Zwar müssen sich gemäß § 3 Abs. 2 a StVO Fahrzeugführer gegenüber Kindern so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Jedoch muss sich der Kraftfahrer nicht immer und unter allen Umständen darauf gefasst machen, dass sich ein in der Nähe der Fahrbahn befindliches Kind unbesonnen verhalten werde. Das gilt jedenfalls für ältere Kinder im Alter von 12 Jahren, bei denen Kenntnisse der elementaren Verkehrsregeln vorausgesetzt werden können und darauf vertraut werden kann, dass sie ihr Verhalten im Straßenverkehr danach ausrichten werden. Bei besonders grobem Verschulden des kindlichen Radfahrers kann die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Kfz zurücktreten.
Tatbestand:
Der am 5. Februar 1985 geborene Kläger macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem er am Pfingstmontag, dem 19. Mai 1997 gegen 13.08 Uhr als Radfahrer innerorts in F..., Ortsteil L..., T...weg/ Höhe L... F...weg (L 381 km 0,979) mit dem ihm entgegenkommenden, von dem Beklagten zu 1) gelenkten Pkw Honda (amtliches Kennzeichen ...) zusammengestoßen war. Halterin und Eigentümerin des Pkw Honda war die Beklagte zu 2). Das Fahrzeug war bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert.
Der Kläger fuhr mit der befreundeten Familie T... auf dem Rückweg von einer Radtour aus Richtung H...see (Ortsteil Sch...) kommend in Richtung L.... Kurz vor dem Einmündungsbereich T...weg/ Höhe L.... F...weg machten die vier Radfahrer, nämlich die erwachsenen Zeugen H... und D... T... sowie deren zehn Jahre alte Tochter F... und der Kläger am rechten Straßenrand einen kurzen Halt. Plötzlich rollte der Kläger hinter auf seiner Fahrspur stehenden Fahrzeugen nach links auf die Fahrbahn, um auf den linksseitigen L... F...weg (Radweg) einzubiegen. Dabei wurde er von dem ihm entgegenkommenden Fahrzeug der Beklagtenseite erfasst und schwer verletzt. Der Beklagte zu 1) war aus der entgegengesetzten Richtung kommend in Richtung Haupteingang H...see (Ortsteil Sch...) gefahren, nachdem er unmittelbar davor die nach links abknickende Hauptstraße verlassen hatte, um geradeaus auf dem T...weg weiter zu fahren.
Der Kläger verlangt mit dieser Klage Feststellung bzgl. etwaiger materieller und immaterieller Folgeschäden (Antrag zu 1), Ersatz für das zerstörte Fahrrad und die zerstörte Kleidung (Antrag zu 2), Ersatz der Fahrtkosten seiner Eltern zum Krankenhaus (Antrag zu 3) und Schmerzensgeld (Antrag zu 4).
Er hat in erster Instanz unter Berücksichtigung einer Eigenverschuldensquote von 25 % auf der Basis von 75 % beantragt,Die Beklagten haben beantragt,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 19. Mai 1997 in F..., Ortsteil L..., T...weg Höhe L... F...weg (Radweg), zu zahlen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 4.450,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 13. März 1998 zu zahlen,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 5.957,12 DM zu zahlen (= Fahrtkosten der Eltern zum Krankenhaus),
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ein Schmerzensgeld an ihn zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber mindestens 16.000,00 DM betragen soll, nebst 4 % Zinsen seit dem 13. März 1998.
die Klage abzuweisen.Das Landgericht hat durch das am 9. Dezember 1998 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil die Klage abgewiesen.
Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger Ersatz seines immateriellen Schadens schon deshalb nicht verlangen könne, weil der Beklagte zu 1) den Unfall nicht verschuldet habe. Er könne aber auch keinen Ersatz für seine materiellen Schäden verlangen. Zwar sei der Unfall für den Beklagten zu 1) kein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 7 StVG gewesen. Das Verschulden des Klägers überwiege aber so stark, dass die von dem Fahrzeug des Beklagten ausgehende Betriebsgefahr dahinter zurücktrete.
Gegen dieses dem Klägervertreter am 14. Januar 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger durch den am Montag, den 15. Februar 1999 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag Berufung eingelegt und diese nach Gewährung der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig in dem am 14. April 1999 eingegangenen Schriftsatz vom 13. April 1999 begründet.
Der Kläger macht im Rahmen der Berufung Schadensersatz - und Schmerzensgeldansprüche nur noch auf der Basis von 25 % geltend. Dazu wiederholt er im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag und trägt insbesondere vor: Seine eigene Verantwortlichkeit für den Verkehrsunfall sei gemäß § 828 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 3 Abs. 2 a StVO und §§ 17, 7, 9 StVG gemindert gewesen. Der Beklagte zu 1) habe dagegen angesichts des regen Verkehrsbetriebes in der Nähe eines Erholungsgebietes mit dem plötzlichen Auftauchen eines Kindes rechnen müssen. Außerdem sei der Beklagte zu schnell, nämlich statt der erlaubten 30 km/h etwa 45 bis 50 km/h gefahren, so dass ihm zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.
