen. Diese Verfahrensrüge hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 564 ZPO).
4. Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Berechnung der dem Kläger schadensbedingt entstandenen Fahrt- und Fahrtmehrkosten. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht seiner Schadensberechnung eine Kilometerpauschale in Höhe von 0,25 € zugrunde gelegt hat.
a) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 92, 85, 86 f.; 102, 322, 330; 161, 151, 154; Urteil vom 9. Dezember 2008 – VI ZR 173/07 – VersR 2009, 408, 409; vom 9. Juni 2009 – VI ZR 110/08 – VersR 2009, 1092, 1093).
b) Derartige Fehler sind hier nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht hat sich in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise an den Bestimmungen über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen orientiert, die auch sonst in der gerichtlichen Praxis zur Schätzung von Fahrtkosten herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 1992 – XII ZR 127/91 – NJW-RR 1992, 1282, 1283; OLG Hamm, Urteil vom 21. Februar 1994 – 6 U 225/92 – NJW-RR 1995, 599, 600). Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass sich der Tatrichter in Ermangelung konkreter Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung im Rahmen der Schadensschätzung gesetzlich geregelter oder in anerkannten Tabellen enthaltener Erfahrungswerte bedienen kann (vgl. Senatsurteile BGHZ 104, 113, 117 f.; vom 16. Dezember 2008 – VI ZR 48/08 – VersR 2009, 419, 420; vom 3. Februar 2009 – VI ZR 183/08 – VersR 2009, 515 m.w.N.). Hieran ist festzuhalten. Der vom Berufungsgericht zuerkannte Betrag in Höhe von 0,25 € je Kilometer liegt über den gemäß § 9 Abs. 3 Nr. 2 ZSEG für die Betriebskosten und die Abnutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs zu erstattenden 0,40 DM je gefahrenem Kilometer und entspricht dem erst mit Wirkung zum 1. Juli 2004 und damit fast drei Jahre nach dem Unfall in Kraft getretenen Entschädigungssatz des § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG. Konkrete Anhaltspunkte, die eine hiervon abweichende Beurteilung gebieten würden, hat der Kläger nicht dargetan.
Bei dieser Sachlage ist es auch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Höhe der Fahrtkosten verzichtet hat. Die Vorschrift des § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO stellt die Beweiserhebung in das (pflichtgemäße) Ermessen des Gerichts; das Gericht ist im Rahmen des § 287 ZPO an Beweisanträge nicht gebunden (vgl. Senatsurteile BGHZ 149, 63, 66; vom 28. Januar 1986 – VI ZR 151/84 – VersR 1986, 596, 597). Ermessenfehler sind vorliegend nicht ersichtlich.
III.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil die Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes dem Tatrichter vorbehalten ist (Senatsurteile BGHZ 120, 1, 9; 138, 388, 391; vom 16. Februar 1992 – VI ZR 29/92 – VersR 1993, 585, 586; vom 16. Januar 1996 – VI ZR 109/95 – VersR 1996, 382, 383). Das Berufungsgericht wird dabei auch den weiteren Vortrag der Parteien zur Bemessung des Schmerzensgeldes im Revisionsrechtszug zu berücksichtigen haben.