Zum Anwendungsbereich des § 6 Abs. 4 EichO und zur Frage, ob ein entgegen § 6 Abs. 4 EichO erzieltes Messergebnis einem Beweisverwertungsverbot unterliegt.
Zum Sachverhalt: Der Landrat des Hochsauerlandkreises Arnsberg hat mit Bußgeldbescheid vom 19. August 2003 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung des zulässigen Gesamtgewichts um 16,3 % (6537 kg) gem. § 24 Abs. 2 StVG, § 34 Abs. 3, § 69 a StVZO eine Geldbuße in Höhe von 75,00 € festgesetzt. Mit Urteil vom 17. November 2003 hat das Amtsgericht Meschede den Betroffenen von diesem Vorwurf aus Rechtsgründen freigesprochen und im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
"Am 09.07.2003 um 15.30 Uhr transportierte der Betroffene mit dem Lkw Marke MAN mit Anhänger, amtliches Kennzeichen der Zugmaschine..., amtliches Kennzeichen des Anhängers SO - TE 745, Fichten-Langholz. In Bestwig-Velmede wurde der Betroffene von den Polizeibeamten des Verkehrsdienstes R. und S. angehalten. Er wurde mit seinem Fahrzeug zur Firma H. in Meschede geleitet. Dort wurde das Fahrzeug mittels einer Vierfachwägung gewogen. Die Waage in H. ist geeicht bis 2005. Vom Ergebnis der Wägung wurde noch ein Toleranzabschlag von 2,7 % genommen. Es wurde ein Gewicht von 46537 kg anstatt der erlaubten 40000 kg festgestellt, somit eine Überladung von 16,3 % oder 6537 kg."Nach Auffassung des Amtsgerichts konnte dieses Ergebnis jedoch nicht Grundlage einer Verurteilung sein, da die zur Ermittlung der Überschreitung des Gesamtgewichts benutzte Waage nach den Ausführungen des in der Hauptverhandlung vernommenen Sachverständigen nicht den Anforderungen des § 6 Abs. 4 EichO entspreche. Danach darf derjenige, der eine Straßenfahrzeugwaage im geschäftlichen oder amtlichen Verkehr verwendet, das Gesamtgewicht des Fahrzeugs nicht durch achsweises Wägen ermitteln, wenn die Beruhigungsstrecke vor oder hinter der Waagenbrücke nicht mit dieser auf gleicher Höhe liegen und nicht gerade oder waagerecht ausgeführt sind. Die Waage H. in Meschede erfülle diese Voraussetzungen nicht. Der Sachverständige habe festgestellt, dass die Waage jedoch grundsätzlich innerhalb der Verkehrsfehlergrenzen messtechnisch richtig anzeige. Eine Vergleichswägung habe ergeben, dass die maximale Abwägung zu einer Wägung bei H. minus 0,53 % betrage.
Das Amtsgericht hielt § 6 Abs. 4 EichO für anwendbar, weil auch die Straßenverkehrsüberwachung durch die Polizei unter dem Begriff "amtlicher Verkehr" falle und hat den Betroffenen aus Rechtsgründen freigesprochen. Denn die Waage mit den Beruhigungsstrecken erfülle nicht die Voraussetzung der vorgenannten Norm und deshalb unterliege das mittels dieser Waage festgestellte Gesamtgewicht einem Beweisverwertungsverbot.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Arnsberg form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und auf die Rechtsbeschwerde das Urteil des Amtsgerichts Meschede aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Der Betroffene hat in seiner Gegenerklärung durch seinen Verteidiger ebenfalls zu der Rechtsfrage vortragen lassen. Zudem hat er hilfsweise für den Fall, dass die Rechtsbeschwerde nicht zurückgewiesen werde, eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gem. Art. 234 EG-Vertrag beantragt.
Der Zulassungsantrag der Staatsanwaltschaft war - vorläufig - erfolgreich.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die Rechtsbeschwerde war gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Eine Rechtsbeschwerde ist zur Fortbildung des Rechts u. a. dann zuzulassen, wenn eine Rechtsfrage zu klären ist oder die Festigung einer bereits geklärten Rechtsfrage von Nöten ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Entscheidungserheblich ist hier zum einen der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 4 EichO und zum anderen die Rechtsfrage, ob das entgegen § 6 Abs. 4 EichO erzielte Messergebnis einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Der Senat hat zwar in dem Parallel-Verfahren 4 Ss OWi 165/04 und 225/04 zu den angesprochenen Rechtsfragen Stellung genommen, doch ist eine Festigung dieser Rechtsprechung erforderlich, da Anwendungsbereich und Auslegung der geforderten Norm bei verschiedenen Amtsgerichten uneinheitlich gehandhabt worden ist und bei dem Amtsgericht Meschede auch in anderen gleichgelagerten Fällen zu Freisprüchen geführt hat.
Bei der Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde handelt es sich um eine Entscheidung des Einzelrichters des Senats (§ 80 a Abs. 2 Nr. 2 OWiG), welcher die Zulassung der Sache gem. § 80 a Abs. 2 OWiG auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen hat.
III.
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg, der die Generalstaatsanwaltschaft Hamm beigetreten ist, ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil hält auf die Sachrüge hin einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.
1. Der Senat hat in dem anhängigen Parallelverfahren - 4 Ss OWi 165/04 - bereits zu den hier entscheidungserheblichen Rechtsfragen Stellung genommen (vgl. auch 4 Ss OWi 225/04) und Folgendes ausgeführt:"Das Amtsgericht hat schon nicht dargelegt, ob § 6 Abs. 4 EichO im vorliegenden Fall anwendbar ist.Diese Erwägungen treffen auch auf den vorliegenden Fall zu.
§ 6 Abs. 4 EichO verhält sich über die Beschaffenheit einer Straßenfahrzeugwaage bei einem achsweisen Wägen. Dabei soll die Richtigkeit einer Messung gewährleistet werden. Hält die Waage die Voraussetzung nicht ein, d. h. liegen die Beruhigungsstrecken vor und hinter der Waagenbrücke nicht mit dieser auf gleicher Höhe und sind diese nicht waagerecht und gerade ausgeführt, so kann es zu Messfehlern kommen. Über alle möglichen Fehlerquellen, welche bei einem achsweisen Wägen von Straßenfahrzeugen auftreten können, verhält sich ein Grundsatzgutachten der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB-Mitteilung 94 5/84 S. 344), auf welches der Sachverständige nach den Feststellungen des Amtsgerichts Bezug genommen hat. Nach diesem Gutachten treten mögliche Fehler bei einem achsweisen Wägen auf, bei dem zwei Teilwägungen vorgenommen werden, die zu einem Gesamtgewicht summiert werden. Ein möglicherweise fehlerbegründendes achsweises Wägen, welches § 6 Abs. 4 EichO gerade verhindern will, ist unter Zugrundelegung dieses Gutachtens bei lediglich zwei Teilwägungen anzunehmen.
Hier liegt jedoch nach den Feststellungen des Amtsgerichts eine Vierfachwägung vor. Was unter einer solchen - offensichtlich von dem üblichen Achsweisen Verwägen abweichenden - Verwägung zu verstehen ist, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Der Senat vermag daher nicht zu entscheiden, ob diese überhaupt vom Regelungszweck des § 6 Abs. 4 EichO erfasst wird. Das Amtsgericht wird daher zu klären haben, wie eine solche Wägung abläuft und ob durch diese Wägefehler aufgrund nicht waagerechter oder gerader Beruhigungsstrecken ausgeglichen werden können."
2. Für den Fall, dass auch bei einer Vierfachverwägung die Voraussetzung des § 6 Abs. 4 EichO erfüllt sein müssen, hat der Senat bereits im Verfahren 4 Ss OWi 103/04 Stellung genommen und Folgendes ausgeführt:"Die Straßenverkehrsüberwachung durch die Polizeibehörden fällt - wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat - unter dem Begriff "amtlicher Verkehr" in § 6 Abs. 4 EichO. Amtlicher Verkehr ist in Abgrenzung zum geschäftlichen Verkehr zu definieren. Unter geschäftlicher Verkehr fällt jede Tätigkeit, die der Förderung eines beliebigen Geschäftszwecks dient. Es darf sich jedoch nicht um eine rein private oder ausschließlich amtliche Betätigung handeln (vgl. Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 2, E 90, § 1 EichG, Rz. 4). Entscheidend ist demnach die Zielrichtung der ausgeübten Tätigkeit der handelnden Personen. Damit sind mit "amtlicher Verkehr" alle hoheitlichen Aufgaben gemeint, wozu auch die Straßenverkehrsüberwachung durch die Polizeibehörden gehört.Diese Erwägungen treffen auch in dem vorliegenden Fall zu.
Das Ergebnis einer Wägung auf einer Waage, welche die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 EichO nicht einhält, unterliegt aber - entgegen der Ansicht des Amtsgerichts - nicht einem generellen Beweisverwertungsverbot.
Eine fehlerhafte Beweiserhebung löst nicht zwangsläufig einen Verwertungsverbot aus (vgl. BVerfG NJW 2000, 3557; BGHSt 44, 234, 249; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., Einleitung Rz. 55 m. w. N.). Vielmehr sind das Interesse des Staates an der Tataufklärung gegen das Individualinteresse des Betroffenen an der Bewährung seiner Rechtsgüter abzuwägen. Das Gewicht des Verstoßes und seine Bedeutung für die rechtsgeschützte Sphäre des Betroffenen sind bei der Abwägung ebenso zu beachten wie die Erwägung, dass der Staat eine funktionsfähige Rechtspflege zu gewährleisten hat (vgl. BGHSt 38, 214, 220).
Zweck des Eichgesetzes und der aufgrund der §§ 2, 3 EichG erlassenen Eichordnung ist es, die Messsicherheit zu gewährleisten. Hierfür können gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 EichG auch Anforderungen an Messgeräte und ihre Verwendung festgelegt werden, so wie es in § 6 Abs. 4 EichO für Straßenfahrzeugwaagen erfolgt ist. Nach dem Wortlaut der Norm "darf" aber nur das Gesamtgewicht eines Fahrzeugs nicht durch achsweises Wägen ermittelt werden, wenn die Waage nicht die dort genannten Voraussetzungen erfüllt. Ein zwingendes Verbot sieht die Norm nicht vor. Ebenso wenig ist der Norm zu entnehmen, dass derartiges achsweises Wägen zwangsläufig zu falschen Messergebnissen führt. Hierfür spricht auch, dass nach den Feststellungen in dem angegriffenen Urteil auch für derartige Waagen, welche die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 EichO nicht erfüllen, nach einer Prüfung auf Eignung eine Erlaubnis für Achslastwägungen erteilt werden kann.
Dieser Zweck der Norm und damit die zu schützenden Interessen des Betroffenen können grundsätzlich hinreichend durch einen Toleranzabzug von dem erzielten Messergebnis gewahrt werden. Dieses bestätigt auch das Gutachten der PTB, welches sich gerade zu dieser Frage verhielt und zu dem Ergebnis kam, dass zum Ausgleich von möglichen Fehlern bei zweiachsigen Fahrzeugen ein Abzug von 1,8 % und Fahrzeugen mit mehr als zwei Achsen ein Abzug von 2,7 % des ermittelten Gesamtgewichts vorzunehmen ist. Andere gegenteilige gutachterliche Erkenntnisse liegen nicht vor. Möglicherweise kann auch durch eine "Vierfachverwägung" eine höhere Messgenauigkeit erreicht werden.
Deuten demnach im Einzelfall zureichende und naheliegende Hinweise auf das Vorliegen von Messfehlern hin, muss sich der Tatrichter von der Zuverlässigkeit und Wichtigkeit der Messergebnisse überzeugen (vgl. BGHSt 43, 277, 283 f.; 39, 297, 300; OLG Karlsruhe VRS 98, 447, 452; AG Alsfeld DAR 1999, 517; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 3 StVO Rz. 56 b). Hierzu muss er ggf. ein Sachverständigengutachten einholen, um sich zu vergewissern, ob über vorzunehmende Abschläge die aufgetretenen Fehlerquellen ausgeglichen werden können und in welcher Höhe diese Abschläge dann konkret vorzunehmen sind."
3. Die von dem Verteidiger des Betroffenen in seiner Gegenerklärung beantragte Vorlage gem. Art. 234 EG-Vertrag an den Europäischen Gerichtshof kam nicht in Betracht, da es nicht um Fehler der Waage, sondern um mögliche Fehlerquellen bei der Ermittlung des Wiegeergebnisses zur Feststellung des tatsächlichen Gesamtgewichtes des Lkw geht (vgl. Senatsbeschluss vom 11.03.2004 - 4 Ss OWi 103/04).
IV.
Wegen der aufgezeigten Mängel unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung. Die Sache war daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Meschede zurückzuverweisen. ..."