Bei einer Kollision zwischen einem geradeausfahrenden Motorradfahrer und einem ihm entgegenkommenden linksabbiegenden Pkw ist eine Mithaftung des Motorradfahrers von 20% angemessen, wenn er sich der Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von zwischen mindestens 57 km/h und maximal 70 km/h genähert hat. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von ca. 15% lässt auch bei einem solchen Unfall die Betriebsgefahr nicht völlig entfallen.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt von den Beklagten materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 08.11.2005 gegen 11:00 Uhr auf der …straße in E.… in Höhe der Einmündung zur … Schleuse. Der Kläger, der die …straße in Richtung Straße F.… befuhr, stürzte mit seinem Motorrad bei dem Versuch einer Vollbremsung vor dem in der Gegenrichtung fahrenden Pkw der Beklagten zu 1., der nach links in die Einmündung zur … Schleuse abbog und dabei die Fahrspur des Klägers überquerte. In der Folge kam es zur Kollision des rutschenden Motorrades mit dem von der Beklagten zu 1. gefahrenen Pkw. Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob der Kläger von der Beklagten zu 1. bei Einleitung ihres Abbiegemanövers gesehen werden konnte oder durch die Kuppe der Brücke verdeckt gewesen ist, sowie über eine Überschreitung der an der Unfallstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h durch den Kläger. Daneben besteht Streit über die Höhe des vom Kläger geltend gemachten Kleiderschadens, über den Betrag des geforderten Schmerzensgeldes sowie über die begehrte Nutzungsausfallentschädigung und die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sach- und Streitstandes unter I. des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Der Kläger, der sich zunächst einen Mithaftungsanteil von einem Drittel hat anrechnen lassen, begehrt nunmehr Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Erweiterung der Klage betreffend Schadenspositionen von insgesamt 6.877,93 € (Wiederbeschaffungsaufwand Motorrad: 4 376,00 €, Ersatz Feuerwehrkosten: 181,50 €, Gutachterkosten: 615,73 €, Abschleppkosten: 154,70 €, Kleiderschaden: 550,00 €, Schmerzensgeld: 1.000,00 €), wobei er von einer alleinigen Haftung der Beklagten ausgeht.
Mit Beschluss vom 27.12.2007 hat das Landgericht dem Kläger unter Zurückweisung des weitergehenden Antrages Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klageänderung bis zu einem Streitwert in Höhe von 5 502,34 € bewilligt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die beabsichtigte Klageänderung habe lediglich unter Berücksichtigung einer Mithaftung des Klägers in Höhe von 20 % Aussicht auf Erfolg. Der Kläger müsse sich in dieser Höhe die Betriebsgefahr seines Motorrades anrechnen lassen, weil er die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit um 7,6 km/h überschritten habe. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 15,2 % sei nicht so gering, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges vollständig hinter dem überwiegenden Verschulden der Beklagten zu 1. zurücktrete. Der Kläger habe auch nicht nachgewiesen, dass der Unfall für ihn unvermeidbar gewesen sei. Hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Schadenspositionen sei eine Kürzung im Rahmen der vorliegenden Entscheidung nicht vorzunehmen, da dem Kläger die insoweit bereits zuvor bewilligte Prozesskostenhilfe nicht wieder aberkannt werden könne.
Der Kläger hat gegen den ihm am 14.01.2008 zugestellten Beschluss mit am 18.01.2008 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz „Beschwerde“ eingelegt.
Die Kläger ist der Auffassung, das Landgericht habe zu Unrecht eine Mithaftung auf seiner Seite angenommen. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 7,6 km/h habe schon deshalb nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden dürfen, weil deren Kausalität für den Unfall nicht nachgewiesen sei. Vielmehr trete die Betriebsgefahr seines Motorrades angesichts des schweren Verkehrsverstoßes der Beklagten zu 1. vollständig zurück. Im Übrigen vertieft der Kläger sein Vorbringen zu einem seiner Ansicht nach angemessenen Schmerzensgeld von 1.000,00 €.
Der Kläger beantragt,ihm für einen weiteren Betrag von 1.375,59 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.04.2006 Prozesskostenhilfe zu bewilligen.Die Beklagten beantragen,die Beschwerde zurückzuweisen.Die Beklagten halten eine Mithaftung des Klägers in Höhe von jedenfalls 20 % für gerechtfertigt.
