Das Verkehrslexikon

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Kommunale Feststellung von Ordnungswidrigkeiten durch Privatfirmen - Geschwindigkeitsverstöße - Parkverstöße

Kommunale oder private Feststellung von Ordnungswidrigkeiten




Gliederung:


-   Einleitung
-   Allgemeines
-   Geschwindigkeitsverstöße
-   Parkverstöße

-   Dienstleistungsvertrag



Einleitung:


Wenn Gemeinden als Ordnungsbehörden private Unternehmer mit der Feststellung von Ordnungswidrigkeiten beauftragen, stellt sich die Frage, ob Beweise überhaupt auf diese Art erhoben werden dürfen bzw. ob dennoch so erhobenen Beweise einem Verwertungsverbot unterliegen.


Das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes wird von den Gerichten in der Regel verneint.

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Allgemeines:


Stichwörter zum Thema Ordnungswidrigkeiten

Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren

OLG Frankfurt am Main v. 26.04.2017:
Mit der Entscheidung nach § 47 OWiG ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten, übernimmt die Behörde die Gewähr, dass die rechtlichen Voraussetzungen, namentlich die nachfolgend genannten Bedingungen, erfüllt sind:

  1.  Zur Motivlage der Verkehrsüberwachung: Verkehrsüberwachung dient der Verkehrssicherheit. Jegliche Verknüpfung der Verkehrsüberwachung mit anderen nicht gesetzgeberisch legitimierten Gründen ist unzulässig.

  2.  Zum Einsatz privater Dienstleister bei Verkehrsmessungen:

  a.  Die Ordnungsbehörde muss Herrin des Messgeräts sein.

  b.  Die Ordnungsbehörde muss Herrin des durch die Messanlage gewonnenen Beweismittels sein (Garantie der Authentizität der Messdaten).

  c.  Die Ordnungsbehörde muss die Umwandlung und Auswertung des Beweismittels selbst durchführen (Garantie der Rückführbarkeit des Messbildes und der Messdaten auf die digitalen Messrohdaten bzw. Falldateien).

OLG Frankfurt am Main v. 06.11.2019:

  1.  Die Überwachung des fließenden Verkehrs ist Kernaufgabe des Staates. Sie dient dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der am Verkehr teilnehmenden Bürger. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe, die unmittelbar aus dem Gewaltmonopol folgt und deswegen bei Verstößen berechtigt, mit Strafen und/oder Bußgeldern zu reagieren. Sie ist ausschließlich Hoheitsträgern, die in einem Treueverhältnis zum Staat stehen, übertragen.

  2.  Bei der Verkehrsüberwachung des fließenden Verkehrs beim Einsatz technischer Verkehrsüberwachungsanlagen ist die Hinzuziehung und Übertragung von Aufgaben an private Dienstleister bzw. Personen, die nicht in einem Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehen, ausgeschlossen.

OLG Frankfurt am Main v. 03.01.2020:

  1.  Die den kommunalen Polizeibehörden gesetzlich zugewiesene Verpflichtung der Überwachung des ruhenden Verkehrs und die Ahndung von Verstößen sind hoheitliche Aufgaben. Mangels Ermächtigungsgrundlage dürfen sie nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden.

  2.  Die Überlassung privater Mitarbeiter nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben ist unzulässig.

  3.  Die Bestellung privater Personen nach § 99 HSOG zu Hilfspolizeibeamten der Ortspolizeibehörden ist gesetzeswidrig.

  4.  Der von einer Stadt bewusst durch "privaten Dienstleister in Uniform der Polizei" erzeugte täuschende Schein der Rechtsstaatlichkeit, um den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln, ist strafbar.

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Geschwindigkeitsverstöße:


Geschwindigkeitsverstöße im Ordnungswidrigkeitenrecht

Geschwindigkeitsverstöße - Nachweis - standardisierte Messverfahren

OLG Frankfurt am Main v. 10.05.1995:
Von kommunalen Ordnungsbehörden angeordnete Geschwindigkeitsmessungen zur Verkehrsüberwachung im Hinblick auf die Einleitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren dürfen nur dann von privaten Dritten vorgenommen werden, wenn ein Beamter oder Angestellter der kommunalen Ordnungsbehörde daran teilnimmt, der von seinen Kenntnissen her in der Lage ist, ihre Durchführung zu überwachen und gegebenenfalls leitend einzugreifen. Ist das nicht der Fall, besteht lediglich ein Beweiserhebungsverbot. Ein Beweisverwertungsverbot wird aber begründet, wenn die Verantwortlichen der kommunalen Ordnungsbehörde seine fehlende Sachkunde kannten.




BayObLG v. 05.03.1997:
Die planmäßige Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen allein durch private Firmen im Rahmen der Verkehrsüberwachung zur Ermittlung und Dokumentation von Ordnungswidrigkeiten ist derzeit mangels einer gesetzlichen Ermächtigung auch dann unzulässig, wenn die zuständige Gemeinde Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messung bestimmt und der Angestellte der Privatfirma während der Durchführung der Messung aufgrund eines befristeten Arbeitnehmerüberlassungsvertrages der Gemeinde von der Privatfirma zur Verfügung gestellt wird. Jedoch folgt hieraus nicht zwingend ein Beweisverwertungsverbot.

