Das Verkehrslexikon
Cannabis-Rechtsprechung in Niedersachsen
Die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zum Cannabiskonsum in Niedersachsen
Die Verwaltungsrechtsprechung für dieses Bundesland obliegt den Verwaltungsgerichten Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück und Stade sowie dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg (OVG Lüneburg).
Gliederung:
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Oberverwaltungsgericht:
- OVG Lüneburg v. 15.11.2002:
Ein gelegentlicher Konsum von Cannabis schon im jugendlichen Alter stellt demnach einen Anhaltspunkt dar, der auf das ständige Vorhandensein fahreignungsrelevanter körperlich-geistiger Leistungsdefizite schließen lässt, und stellt somit eine weitere Tatsache im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV dar, die bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigt.
- OVG Lüneburg v. 11.07.2003:
Auf regelmäßigen Cannabiskonsum kann bei kurzfristig erfolgenden Blutuntersuchungen nicht schon bei einem THC-Carbonsäurewert ab 75 Nanogramm pro Milliliter (= 75 Mikrogramm pro Liter), sondern erst ab 150 Nanogramm pro Milliliter geschlossen werden. Jedenfalls ein den Grenzwert für die Anwendung des § 24a Abs 2 StVG von 1 Nanogramm pro Milliliter erheblich übersteigender THC-Blutwert eines Kraftfahrzeugführers lässt den Schluss auf mangelndes Trennungsvermögen bei gelegentlichem Cannabiskonsum zu.
- OVG Lüneburg v. 30.03.2004:
Zweifel an der Fähigkeit zum Führen eines Fahrzeugs können neben dem Cannabiskonsum auch aus weiteren Tatsachen bestehen. Die Aufzählung in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist dahingehend nicht abschließend (hier: zweimaliges Vorkommen von THC-COOH während des Screening-Zeitraums).
- OVG Lüneburg v. 30.03.2004:
Werden bei zwei im Abstand von etwa drei Wochen durchgeführten Drogenscreenings nacheinander erst 24 ng/ml THC-COOH und sodann 12 ng/ml THC-COOH festgestellt, so lässt dies den Schluss zu, dass der Betroffene entweder regelmäßig konsumiert hat oder aber bei nur gelegentlichem Konsum zusätzlich während der Konsum-Abklärungsphase weiterhin Cannabis konsumiert hat, sodass zum Nachweis seiner Fahreignung die Anordnung einer MPU gerechtfertigt ist.
- OVG Lüneburg v. 11.04.2005:
Es ist nicht unzulässig, erst zu ermitteln, ob mehr als ein bloßes Besitzen und ein nur gelegentlicher Konsum von Cannabis vorliegen. Die Regelungen der Fahrerlaubnisverordnung sind nicht für die Fälle eines bereits feststehenden regelmäßigen Cannabiskonsums geschaffen worden, sondern sollen - etwa wenn jedenfalls ein gelegentlicher Cannabiskonsum angenommen werden kann - der Verkehrsbehörde im Interesse der anderen Verkehrsteilnehmer Klarheit darüber verschaffen, ob der bekannt gewordene gelegentliche Konsum nicht in Wahrheit als regelmäßiger Konsum eingestuft werden muss. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Regelungen kommt es nicht auf Beweise an; vielmehr reicht das Bestehen von Bedenken an der Eignung aus.
- OVG Lüneburg v. 08.11.2006:
Ob für die Annahme regelmäßigen Konsums ein täglicher oder nahezu täglicher Konsum zu fordern ist, erscheint durchaus zweifelhaft, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die durch den regelmäßigen Konsum hervorgerufene Gefahr einer Gewöhnung an das Rauschmittel und Vernachlässigung des erforderlichen Trennungsvermögens in Einzelfällen auch bei einer geringeren Konsumhäufigkeit bestehen kann. Deshalb erscheint es angebracht, auch andere konsumprägende Faktoren wie die Intensität und Häufung an bestimmten Tagen (z.B. Mehrfachkonsum an Wochenenden) und die Dauer des Konsums über einen bestimmten Zeitraum hinweg in den Blick zu nehmen.
- OVG Lüneburg v. 11.09.2008:
Der Senat hält daran fest, dass bei einer Autofahrt mit einer THC-Konzentration zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml das fehlende Trennungsvermögen im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV belegt ist.
