VGH München v. 12.04.2021:
Der rechtsfehlerhafte Erlass einer Gutachtensanordnung bedeutet nicht (konkludent) elnen Verzicht auf die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 11 Abs. 7 FeV. Ein Verzicht muss von der Behörde durch einen Verwaltungsakt verbindlich erklärt werden. Die Entscheidung für eine bestimmte behördliche Maßnahme oder deren Ausführung beinhaltet nicht automatisch und ohne besonderen Anhaltspunkt eine Entscheidung gegen alle sonst in Betracht kommenden Maßnahmen bzw. den Verzicht hierauf.
VG Berlin v. 02.12.2014:
Hat der Fahrerlaubnisinhaber zwar nach den bis zum 01.05.2014 geltenden Vorschriften die erste Maßnahmenstufe (Ermahnung) des Fahreignungsbewertungssystems erreicht, hat die Fahrerlaubnisbehörde jedoch verkannt, dass eine Rückstufung der Punktezahl von acht auf sieben Punkte gemäß § 4 Abs. 6 Satz 2 StVG geboten gewesen wäre, weil die zweite Stufe des Maßnahmekatalogs (Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) noch nicht ordnungsgemäß ergriffen worden ist, kommt eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht in Betracht.
VGH München v. 07.01.2015:
Ergeben sich acht oder mehr Punkte nach dem ab 1. Mai 2014 geltenden Fahreignungs-Bewertungssystem, gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – in der seit 1.5.2014 geltenden Fassung). Die Entziehung der Fahrerlaubnis setzt nach § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG allerdings voraus, dass die jeweils davor liegenden Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG (Ermahnung und Verwarnung) zuvor ergriffen worden sind. Andernfalls reduziert sich der Punktestand nach Maßgabe von § 4 Abs. 6 Sätze 2 und 3 StVG auf fünf bzw. sieben Punkte.
VGH München v. 08.01.2015:
Bei einer starken Verkehrsgefährdung durch ein hohes Aggressionspotential wird eine bloße Maßnahme nach dem schematisch abgestuften Katalog des Mehrfachtäterpunktsystems der mit der ersichtlichen individuellen Fehleinstellung unmittelbar verbundenen Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit nicht gerecht. Vielmehr ist dann die Anordnung eines MPU-Gutachtens ermessensfehlerfrei.
OVG Münster v. 07.05.2015:
Die Umstellung des Systems und die dadurch erstmalige Einordnung in die neuen Maßnahmenstufen führen nicht zu einer Maßnahmenergreifung. Vielmehr führen nur eine Zuwiderhandlung und das hierauf folgende erstmalige Erreichen einer Maßnahmenstufe – nach altem wie nach neuem Recht – zu einer Maßnahme. Wenn der Fahrerlaubnisinhaber durch Übertragung seiner früheren Punkte in das neue Bewertungssystem zum 1. Mai 2014 bereits die ab einem Punktestand von sechs Punkten greifende Stufe zwei erreicht und diese Stufe somit nicht erst durch weitere Zuwiderhandlungen erstmals erreicht hatte, bedarf es vor der Entziehung der Fahrerlaubnis mit Erreichen der Stufe drei (8 Punkte) keiner Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG.
VG Regensburg v. 27.05.2015:
Mit dem Durchlaufen der Maßnahmen nach altem Recht wurde der Fahrerlaubnisinhaber hinreichend deutlich darauf hingewiesen, dass ihm beim Aufbau weiterer Punkte die Entziehung der Fahrerlaubnis droht. Ergeben sich nach neuem Recht - nach Umrechnung - 8 Punkte, ist die Fahrerlaubnis zu entziehen.
VG Göttingen v. 28.05.2015:
Die Fahrerlaubnis ist bei einem Punktestand von 8 Punkten im Fahreignungs-Bewertungssystem zu entziehen; dies gilt auch dann, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die vorherigen Maßnahmenstufen noch nach altem Recht durchlaufen hat.
VGH München v. 10.06.2015:
Nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG führt die Einordnung nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG (Umrechnung des früheren Punktestands vor dem 1.5.2014 in Punkte nach dem neuen System und Einordnung in die entsprechende Stufe nach § 4 Abs. 5 StVG) allein nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem. Einer weiteren Maßnahme in Form einer Ermahnung nach neuem Recht bedarf es nicht, wenn die Stufen bereits nach altem Recht durchlaufen waren.
