Bei einem sog. HWS-Schleudertrauma handelt es sich in der Regel um eine Distorsion (Zerrung, Verstauchung) der Wirbelsäule. Ursache für eine solche HWS-Distorsion im Rahmen einer Schleuderverletzung sind der Regel heftige Relativbewegungen zwischen Kopf und Rumpf durch abrupte Rumpfbeschleunigungen oder -abbremsungen. In der verkehrsrechtlichen Praxis handelt es sich zumeist um Folgen von Auffahrunfällen.
Das Ausmaß der körperlichen Schädigung ist nicht zwingend abhängig von dem am Unfallort sichtbaren Schweregrad des Unfallereignisses bzw. dem Fahrzeugschaden. Schwerste Pkw-Unfälle können mit nur unwesentlichen kurzfristigen Beschwerdebildern einhergehen, während zunächst banal erscheinende Auffahrunfälle langandauernde, nur schwer therapierbare HWS-Distorsionen nach sich ziehen können.
Die Beurteilung derartiger Unfallfolgen wird dadurch erheblich beschwert, dass bis zum Unfall unerkannte sog. degenerative Vorschädigungen der Wirbelsäule und die individuellen psychischen Verarbeitungsmechanismen des Unfallereignisses oftmals zu Folgeschäden führen, die jenseits des Erwartungshorizonts bei einem leichten Auffahrunfall liegen. Hier eröffnet sich für die Rechtsprechung ein weites Feld für komplizierte Kausalitätsbeurteilungen.
OLG Hamm v. 23.06.2003:
Hat das erstinstanzliche Gericht den Beweis einer Primärverletzung in Form eines HWS-Syndroms nicht als erbracht angesehen, weil der Heckaufprall lediglich zu einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung zwischen 7 und 11 km/h geführt hat und der orthopädische Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Anspruchsteller keine HWS-Distorsion oder Bandscheibenvorfälle erlitten hat, dann werden Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht dadurch begründet, dass der erstbehandelnde Orthopäde eine starke Distorsion der Halswirbelsäule attestiert und ruhigstellende Maßnahmen und abschwellende Medikamente verordnet hat.
OLG Celle v. 07.12.2006:
Aus der Literatur ist bekannt, dass es bei Halswirbelsäulentraumen zu kleineren Verletzungen der Gelenkkapseln der kleinen Wirbelgelenke und Bänder kommen könne, wobei nur selten der Nachweis dieser Verletzungen mittels MRT oder anderer Untersuchungsmethoden gelinge; diese kleinen Verletzungen können gleichwohl zu schmerzhaften Bewegungsstörungen der Halswirbelsäule führen könnten, welche jahrelang anhalten könnten.
LG Traunstein v. 20.10.2008:
Zur Kausalität eines Unfalls für ein HWS-Schleudertrauma und zu einzelnen Schadenspositionen, die teil ersatzfähig, teils nicht ersatzfähig sind - Schmerzensgeld 2.500,00 €
OLG Jena v. 13.01.2009:
Auch wenn nicht schematisch von einer sog. Harmlosigkeitsgrenze auszugehen ist, obliegt dem Geschädigten dennoch die volle Beweislast für die objektive Verursachung einer HWS-Distorsion durch den Unfall. Der Beweis ist nicht erbracht, wenn ein unfallanalytisches und biomechanisches Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis kommt, dass die Unfallbedingtheit zwar ohne weiteres möglich ist, jedoch auch andere Ursachen für die Beschwerden in Betracht kommen.
OLG Schleswig v. 02.04.2009:
Zu den Anforderungen an die substantiierte Darlegung einer HWS-Distorsion und der insoweit bestehenden Hinweis- und ggf. Fragepflicht des Gerichts. Die Tatsache, dass es sich bei dem Unfall um eine Streifenkollision gehandelt hat, steht einer unfallbedingten HWS-Distorsion nicht entgegen.
OLG Saarbrücken v. 28.02.2013:
Auch wenn das medizinische Erfahrungswissen zum sicheren Nachweis leichtgradiger Verletzungsfolgen und hieraus resultierender fortdauernder Beschwerden (hier: andauernde Beschwerden nach allenfalls mittelgradiger HWS-Distorsion) nicht in der Lage ist, kann das Gericht am Maßstab des § 287 ZPO seine Überzeugung von der Wahrheit der zu beweisenden Tatsache insbesondere auf die Glaubhaftigkeit und Plausibilität des Klägervortrag stützen.
OLG Köln v. 19.02.2014:
Sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls die HWS-Beschwerden unfallbedingt, beruhen die Arbeitsunfähigkeit und die Kosten für eine entsprechende Heilgymnastik auf dem Unfall und führen zu entsprechenden übergangsfähigen Ersatzansprüchen der zuständigen Sozialversicherungsträger auch dann, wenn daneben auch eine schwere reaktive Depression vorliegt. Es bedarf dann keiner weiteren Begutachtung zu den psychischen Beschwerden.
OLG Koblenz v. 13.04.2015:
Ist die Schadensentwicklung - vorliegend Beeinträchtigungen des Geschädigten aufgrund einer Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule - bei Klageerhebung abgeschlossen, steht dem Geschädigten grundsätzlich nur die Leistungsklage zur Verfügung.
OLG Frankfurt am Main v. 01.04.2009:
Der Geschädigte, der einen Bandscheibenvorfall als Folge eines Auffahrunfalls behauptet, trägt für diesen unwahrscheinlichen Kausalzusammenhang die Beweislast.