Das Landgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 07.02.2008 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt. In dem Beschluss hat das Landgericht ausgeführt, zwar treffe der Einwand des Klägers zu, die Kausalität der ihm zur Last fallenden Geschwindigkeitsüberschreitung für den Unfall sei nicht nachgewiesen. Gleichwohl sei dem Kläger jedoch die einfache Betriebsgefahr seines Motorrades im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 17 StVG in Höhe von 20 % anzurechnen.
II.
Das Rechtsmittel des Klägers ist als sofortige Beschwerde nach §§ 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 S. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO eingelegt worden. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Die Rechtsverfolgung des Klägers hat nicht über den vom Landgericht berücksichtigten Umfang hinaus Erfolg, sodass die weitergehende Prozesskostenhilfe zutreffend versagt worden ist, § 114 ZPO.
Der Kläger hat gegen die Beklagten, die als Gesamtschuldner haften, aufgrund des Unfalles vom 08.11.2005 einen Schadensersatzanspruch - hinsichtlich der im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens maßgeblichen Schadenspositionen - in Höhe von höchstens 5.502,34 € aus §§ 7 Abs. 1, 11, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 3 PflVG.
Vorliegend ist eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmen, insbesondere hat der Kläger nicht nachgewiesen, dass der Unfall auch bei Einhaltung der äußerst möglichen Sorgfalt eines idealen Fahrers auf seiner Seite nicht hätte abgewendet werden können (zur Darlegungs- und Beweislast desjenigen, der sich auf die Unabwendbarkeit des Unfalls beruft vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 40. Aufl., § 17 StVG, Rn. 22f). So hat der Kläger nicht bewiesen, dass ein idealer Fahrer, der bei dem Durchführen des Bremsmanövers nicht gestürzt wäre, nicht durch eine Ausweichreaktion eine Kollision mit dem von der Beklagten zu 1. geführten Pkw hätte vermeiden können. Auch hat der Kläger nicht nachzuweisen vermocht, dass er sich tatsächlich mit einer geringeren Geschwindigkeit als dem vom Sachverständigen Dipl.-Ing. Ku… ermittelten Höchstwert von 69,7 km/h der Unfallstelle angenähert hat oder dass durch eine solche Geschwindigkeitsüberschreitung der Unfall nicht mitverursacht worden ist.
Nach § 17 Abs. 1 StVG hängt die Schadensersatzverpflichtung dementsprechend von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 2007, S. 506; KG NZV 1999, S. 512; NZV 2003, S. 291; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 5, m.w.N.). Jede Seite hat dabei die Umstände zu beweisen, die der Gegenseite zum Verschulden gereichen und aus denen sie für die nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will ( BGH NZV 1996, S. 231). Die Abwägung führt hier zu einer 80 %igen Haftung der Beklagten.
Zu Lasten der Beklagten ist ein Verstoß der Beklagten zu 1. gegen § 9 Abs. 4 StVO zu berücksichtigen. Bei einer Kollision eines Linksabbiegers mit einem Entgegenkommenden in dessen Fahrbahn spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für einen schuldhaften Verkehrsverstoß des Linksabbiegers ( BGH NZV 2005, S. 249; KG NZV 2003, S. 182; Hentschel/ König/Dauer, a.a.O., § 9 StVO, Rn. 55, Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 20. Aufl., § 9 StVO, Rn. 31). Den Anscheinsbeweis kann der Linksabbieger erschüttern, indem er darlegt und nachweist, dass er sich beim Abbiegen pflichtgemäß verhalten hat (KG a.a.O.). Dies ist den Beklagten nicht gelungen, vielmehr steht nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme ein Verkehrsverstoß der Beklagten zu 1. fest. Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Ku… in seinem schriftlichen Gutachten vom 25.04.2007. Der Sachverständige hat nachvollziehbar anhand der festgestellten Brems- und Rutschspuren des Motorrades sowie unter Einbeziehung der Auswirkungen der Kollision zwischen Motorrad und Pkw eine Annäherungsgeschwindigkeit von maximal 69,7 km/h ermittelt. Er hat weiter anschaulich dargetan, dass bei einer solchen Geschwindigkeit des Motorrades - deren Unterschreitung in diesem Rahmen vom Kläger zu beweisen wäre - zwar in dem Zeitpunkt, in dem die Beklagte zu 1. den Entschluss zur Durchführung des Abbiegemanövers gefasst hat, allenfalls der Kopf des Klägers hätte wahrgenommen werden können, im Moment der Einleitung des Anfahrvorgangs allerdings der Kläger deutlich sichtbar gewesen sein muss, sodass die Beklagte zu 1. den Abbiegevorgang hätte abbrechen müssen.
