- Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. August 2009 (2 BvR 941/08) steht der Verwertung von Ergebnissen der Videoabstandsmessung in Rheinland-Pfalz nicht entgegen.
- Da jedenfalls auf Autobahnen Anhaltekontrollen mit einem viel zu hohen Risiko für alle Beteiligten verbunden wären, sind auch Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Identifizierungsaufnahme gegeben.
Gründe:
Die Nachprüfung der Entscheidung aufgrund der Beschwerderechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben ( §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 und 3 StPO). Mit Blick auf den Verteidigerschriftsatz vom 1. März 2010 ist anzumerken:
Abgesehen davon, dass das behauptete Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot nicht mit einer den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend gemacht wurde (siehe dazu OLG Hamm v. 11.11.2009 – 3 Ss OWi 856/09 – juris), wäre ein solches auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. August 2009 (2 BvR 941/08 ) zu verneinen, denn:
1. Bei einer sog. Brückenabstandsmessung kommen – jedenfalls in Rheinland-Pfalz – insgesamt 3 Kameras zum Einsatz.
a) Zwei auf einer Brücke aufgestellte Videokameras ohne Polarisierungsfilter erfassen den auflaufenden Verkehr auf allen Fahrstreifen über eine Gesamtstrecke von mindestens 400 m, wobei eine Nahbereichskamera auf die eigentliche, 50 m lange Messstrecke gerichtet ist, während zweite Kamera den Fernbereich (Beobachtungsstrecke) erfasst. Das Verkehrsgeschehen wird als Schnittbild ständig auf ein VHS-Band aufgezeichnet und auf einen Monitor übertragen, der von Polizeibeamten beobachtet wird. Da die Bildwiederholfrequenz der „Taktgeber“ für den die Zeiteinblendung in die Videoaufnahme generierenden JVC/Piller Charaktergenerator CG-P50E ist, müssen systembedingt analoge 50-Hertz-Kameras nach PAL-Standard verwendet werden. Die Aufnahmequalität entspricht in etwa der einer Digitalaufnahme mit 0,44 Megapixel; sie leidet zudem durch die Aufzeichnung auf VHS-Bänder. Weder Fahrzeugführer noch Kennzeichen sind auch nur andeutungsweise erkennbar. Eine Fahreridentifizierung anhand dieser Aufnahmen ist von vorn herein nicht beabsichtigt und technisch wegen der relativ schlechten Bildqualität auch nicht durch Vergrößerung möglich. Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt deshalb mangels Personenbezug nicht vor.
b) Der Fahreridentifizierung dient allein die im Brückenbereich am Straßenrand sichtbar aufgestellte dritte Kamera, die von Polizeibeamten, die auf dem Monitor den laufenden Verkehr beobachten, erst dann gezielt in Betrieb gesetzt wird, wenn das Fahrverhalten eines bestimmten Verkehrsteilnehmers den Schluss auf die Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit zulässt. Er wird also jemand mit einer Identifizierungszwecken dienenden Nahaufnahme erfasst, der mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade dabei ist oder war, einen sanktionsbewehrten Verstoß gegen eine Gebots- oder Verbotsnorm in Form einer Geschwindigkeitsüberschreitung oder einer Unterschreitung des Sicherheitsabstandes zu begehen. Diese bestimmte Person ist somit ein Tatverdächtiger. Diesem Status steht selbstverständlich, wie sich aus § 163b Abs. 1 StPO ergibt, nicht entgegen, dass seine Personalien noch unbekannt sind.
2. Der in der Anfertigung der verdachtsabhängigen Nahaufnahme zu sehende Grundrechtseingriff ist gesetzlich durch nach § 46 OWiG entsprechend anwendbare strafprozessuale Vorschriften legitimiert.
a) Nach Auffassung der Oberlandesgerichte Bamberg (Beschl. v. 16.11.2009 – 2 Ss OWi 1215/2009 – NZV 2010, 98) und Dresden (Beschl. v. 02.02.2010 – Ss OWi 788/09 – juris), der sich der Senat anschließt, ergibt sich die Eingriffsgrundlage bei dem hier angewendeten Messverfahren aus § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO (siehe auch OLG Stuttgart v. 29.01.2010 – 4 Ss 1525/09 – juris zu einem ähnlichen Verfahren mit nur einer Überwachungskamera). Dass diese Norm in erster Linie die Beweisgewinnung durch Observation von Personen oder Objekten regelt, steht ihrer Anwendung auf „heimliche“ Momentaufnahmen, die der Identifizierung eines auf frischer Tat ertappten Verdächtigen dienen, nicht entgegen (siehe auch KK-Nack, StPO, § 100h Rn. 2).
b) Sieht man demgegenüber die Herstellung der Nahaufnahme als eine nicht unter 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO fallende Maßnahme der „Spurensicherung“ im weitesten Sinne an (so wohl AG Eilenburg v. 28.10.2009 – 5 Owi 256 Js 32476/09 – juris Rn. 20), ergibt sich die Ermächtigungsgrundlage aus § 163b Abs. 1 StPO. Danach sind die zur Identifizierung eines Tatverdächtigen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, was auch ohne dessen Wissen geschehen kann. Zu den zulässigen Maßnahmen gehört auch die Anfertigung von Bilddokumenten.
c) Da jedenfalls auf Autobahnen Anhaltekontrollen mit einem viel zu hohen Risiko für alle Beteiligten verbunden wären, sind auch Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Identifizierungsaufnahme gegeben.
Kosten: §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 S. 1 StPO