- Ist durch einen von einem Dritten verschuldeten Unfall keine Arthrose entstanden, aber eine vorhandene bislang beschwerdefreie Arthrose "aktiviert" worden, so haftet dafür der Schädiger. Er hat aber nur solche Schäden zu ersetzen, die infolge der vorzeitigen Verschlechterung der Arthrose eingetreten sind.
- Beruft sich der Schädiger dabei darauf, dass die dadurch ausgelösten Beschwerden auch ohne das Unfallgeschehen zeitnah eingetreten wären, trägt er hierfür die Beweislast. Dabei kommt ihm allerdings die Beweiserleichterung aus § 287 ZPO zugute.
Gründe:
I.
Der Kläger war am 5.6.2007 im Kreuzungsbereich der B. mit der K. an einem Verkehrsunfall beteiligt. Er befuhr die vorfahrtsberechtigte B. in Richtung K. und wurde von dem die Vorfahrt missachtenden Beklagten zu 1) im Bereich des vorderen rechten Kotflügels gerammt. Das Fahrzeug des Klägers drehte sich und blieb in Richtung G. stehen. Der Kläger wurde unmittelbar nach dem Unfall in das Altmarkklinikum G. verbracht. Zum dort erhobenen Befund wird Bezug genommen auf den Bericht vom 19.6.2006 (Bl. 21/22 I). Der Kläger hat dort nicht über Kniebeschwerden geklagt. Am 6.6.2006 stellte sich der Kläger bei seinem Hausarzt, dem Zeugen Kr., vor. Auch zu diesem Zeitpunkt berichtete der Kläger nicht über Kniebeschwerden. Erst am 19.6.2006 wurde der Kläger wegen Kniebeschwerden zu einem Orthopäden überwiesen. Eine konservative Behandlung erbrachte nicht den gewünschten Erfolg. Beim Kläger wurden im April 2008 bzw. Juni 2009 in beiden Knien im Universitätsklinikum H. Teilknieprothesen implantiert. Die Parteien streiten darüber, ob die die Operationen notwendig machende Arthrose eine unmittelbare Folge des Unfallgeschehens ist, oder ob eine beim Kläger bereits zuvor – beschwerdefrei – angelegte Arthrose durch das Unfallgeschehen „aktiviert“ wurde. Die Beklagte zu 2) hat – unstreitig – an den Kläger einen Betrag von 17.479,50 Euro gezahlt, wovon ein Teilbetrag von 2.500,00 Euro als Schmerzensgeld gezahlt wurde. Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger ein weiteres Schmerzensgeld von 17.500,00 Euro sowie die Behandlungskosten im Zusammenhang mit den beiden Knieoperationen in H., die er mit – zuletzt – 8.507,96 Euro beziffert. Er stellt weiter einen Feststellungsantrag, der sich auch auf den Ausgleich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bezieht (ausgehend von einem Gegenstandswert von 42.479,00 Euro ./. von der Beklagten zu 2) gezahlter 1.129,31 Euro = Differenz: 656,88 Euro).
Das Landgericht hat Beweis erhoben über die Frage, ob die Kniebeschwerden des Klägers einschließlich der Erforderlichkeit der operativen Eingriffe in H. unmittelbar kausal durch das Unfallgeschehen verursacht wurden (Bl. 111 - 113 I). Der Sachverständige Dr. B. hat ein schriftliches Gutachten erstellt (Bl. 223 - 231 I), das er zunächst schriftlich ergänzt (Bl. 29 - 33 II) und sodann im Termin vom 30.11.2010 mündlich erläutert hat (Bl. 78 - 80 II). Das Landgericht hat weiter den Hausarzt des Klägers als Zeugen gehört (Protokoll vom 13.3.2009 – Bl. 105 - 107 I -).
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages der Parteien und der in erster Instanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.
Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Eine durch das Unfallgeschehen entstandene sekundäre Arthrose könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Zwar könne der Kläger auch nicht beweisen, dass die bei ihm bereits angelegte Arthrose durch das Unfallgeschehen aktiviert worden sei. Aber selbst wenn man dies zugunsten des Klägers annehmen würde, sei nur der Schaden ersatzfähig, der durch den früheren Eintritt („Verfrühungsschaden“) der Notwendigkeit zur Operation entstanden sei. Ein solcher Schaden könne indes nicht festgestellt werden, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe, dass auch ohne das Unfallgeschehen die Arthrose beim Kläger zeitnah ausgebrochen wäre und damit die Notwendigkeit der Operation(nen) ohnehin gegeben gewesen wäre. Der Feststellungsantrag hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sei bereits unzulässig, weil der Betrag entweder hätte beziffert werden können oder aber der Kläger hätte auf Freistellung gegenüber seiner eigenen Rechtsschutzversicherung klagen müssen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt (BB S. 1/2 – Bl. 136/137 II -). Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erhebt er nunmehr Leistungsklage. Er rügt die Beweiswürdigung durch das Landgericht und vertieft seinen Standpunkt zu der Frage, dass die Knieoperationen ohne das Unfallgeschehen nicht erforderlich gewesen seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 8.2.2011 (Bl. 136 - 140 II).
Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihren Vortrag aus erster Instanz. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 28.3.2011 (Bl. 151 - 153 II).
Der Senat hat den Parteien mit der Ladungsverfügung einen schriftlichen rechtlichen Hinweis erteilt (Bl. 142 - 144 II).
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat nur in geringem Umfang Erfolg. Dem Kläger steht ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,00 Euro zu:
Das Landgericht hat die Entstehung einer sog. sekundären Arthrose im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen verneint. Dies ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu beanstanden. Zum einen fehlt es an einem erheblichen Trauma. Dass ein solches infolge des Unfallgeschehens beim Kläger eingetreten ist, kann er nicht beweisen. In der Berufungsbegründung (BB S. 3) wiederholt der Kläger lediglich seine Sachdarstellung. Für eine erhebliche traumatische Beeinträchtigung der Kniegelenke durch das Unfallgeschehen kann er indes keinen Beweis antreten. Dagegen spricht auch, dass am Unfalltag keine nennenswerten Verletzungen an den Kniegelenken festgestellt wurden. Der Kläger hat nach der Aussage des Zeugen Kr. unmittelbar nach dem Unfall auch nicht über Kniebeschwerden geklagt, sondern erst einige Zeit später, was nach den Bekundungen des Sachverständigen (Anhörung vom 30.11.2010, S. 2) exakt zu der Diagnose einer „aktivierten“ Arthrose spricht (dazu weiter unten). Letztlich hält der Sachverständige eine durch das Unfallgeschehen originär entstandene (sekundäre) Arthrose auch deshalb für nicht gegeben, weil sich eine solche zum einen nicht in so kurzem Abstand zum Unfallgeschehen gebildet haben kann und zum anderen – Auswertung der Röntgenbilder vor dem Unfallgeschehen – beim Kläger bereits eine Arthrose bestand.
Zwar kann der Begründung des Landgerichts nicht gefolgt werden, dass der Kläger die „Aktivierung“ der Arthrose nicht bewiesen hat: Leichte Aufprallverletzungen (an Lenksäule, Armaturenbrett oder Seitenverkleidung) als Aktivierungsursache sind bei einem seitlichen Auffahrunfallgeschehen absolut nahe liegend. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen (Gutachten S. 7/ Anhörung vom 30.11.2010), dass bereits eine leichte Prellung bzw. eine geringe Einwirkung auf die Knie zu der Aktivierung der Arthrose führen konnte, sodass – entgegen der von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Senatstermin erneut geäußerten Ansicht – das Fehlen von Prellmarken vorliegend nicht aussagkräftig gegen eine Aktivierung durch das Unfallgeschehen spricht. Der Sachverständige hat das Verletzungsbild zudem als typische „Gelegenheitsursache“ für den Ausbruch der Arthrose bezeichnet (Durch die leichte Prellung ist die bereits vorher bestehende Arthrose aktiviert und zum Ausbruch gekommen – SV S. 7 -). Dieser Bewertung durch den Sachverständigen schließt sich der Senat an.
Aber selbst wenn man entgegen der Begründung des Landgerichts von einer Aktualisierung der Arthrose durch das Unfallgeschehen ausgeht, ist dem Landgericht doch darin zuzustimmen, dass nur solche Schäden zu ersetzen sind, die infolge der vorzeitigen Verschlechterung der Arthrose eingetreten sind („Verfrühungsschaden“ – LGU S. 7 - ). Ein solcher (materieller) Schaden ist aber nicht eingetreten, weil die streitgegenständlichen Operationen aufgrund der vor bestehenden Arthrose zwar möglicherweise später aber gleichwohl erforderlich waren. Der Sachverständige gelangt zusammengefasst zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die – die Operationen erforderlich machenden – Beschwerden beim Kläger auch ohne das Unfallgeschehen zeitnah eingetreten wären. Die Beklagten wenden rechtlich gesehen damit eine sog. Reserveursache ein. Die Beweislast für die Reserveursache trägt der Schädiger (z.B. BGHZ 78, 209, 214), wobei ihm allerdings die Beweiserleichterung aus § 287 ZPO zugute kommt (BGH VersR 1958, 788, 789; VersR 1972, 834, 835). Dieses Beweismaß zugrunde gelegt, geht der Senat mit dem Landgericht davon aus, dass zuungunsten des Beklagten zwar anzunehmen ist, dass die Arthrose durch das Unfallgeschehen aktualisiert wurde, sie aber auch durch die bereits bestehende Vorschädigung der Kniegelenke zeitnah ausgebrochen wäre. Soweit der Sachverständige letztlich nicht ausschließen kann, dass der Kläger auch noch Jahre hätte beschwerdefrei sein können, kann offen bleiben, ob die Beklagten bei diesem Beweisergebnis den Vollbeweis i. S. v. § 286 ZPO hinsichtlich der Reserveursache führen könnten. Da ihnen aber die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO zugute kommen, kann die vom Sachverständigen lediglich theoretisch erörterte Möglichkeit der Beschwerdefreiheit das Beweisergebnis für den Senat nicht entscheidend beeinflussen.
