Das Verkehrslexikon

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Überliegefrist - Zur Verwertung von tilgungsreifen Eintragungen im Verkehrszentralregister

Überliegefrist - Zur Verwertung von tilgungsreifen Eintragungen im Verkehrszentralregister




Gliederung:


   Einleitung
Weiterführende Links
Allgemeines

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Einleitung:


Gemäß § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG sind Eintragungen nach Eintritt der Tilgungsreife zu löschen, wenn nicht Satz 2 der Vorschrift etwas anderes bestimmt. Gemäß § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG wird eine Eintragung nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 lit. a oder c StVG nach Eintritt der Tilgungsreife erst nach einer Überliegefrist von einem Jahr gelöscht.

Der Gesetzgeber hat das Abwarten einer einjährigen Überliegefrist als ausreichende „Optimierungsmöglichkeit“ erachtet, um das Risiko rein taktisch motivierter Rechtsmittel zu begrenzen.

Unterschiedliche Auffassungen bestehen nur darüber, ob Zuwiderhandlungen auch nach Ablauf der Überliegefrist im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems noch verwertet werden können (vgl. zum Meinungsstand Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 4 StVG Rn. 83a; BayVGH, U. v. 18.6.2019 – 11 BV 18.778).

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Weiterführende Links:


Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein

Verkehrszentralregister

Das Fahreignungs-Bewertungssystem - neues Punktsystem

Tilgungsfristen für die Eintragungen im Verkehrszentralregister (VZR) und Verwertungsverbote

Überliegefrist - Zur Verwertung von tilgungsreifen Eintragungen im Verkehrszentralregister

Verwertungsverbote im Verwaltungsverfahren

Verwertungsverbote im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren

Aufschub des Fristbeginns für die Tilgung um bis zu 5 Jahren (Anlaufhemmung)

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Allgemeines:


OLG Schleswig v. 07.12.2000:
BZRG § 52 Abs 2 erlaubt bei der Strafzumessung keine Berücksichtigung der früheren Verurteilungen, falls diese getilgt oder tilgungsreif sein sollten (Anschluß OLG Frankfurt, 25. Februar 1997, 3 Ss 22/97, NZV 1997, 245).

OLG Hamm v. 26.05.2006:
Die Überliegefrist des § 29 Abs. 7 StVG verhindert nur die Löschung von Voreintragungen. Während der Überliegefrist besteht aber ein Verwertungsverbot.

OLG Hamm v. 30.05.2006:
Eine Voreintragung darf nur solange verwertet werden, wie sie nicht getilgt ist. Nach Tilgungsreife und während der Überliegefrist unterliegt die Voreintragung einem Verwertungsverbot. Die Überliegefrist soll lediglich verhindern, dass eine Entscheidung aus dem Register gelöscht wird, obwohl eine weitere Entscheidung während der Überliegefrist ergangen, dem Verkehrszentralregister aber noch nicht übermittelt worden ist.

AG Wolfratshausen v. 13.06.2006:
Der seit dem 1. 2. 2005 geltenden gesetzlichen Neuregelung in § 29 StVG ist ein im Rahmen des gerichtlichen Bußgeldverfahrens geltendes Verwertungsverbot jedenfalls hinsichtlich solcher Einträge nicht zu entnehmen, die von der Überliegefrist des Absatzes 7 Satz 1 erfasst und deshalb noch nicht (endgültig) gelöscht sind.

OLG Bamberg v. 30.08.2006:
Nur solange eine Voreintragung nicht getilgt ist, darf sie verwertet werden. Nach eingetretener Tilgungsreife und während der Überliegefrist bleibt es zwar bei einer Eintragung im Verkehrszentralregister, jedoch unterliegt die Voreintragung einem Verwertungsverbot.

OLG Hamm v. 12.10.2006:
Eine Voreintragung kann nach Ablauf der Tilgungsfrist nicht mehr zu einer Erhöhung des Bußgeldes oder der Anordnung bzw. Verlängerung eines indizierten Fahrverbotes herangezogen werden. Die Überliegefrist soll lediglich verhindern, dass eine Entscheidung aus dem Register gelöscht wird, obwohl eine weitere Entscheidung während der Überliegefrist ergangen, dem Verkehrszentralregister aber noch nicht übermittelt worden ist.

