Die Tatsache, dass mit einem mit einem roten Versicherungskennzeichen versehenen Fahrzeug entgegen § 29g StVZO keine Probe- oder Überführungsfahrt, sondern eine Einkaufsfahrt durchgeführt wird, führt für sich allein angesichts der Tatsache, dass trotz der Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers die Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers im Außenverhältnis zu geschädigten Dritten bestehen bleibt, nicht zur Strafbarkeit wegen eines Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Herne hat den Angeklagten durch Urteil vom 09. September 2005 (Bl. 33 ff. d.A.) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Versicherungsschutz zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten vom 13. September 2005 (Bl. 32 d.A.) hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum durch Urteil vom 08. August 2006 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 8,00 € verurteilt wird (Bl. 55 ff. d.A.). Die Kammer hat in der Sache u.a. folgende Feststellungen getroffen:"Der Angeklagte besaß mehrere Kleinkrafträder. Am 14.01.2005 befuhr er mit dem Kleinkraftrad Herkules Supra 4 GP gegen 16:00 Uhr in I die S-Straße und im weiteren Verlauf die K-Straße bis zum Parkplatz der Firma S, wobei sich an seinem Kleinkraftrad ein rotes Versicherungskennzeichen befand, welches lediglich für Probe- bzw. Überführungsfahrten genutzt werden darf. Der Angeklagte führte eine derartige Fahrt nicht durch, sondern beabsichtigte einzukaufen. Er schraubte das rote Kennzeichen nach seinen eigenen Angaben gegenüber den ihn kontrollierenden Polizeibeamtinnen, den Zeuginnen N und I, jeweils an dasjenige seiner mehreren Kleinkrafträder, welches er gerade benutzte, da er nicht einsah, alle seine Kleinkrafträder zu versichern."Gegen dieses dem Angeklagten am 12. September 2006 gegen Zustellungsurkunde zugestellte Urteil (Bl. 59 a d.A.) richtet sich die am 15. August 2006 beim Landgericht Bochum eingegangene Revision des Angeklagten vom selben Tage (Bl. 51 d.A.). In der Rechtsmittelschrift hat der Angeklagte zugleich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt. Diesen Antrag hat das Landgericht Bochum durch Beschluss vom 30. August 2006 (Bl. 61 d.A.) zurückgewiesen. Auch gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit der am 12. Oktober 2006 zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Landgerichts Bochum abgegebenen Rechtsmittelbegründung, mit der die Revision mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet worden ist (Bl. 64 ff. d.A.). Das Landgericht Bochum hat der Beschwerde durch Beschluss vom 18. Oktober 2006 (Bl. 73 d.A.) nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zu verweisen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat weiterhin beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Das angefochtene Urteil ist auf die Sachrüge hin aufzuheben, so dass auf die Verfahrensrüge nicht näher eingegangen werden muss. Die Feststellungen vermögen die Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz gemäß §§ 1, 6 PflVG nicht zu tragen. Allein der Umstand, dass der Angeklagte keine Probe- oder Überführungsfahrt durchgeführt hat, sondern sich auf einer Einkaufsfahrt befand, führt nicht zur Verwirklichung des Straftatbestandes der §§ 1, 6 PflVG.
Der Tatbestand des § 6 Abs. 1 PflVG setzt den Gebrauch eines Fahrzeugs - oder dessen Gestattung - auf öffentlichen Wegen oder Plätzen ohne wirksamen Haftpflichtversicherungsvertrag voraus (BGHSt 32, 152; 33, 172; KG VRS 67, 154). Kleinkrafträder sind Kraftfahrzeuge im Sinne des Pflichtversicherungsgesetzes und unterliegen daher der Versicherungspflicht (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflage, vor § 29a StVZO Rn. 16)
Entgegen dem früherem Recht kommt es nicht allein auf das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes an, sondern vor allem darauf, ob dieser Schutz auf Grund eines während des Gebrauchs des Kraftfahrzeugs wirksam bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrages gewährt ist (vgl. BayObLGSt 1993, 75 = NZV 1993, 449). Die durch das 2. Verkehrssicherungsgesetz vom 26. November 1964 eingeführte Änderung der Strafvorschrift des § 6 (früher § 5) PflVG bezweckte lediglich, die Nachhaftung zum Schutz des geschädigten Dritten nach § 3 Nr. 5 PflVG (früher § 158 c Abs. 2 VVG) nicht dem zugute kommen zu lassen, der ohne Haftpflichtversicherungsvertrag auf öffentlichem Verkehrsgrund fährt (vgl. Hentschel, a.a.O., vor § 29a StVZO Rn. 17). Bei der Neuregelung wurde also nur darauf abgestellt, ob für das Kraftfahrzeug zum Zeitpunkt seines Gebrauchs formell ein Versicherungsvertrag besteht (vgl. BGH DAR 1985, 115).
