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Motorradschutzkleidung - Mitverschulden und Abzug "Neu für Alt"
Motorradschutzkleidung - Mitverschulden und Abzug "Neu für Alt"
Gliederung:
Einleitung:
Hinsichtlich des Schadensersatzes für bei einem Verkehrsunfall beschädigte Motorradschutzkleidung geht die Rechtsprechung zunächst beinahe überwiegend davon aus, dass Abzüge Neu für Alt nicht gemacht werden müssen. Das entsprach auch dem für das Problem Alt für Neu ohnehin geltenden Grundsatz, dass sich der Geschädigte derartige Abzüge nicht gefallen lassen muss bei Gegenständen, die im allgemeinen ihren Wert während der gesamten Lebensdauer behalten, also nicht routinemäßig in gewissen Zeitintervallen erneuert zu werden pflegen.
Dies wird damit begründet, dass zum einen ein Kradhelm an sich keinem natürlichen Alterungs- und Entwertungsprozess unterliegt, aber andererseits nicht mehr funktionsgerecht wirken kann, wenn er bei einem Unfall aufgeschlagen ist und durch De- und Reformierung seine eingearbeitete Elastizität verloren hat.
Auch bei der sonstigen Schutz-Lederbekleidung wurde überwiegend eine Wertverlust allein durch Zeitablauf oder normalen Gebrauch verneint.
Diese ältere Rechtsprechung wird jedoch neuerdings in Zweifel gezogen. Da dies sogar durch Oberlandesgerichte geschieht, bleibt abzuwarten, inwieweit sich Auswirkungen auf die Rechtsfindung der Instanzgerichte ergeben werden.
Ein weiterer Problemkreis ergibt sich aus der Frage, ob das Nichttragen von Motorradschutzkleidung bei bestimmten Unfallverletzungen eine Mitverschuldensanrechnung zur Folge hat.
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Weiterführende Links:
Unfälle mit Kradbeteiligung - Motorradunfälle
Motorradschutzhelm
Geeignetes Schuhwerk
Vollverschleierung - Niqab
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Allgemeines:
LG Stralsund v. 28.11.2006:
§ 21 a Abs. 2 StVO schreibt auch für Beifahrer auf Krafträdern vor, dass diese einen amtlich genehmigten Schutzhelm tragen müssen. Es spricht bei schweren Kopfverletzungen der Anscheinsbeweis dafür, dass diese durch das Fehlen des Schutzhelms mitverursacht wurden, so dass zu Lasten des Beifahrers ein Mitverschulden angenommen werden muss.
OLG Brandenburg v. 23.07.2009:
Hat ein Motorradfahrer bei einem schuldlos erlittenen Unfall erhebliche Beinverletzungen erlitten, so ist in einem gewissem Umfang ein Mitverschulden insoweit anzunehmen, als er an den Beinen keine Schutzkleidung getragen hat, sondern lediglich mit einer Stoffhose bekleidet war. Zwar existieren anders als bei der Helmpflicht keine gesetzlichen Vorschriften darüber, dass jeder Motorradfahrer über das Tragen eines Helmes hinaus insgesamt eine Motorradschutzkleidung zu tragen hat. Ein Mitverschulden des Verletzten ist aber auch bereits dann anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt.
OLG Nürnberg v. 09.04.2013:
Es gibt jedenfalls derzeit kein allgemeines Verkehrsbewusstsein, dass das Tragen von Motorradschuhen zum eigenen Schutz eines Motorradfahrers erforderlich ist. Daher ist ein Mitverschulden eines verletzten Motorradfahrers, der im Unfallzeitpunkt Sportschuhe trug, aus diesem Grunde zu verneinen.