Damit kann der Kläger Ersatz der materiellen Schäden (insbesondere die geltend gemachten Heilbehandlungskosten im Zusammenhang mit den Behandlungen im Universitätsklinikum H. ) nicht verlangen. Der Einwand der Reserveursache ist vorliegend erheblich, weil – wie ausgeführt – die Behandlungskosten auch ohne das Unfallgeschehen zeitnah infolge der bestehenden Vorschädigung angefallen wären (dazu: BGH VersR 1997, 371, 374; im Ergebnis ebenso: BGH NJW 1994, 999,1000).
Das Landgericht verkennt allerdings, dass die immateriellen Schäden selbst bei kongruenten Nachteilen nicht konsumiert werden, insbesondere ein Anspruch auf Schmerzensgeld vom Bestehen einer Schadensanlage nicht berührt wird (Staudinger/Schiemann BGB, Neubearbeitung 2005, § 249, Rn. 99). Konkret bedeutet dies, dass dem Kläger für eine anzunehmende Beschwerdefreiheit bis zum Ausbruch der „angelegten“ Krankheit – entgegen der Ansicht des Landgerichts – ein Schmerzensgeld zustehen kann. Da der Sachverständige diesen Zeitpunkt als zeitnah einstuft, hält der Senat ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 1.500,00 Euro für angemessen.
Schuldet der Beklagte keinen materiellen Schadensersatz, ist auch kein Raum für den Feststellungsantrag (hinsichtlich zukünftiger materieller Schäden). Zwar hat der Kläger hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nunmehr Leistungsklage erhoben. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten aber nur auf der Basis des „richtigen“ Gegenstandswertes beansprucht werden (also der Betrag, der dem Kläger am Ende zusteht). Ausgehend davon, dass die Beklagte zu 2) einen Schadensersatzbetrag von 17.479,50 Euro gezahlt hat und der Anspruch in Höhe von weiteren 1.500,00 Euro begründet ist, ist ein Gegenstandswert von 18.979,50 Euro zugrunde zulegen. Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Angelegenheit lediglich einen durchschnittlichen Schweregrad (die Haftung der Beklagten war dem Grunde nach unstreitig), sodass auch nur die Mittelgebühr von 1,3 (VV 2300) verlangt werden kann. Auf dieser Basis ergibt sich ein Gebührenanspruch (606,00 Euro x 1,3 + 20,00 Euro Pauschale + 20,00 Euro Kopierkosten zzgl. 19 % MwSt) von 985,08 Euro. Letztlich kann dies aber dahinstehen. Da die Beklagte zu 2) nach dem Vortrag des Klägers (Klageschrift S. 8 – Bl. 9 I -) auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bereits 1.129,31 Euro (dieser Betrag ergibt sich auf den Cent, wenn statt von der Mittelgebühr von der geforderten 1,5 Gebühr bei einem Gegenstandswert von 18.979,50 ausgegangen wird) gezahlt hat, ist der Anspruch in jedem Fall durch Erfüllung erloschen.
Der Senat sieht mit dem Landgericht keine Veranlassung, die „Heidelberger Zeugen“ zu hören. Zur Begründung wird Bezug genommen auf den Inhalt des rechtlichen Hinweises in der Ladungsverfügung.
Für die Kostenquote (§§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO) ist von folgenden Werten auszugehen:[folgt eine Aufstellung]Die Berufung ist nur in Höhe von 1.500,00 Euro begründet, was einer Unterliegensquote von (gerundet) 94 % entspricht.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 543 ZPO nicht vorliegen.
Der Streitwert setzt sich aus den zur Kostenquote genannten Faktoren zusammen, mit Ausnahme der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur bei der Kostenverteilung, nicht aber beim Streitwert zu berücksichtigen sind (hat vorliegend im Ergebnis keine Auswirkungen, weil sich kein Gebührensprung ergibt).