Maßgebend ist demnach, ob zum Zeitpunkt des Fahrzeuggebrauchs ein Versicherungsvertrag bestand, der seinem Inhalt nach gegenüber einem geschädigten Dritten die in § 1 PflVG genannten Risiken in dem in § 4 PflVG aufgezeigten Umfang abdeckt (vgl. BayOblG a.a.O.) und ob der der Versicherungspflichtige hiervon Kenntnis hatte (vgl. Hentschel, a.a.O, vor § 29a StVZO Rn. 17). In dieser Hinsicht sind die Feststellungen jedoch lückenhaft, da sie sich nur auf die Feststellung beschränken, dass der Angeklagte entgegen § 29 g StVZO eine Einkaufsfahrt vorgenommen habe.
Der Missbrauch des roten Versicherungskennzeichens zu anderen Zwecken als den nach § 29 g StVZO zulässigen Fahrten stellt aber gemäß § 2 b Nr. 1 a AKB "nur" eine Obliegenheitsverletzung dar, die den Versicherer zur Kündigung berechtigt und sich demnach ausschließlich auf das vertragliche Innenverhältnis zu dem Versicherungsnehmer bezieht (vgl. Heinzlmeier, Strafrechtliche Probleme des Pflichtversicherungsrechts in NZV 2006, 225, 229). Der Bestand der Haftpflichtversicherung wird hierdurch nicht berührt (vgl. Hentschel, a.a.O., § 28 StVZO Rn. 16). Die bei einer Obliegenheitsverletzung bestehende Leistungsfreiheit wirkt sich jedoch nur im Innenverhältnis aus; gegenüber geschädigten Dritten bleibt in jedem Fall die Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers auf Grund des Versicherungsvertrages nach § 3 Nr. 4 PflVG bestehen (vgl. Hentschel, a.a.O., vor § 29a StVZO Rn. 17). Der Umstand, dass der Versicherer nach § 3 Nr. 9 PflVG eine Rückgriffsmöglichkeit hat, berührt den auf Grund eines bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrages abgesicherten Schutz eines geschädigten Dritten nicht (vgl. BayOblG a.a.O.). Die Verletzung einer Obliegenheitspflicht im Rahmen eines bestehenden Versicherungsverhältnisses kann daher nicht die Strafbarkeit nach § 6 Abs. 1 PflVG begründen (vgl. BayOblG a.a.O.; Hentschel, a.a.O, vor § 29a StVZO Rn. 17; Meyer in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Anm. 3c zu § 6 PflVG). Der Angeklagte kann sich demnach auch nicht allein dadurch strafbar gemacht haben, dass er keine Probe- oder Überführungsfahrt durchgeführt hat, sondern sich auf einer Einkaufsfahrt befand.
2. Die Feststellungen des Amtgerichts rechtfertigen auch nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen Kennzeichenmissbrauchs (§ 22 StVG) oder Steuerhinterziehung (§§ 1 KraftStG, 370 AO), so dass die Verurteilung des Angeklagten auch nicht mit der Maßgabe einer entsprechenden Schuldspruchänderung aufrechterhalten werden konnte.
Eine Strafbarkeit wegen Kennzeichenmissbrauchs scheitert im vorliegenden Fall schon daran, dass Versicherungskennzeichen keine amtlichen Kennzeichen sind (vgl. Hentschel, a.a.O., § 29e StVZO Rn. 5). Da gemäß §§ 3 Nr. 1 KraftStG, 18 Abs. 2 Nr. 4 a StVZO außerdem keine Steuerpflicht für Kleinkrafträder besteht, scheidet eine Steuerhinterziehung ebenfalls aus.
Etwaige Ordnungswidrigkeiten sind nach §§ 26 Abs. 3, 24 StVG verjährt.
3. Eine eigene Sachentscheidung des Senats kam dennoch nicht in Betracht, da die Feststellungen des Urteils - wie bereits erwähnt - unvollständig sind. Aus der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils ergibt sich zwar, dass der Angeklagte bei der Kontrolle am 14. Januar 2005 einen Versicherungsnachweis vorgelegt hat. Dem Urteil lässt sich allerdings nicht entnehmen, ob das rote Versicherungskennzeichen für das Kleinkraftrad des Angeklagten ausgegeben, also zulässigerweise benutzt worden ist. Es ist zudem nicht klar, wie der obdachlose Angeklagte in den Besitz des roten Versicherungskennzeichens und des Versicherungsnachweises gekommen ist. Dies ist jedoch erheblich, da es - wie bereits erwähnt - auf den formellen Bestand des Versicherungsvertrages ankommt, der bei unbefugter und eigenmächtiger Nutzung eines roten Versicherungskennzeichens nicht besteht (vgl. BGH vom 28. Juni 2006 in IV ZR 316/04).