OLG Bremen v. 28.10.2010:
Ordnungswidrigkeit werden nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG nach zwei Jahren gelöscht, soweit keine weiteren Ordnungswidrigkeiten begangen wurden, die zu einer Verlängerung der Tilgungszeit führen (§ 29 Abs. 6 StVG). Die Tilgungsfrist beginnt nach § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der beschwerenden Entscheidung. Für getilgte Voreintragungen im Verkehrszentralregister besteht ein gesetzliches Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG. Da Tilgung und Tilgungsreife wesensgleich sind, gilt das Verwertungsverbot auch für tilgungsreife Eintragungen (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40.- Auflage 2009, § 29 StVG Rn. 12). Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines solchen Verwertungsverbots ist dabei immer der Erlass des tatrichterlichen Urteils wegen der neuen Tat (OLG Köln, NZV 2000, 430; OLG Bamberg, DAR 2010, 332). Sind – wie hier nach den getroffenen Feststellungen – mehrere Entscheidungen eingetragen, so ist nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG die Tilgung aller Eintragungen grundsätzlich erst dann zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen.




OLG Düsseldorf v. 22.11.2010:
Gem. § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG dürfen getilgte Voreintragungen dem Betroffenen nicht mehr vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden. Dabei steht die Tilgungsreife der Tilgung gleich. Dabei werden Eintragungen von Entscheidungen wegen Ordnungswidrigkeiten - ausgenommen solcher nach § 24a StVG - spätestens nach fünf Jahren getilgt. Maßgebliche Berechnungszeitpunkte für den Beginn der Tilgungsfrist ist nach § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG zum einen der Rechtskrafteintritt der Bußgeldentscheidung und zum anderen der Zeitpunkt der Überprüfung der Vorbelastungen durch das Tatgericht, also der Tag des Erlasses des tatrichterlichen Urteils. Liegt zwischen den beiden Daten ein über die absolute Tilgungsfrist von 5 Jahren hinausgehender Zeitraum, besteht ein Verwertungsverbot hinsichtlich der entsprechenden Eintragung.

OVG Schleswig v. 14.04.2011:
Gem. § 65 Abs. 9 StVG werden die Entscheidungen, die vor dem 01.01.1999 im Verkehrszentralregister eingetragen worden sind, bis zum 01.01.2004 "nach den Bestimmungen des § 29 in der bis zu 1. Januar 1999 geltenden Fassung in Verbindung mit § 13a der Straßenverkehrszulassungsordnung" getilgt. Ferner dürfen die Entscheidungen "nach § 52 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes in der bis zum 31. Dezember geltenden Fassung verwertet werden, jedoch längstens bis zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht". Dieser Wortlaut des Gesetzes bezieht sich, worauf der Beklagte zutreffend hinweist, nicht lediglich auf die Zeitdauer sowohl der Tilgungs- wie auch der Verwertungsfrist, sondern ebenso auf die Berechnung des Fristbeginns gem. § 29 Abs. 5 StVG und auf die Voraussetzungen der Ablaufhemmung nach § 29 Abs. 6 StVG.

OVG Lüneburg v. 09.07.2013:
Die Beschränkung der Verwertbarkeit von Eintragungen über gerichtliche Entscheidungen (vor ihrer Tilgung) auf 5 Jahre nach § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG a.F. gilt nicht für nur im Verkehrszentralregister eingetragene behördliche Entscheidungen.

OLG Hamm v. 24.07.2014:
Zur Nichtverwertbarkeit von Eintragungen im Verkehrszentralregister nach Eintritt der Tilgungsreife während des Laufs der sogenannten Überliegefrist.

VG Würzburg v. 27.05.2015:
Die Tilgung einer Eintragung ist vorbehaltlich der Regelungen in den Sätzen 2 bis 6 erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Hat der Inhaber einer Fahrerlaubnis einen Punktestand erreicht, der nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zur Folge hat, ist eine danach eintretende Tilgung von Punkten im Verkehrszentralregister für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ohne Bedeutung.

