Sind an einem Unfall mehrere Schuldner beteiligt - beispielsweise Halter, Führer und Haftpflichtversicherer des verursachenden Kfz -, so haften sie dem Geschädigte als Gesamtschuldner, d. h. jeder von ihnen ist dem Geschädigten gegenüber zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet, jedoch darf der geschädigte Gläubiger insgesamt nicht mehr fordern als die Summe des geschuldeten Gesamtschadens.
Im Innenverhältnis gleichen sich die Gesamtschuldner untereinander entsprechend dem auf sie entfallenden Haftungsanteil am Gesamtschaden aus (§ 426 BGB).
Ein dabei auftretendes Problem ist, dass sich möglicherweise zugunsten eines der Schädiger (z. B. einem nicht oder nicht voll haftenden Kind) eine Haftungsbeschränkung oder sogar ein Haftungsausschluss greift. Dies kann sich auf den Ausgleich im Innenverhältnis auswirken. Man spricht dann von einem gestörten Gesamtschuldverhältnis.
Ein Gesamtschuldverhältnis ist gestört, wenn die Entstehung eines Gesamtschuldverhältnisses dadurch verhindert wird, dass einer der Schädiger wegen eines Haftungsausschlusses oder einer Haftungsbeschränkung von der Haftung befreit ist und sich deshalb einem Ausgleichsanspruch des zahlenden Zweitschädigers widersetzt. Betroffen sind also Fälle, in denen der Gläubiger einem haftungsprivilegierten Erstschädiger und mindestens einem voll haftenden Zweitschädiger gegenübersteht.
Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der sog. gestörten Gesamtschuld können in den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre (vgl. BGHZ 61, 51, 55; 157, 9, 14; BGH NJW 1987, 2669 ff.).
Die Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, dass einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten durch eine gesetzliche Unfallversicherung nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden alleine tragen zu lassen. Deshalb hat der BGH den Zweitschädiger in solchen Fällen in Höhe des Verantwortungsteils freigestellt, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinwegdenkt, wobei unter "Verantwortungsteil" die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der eigene Anteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen ist.
BGH v. 10.05.2005:
Eine Haftungsfreistellung des nicht selbst auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätigen Unternehmens wegen Störung des Gesamtschuldverhältnisses mit einem nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII haftungsprivilegierten Verrichtungsgehilfen setzt voraus, dass der Verrichtungsgehilfe nachweislich schuldhaft gehandelt hat (Fortführung von BGHZ 157, 9 ff.).
BGH v. 14.06.2005:
Bei einem sog. gestörten Gesamtschuldverhältnis haftet der Geschäftsherr dem Geschädigten neben einem nach § 106 Abs. 3, 3. Altern. SGB VII haftungsprivilegierten Verrichtungsgehilfen nur dann als Gesamtschuldner, wenn ihn über die Vermutung des § 831 BGB hinaus eine eigene Verantwortlichkeit trifft).
OLG Düsseldorf v. 22.09.2005:
Der Mithaftungsanteil des Arbeitgebers am Unfallgeschehen ist bei den Ansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Unfallgegner nach den Grundsätzen der sog. gestörten Gesamtschuld zu berücksichtigen, wenn der Unfall auf einer Betriebsfahrt geschah.
OLG Bremen v. 21.11.2006:
Ist neben demjenigen, welcher nach § 831 BGB zum Ersatz des von einem anderen verursachten Schadens verpflichtet ist, auch der andere für den Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander nach § 840 Abs. 2 BGB der andere allein verpflichtet. Insoweit ist „ein anderes bestimmt“ im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dies beruht auf dem Grundgedanken, dass in den Fällen, in denen auf der einen Seite nur eine Gefährdungshaftung oder eine Haftung aus vermutetem Verschulden, auf der anderen Seite jedoch erwiesenes Verschulden vorliegt, im Innenverhältnis derjenige den ganzen Schaden tragen soll, der nachweislich schuldhaft gehandelt hat.