OVG Bautzen v. 07.07.2015:
Der Fahrerlaubnisinhaber behält seine Maßnahmestufe bei der Überführung von Punkten aus dem Verkehrszentralregister in das Fahreignungs-Bewertungssystem bei. Der Wegfall der Warn- und Erziehungsfunktion verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
VGH München v. 07.04.2016:
Eine Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ist nicht vorgesehen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber durch die Rechtsänderung am 1. Mai 2014 in eine Stufe des neuen Fahreignungs-Bewertungssystems eingeordnet wurde und dann wegen einer weiteren Verkehrszuwiderhandlung ein weiterer Punkt eingetragen wird, der aber nicht zum Erreichen einer höheren Stufe führt.
VGH München v. 24.05.2016:
Die Maßnahmen nach dem Punktsystem (allgemeine Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 StVG a.F. bzw. § 4 Abs. 5 StVG) und die Maßnahmen für Inhaber von Fahrerlaubnissen auf Probe nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG stehen grundsätzlich nebeneinander und sind getrennt durchzuführen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 StVG a.F. bzw. § 4 Abs. 1 Satz 4 StVG).
VGH München v. 30.09.2016:
Wenn die zuständige Behörde gegen den Fahrerlaubnisinhaber vor dem 1. Mai 2014 die nach damaliger Rechtslage vorgesehene Maßnahme ergriffen hat (hier: Verwarnung und Hinweis auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar mit Punktabzug, § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F.), ist dann keine Maßnahme nach neuem Recht (hier: Ermahnung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar und Punktabzug, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) erforderlich, wenn der Fahrerlaubnisinhaber nach der Einordnung in das Fahreignungs-Bewertungssystem durch eine weitere Straftat oder Ordnungswidrigkeit zwar einen höheren Punktestand, aber hierdurch keine höhere Stufe innerhalb des Stufensystems des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG erreicht hat.
OVG Berlin-Brandenburg v. 17.11.2016:
Wenn der Fahrerlaubnisinhaber bereits nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG verwarnt wurde, gibt das nachträgliche Bekanntwerden von Verkehrsverstößen, die zu einer Eintragung von acht oder mehr Punkten im Fahrerlaubnisregister führen, keinen Anlass zu einer Verringerung des bereits erreichten Punktestandes gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG (vgl. Senatsbeschluss vom 7. August 2015 - OVG 1 S 18.15 -). - Im Fahreignungsregister eingetragene Punkte, deren zugrunde liegende Verkehrsverstöße vor dem Ergreifen einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StVG begangen wurden, lösen eine erneute Maßnahme anders als nachträglich begangene Verkehrsverstöße - nicht aus, wenn der Punktestand durch zwischenzeitliche Tilgungen von Eintragungen zunächst unter die jeweilige Punkteschwelle gesunken ist und durch die sich nach dem Tattagsprinzip bereits vor der bereits ergriffenen Maßnahme gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG "ergeben" habenden Punkte wieder die jeweilige Erheblichkeitsschwelle erreicht.
VG Gelsenkirchen v. 16.02.2017:
Hat ein Fahrerlaubnisinhaber bereits die Stufe 1 nach altem Recht durchlaufen, ist allein durch die Umrechnung die erste Maßnahmestufe gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG n.F. nicht erneut zu ergreifen. Lediglich dann, wenn der Kontostand durch eine neue Ordnungswidrigkeit die 4-Punkte-Grenze des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG "von unten" neu überschreitetet, ist eine Ermahnung nach dieser Vorschrift erforderlich. Weist der Kontostand des Betroffenen nach dem 1. Mai 2014 aber zu keinem Zeitpunkt weniger als vier Punkte aus, entsteht keine Pflicht zur erneuten Ermahnung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StVG.
OVG Hamburg v. 08.01.2018:
Für das Ergreifen der Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 StVG kommt es auf die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde an. Der Fahrerlaubnisinhaber kann sich nicht darauf verlassen, dass sein Punktestand tatsächlich nicht höher ist, als in der Ermahnung bzw. Verwarnung mitgeteilt.
VGH München v. 18.07.2018:
Wurde ein Fahrerlaubnisinhaber nach altem Punkterecht beim Stand van damals 8 Punkten verwarnt und wurde ebenfalls noch nach altem Recht bei 14 Punkten ein Aufbauseminar angeordnet, dann hat er sämtliche nötigen Vorstufen vor dem Entzug der Fahrerlaubnis durchlaufen und damit die zweite Stufe erreicht, die gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 StVG für Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zugrunde gelegt wird, nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG aber allein nicht zu einer Maßnahme führt. Eine Wiederholung der zweiten Maßnahmenstufe nach der Einführung des Fahreignungs-Bewertungssystems war nicht erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2017 – 3 C 21.15 – BVerwGE 157, 235 Rn. 18; BayVGH, B.v. 7.1.2015 – 11 CS 14.2653 ).
