Lassen die Urteilsausführungen erkennen, dass der Tatrichter die Berufung des Betroffenen auf sein Schweigerecht als ein Mittel bewertet, dem etwas Ungehöriges anhaftet, weil es darauf abziele, die Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht zu erschweren, so liegt, wenn zudem die Regelgeldbuße verdoppelt wird, die Annahme nahe, dass hierbei eben dieses prozessuale Verhalten des Betroffenen zu dessen Lasten berücksichtigt worden ist.
Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Betroffenen am 23. Februar 2010 wegen fahrlässigen Überschreitens der durch Zeichen 274 (80 km/h) angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach §§ 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO in Verbindung mit § 24 StVG zu einer Geldbuße von 200.— Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Betroffenen Rechtsbeschwerde eingelegt und deren Zulassung beantragt. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs, beanstandet das Verfahren und die Anwendung sachlichen Rechts.
1. Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zu, weil die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Dies ist unter anderem der Fall, wenn das Urteil rechtfehlerhaft ist, der Rechtsfehler eine grundsätzliche Frage betrifft und der Fortbestand des Urteils zu einem schwer erträglichen Unterschied in der Rechtsprechung führt, weil zu besorgen ist, dass der Tatrichter ohne die höchstrichterliche Entscheidung seine rechtsfehlerhafte Praxis in gleich gelagerten Fällen fortsetzt und es nicht bei einem Einzelfall bleibt [vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 80 Rdn. 4].
Diese Voraussetzungen liegen vor. Betroffene wie auch Angeklagte sind nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu Beginn einer jeden auch richterlichen – Vernehmung auf ihr Schweigerecht hinzuweisen und können von diesem Recht Gebrauch machen, ohne befürchten zu müssen, dass sich dies zu ihren Lasten auswirkt [vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 261 Rdn. 15]. Dieses elementare Recht besteht in jedem Straf- oder Bußgeldverfahren und seine Verletzung führt, ob bewusst oder unbewusst bewirkt, zu nicht hinnehmbaren Unterschieden in der Rechtsprechung, wenn das prozessuale Verhalten Eingang in die Beweiswürdigung oder Rechtsfolgenbemessung findet. Genau dies ist vorliegend geschehen. Die Gründe des angefochtenen Urteils legen die Annahme nahe, dass der Tatrichter das Schweigen des Betroffenen im Rahmen der Bemessung der Geldbuße zu seinen Lasten gewertet hat. In den Urteilsausführungen wird das prozessuale Verhalten des Betroffenen mit den Worten zusammengefasst, dass sein „Versuch…, dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes zu verhindern oder zumindest zu erschweren, dass er sich zur Sache nicht einließ, … gescheitert ist“ (UA S. 4). Seine Berufung auf das Schweigerecht, auf das der Tatrichter ihn zuvor hingewiesen hatte, wird damit als Mittel gewertet, dem etwas Ungehöriges anhaftet, weil es darauf abzielt, die Aufklärung des Sachverhaltes durch das Gericht zumindest zu erschweren. Diese Wertung lässt besorgen, dass der Tatrichter das dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare entstammende Recht zu schweigen, das zu den elementaren Wesensmerkmalen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört, nicht als solches ansieht, sondern als unlauter und seine Tätigkeit unnötig erschwerend begreift. Da er zugleich die Geldbuße gegenüber der auch bei der höheren Geschwindigkeitsüberschreitung maßgeblichen Regelbuße des Bußgeldbescheides verdoppelte, liegt die Annahme nahe, dass er hierbei eben dieses prozessuale Verhalten des Betroffenen zu dessen Lasten berücksichtigt hat.
Dieser, dem Senat bereits aus früheren Verfahren bekannte und nun nicht mehr hinnehmbare Rechtsfehler veranlasst die Zulassung der Rechtsbeschwerde und führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruches des angefochtenen Urteils.
2. Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus eine Verletzung des Anspruches auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) geltend macht, dringt sie nicht durch. Hierbei kann dahinstehen, ob die richterliche Fürsorgepflicht trotz der Belehrung durch den Bußgeldbescheid gebot, den Betroffenen erneut auf die Möglichkeit einer Verschlechterung bzw. einer Erhöhung der Geldbuße hinzuweisen. Denn zur Zulässigkeit der Gehörsrüge gehört regelmäßig die Angabe, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung erklärt hätte. Daran fehlt es. Die Beanstandung, die Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung und deren Verwertung seien rechtsfehlerhaft, ist unbegründet. Vorliegend handelt es sich um eine verdachtsabhängige Aufzeichnung, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen darstellt.
Auch die gegen den Schuldspruch gerichteten Einwände verfangen nicht. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 26 km/h. Sie weisen aus, dass die Geschwindigkeit nach einem standardisierten Messverfahren unter Einsatz des amtlich anerkannten Messgerätes Provida 2000 Modular von darin geschulten Polizeibeamten ermittelt worden ist und lassen auch den mit 5% ausreichend bemessenen Toleranzabzug für etwaige Messungenauigkeiten erkennen.
3. Der Senat verwirft daher die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, und hebt das Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf. In diesem Umfang verweist er die Sache nach § 79 Abs. 6 OWiG zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurück.