Fährt der Vorfahrtberechtigte mit so hoher Geschwindigkeit auf den späteren Unfallort zu, dass nicht festgestellt werden kann, ob der Wartepflichtige ihn rechtzeitig sehen konnte, so liegt keine Vorfahrtverletzung vor und es tritt die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Wartepflichtigen vollkommen wegen groben Verschuldens des Vorfahrtberechtigten zurück.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls.
Am 21.8.2008 gegen 21.30 Uhr fuhr F., der Sohn des Klägers, mit dem Pkw ..., amtl. Kennzeichen ... von ... auf der bevorrechtigten Bundesstraße durch ... in Richtung ... . Dabei fuhr er auch nach Passieren des Ortseingangsschildes mit einer Geschwindigkeit von deutlich über 50 km/h. Der Beklagte bog mit seinem Pkw ... amtl. Kennzeichen ..., der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, von der ... nach links in die Bundesstraße ein, um ebenfalls in Richtung ... zu fahren. Als F. den vor ihm fahrenden Pkw ... sah, versuchte er zunächst, zu bremsen, erkannte dann aber, dass er so einen Unfall nicht würde vermeiden können, fuhr links am ... vorbei und beschleunigte hierbei nochmals kurz. Dann lenkte er wieder nach rechts, geriet ins Schleudern und prallte mit seinem Pkw ... gegen einen Laternenmast. Dadurch entstand an dem Pkw ... ein Sachschaden in Höhe von 5.600,00 EUR.
Der Kläger behauptet, er sei Halter des Pkws ... . Rein vorsorglich habe ... seine Schadensersatzansprüche an ihn abgetreten. Der Beklagte hätte, bevor er in die bevorrechtigte Bundesstraße einfuhr, das Fahrzeug, des Klägers sehen können und müssen. In Folge dessen hätte er nicht in die Bundesstraße einfahren dürfen.
Der Kläger beantragt:Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.228,00 EUR und 603,93 EUR vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 6.228,00 EUR seit 22.10.2008 und aus 603,93 EUR seit Zustellung der Klage zu bezahlen.Die Beklagten beantragenKlageabweisung.Sie tragen vor, F. habe nach seinen eigenen Angaben gegenüber der Polizei auf Höhe des Ortsschildes eine Geschwindigkeit von „mindestens 100 km/h“ gehabt und in Folge dessen eine Strecke von 23 m in der Sekunde zurückgelegt. Der Beklagte habe, bevor er in die Bundesstraße einfuhr, den Pkw des Klägers überhaupt nicht sehen können. In Folge dessen habe er keine Vorfahrtspflichtverletzung begangen. Sollte dem Beklagten der Nachweis der Unvermeidbarkeit nicht gelingen, würde die Betriebsgefahr des Pkws des Beklagten wegen des groben Verkehrsverstoßes von F. zurücktreten.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von F. sowie dessen Beifahrerin und Freundin G. sowie Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen ... .
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 u. 2 StVG hinsichtlich der Beklagten zu 2) i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 2 VVG n.F..
Zwar wurde der Pkw des Klägers beim Betrieb des Kraftfahrzeugs des Beklagten beschädigt ( § 7 Abs. 1 StVG ). Die Beklagten haben auch nicht nachgewiesen, dass der Unfall durch ein für den Beklagten zu 1) unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG verursacht wurde. Nach dem Gutachten des Sachverständigen ... steht nämlich nicht mit Sicherheit fest, dass der Beklagte den Pkw des Klägers nicht sehen konnte, bevor er in die bevorrechtigte B... einfuhr.
Die Betriebsgefahr des Pkws des Beklagten tritt vorliegend jedoch zurück, da F. einen groben Verkehrsverstoß begangen hat. .F. fuhr mit seinem Pkw …, in dessen Kofferraum sich zudem noch eine große Bassbox der Firma ... befand, auf der Höhe des Ortsschildes von ... mit einer Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h.
F. sagte bei seiner Vernehmung durch den Richter, er sei auf der Straße zwischen ... und ... mit einer ungefähren Geschwindigkeit von 110 km/h bis 120 km/h gefahren, beim Ortsschild habe er dann abgebremst auf ungefähr 65 bis 70 km/h. Er habe dann den Pkw des Beklagten gesehen, sich aber gedacht: „Der wird schon stehenbleiben.“
Z. sagte bei ihrer Vernehmung durch das Gericht, sie schätze, dass F. außerorts ca. 120 km/h gefahren sei. Beim Ortsschild seien es dann etwa 60 bis 70 km/h gewesen. F. und seine Freundin räumten somit auch in diesem Verfahren eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung ein.
Aufgrund der beigezogenen Ermittlungsakte, die zum Gegenstand der Verhandlung gemacht wurde, ist das Gericht darüber hinausgehend der Überzeugung, dass F. in Höhe des Ortsschildes noch mit einer Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h fuhr. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Polizeiinspektion ... am 25.8.2008, also vier Tage nach dem Unfall, antwortete F. auf die Frage des Polizeibeamten, wie schnell er gefahren sei, als er auf der Höhe des Ortsschildes von ... war:„Ich denke, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch ca. 100 km/h fuhr. Es kann auch geringfügig mehr gewesen sei. Nach dem Ortsschild bremste ich mein Fahrzeug auf ca. 80 km/h ab.“.Seine Freundin G. sagte bei ihrer Zeugenvernehmung durch die PI ... am 24.8.2005, ihr Freund sei auf der freien Strecke zwischen ... und ... mit deutlich über 100 km/h gefahren.
Sie denke, dass er am Ortseingang von ... „bestimmt noch mit 100 km/h gefahren“ sein dürfte.
Diese hohe Geschwindigkeit wird durch den weiteren Verlauf des Unfalls bis zum Aufprall des Pkws des Klägers auf die Laterne bestätigt. Die Polizei ... stellte eine Driftspur des Pkw ... auf dem Asphalt mit einer Länge von 27 m fest. Vor allem gelangte der Sachverständige .. aufgrund der sich aus dem Schadensbild ergebenden Kollisionsgeschwindigkeit von ca. 30 km/h und der Verzögerung des querstehenden Fahrzeugs bei einem Schleudervorgang von ca. 5 m/Sek² zu dem Ergebnis, dass das klägerische Fahrzeug auch nach dem Ortsschild noch 100 km/h schnell gewesen sein muss (Bl. 61 d.A.). Damit hat … die innerorts vorgeschriebene Geschwindigkeit von 50 km/h grob missachtet. Ein Verschulden des Beklagten steht dagegen nicht fest. Nach dem Gutachten des Sachverständigen lässt sich mit den zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen nicht exakt aufklären, ob der Beklagte beim Anfahrbeginn den herannahenden klägerischen Pkw schon sehen konnte oder nicht. Aus technischer Sicht besteht jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er ihn gerade noch nicht sehen konnte, als er anfuhr (Bl. 52 d.A.).
Wegen der groben Alleinschuld von F. an dem Unfall, tritt die Betriebsgefahr des Pkws des Beklagten zurück.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.