Der Kläger beantragt,Die Beklagten beantragen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger auf der Basis von 25 % sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 19. Mai 1997 in F..., Ortsteil L..., T...weg Höhe L... F...weg (Radweg), zu zahlen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.112,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 13. März 1998 zu zahlen,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 1.489,28 DM zu zahlen (= Fahrtkosten der Eltern zum Krankenhaus),
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ein Schmerzensgeld an ihn zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber mindestens 4.000,00 DM betragen soll, nebst 4 % Zinsen seit dem 13. März 1998.
die Klage abzuweisen.Die Akten über das gegen den Beklagten zu 1) unter AZ 193 Js 796/ 97 bei der Staatsanwaltschaft F... wegen fahrlässiger Körperverletzung geführte und mangels Beweises eingestellte Ermittlungsverfahren waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, ebenso wie die Akten über den Rechtsstreit 26 C 410/ 98 beim Amtsgericht Frankfurt /O., in welchem die Beklagte zu 2) die an ihrem Fahrzeug entstandenen Schäden gegen die Haftpflichtversicherung des Klägers eingeklagt und auf der Basis von 75 % obsiegt hatte.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die eingereichten Unterlagen und auf die Beiakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist somit zulässig.
In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verneint.
Der Senat hält die Ausführungen des Landgerichts für zutreffend. Von einer nochmaligen Darlegung der Rechtslage wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Ergänzend ist noch folgendes auszuführen:
Zurecht hat das Landgericht angenommen, dass ein Verschulden des Beklagten zu 1) nicht vorliegt. Weder kann auf Grund der Aussage des Zeugen Sch... noch aus sonstigen Umständen geschlossen werden, dass der Beklagte die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 30 km/h überschritten oder sonstwie mit unangepasster Geschwindigkeit oder irgendeinem sonstigen fehlerhaften Verhalten zum Unfall beigetragen hat. Insbesondere war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Anzeichen für den Eintritt einer Gefährdung des Kindes erkennbar. Abgesehen davon, dass wegen der in der Gegenspur haftenden Fahrzeuge dem Beklagten zu 1) die Sicht auf den Kläger genommen war, hätte er selbst dann, wenn er den Kläger auf seinem Fahrrad am Fahrbahnrand stehend erkennen könnte, nicht mit dessen Gefährdung durch ungebremste Weiterfahrt rechnen müssen. Zwar müssen sich gemäß § 3 Abs. 2 a StVO Fahrzeugführer gegenüber Kindern so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Jedoch muss sich der Kraftfahrer nicht immer und unter allen Umständen darauf gefasst machen, dass sich ein in der Nähe der Fahrbahn befindliches Kind unbesonnen verhalten werde (OLG Oldenburg, VRS 87, 17). Das gilt jedenfalls für ältere Kinder (wie hier), bei denen Kenntnisse der elementaren Verkehrsregeln vorausgesetzt werden können und darauf vertraut werden kann, dass sie ihr Verhalten im Straßenverkehr danach ausrichten werden. Hier kommt hinzu, dass sich der Kläger unter der Aufsicht von Erwachsenen befand. In diesen Fällen kann sich der Kraftfahrer darauf verlassen, dass sich das ohnehin ältere Kind verkehrsgerecht verhält und nicht in grob verkehrswidriger Weise trotz Gegenverkehrs hinter haltenden Fahrzeugen die Fahrspur für den Gegenverkehr zu überqueren versucht. Dass der Beklagte zu 1) dieses Fehlverhalten ausnahmsweise konkret befürchten musste oder nach dem Erkennen darauf noch Erfolg versprechend reagieren konnte, ist weder dargetan noch nach dem Beweisergebnis auch nur naheliegend. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) schon wegen der Kürze der Zeit zwischen Erkennung der Gefahr und ihrer Verwirklichung den Zusammenstoß nicht mehr verhindern konnte.
Ob der Unfall für den Beklagten zu 1) gemäß § 7 Abs. 2 StVO auch unabwendbar war, kann offen bleiben. Denn das Verschulden des Klägers an dem Unfall wiegt so stark, dass diese minimale Betriebsgefahr der Beklagtenseite zurücktritt und der Kläger für die Folgen des Unfalls mithin allein haftet. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt 12 Jahre alt. Als normal entwickeltes Kind besaß er die erforderliche Einsichtsfähigkeit dafür, dass man als Radfahrer nicht ohne jede Ankündigung und ohne auf den Verkehr zu achten einfach auf die Gegenfahrbahn einer Straße fahren darf. Statt nach vorne auf den Verkehr zu achten, hatte sich der Kläger hier sogar noch nach hinten umgedreht und rollte in dieser Haltung hinter den auf seiner Richtungsfahrspur haltenden Fahrzeugen quer über die Fahrbahn. Hinter dieses grob fahrlässige Verhalten tritt die etwaige Betriebsgefahr des Fahrzeugs zurück, so dass auch eine Haftung der Beklagten für materielle Schäden in vollem Umfang ausscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.
Eine Entscheidung über die Abwendungsbefugnis ist nach § 713 ZPO unterblieben, da die Voraussetzungen einer Revision nach § 546 Abs. 1 ZPO unzweifelhaft nicht vorliegen.