Das Verkehrslexikon

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Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen und außerörtlichen autobahnähnlich ausgebauten Straßen - 130 km/h - Mitverschulden - Mithaftung

Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen




Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines
-   Auffahren des Überholenden auf Ausscherenden auf BAB und Überschreitung



Einleitung:


Durch die Verordnung über eine allgemeine Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen und ähnlichen Straßen vom 21.11.1978 ist eine Geschwindigkeit von 130 km/h als allgemeine Empfehlung eingeführt worden. Die Empfehlung gilt für Autobahnen und außerörtliche Straßen, die autobahnähnlich ausgebaut sind.

Die Empfehlung richtet sich an Führer von Pkw und anderen Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis 3,5 to.


Ein Verstoß gegen die Empfehlung ist nicht mit Sanktionen bedroht, allerdings kommt zivilrechtlich je nach Umständen des Einzelfalls eine Mithaftung in Betracht, wenn die Richtgeschwindigkeit nicht eingehalten wurde und sich daraus ein Kausalzusammenhang mit dem Unfallgeschehen ergibt.

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Weiterführende Links:


Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit

Messverfahren zur Feststellung von Geschwindigkeits- und Abstandsverstößen

Die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit führt zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr

Rechtsprechung: Kein sog. unabwendbares Ereignis bei Überschreitung der Richtgeschwindigkeit

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Allgemeines:


BGH v. 17.03.1992:
Die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit begründet keinen Mitverschuldensvorwurf, spricht jedoch gegen die Unabwendbarkeit eines dadurch mit verursachten Unfalls.

OLG München v. 02.02.2007:
Die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen durch einen in einen Unfall verwickelten Fahrzeugführer schließt zwar die Berufung auf die Unabwendbarkeit grundsätzlich aus, der Halter ist aber nicht schon deshalb in jedem Fall anspruchsvermindernd belastet. Grundsätzlich ist bei deutlicher Überschreitung der Richtgeschwindigkeit die Betriebsgefahr zu Lasten des schuldlos an einem Verkehrsunfall Beteiligten zu berücksichtigen. Eine deutliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit ist für den Fall einer Geschwindigkeit von 150 km/h zu verneinen. Bei einer höheren Geschwindigkeit kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.

OLG Naumburg v. 06.06.2008:
Die Richtgeschwindigkeits - Verordnung von 130 km/h stellt einen Appell an die Verantwortung des Verkehrsteilnehmers dar, den ein Kraftfahrer, der den erhöhten Anforderungen eines Idealfahrers genügen will, nicht unbeachtet lassen darf. Jedoch kann deren Nichtbeachtung gegenüber einem besonders verkehrswidrigem Verhalten gänzlich zurücktreten.

LG Hildesheim v. 17.12.2008:
Eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um 10 km/h ist bei der Abwägung der Verschuldensbeiträge zu vernachlässigen.

OLG Schleswig v. 30.07.2009:
Auch die deutliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen führt regelmäßig allein zu einer erhöhten Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges.

OLG Nürnberg v. 09.09.2010:
Bei deutlicher Überschreitung der Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn (hier: 160 km/h) tritt die Haftung aus Betriebsgefahr auch bei erheblichem Verschulden des Unfallgegners regelmäßig nicht zurück.

OLG Hamm v. 25.11.2010:
Die Betriebsgefahr bei Überschreiten der Richtgeschwindigkeit (160 km/h statt 130 km/h) ist mit 20 %zu bewerten. Für eine Erhöhung dieses Prozentsatzes (etwa auf 25 %) besteht kein Anlass, da die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit einerseits zwar deutlich ist, andererseits aber in der Bandbreite der als deutlich zu bezeichnenden Richtgeschwindigkeits-Überschreitungen eher im unteren Bereich angesiedelt werden kann.

OLG Koblenz v. 14.10.2013:
Ein Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit eines Unfalls geltend machen will, muss sich nämlich wie ein "Ideal-Fahrer" verhalten. Ein "Ideal-Fahrer" fährt aber nicht schneller als die Richtgeschwindigkeit. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der, die Richtgeschwindigkeit überschreitende Fahrer nachweist, dass der Unfall für ihn auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h nicht zu vermeiden gewesen wäre.