Dem Kläger ist demgegenüber ein für den Unfall kausaler Verstoß gegen § 3 Abs. 3 StVO nicht anzulasten. Zwar folgt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Ku… auch soweit dieser eine Überschreitung der an der Unfallstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um jedenfalls 7,6 km/h festgestellt hat. Eine Kausalität einer solch geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitung ist jedoch weder im Hinblick auf die Unfallentstehung noch bezüglich der Schadenshöhe festzustellen.
Im Ergebnis der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge folgt der Senat der vom Landgericht vorgenommenen Quotierung von 80 % zu 20 % zu Lasten der Beklagten. Zwar haftet bei Kollisionen mit dem geradeaus fahrenden Gegenverkehr der Linksabbieger grundsätzlich allein ( BGH NZV 2005, S. 249; KG DAR 1994, S. 153; Hentschel/König/ Dauer, a.a.O., § 9 StVO, Rn. 55, so auch der Senat im Urteil vom 23.10.2008, Az. 12 U 45/08, zitiert nach juris). Eine alleinige Haftung der Beklagten erscheint aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles indes nicht gerechtfertigt. Der Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 1. ist nämlich als relativ gering zu gewichten. So ist nach den Feststellungen des Sachverständigen die Einleitung des Abbiegemanövers durch die Beklagte zu 1. nicht zu beanstanden, wenn sie nicht einmal den Kopf des Klägers wahrnehmen konnte, was der Sachverständige nicht ausgeschlossen hat. Selbst wenn die Beklagte den Helm des Klägers bereits sehen konnte, so ist doch zu beachten, dass die relativ geringe wahrnehmbare Fläche des sich nähernden Fahrzeuges den Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 1. relativiert. Auch das Unterlassen des Abbrechens des zunächst fehlerfrei begonnenen Abbiegevorganges bei Einleitung des Anfahrvorganges wiegt nicht so schwer wie die Vorfahrtsverletzung eines Linksabbiegers gegenüber einem ohne weiteres wahrnehmbaren Geradeausfahrers. Auf der anderen Seite ist die erhöhte Betriebsgefahr des Motorrades infolge seiner schlechtern Wahrnehmbarkeit im Vergleich zu größeren Kraftfahrzeugen (vgl. hierzu auch OLG Hamm RuS 2002, S. 412) - insbesondere bei der hier zunächst anzunehmenden Verdeckung des Scheinwerfers durch die Brückenkuppe - und die große Instabilität eines Motorrades, die sich im Sturz des Klägers vor der Kollision realisiert hat, zu berücksichtigen. Dies alles rechtfertigt es, den Kläger im Umfang von 20 % an den entstandenen Schäden zu beteiligen bzw. bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eine Mithaftung des Klägers von 20 % einzubeziehen.
Angesichts der im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens vom Kläger geltend gemachten Schadenspositionen, die insgesamt einen Betrag von 6.877,93 € ausmachen, ergibt sich ein Anspruch von 5.502,34 €. Dahinstehen kann im vorliegenden Verfahren, ob einzelne Positionen in der Höhe noch weiter zu kürzen sind, da das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung eine solche Kürzung nicht vorgenommen hat. Dementsprechend braucht auch nicht entschieden werden, ob ein Schmerzensgeld von 1.000,00 € ohne Berücksichtigung einer Mithaftung des Klägers gerechtfertigt wäre. Das Landgericht hat den vom Kläger genannten Betrag seiner Entscheidung über die beantragte Prozesskostenhilfe nämlich ausdrücklich zugrunde gelegt und nur im Hinblick auf die Mithaftung des Klägers eine - nicht zu beanstandende - Reduzierung vorgenommen.
Ein weitergehender Schadensersatzanspruch besteht aus den vorgenannten Gründen auch nicht aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 253 Abs. 1 BGB, 9 Abs. 4 StVO, 3 PflVG.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil sich die Inanspruchnahme des Klägers für die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens bereits aus Nr. 1812 der Anlage 1 zum GKG ergibt, das erstinstanzliche Verfahren gerichtsgebührenfrei ist und außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden, §§ 118 Abs. 1 S. 4, 127 Abs. 4 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 574 Abs. 2 ZPO genannten Gründe gegeben ist. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.