LG Köln 15.05.2013:
Das Nichttragen einer ausreichenden Schutzkleidung führt regelmäßig dazu, dass sich der geschädigte Motorradfahrer ein anspruchsminderndes Mitverschulden allein aus diesem Umstand entgegenhalten lassen muss. Wirkt sich nach sachverständiger Beurteilung das Nichttragen von Motorradschutzkleidung (hier: Motorradstiefel und Schutzkleidung an den Beinen) nicht kausal auf die von dem Motorradfahrer bei einem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen aus (hier: Sprunggelenksluxationsbruch mit Weichteilschaden), so kommt die Anrechnung eines Mitverschuldens nicht in Betracht.
LG Heidelberg v. 13.03.2014:
Das Gericht neigt zu der Auffassung, dass einen Leichtkraftradfahrer generell keine Obliegenheit trifft, Protektorenschutzkleidung zu tragen. Es gibt keine gesetzliche Pflicht, Motorradschutzkleidung zu tragen. § 21a Abs. 2 StVO normiert lediglich eine Pflicht, einen Schutzhelm zu tragen. Ein Mitverschulden liegt nicht vor. Eine Verkehrsauffassung dahin, dass es geboten ist, bei Innerortsfahrten auf einem Leichtkraftrad Schutzkleidung zu tragen, ist nicht festzustellen.
OLG Saarbrücken v. 12.03.2015:
Da lediglich das Tragen eines Schutzhelms gem. § 21a Abs. 2 StVO gesetzlich vorgeschrieben ist, fällt es nicht schmerzensgeldmindernd ins Gewicht, dass die Geschädigte abgesehen vom Schutzhelm keine Motorradschutzkleidung trug. Das gilt insbesondere dann, wenn das Tragen von Motorradschutzkleidung die Verletzungen der Geschädigten nicht wesentlich beeinflusst und damit auch nicht verhindert hätte.
LG Frankfurt am Main v. 07.06.2018:
Ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Motorradschutzkleidung an den Beinen kann nicht schon aus einem reduzierten Verletzungsrisiko hergeleitet werden. Kann ein dahingehendes Verkehrsbewusstsein den tatsächlichen Umständen und Gepflogenheiten der betroffenen Verkehrsteilnehmer nicht entnommen werden (hier: Fahrer einer Harley Davidson), ist ein Mitverschulden des geschädigten Motorradfahrers nicht feststellbar.
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Abzug Neu für Alt?
AG Lahnstein v. 31.03.1998:
Keine Abzüge Neu für Alt bei Kradhelm u. -schutzkleidung
AG Bad Schwartau v. 17.06.1999:
Keine Abzüge Neu für Alt bei Kradhelm u. -schutzkleidung
AG Essen v. 23.08.2005:
Aufgrund der langen Lebensdauer von Motorradbekleidung ist ein Abzug neu für alt bei einer durch einen Unfall beschädigten 5 Monate alten Motorradbekleidung nicht vorzunehmen.
OLG Düsseldorf v. 20.02.2006:
Dass ein Motorradhelm infolge eines Unfalls mit anschließendem Sturz und einer Aufprallberührung mit einem Betonpoller aus Sicherheitsgründen nicht mehr genutzt werden kann, ergibt sich unabhängig davon, ob eine äußerliche Beschädigung des Helms feststellbar ist, aus dem Umstand, dass als Folge dieser mechanischen Belastung des Helms verborgene Mängel nicht auszuschließen sind. Der Helm muss ausgetauscht werden. Bei fiktiver Abrechnung kann nur den Nettopreis für die Neuanschaffung eines vergleichbaren Motorradhelms mit vergleichbarem Visier beansprucht werden.
LG Duisburg v. 20.02.2007:
Auch Motorradschutzbekleidung unterliegt einem Wertverlust durch Abnutzung. Die Nutzungsdauer ist für einen Kradhelm mit 5 Jahren, für Motorradhandschuhe mit 8 Jahren, für die Motorradstiefel mit 6 Jahren und für den Rückenprotektor mit 12 Jahren anzusetzen. Auszugehen ist bei der Bestimmung des Zeitwerts vom Anschaffungspreis zum Unfallzeitpunkt.