OLG Schleswig v. 22.12.2015:
Eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit durch das nachfolgende Fahrzeug kann bei der Abwägung nicht berücksichtigt werden, wenn sie nicht unstreitig oder aber bewiesen ist.

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Auffahren des Überholenden auf Ausscherenden auf BAB und Überschreitung:


Auffahrunfälle auf der Autobahn

Fahrstreifenwechsel auf der Autobahn

BGH v. 17.03.1992:
Haftungsverteilung 1/4 des Überholers, 3/4 des Ausscherenden bei Überschreitung der Richtgeschwindigkeit durch den Überholenden

OLG Schleswig v. 23.09.1992:
Bei der Abwägung der beiderseitigen Betriebsgefahren kann die Autobahnrichtgeschwindigkeit mit als Maßstab herangezogen werden, so dass eine Quote von 3/4 zu Lasten des Auffahrenden gerechtfertigt erscheint

OLG Hamm v. 22.09.1994:
Auffahren des Überholenden auf Ausscherenden auf BAB - Haftung 1/5 des Überholers (mit 190 km/h), 4/5 des Ausscherenden

OLG Koblenz v. 08.01.2007:
Wer durch eine an sich erlaubte Geschwindigkeit von 200 km/h die Richtgeschwindigkeit um 70 km/h überschreitet und dadurch einen Verkehrsunfall mit verursacht, hat allein wegen seiner Betriebsgefahr einen hohen Mithaftungsanteil zu tragen. Dies können 50 % sein, wenn dem Unfallgegner ein Verschulden ebenfalls nicht nachzuweisen ist.

OLG Stuttgart v. 11.11.2009:
Mithaftung (hier 20 %) des von hinten auffahrenden Fahrzeugs nach sorgfaltswidrigem Wechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs auf die Überholspur der Autobahn, wenn Unabwendbarkeit nicht nachweisbar ist und das auffahrende Fahrzeug bei Dunkelheit die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h deutlich überschreitet.

OLG Rostock v. 18.11.2011:
Steht nach der Beweisaufnahme lediglich fest, dass sich der Auffahrunfall in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel ereignet hat und der auffahrende Pkw eine Ausgangsgeschwindigkeit von ca. 160 km/h hatte, so haftet der Auffahrende mit einer Quote von 60%, wenn nicht bewiesen ist, dass der Unfall auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h unvermeidbar gewesen wäre.

LG Kiel v. 19.08.2015:

1. Auch auf einer mehrspurigen Autobahn darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn gleichzeitig eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 7 Abs. 5 StVO).

2. Der Umstand, dass der sich spurtreu verhaltende Verkehrsteilnehmer der die Richtgeschwindigkeit erheblich überschreitet (hier: 160-180 km/h), wirkt sich dann nicht unfallursächlich aus, wenn der Spurwechsel in kürzestem Abstand und ohne vorherige Ankündigung vollzogen wird, mithin völlig unversehens kommt.



LG Wiesbaden v. 27.09.2016:
Der Fahrer, der die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h überschritten hat und aufgrund eines Fahrstreifenwechsel des Beklagten in einen Verkehrsunfall verwickelt wird, kann sich nicht auf die Unabwendbarkeit des Unfalls berufen, wenn er nicht nachweist, dass es auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1992, VI ZR 62/91). Die Betriebsgefahr des zu schnell Fahrenden kann nicht in vollem Umfang hinter dem Sorgfaltspflichtverstoß eines Spurwechslers zurücktreten; eine Mithaftung von 25 % erscheint angemessen.

OLG Düsseldorf v. 21.11.2017:
Die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen um 70 km/h (200 km/h statt 130 km/h) vermag auch im Falle eines unzulässigen Spurwechsels eine Anrechnung der Betriebsgefahr im Umfang von 30% zu rechtfertigen.

OLG Hamm v. 06.02.2018:
Auch wenn der Auffahrende maßvoll die empfohlene Richtgeschwindigkeit überschreitet, verwirklicht sich die mit der Überschreitung der Richtgeschwindigkeit verbundene Gefahr des Ver- und Unterschätzens der Annäherungsgeschwindigkeit des rückwärtigen Verkehrs nicht, wenn der die Fahrstreifen wechselnde den rückwärtigen Verkehr gar nicht beachtet.

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