OVG Lüneburg v. 22.02.2017:
Ist eine Eintragung im Fahreignungsregister wegen Ablaufs der Überliegefrist gelöscht, so steht das der Verwertung zum Zwecke einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem auch dann entgegen, wenn die Löschung nur zum Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung der Fahrerlaubnisbehörde gegeben war, nicht aber bereits zu dem in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG bezeichneten Zeitpunkt; § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG findet insoweit keine analoge Anwendung.



VGH München v. 06.10.2017:
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass nach der Löschung einer Eintragung eine Berücksichtigung nicht mehr möglich ist, sondern ein absolutes Verwertungsverbot besteht und das für die Berechnung des Punktestands maßgebliche Tattagprinzip in § 4 Abs. 5 Satz 5 und 7 StVG hierdurch eine Begrenzung erfahren sollte. Der Gesetzgeber hat das Abwarten einer einjährigen Überliegefrist als ausreichende „Optimierungsmöglichkeit“ erachtet, um das Risiko rein taktisch motivierter Rechtsmittel zu begrenzen.

VG Gelsenkirchen v. 09.01.2019:
Eine Tat darf im Zeitpunkt der Entziehungsverfügung noch verwertet werden, obwohl die Tilgungsfrist im Entziehungszeitpunkt, dem 16. August 2018, mittlerweile abgelaufen ist, wenn die Überliegefrist-Regelung zum Zuge kommt. Gemäß § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG sind Eintragungen nach Eintritt der Tilgungsreife zu löschen, wenn nicht Satz 2 der Vorschrift etwas anderes bestimmt. Gemäß § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG wird eine Eintragung nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 lit. a oder c StVG nach Eintritt der Tilgungsreife erst nach einer Überliegefrist von einem Jahr gelöscht. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Nr. 3 lit. a, bb StVG liegen vor, wenn es sich um eine rechtskräftige Entscheidung wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG handelt, welche in der Bußgeldkatalogverordnung bezeichnet und wegen der gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 100,00 Euro und damit mehr als 60,00 Euro festgesetzt worden ist.

VGH München v. 10.07.2019:
Die nachträgliche Tilgung von Punkten kann nach § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG keine Berücksichtigung finden. Nachdem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG beim Erreichen von acht Punkten zwingend zu verfügen ist, ist auch für Verhältnismäßigkeitserwägungen grundsätzlich kein Raum. Erst wenn Verstöße nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG im Fahreignungsregister gelöscht sind, können sie auch für Entziehungen der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.953 – VRS 132, 71 Rn. 13 ff.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, da die Ordnungswidrigkeit vom 26. August 2015 (rechtskräftig geahndet am 10.12.2015) zwar am 10. Juni 2018 zu tilgen war, sich aber zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch in der Überliegefrist des § 29 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG befunden hat. Unterschiedliche Auffassungen bestehen nur darüber, ob Zuwiderhandlungen auch nach Ablauf der Überliegefrist im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems noch verwertet werden können (vgl. zum Meinungsstand Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 4 StVG Rn. 83a; BayVGH, U. v. 18.6.2019 – 11 BV 18.778 – noch nicht veröffentlicht).

VG Karlsruhe v. 03.12.2021:
  1.  Die Verwendbarkeit von Eintragungen im Fahreignungsregister während der Überliegefrist nach § 29 Abs. 6 Satz 3 Nr. 4 StVG setzt tatbestandlich voraus, dass eine separat geahndete Tat nachfolgend in einem späteren Verwaltungsverfahren durch die Fahrerlaubnisbehörde zur Grundlage einer weiteren – im Fahreignungsregister eingetragenen und noch nicht gelöschten – Entscheidung genommen wurde.

  2.  Eine solche Verwendbarkeit liegt nicht vor, sofern ein Verstoß gegen Strafvorschriften unmittelbar durch das Strafgericht geahndet wurde und dieser während seiner Tilgungsfrist in keiner weiteren Entscheidung zur Begründung herangezogen wurde.

  3.  Als Maßnahmen nach § 28 Abs. 3 Nr. 5, 6 oder 8 StVG, welche im Sinne des § 29 Abs. 6 Satz 3 Nr. 4 StVG noch gespeichert sind, kommen einzig Entscheidungen der Verwaltungsbehörden, nicht aber solche der Strafgerichte in Betracht.

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