Das Verkehrslexikon

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Konstitutionelle Veranlagung bzw. Vorschädigungen beim Personenschaden

Konstitutionelle Veranlagung bzw. Vorschädigung beim Personenschaden




Gliederung:


- Einleitung
- Allgemeines
- Vorschädigung aus Vorunfall
- Vorschädigung aus Vorerkrankung
- Vorschädigung durch Verschleiß und degenerative Veränderung
- Psychische Disposition
- Zahnsystem
- Sonstige Fälle




Einleitung:


Von ersatzpflichtigen Schädigern bzw. den dahinter stehenden Haftpflichtversicherern wird häufig gegenüber Schmerzensgeld- und sonstigen Forderungen eingewandt, dass das Ausmaß des Schadens nicht allein auf das Unfallereignis zurückzuführen sei, sondern auf eine schon vorhandene Schadensdisposition.


Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung ein vielgestaltiges Bild zur Berücksichtigung derartiger Einwände.

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Allgemeines:


Rechtsprechung: Vorerkrankungen oder eine schadensgeneigte Veranlagung entlasten den Schädiger nicht.

BGH v. 30.04.1996:
Der Schädiger hat für seelisch bedingte Folgeschäden einer Verletzungshandlung, auch wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit des Verletzten oder sonstwie auf einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen, haftungsrechtlich grundsätzlich einzustehen. Eine Zurechnung kommt nur dann nicht in Betracht, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle) und nicht gerade speziell auf die Schadensanlage des Verletzten trifft.

BGH v. 11.11.1997:
Für die Frage, ob ein schädigendes Ereignis so geringfügig ist, daß nach den Grundsätzen des Senatsurteils BGH, 30. April 1996, VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341ff die Zurechnung psychischer Folgeschäden ausgeschlossen sein kann, kommt es auf die bei dem Schaden erlittene Primärverletzung des Geschädigten an.

OLG Schleswig-Holstein v. 02.06.2005:
Die auf einer Prädisposition beruhende, endgültige Fehlverarbeitung eines relativ harmlosen Unfallgeschehens rechtfertigt eine hälftige Anspruchskürzung.




OLG Naumburg v. 28.04.2011:
Ist durch einen von einem Dritten verschuldeten Unfall keine Arthrose entstanden, aber eine vorhandene bislang beschwerdefreie Arthrose "aktiviert" worden, so haftet dafür der Schädiger. Er hat aber nur solche Schäden zu ersetzen, die infolge der vorzeitigen Verschlechterung der Arthrose eingetreten sind. Beruft sich der Schädiger dabei darauf, dass die dadurch ausgelösten Beschwerden auch ohne das Unfallgeschehen zeitnah eingetreten wären, trägt er hierfür die Beweislast. Dabei kommt ihm allerdings die Beweiserleichterung aus § 287 ZPO zugute.

OLG München v. 29.04.2011:
Ist die Versetzung in den Ruhestand ausschließlich wegen des gesundheitlichen Zustandes des Beamten ausgesprochen worden, hat das Zivilgericht nur zu prüfen, ob die Frühpensionierung eine adäquate Folge des Unfalls ist. Unerheblich ist in Fällen wie dem vorliegenden, ob der Beamte Vorerkrankungen hat, da der Schädiger bekanntlich keinen Anspruch hat, nur auf einen Gesunden zu treffen. Es ist daher erforderlich, auch über den Gesundheitszustand des Geschädigten vor dem Unfall Feststellungen zu treffen. Der Geschädigte hat ergänzend zum Ablauf des Verkehrsunfalls bzw. den gesundheitlichen Auswirkungen des Unfalls auf sie unmittelbar und in der Zeit danach vorzutragen. Weiter hat er lückenlos darzulegen, ob und inwieweit längere Zeit davor und bis zum Unfall erkrankt war (sekundäre Darlegungslast). Das Gericht hat dann zum Einen den Unfallhergang zu untersuchen, wobei womöglich die Erholung eines biomechanischen Gutachtens unumgänglich sein kann. Danach ist ggf. durch fachmedizinische Gutachten zu klären, inwieweit die gesundheitliche Situation des Geschädigten vor dem Unfall auch Auswirkungen auf die Zeit nach dem Unfall hatte.

BGH v. 13.06.2013:
Die Zurechnung von Folgeschäden scheitert nicht daran, dass sie auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruhen. Der Schädiger kann sich nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte infolge von Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen.

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Vorschädigung aus Vorunfall:


KG Berlin v. 06.06.2005:
Die Ursächlichkeit eines Unfalls für behauptete HWS-Beschwerden kann nicht festgestellt werden, wenn nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass die Beschwerden auf einer Schädigung durch einen Vorunfall beruhen und der gerichtliche Sachverständige eine Verschlimmerung einer Vorschädigung durch den Zweitunfall zwar für möglich, aber nicht für wahrscheinlich hält.

BGH v. 19.04.2005:
Zur haftungsausfüllenden Kausalität bei mitverursachtem Beschwerdezuwachs bei einem bereits Querschnittsgelähmten nach einem neuerlichen Verkehrsunfall.

OLG Brandenburg v. 11.11.2010:
Erleidet jemand durch einen Verkehrsunfall als Primärverletzung ein Halswirbel-Schleuder-Syndrom, dann kann das Gericht im Wege freier Beweiswürdigung auf Grund eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur haftungausfüllenden Kausalität feststellen, dass ein späterer Bandscheibenvorfall ursächlich auf den Verkehrsunfall zurückzuführen ist.