LG Darmstadt v. 28.08.2007:
Bei der Festsetzung des ersatzfähigen Schadens bei unfallbedingter Beschädigung der Schutzkleidung eines Kradfahrers, bestehend aus Lederjacke Helm und Stiefel, muss der Geschädigte keinen Abzug "Neu für Alt" hinnehmen.
OLG Celle v. 19.12.2007:
Bei unfallbeschädigter Motorradschutzkleidung ist von derzeit geltenden Einkaufs-Neupreisen auszugehen. Abzuziehen sind angemessene Beträge für die seit der Anschaffung eingetretene Wertverschlechterung durch Abnutzung, die gem. § 287 ZPO vom Gericht zu schätzen sind.
OLG Karlsruhe v. 21.09.2009:
Die Höhe des Abzugs für Wertverlust durch Abnutzung ist regelmäßig nach dem Verhältnis der Nutzungsdauer des alten und des neuen Gegenstandes zu bemessen. Die für Motorradkleidung mitunter vertretene gegenteilige Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr sind insoweit die allgemeinen Grundsätze des Schadensrechts anzuwenden. Der besonderen Haltbarkeit von Motorradschutzkleidung kann im Rahmen des § 287 ZPO durch maßvollen Ansatz der Abzugsbeträge Rechnung getragen werden.
OLG Frankfurt am Main v. 08.02.2011:
Für gebrauchte Motorradkleidung gibt es keinen Gebrauchtmarkt, so dass der Neuwert im Wege der Vorteilsausgleichung in Relation des Alters zur durchschnittlichen Lebensdauer herabzusetzen ist.
OLG Naumburg v. 25.05.2012:
Es kann dahinstehen, ob ein Abzug „neu für alt“ hinsichtlich der Ersatzleistung für die Motorradfahrerschutzkleidung des Klägers vorzunehmen ist, weil die Höhe des Abzugs ist regelmäßig nach dem Verhältnis der Nutzungsdauer des alten und des neuen Gegenstands zu bemessen ist (BGH VersR 1959, 399 = NJW 1959, 1078; Palandt/Heinrichs, BGB 71. Aufl. vor § 249 Rn. 127) oder der gegenteiligen Auffassung (z.B. LG Darmstadt, DAR 2008, 89 m.w.N.)zu folgen ist. Es sind insoweit die allgemeinen Grundsätze des Schadensrechts anzuwenden (OLG Karlsruhe VersR 2010, 491). Ein solcher Abzug ist gemäß § 287 ZPO nicht vorzunehmen, wenn die Kleidung erst drei Monate vor dem Unfallereignis erworben wurde und daher im Hinblick auf die besondere Haltbarkeit von Motorradschutzkleidung ein Abzug nach so kurzer Tragezeit nicht vorzunehmen ist.
OLG München v. 07.05.2012:
Motorradkleidung (Helm/Stiefel) unterliegt zweifelsfrei wie jeder andere Gebrauchsgegenstand der Abnutzung bzw. einem Wertverlust, mögen sich diese Gegenstände auch durch eine längere Haltbarkeits- und Nutzungsdauer auszeichnen. Damit ist es gerechtfertigt, bei der Schadensberechnung einen Abzug „neu für alt“ vorzunehmen. Rechtlich unerheblich ist, ob der Motorradfahrer diese Kleidung aus eigenem Sicherungsinteresse anschafft und trägt. Gleiches gilt für den Einwand des Klägers, die Anschaffung gebrauchter Motorradkleidung sei unüblich und unzumutbar. Abgesehen davon gibt es im Bereich von Motorradhelmen und -stiefeln gerade wegen der Haltbarkeit und der spezifischen Nutzung sehr wohl einen Markt für Gebrauchtware, der bedeutsamer sein dürfte, als der Markt für modische Alltagskleidung.
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