Maßnahmeschwellen bei verschiedenen Führerscheinklassen:
VG Neustadt v. 25.06.2015:
Der Umstand, dass ein Inhaber der Fahrerlaubnisklassen A und CE zugleich Inhaber der Fahrerlaubnisklassen D und DE ist, bei denen besondere Anforderungen an das Führen entsprechender Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen gestellt werden, kann in einem Entziehungsverfahren betreffend die Fahrerlaubnisklassen A und CE nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden. Gleiches gilt, wenn der Betroffene zugleich Inhaber einer Fahrlehrererlaubnis ist. - Bei Fahrerlaubnisklassen, wie etwa den Klassen D und DE, bei denen besonders hohe Anforderungen auch hinsichtlich der Verantwortung der Fahrerlaubnisinhaber gestellt werden, etwa weil aufgrund der von ihnen geführten Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen größere Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer oder für von den Fahrerlaubnisinhabern beförderte Personengruppen bestehen, ist die Schwelle für eine Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde neben dem Fahreignungs-Bewertungssystem (Punktesystem) niedriger, als etwa bei den Fahrerlaubnisklassen A oder CE.
VG Leipzig v. 16.06.2014:
Ist eine Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 7 StVG vor dem 1.5.2014 entzogen worden, weil das angeordnete Aufbauseminar nicht durchgeführt wurde, richtet sich die Prüfung nach der bis zum 30.4.2014 gültigen Rechtslage.
OVG Bautzen v. 31.07.2014:
Es ist offen, ob die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Erreichens von 18 Punkten am Tag der letzten punktbewehrten Verkehrszuwiderhandlung in Fällen, in denen das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, zusätzlich nach neuer Rechtslage zu beurteilen ist und nur nach Maßgabe der Übergangsbestimmungen des § 65 Abs 3 StVG betreffend die Überführung von Punkten aus dem Verkehrszentralregister in das seit 1. Mai 2014 geltende Regime von Fahreignungsregister und Fahreignungs-Bewertungssystem in Betracht kommt (Vergleiche: VGH Mannheim, 2014–06–03, 10 S 744/14; Entgegen: VG Leipzig, 2014–06–16, 1 L 298/14). Fraglich ist insbesondere, ob die auf Verurteilungen wegen Verstößen gegen § 6 Abs 1 PflVersG (PflVG) beruhenden Eintragungen überführbar sind, da sie in der neuen Anlage 13 (zu § 40 FeV) - im Unterschied zu Anlage 13 zu § 40 FeV in der bis zum 23. April 2014 gültigen Fassung - nicht mehr als berücksichtigungsfähig aufgeführt werden.
VG Göttingen v. 14.10.2014:
Die Umstellung der Punktestände nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG n. F. ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es besteht kein Anspruch auf Umrechnung der pro Zuwiderhandlung eingetragenen alten Punkte in die entsprechende Punktezahl nach neuem Recht.
VG Hannover v. 17.04.2015:
Gegen die Übergangsregelung des § 65 Abs 3 Nr 3 StVG, nach der für Entscheidungen, die bis zum 30.04.2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und erst ab dem 01.05.2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, das neue Recht gilt, bestehen verfassungsrechtliche Bedenken.
VGH München v. 18.05.2015:
Die Berechnung des Punktestands bei einer vor der Rechtsänderung zum 1. Mai 2014 begangenen und rechtskräftig geahndeten, aber erst danach im Fahreignungsregister eingetragenen Ordnungswidrigkeit durch Umrechnung des nach altem Recht bestehenden Punktestands nach der Tabelle des § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG und Addition der nach neuem Recht neu hinzukommenden Punkte verstößt nicht gegen Grundrechte oder den Grundsatz des Vertrauensschutzes.
OVG Lüneburg v. 20.07.2015:
Zur Fahrerlaubnisentziehung nach Berechnung des Punktestands unter Anwendung der Übergangsbestimmung des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG im Fall einer vor dem 1. Mai 2014 begangenen und rechtskräftig geahndeten, aber erst danach im Fahreignungsregister gespeicherten Ordnungswidrigkeit.
VG Bremen v. 22.07.2015:
Nach summarischer Prüfung bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG.
OVG Hamburg v. 16.11.2015:
Die Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 und Nr. 4 Satz 1 StVG unterliegen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. - Aus § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG ergibt sich für die Anwendung von § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG, dass nach altem Recht vorgenommene Maßnahmen insoweit "angerechnet" werden, als sie einer der nunmehr zu ergreifenden Maßnahme vorgelagerten Maßnahmestufe entsprechen.
OLG Karlsruhe v. 09.05.2016:
Nach dem 30. April 2014 im Fahreignungsregister erfolgende Eintragungen entfalten keine Tilgungshemmung für bis zum 30. April 2014 enthaltene Eintragungen.