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Vorschädigung aus Vorerkrankung:


OLG Köln v. 02.07.2013:
Der Unfallverursacher haftet für die nach dem Unfall auftretenden, auf einer Vorerkrankung oder Vorverletzung beruhenden Beschwerden, wenn die Vorverletzung oder Vorerkrankung vor dem Unfall symptomlos war, also keine Beschwerden bereitet hat, wobei den Schädiger insoweit nur eine Haftung für den auf den Unfall zurückzuführenden verfrühten Eintritt der Beschwerden trifft. Für den entsprechenden Beweis einer aktivierten Erkrankung (hier: Arthrose) gehört daher notwendigerweise auch, dass nach dem Unfall Beschwerden aufgetreten sind, die vor dem Unfall nur angelegt, aber nicht ausgebrochen waren.

OLG München v. 08.11.2013:
Leidet der Unfallgeschädigte an Multipler Sklerose mit einem schubförmigen Verlauf, bei der zwischen zwei Erkrankungsschüben eine Latenz von vielen Jahren mit völlig beschwerdefreien Intervallen liegt und bei der somit eine sichere Langzeitprognose nicht gestellt werden kann, so hat der Unfallschädiger den ihm obliegenden Beweis, dass der Unfallgeschädigte unfallunabhängig wegen seiner MS-Erkrankung nicht mehr die von ihm betriebenen Sportarten und Freizeitgestaltungen ausüben kann, nicht erbracht.

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Vorschädigung durch Verschleiß und degenerative Veränderung:


Degenerative Vorschädigungen der Halswirbelsäule

OLG Hamm v. 31.01.2000:
Für die Beurteilung der Unfallbedingtheit einer Knieverletzung ist bei einer arthrotischen Vorschädigung infolge einer lange zurückliegenden Meniskusentfernung der Zustand vor dem Unfall mit dem Zustand nach dem Unfall zu vergleichen. Eine Vorschädigung muss sich nicht zwingend in einer Verminderung des Schmerzensgeldanspruchs niederschlagen.

LG Köln v. 0.08.2012:
Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität haftet der Schädiger dabei für alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte durch die Schädigungshandlung davonträgt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist dabei die bloße Mitursächlichkeit, sei sie auch nur „Auslöser“ neben erheblichen anderen Umständen; eine richtungsgebende Veränderung ist nicht erforderlich. Eine zum Schaden neigende Konstitution des Geschädigten, die den Schaden ermöglicht oder wesentlich erhöht, schließt den Zurechnungszusammenhang ebenfalls nicht aus.

OLG Hamm v. 13.04.2018::

 1.  Im Rahmen der Bemessung eines Schmerzensgeldes ist sowohl für die Ausgleichsfunktion als auch in besonderem Maße für die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes der Grad der Verursachung von Bedeutung, mit welchem die schädigende Handlung zu den Leiden des Verletzten beigetragen hat.

 2.  Wenn die Gesundheitsbeeinträchtigungen Auswirkungen einer Schadensanfälligkeit sind, kann es geboten sein, in die Billigkeitsentscheidung miteinzubeziehen, inwieweit die körperlichen Beschwerden des Verletzten einerseits durch den Unfall und andererseits durch die vorher vorhandene krankhafte Anlage verursacht wurden.

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Psychische Disposition:


Psychischer Ursachenzusammenhang zwischen Schadensereignis und Schadensfolgen

OLG Köln v. 25.10.2005:
Entwickelt nach einem unterhalb der Harmlosigkeitsgrenze liegenden Auffahrunfall der Geschädigte auf Grund einer lebensgeschichtlich ableitbaren Disposition zur somatoformen Verarbeitung kritischer Lebensereignisse eine somatoforme Schmerzstörung und ist dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurück zu führen, so besteht ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Ersatz des Haushaltsführungsschadens.

LG Hamburg v. 09.07.2010:
Steht auf Grund sachverständiger Beurteilung fest, dass ein Unfallgeschädigter zwar keine erhebliche nachweisbare körperliche Primärverletzung erlitten hat, dass es jedoch wegen einer vorhandenen persönlichen psychischen Disposition zu einer somatoformen Schmerzstörung gekommen ist, und kann andererseits eine sog. Rentenneurose ausgeschlossen werden, dann ist von einem Zurechnungszusammenhang zwischen Unfall und Schmerzfolgen auszugehen und ein angemessenes Schmerzensgeld zuzusprechen.

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Zahnsystem:


Zahnbehandlungskosten

OLG Celle v. 15.04.2009:
Der Unfallgeschädigte muss die unfallbedingte Notwendigkeit zahnprothetischer Behandlungskosten darlegen und beweisen. Dies misslingt, wenn bei der Erstuntersuchung keinerlei Hinweis auf eine unfallbedingte Mitbeteiligung des Zahnsystems festgestellt wurde, aber andererseits bereits vor dem Unfallereignis ein stark vorgeschädigtes Lückengebiss vorhanden war, das als „weitgehend desolate Restbezahnung“ zu qualifizieren war.

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Sonstige Fälle:


KG Berlin v. 12.05.2005:
Zur Beweislast hinsichtlich einer Primärverletzung und einer aus ihr folgenden Verschlimmerung

BGH v. 06.06.1989:
Zum fehlenden Kausalzusammenhang zwischen Bluthochdruck, Aufregung nach einem Unfall und anschließendem Schlaganfall

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