- OVG Lüneburg v. 02.05.2013:
Um die Annahme eines gelegentlichen Konsums im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu begründen, reichen bereits zwei voneinander unabhängige Cannabiskonsumakte aus.
- OVG Lüneburg v. 19.06.2013:
Fehlendes Trennungsvermögen im Sinn der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist anzunehmen, wenn ein Fahrzeugführer unter erheblichem Einfluss von Cannabis am Straßenverkehr teilnimmt oder nach den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine entsprechende Teilnahme am Straßenverkehr zu erwarten ist.
- OVG Lüneburg v. 15.04.2014:
In materieller Hinsicht ist in der Rechtsprechung geklärt, dass es zu den an eine Untersuchungsanordnung zu stellenden Mindestanforderungen zählt, dass die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein und der Betroffene ihr entnehmen können muss, was konkret ihr Anlass ist, ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag und welches Verhalten konkret von ihm gefordert wird.
- OVG Lüneburg v. 15.04.2014:
Die Fahrerlaubnisbehörde darf auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sich dieser weigert, sich untersuchen zu lassen, oder er das von der Behörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Als Weigerung ist auch der Fall zu behandeln, in dem der Betroffene sich teilweise der Untersuchung verweigert oder sie teilweise unmöglich macht, indem er sich weigert, im Rahmen der Drogenanamnese Angaben zu seinem Konsum zu machen, sowie die Abgabe einer Urinprobe verweigert.
- OVG Lüneburg v. 07.05.2014:
Wird wegen Zweifeln an der Fahreignung gemäß § 11 Abs 6 S 1 FeV ein Gutachten zu zwei Fragen angefordert, von denen sich eine nur auf die gesteigerten Eignungsanforderungen für die Klasse D (§ 11 Abs 1 S 4 FeV) bezieht, muss dies schon in der Gutachtenanordnung deutlich werden. Wird in einem solchen Fall der nach § 11 Abs 8 S 2 FeV gebotene Hinweis, bei Nichtvorlage des geforderten Gutachtens könne auf die Nichteignung geschlossen werden, nicht näher differenziert, ist ein auf § 11 Abs 8 S 1 FeV gestützter Entzug der Fahrerlaubnis der Klassen, für die keine gesteigerten Anforderungen erfüllt sein müssen, nicht rechtmäßig.
- OVG Lüneburg v. 07.04.2017:
Wer gelegentlich Cannabis einnimmt und mindestens einmal ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss geführt hat, ist in der Regel ohne weiteres, insbesondere ohne vorherige medizinisch-psychologische Untersuchung auf sein Trennungsvermögen, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen (entgegen: Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Beschl. v. 3. Januar 2017 - 11 CS 16.2401 -. In Übereinstimmung mit: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschl. v. 7. März 2017 - 10 S 328/17 -, Oberverwaltungsgericht für das Land Niedersachsen, Beschl. v. 6. März 2017 - 12 ME 251/16).
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Verwaltungsgerichte:
- VG Braunschweig:
- VG Braunschweig v. 10.02.2004:
Die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens auf der Grundlage von vier Drogenscreenings ist unverhältnismäßig und rechtfertigt im Falle einer Nichtbeibringung die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht, wenn der Betreffende lediglich einmal im Besitz einer geringen Menge Haschisch sowie ein weiteres Mal mit einem leeren Plastiktütchen angetroffen wurde, diese Vorfälle ein halbes Jahr auseinander lagen und ein Bezug zum Führen eines Fahrzeugs nicht ersichtlich ist.
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Verhältnis Straf- oder OWi-Verfahren und FE-Verwaltungsverfahren:
- VG Osnabrück v. 27.11.2006:
Ob in einem gegen den Fahrerlaubnisinhaber anhängigen Strafverfahren eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB "in Betracht kommt" und die Fahrerlaubnisbehörde deshalb nach § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG für die Dauer des Strafverfahrens an einer eigenen Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen desselben Sachverhalts gehindert ist, ist im Wege einer auf den Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens abstellenden Prognose zu beurteilen. Spätere Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass die Fahrerlaubnis im Strafverfahren (mutmaßlich) nicht entzogen wird (hier: die der Behörde inzwischen bekannt gewordene Anklageschrift), sind insoweit unerheblich.
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