Das Maß für eigenes Verschulden richtet sich nach der üblicherweise im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Ist bei Anwendung dieses Maßstabes für einen Mitfahrer erkennbar, dass der Kfz-Führer alkoholisiert und dadurch seine Fahrfähigkeit möglicherweise eingeschränkt ist bzw. hätte der Mitfahrer dies erkennen müssen, dann trifft ihn an den eigenen Verletzungsfolgen eines auf die Alkoholisierung des Fzg-Führers beruhenden Unfalls ein eigenes Mitverschulden.
Das Ausmaß dieses Mitverschuldens ist von den näheren tatsächlichen Umständen, insbesondere auch vom Grad der Alkoholisierung des Fzg-Führers sowie vom Ausmaß der Sorgfaltsverletzung des Mitfahrers abhängig.
BGH v. 14.03.1961:
Grundsatzentscheidung zu Mitverschulden und "Handeln auf eigene Gefahr" bei Mitfahren mit alkoholisiertem Fahrzeugführer
OLG Hamm v. 14.03.2004:
Dem Mitfahrer kann der Vorwurf eines eigenen Verschuldens gemacht werden, wenn der Fahrzeugführer offensichtlich betrunken ist oder wenn sich Zweifel an dessen Fahrtüchtigkeit aufdrängen müssen
OLG Celle v. 10.02.2005:
Mithaftung des Beifahrers von 1/2 bei mit 1,87 Prom. alkoholisiertem Fahrzeugführer
OLG Koblenz v. 09.01.2006:
Hat sich der Beifahrer einem alkoholbedingt fahruntüchtigen Fahrzeugführer anvertraut, ist der Vorwurf des Mitverschuldens gerechtfertigt, wenn er die Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugführers positiv kannte oder dessen alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können. Den Beifahrer trifft in diesem Fall ein erhebliches Mitverschulden, das mit einer Mithaftungsquote von einem Drittel nicht zu hoch bewertet ist. Bei der Schmerzensgeldbemessung ist auf Grund von dessen Genugtuungsfunktion auch zu berücksichtigen, ob es während einer Gefälligkeitsfahrt zu dem schädigenden Ereignis gekommen ist. Dies führt zur Verringerung des Schmerzensgeldbetrages.
KG Berlin v. 12.01.2006:
Grundsätzlich handelt fahrlässig und damit schuldhaft im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB, wer sich zu einem Kraftfahrer in den Wagen setzt, wenn er dessen Fahruntüchtigkeit bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können; das hat zur Folge, dass ihn an seinen Verletzungen, die er durch einen anschließenden alkoholbedingten Unfall erleidet, ein Mitverschulden trifft (hier: 25%).
LG Stralsund v. 28.11.2006:
Dem Beifahrer auf einem Motorrad, der bei einem durch die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Fahrers verursachten Verkehrsunfall verletzt wird, kann ein Mitverschulden nur dann vorgeworfen werden, wenn die Fahruntüchtigkeit des Fahrers für ihn erkennbar war.
OLG Karlsruhe v. 30.01.2009:
In der Teilnahme eines Beifahrers an einer Autofahrt trotz erkennbarer Trunkenheit des Fahrers liegt ein Verstoß gegen die eigenen Interessen. Im Rahmen des § 254 BGB gilt § 827 Satz 2 BGB entsprechend. Danach kann ein Beifahrer für den objektiven Verstoß gegen die ihm obliegende Eigensorgfalt verantwortlich sein, weil er sich selbstverschuldet in den vorübergehenden Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung versetzt hat. Der Mitverschuldensvorwurf wird durch diese Vorschrift vorverlagert und zielt auf die Tatsache ab, dass der Beifahrer zumindest fahrlässig durch seinen Alkoholkonsum eine Situation herbeigeführt hat, in der er nicht mehr die zum Selbstschutz erforderliche Einsichtsfähigkeit hatte. Bei der Bemessung des Mitverschuldens eines Beifahrers darf nicht übersehen werden, dass den einen Verkehrsunfall verursachenden betrunkenen Fahrzeugführer in der Regel eine größere Verantwortung trifft als den geschädigten Beifahrer. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einen Fahrzeugführer eine Fürsorgepflicht gegenüber einem alkoholisierten Insassen trifft und er insbesondere für das ordnungsgemäße Anlegen des Sicherheitsgurts des Beifahrers Sorge zu tragen hat.