OLG Frankfurt am Main v. 21.07.2003:
Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns. Eine Mitwirkung von Privatpersonen ist nur möglich, wenn die Verwaltungsbehörde "Herrin" des Verfahrens bleibt. Bei Geschwindigkeitsmessungen muss die Behörde nicht nur Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messungen vorgeben, sondern auch den eigentlichen Messvorgang durch eigene ausgebildete Mitarbeiter kontrollieren, um gegebenenfalls einschreiten zu können. Schließlich muss die Auswertung der Messergebnisse der Ordnungsbehörde vorbehalten bleiben.

BayObLG v. 29.09.2004:
Keine Nichtigkeit des Bußgeldbescheides, wenn dieser von einem kommunalen Zweckverband stammt (kein Verwertungsverbot)


OLG Oldenburg v. 11.03.2009:
Kein Beweiserhebungsverbot bei Geschwindigkeitsmessung durch Angestellte eines Landkreises.

OLG Naumburg v. 07.05.2012:
Beauftragt die Ordnungsbehörde im Bußgeldverfahren entgegen einem Runderlass des Innenministeriums eine private Firma mit der Auswertung von Messergebnissen, begründet dies in der Regel ein Beweisverwertungsverbot.

AG Gelnhausen v. 13.03.2014:
Werden die Messdaten einer kommunalen, stationären Geschwindigkeitsmessanlage laut Vertrag von einer Privatfirma entnommen, welche sodann eine Bildaufbereitung bzw. Bildauflistung durchführt, verstößt dies gegen die Regelungen des einschlägigen Erlasses des Hessischen Innenministeriums vom 6. Juni 2006. Dies führt zu einem Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot. Soweit die Originaldaten noch unverändert der Ordnungsbehörde zur Verfügung stehen, kann möglicherweise eine erneute Auswertung, ohne Beteiligung der Privatfirma, erfolgen, sodass die Sache wegen offensichtlich ungenügender Aufklärung gemäß § 69 Abs. 5 OwiG an die Verwaltungsbehörde zurückverwiesen werden kann.

AG Parchim v. 01.04.2015:
Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns. Die Auswertung von Rohmessdaten von Geschwindigkeitsübertretungen im Straßenverkehr, deren Ergebnis schließlich zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens gegen den Betroffenen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung führt, seitens einer Verwaltungsbehörde in vollem Umfang in die Hände eines privaten Unternehmen zu geben ist unzulässig und führt zu einem Beweisverwertungsverbot.

OLG Rostock v. 17.11.2015:
Die vertraglich vereinbarte Auswertung der mit standardisierten Messverfahren bei behördlichen Verkehrsüberwachungsmaßnahmen ordnungsgemäß erhobenen und bei der Verwaltungsbehörde verbliebenen Rohmessdaten durch einen privaten Dienstleister ist zulässig und führt für sich genommenen zu keinem Beweisverwertungsverbot im weiteren Bußgeldverfahren. - Hegt der Tatrichter Zweifel an einer den Vorgaben des Geräteherstellers und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt im Zuge der Zulassung des standardisierten Messverfahrens entsprechenden ordnungsgemäßen Auswertung der Messdaten durch den privaten Dienstleister, gebietet es die richterliche Aufklärungspflicht, die Richtigkeit des Auswertungsergebnisses durch andere sachverständige Stellen überprüfen zu lassen.

OLG Frankfurt am Main v. 27.11.2019:
Will ein staatliches Exekutivorgan die ihm gewährte Regelungs- und Sanktionsmacht delegieren, muss es dafür eine im Rahmen eines gesetzgeberischen Verfahrens durch die parlamentarische Repräsentation der Bevölkerung (Legislative) ergangene Ermächtigungsgrundlage haben. Soweit es sich nicht ohnehin um absolute hoheitliche Kernaufgaben handelt, die von einem derartigen Verfassungsrang sind, dass sie grundsätzlich nicht übertragbar sind, wozu insbesondere Justiz, Polizei und die Fiskalverwaltung gehören, muss in dieser Ermächtigungsgrundlage klar und eindeutig bestimmt sein, was übertragen wird, warum es übertragen wird, wie es übertragen wird und wie es kontrolliert wird (vgl. z.B. § 27c Abs. 2 LuftVG). Eine derartige Rechtsgrundlage, die eine Übertragung der staatlichen Verkehrsüberwachung auf private Dienstleister ermöglicht, ist nicht erlassen worden.

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Parkverstöße:


Halten und Parken im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

KG Berlin v. 23.10.1996:
Das beweismäßige Ergebnis einer in gesetzwidriger Weise durch Angestellte eines Privatunternehmens durchgeführten Verkehrsüberwachung darf nicht gegen den Betroffenen verwendet werden.

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Dienstleistungsvertrag:


OLG Frankfurt am Main v. 07.04.2017:
Wird in einem Dienstleistungsvertrag zwischen einer Gemeinde und einem Wirtschaftsunternehmen über die Überwachung des Straßenverkehrs unter gleichzeitiger Überlassung von Radarmessgeräten zur Verkehrsüberwachung eine Sonderkündigungsklausel zugunsten des Unternehmens für den Fall vereinbart, dass das Verkehrssicherungsprojekt als gemeinsam gewünschtes Ziel nicht realisierbar ist oder sich während der Vertragslaufzeit wesentliche Rahmenbedingungen ändern, die dem Unternehmen die Grundlage der Wirtschaftlichkeit des Projekts entziehen, so ist diese Klausel unwirksam, da sie den jeweiligen Vertragspartner des Unternehmens entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (§ 310 Abs. 1 S. 1, 2, § 307 Abs. 1, 2 BGB).

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