Im Falle eines gültigen Versicherungsvertrages wird dessen Inhalt hingegen daraufhin zu untersuchen sein, ob dem Angeklagten als Privatperson überhaupt rote Versicherungskennzeichen ausgehändigt werden durften. Dies ist rechtlich zwar grundsätzlich möglich, da § 29 g StVZO anders als § 28 Abs. 3 StVZO bezüglich der roten Versicherungskennzeichen nicht vorschreibt, dass diese nur an zuverlässige Kraftfahrzeughersteller, Kraftfahrzeugwerkstätten und Kraftfahrzeughändler ausgegeben werden dürfen. Ob die Versicherung, bei der der Angeklagte das rote Versicherungskennzeichen und den Versicherungsnachweis erworben hat, von dieser rechtlichen Unterscheidung Gebrauch gemacht und rote Versicherungskennzeichen auch an Privatpersonen vergibt, bedarf jedoch der weiteren Aufklärung. Denn Abschnitt I Nr. 1 der Sonderbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und -Handwerk betrifft nicht nur rote Kennzeichen, sondern auch rote Versicherungskennzeichen. Es liegt daher nahe, dass auch rote Versicherungskennzeichen von den Versicherungen nur an Gewerbetreibende im Sinne der Sonderbedingungen vergeben werden.
Schließlich besitzt der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen mehrere alte Kleinkrafträder, an denen er das rote Versicherungskennzeichen wahlweise angebracht hat. Es ist bisher nicht aufgeklärt worden, ob dies nach dem Inhalt des zugrunde liegenden Haftpflichtversicherungsvertrages zulässig ist bzw. ob sich aus dem Vertrag eine zahlenmäßige Begrenzung der zu benutzenden Kleinkrafträder ergibt.
Vor dem Hintergrund der nötigen Aufklärungsarbeit wird angesichts der als gering einzustufenden Schuld des Angeklagten aber auch die Möglichkeit einer Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO zu prüfen sein.
4. Über die Kosten des Revisionsverfahrens hatte der Senat nicht zu befinden, da deren Erfolg im Sinne des § 473 StPO noch nicht feststeht.
III.
Die zulässige Beschwerde des Angeklagten vom 12. Oktober 2006 hat hingegen keinen Erfolg.
Soweit der Angeklagte die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren begehrt hat, war der Vorsitzende der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum zur Entscheidung berufen. Denn der Vorsitzende des letzten Tatgerichts ist auch für die Entscheidung über den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zur Begründung und Durchführung der Revision zuständig (vgl. OLG Stuttgart StV 2000, 413). Der Antrag ist jedoch überholt und damit unzulässig. Da der Angeklagte die Revision zwischenzeitlich auch ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts mit Erfolg durchgeführt hat, ist für eine Bestellung eines Pflichtverteidigers zur Begründung der Revision kein Raum mehr. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist schlechthin unzulässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, § 141 Rn. 8).
Auch im Hinblick auf das neu durchzuführende Erkenntnisverfahren war der Vorsitzende der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum zur Entscheidung berufen. Der/die Vorsitzende des Gerichts, bei dem die Sache anhängig ist, entscheidet diese Frage nämlich für das gesamte Strafverfahren (vgl. Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 141 Rn. 9, 11).
Die Vorsitzende hat die Bestellung eines Pflichtverteidigers indes zu Recht abgelehnt. Angesichts des einfach gelagerten Sachverhalts kommt eine Beiordnung ersichtlich nur wegen Schwierigkeiten der Rechtslage in Betracht. Diese Rechtsfragen sind jedoch im Rahmen des abgeschlossenen Revisionsverfahrens geklärt worden und können daher als Grund für die Beiordnung nicht mehr herangezogen werden. Sollte das Verfahren nicht nach § 153 StPO eingestellt werden, so sind die noch zu klärenden rechtlichen Probleme einfach gelagert. Es ist nicht ersichtlich, dass in diesem Fall bisher nicht ausgetragene Rechtsfragen zu erörtern wären (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rn. 27 a).
Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte vor dem Hintergrund seiner Schreib- und Lesebehinderung nicht selbst verteidigen könnte. Die Notwendigkeit der Beiordnung eines Verteidigers für einen Analphabeten ergibt sich nur dann, wenn zur sachgerechten Verteidigung Aktenkenntnis erforderlich ist oder der Angeklagte sich im Rahmen einer umfangreichen Hauptverhandlung Notizen machen müsste (vgl. Laufhütte in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 140 Rn. 24 m.w.N.). Dies ist im vorliegenden Verfahren ersichtlich nicht der Fall. Aus dem bisherigen Verfahrensablauf, insbesondere dem erfolgreich durchgeführten Revisionsverfahren, ergibt sich eindrucksvoll, dass der Angeklagte seine Interessen sachgerecht wahrnehmen kann.
Die Kostenentscheidung bezüglich des Beschwerdeverfahren beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.