OLG Koblenz v. 03.12.2012:
Ist die Schädigung eines Schülers unmittelbar durch die Einwirkung "schubsender" und "drängender" aber haftungsprivilegierter Mitschüler entstanden, so greifen die Regeln des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs ein. Dies bedeutet, dass der verletzte Schüler die Halterin eines Linienbusses, unter dessen Rad er an einer Haltestelle durch Schubsereien von hinten geraten ist, nicht gemäß § 421 BGB auf den vollen Schaden in Anspruch nehmen kann, sondern nur auf den Anteil, den die Halterin des Busses bei einer Abwägung zwischen den Haftungsanteilen der mehreren Schädigergruppen im Innenverhältnis zu tragen hätte, wenn die Haftungsprivilegierung hinweggedacht würde (hier 50%).
BGH v. 10.07.2014:
Dem Haftpflichtversicherer eines Reparaturbetriebs für Landmaschinen steht gegen den Eigentümer und Halter eines Schleppers, der sich zur Reparatur einer Dieselleitung in der Werkstatt des Versicherungsnehmers befand, ein Gesamtschuldnerausgleichsanspruch zu, wenn es bei einer Probefahrt aufgrund einer defekten Ölleitung (die nicht Gegenstand des Reparaturauftrages war) zu einer Verunreinigung einer öffentlichen Straße durch Schmieröl kommt und der Haftpflichtversicherer die von seinem Versicherungsnehmer zu tragenden Kosten eines Feuerwehreinsatzes zur Beseitigung der Verunreinigung ausgleicht.
OLG Hamm v. 14.03.2017:
Zur Frage der Anwendung der Grundsätze zum gestörten Gesamtschuldnerausgleich, wenn der für die Folgen eines Verkehrsunfalls einstandspflichtige Fahrzeughalter außerhalb der Sozialversicherung steht und ein Direktanspruch gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG gegeben ist. - Bei der Beurteilung der internen Haftungsverteilung zwischen Halter und Fahrer des unfallverursachenden Fahrzeuges ist grundsätzlich auf den in § 840 Abs. 2 und 3 BGB zum Ausdruck genommenen Rechtsgedanken abzustellen. Es bleibt offen, ob eine davon abweichende Haftungsverteilung im Innenverhältnis erfolgen kann, wenn sich die dem Fahrzeug innewohnende Betriebsgefahr in besonderer Weise realisiert hat und sich unabhängig von einem Verschulden des Fahrers als primäre Unfallursache darstellt.
OLG Hamm v. 04.02.2002:
Ein mit Maschinenkraft bewegtes Go-Kart ist ein Kfz i. S. des § 1 StVG. - Wird ein Besucher auf einem Kasernengelände am "Tag der offenen Tür" verletzt, weil ein (bis zu 40 km/h schnelles) Go-Kart aus einer nicht hinreichend gesicherten Go-Kart-Bahn ausbricht, kann er den Bahnbetreiber u.a. aus § 7 StVG auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.
BGH v. 18.06.2009:
Der Ausgleichsanspruch unter Gesamtschuldnern unterliegt unabhängig von seiner Ausprägung als Mitwirkungs-, Befreiungs- oder Zahlungsanspruch einer einheitlichen Verjährung. Auch soweit er auf Zahlung gerichtet ist, ist er mit der Begründung der Gesamtschuld im Sinne des § 199 BGB entstanden. Für eine Kenntnis aller Umstände, die einen Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB begründen, ist es erforderlich, dass der Ausgleichsberechtigte Kenntnisse von den Umständen hat, die einen Anspruch des Gläubigers gegen den Ausgleichsverpflichteten begründen, von denjenigen, die einen Anspruch des Gläubigers gegen ihn selbst begründen, sowie von denjenigen, die das Gesamtschuldverhältnis begründen, und schließlich von den Umständen, die im Innenverhältnis eine Ausgleichspflicht begründen.