OLG Naumburg v. 20.01.2011:
Für die Frage, ob ein geschädigter Beifahrer die Einschränkung der Fahrtüchtigkeit eines alkoholisierten Fahrers kannte oder erkennen musste, kommt es darauf an, ob und in welchem Umfang der Fahrer in Gegenwart des später Geschädigten alkoholische Getränke zu sich genommen hat oder welche Ausfälle, die auf alkoholbedingte Fahrtüchtigkeit schließen lassen, er gezeigt hat. Aus dem Grad der Blutalkoholkonzentration werden sich dabei - jedenfalls im Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit - keine zwingenden Rückschlüsse auf erkennbare alkoholbedingte Ausfallerscheinungen ziehen lassen. Mitverschulden setzt weiter voraus, dass der Beifahrer in Kenntnis der Alkoholisierung Gelegenheit hatte das Fahrzeug noch zu verlassen. Ist dieser Punkt streitig, trifft denjenigen, der den Mitverschuldenseinwand erhebt, dafür die volle Beweislast.
OLG Celle v. 05.10.2011:
In der Teilnahme eines Beifahrers an einer Autofahrt trotz erkennbarer Trunkenheit des Fahrers liegt ein Verstoß gegen die eigenen Interessen. Wer zu einem erkennbar angetrunkenen Fahrer als Beifahrer ins Auto steigt, muss sich regelmäßig ein erhebliches Mitverschulden (§ 254 BGB) für einen etwaigen Schadenseintritt anrechnen lassen. Im Rahmen der Abwägung der Haftungsanteile wird den Fahrer regelmäßig ein höherer Haftungsanteil als den Beifahrer treffen (hier: 60 : 40 zum Nachteil des Fahrers). Die Beweislast für die Erkennbarkeit der Alkoholisierung liegt grundsätzlich beim Schädiger.
OLG Frankfurt am Main v. 04.11.2011:
Wird eine Beifahrerin, die den Sicherheitsgurt nicht angelegt hat, bei einem Unfall, den der alkoholisierte Fahrzeugführer (BAK 1,79 Promille) verursacht, schwer verletzt, so ist ihr ein Mitverschuldensvorwurf zu machen, der mit 25% zu bemessen ist, wenn die Verletzungen ursächlich auf den Verstoß der Anschnallpflicht zurückzuführen sind und wenn äußerlich erkennbare Trunkenheitsanzeichen im Verhalten des Fahrzeugführers oder seiner Fahrweise nicht vorlagen und der Beifahrerin nicht bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, wieviel Alkohol der Fahrzeugführer konsumiert hatte.
OLG Dresden v. 04.05.2016:
Existieren keine ausreichenden Tatsachen, die eine belastbare Überzeugung des Gerichts gemäß § 286 ZPO dahingehend begründen könnten, der Geschädigte hätte vor Fahrtantritt eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des beklagten Fahrers erkennen müssen, greift kein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten ein.
OLG Frankfurt am Main v. 08.11.2010:
Der Vorwurf einer sich gemäß § 254 Abs. 1 BGB zu Lasten des geschädigten Beifahrers auswirkenden schuldhaften Selbstgefährdung kann mit Erfolg nur gemacht werden, wenn sich ein Mitfahrer einem Fahrzeugführer anvertraut hat, obwohl er dessen unfallverursachende Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit kannte oder bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können. Ob dies der Fall ist, hängt von den Gesamtumständen, insbesondere davon ab, inwieweit die die Gefährdung begründenden Tatsachen, die auf eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit schließen lassen konnten, dem Mitfahrer bekannt waren. Die Beweislast für die Erkennbarkeit der Beeinträchtigung trägt die sich auf ein Mitverschulden berufende Seite.