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Das Verkehrslexikon

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Einfahren von einem "anderen Straßenteil" - § 10 StVO

Einfahren von einem "anderen Straßenteil"




Gliederung:


   Einleitung

Weiterführende Links

Allgemeines

Radwege

"Drive-In" eines Schnellrestaurants

Anderer Straßenteil auf Parkplätzen

Teils überdachter Großparkplatz




Einleitung:


Wie beim Verlassen eines Grundstücks oder beim Anfahren vom Fahrbahnrand muss der Fahrzeugführer auch beim Einfahren von einem "anderen Straßenteil" gem. § 10 StVO durch gesteigerte Sorgfalt jegliche Behinderung oder gar Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeiden.

Was jeweils ein anderer Straßenteil in diesem Sinne ist, muss der insofern reichhaltigen Kasuistik der Rechtsprechung entnommen werden. Hierin gehören auf jeden Fall Parkflächen, Seitenstreifen, Tankstellenflächen, Grundstücksflächen vor Gebäuden, die nicht zur Fahrbahn gehören, und viele andere straßenbauliche Gestaltungen mehr.


Radwege gehören zu den anderen Straßenteilen.

Dabei ist stets auf die funktionale Bedeutung der anderen Straßenteile abzustellen, welche aber unbedingt in der äußeren Gestaltung ihren Niederschlag gefunden haben muss, damit der bevorrechtigte Verkehrsteilnehmer sich schnell darüber informieren kann, ob ihm ein Vorrecht zusteht bzw. ob der andere besonders sorgfältig in die Normalfahrbahn einfahren muss. Für Missverständnisse sind hier insbesondere scheinbare Rechts-vor-Links-Situationen geeignet.

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Weiterführende Links:


Einfahren auf die Autobahn

Anfahren vom Fahrbahnrand

Schutzstreifen für Radfahrer - Angebotsstreifen

Stichwörter zum Thema Fahrrad und Radfahrer

Überblick: Der Schutzstreifen für Radfahrer (Angebotsstreifen)

Stichwörter zum Thema Radfahrer

Radwege und Radwegbenutzungspflicht

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Allgemeines:


BayObLG v. 27.05.1983:
Eine von einer durchgehenden Straße abzweigende gemeinsame Zufahrt zu mehreren neben der Straße gelegenen Häusern ist dann, wenn sie nach den äußerlich erkennbaren Umständen lediglich der Anschließung dieser Häuser an den öffentlichen Verkehr dient, trotz ihrer Zugehörigkeit zum öffentlichen Verkehrsraum im Verhältnis zu der durchgehenden Straße keine selbständige Straße, an deren Einmündung die Vorschriften über die Vorfahrt Anwendung finden, sondern ein anderer Straßenteil, bei dessen Verlassen das Vorrecht des fließenden Verkehrs auf der durchgehenden Straße zu beachten ist.

OLG Köln v. 07.10.1998:
"Andere Straßenteile" gem. § 10 Satz 1 StVO gehören zur Straße im verkehrsrechtlichen Sinne, sie dienen jedoch nicht dem durchgehenden Verkehr. Maßgebend für die Abgrenzung zwischen Straße und den in § 10 Satz 1 StVO genannten Verkehrsflächen ist das Gesamtbild der äußerlich erkennbaren Merkmale, da der Verkehrsteilnehmer auf klare und einfache Anhaltspunkte angewiesen ist und in erster Linie auf sichtbare Merkmale zurückgreifen können muss, um aus dem an Ort und Stelle erkennbaren Gesamtbild Schlüsse darauf ziehen zu können, welche Verkehrsregelung eingreift.

OLG Rostock v. 23.02.2007:
Die Zuordnung einer Verkehrsfläche als anderer Straßenteil im Sinne des § 10 StVO oder als Straße im Sinne des § 8 Abs. 1 StVO definiert sich nicht nach deren objektiven Verkehrsbedeutung, sondern nach dem Gesamtbild der äußerlich erkennbaren Merkmale. Geben Ausbau oder Gestaltung einer Verkehrsfläche Anlass zu Zweifel an deren Qualifikation und kann die Verkehrsfläche zudem von einem von links kommenden Benutzer der Straße nicht eingesehen werden, so hat sich der Vorfahrtsberechtigte in die Durchgangsstraße so vorsichtig hineinzutasten, wie sonst ein Wartepflichtiger.

AG Erkelenz v. 30.09.2008:
Verlässt der Fahrer eines Krankenfahrstuhls den Bürgersteig und kollidiert auf der Fahrbahn mit einem gerade wieder anfahrenden Kfz, dann trifft ihn die überwiegende Haftung.




AG Dresden v. 06.10.2008:
Kreuzen sich zwei nur dem Parkplatzverkehr dienende Fahrgassen eines ausdrücklich oder tatsächlich öffentlich-rechtlichen Parkplatzes, ist von den Führern der in Längs- oder Abbiegerichtung fahrenden - nicht ausparkenden - Kraftfahrzeuge das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme anzuwenden.

LG München v. 11.05.2010:
Fährt ein Verkehrsteilnehmer rückwärts vom Bordstein in den fließenden Verkehr ein und kommt es dabei zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Ausfahrt nicht mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erfolgte. Kann der rückwärts Ausfahrende nicht eine überhöhte Geschwindigkeit des fließenden Verkehrs nachweisen, haftet er für die Unfallfolgen regelmäßig allein.

OLG München v. 08.03.2013:
Ein über den Geh- und Radweg von einem Parkplatz auf die Fahrbahn Einfahrender hat die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, § 10 S. 1 StVO. Für den vom Fahrbahnrand Anfahrenden gilt zwar ebenfalls § 10 StVO, seine Pflicht besteht aber in erster Linie gegenüber dem fließenden Verkehr auf der Fahrbahn und nicht primär gegenüber Verkehr auf dem Geh- und Radweg. Der vom Fahrbahnrand anfahrende Lkw-Fahrer haftet daher bei einer Kollision mit einem von einem anderen Straßenteil einfahrenden Pkw nur zu 30 %.

OLG Saarbrücken v. 27.11.2014:
Beschränkt sich die Verkehrsbedeutung einer Zuwegung sich auf die Erschließung zweier Wohnhäuser mit 8 Wohnungen und ist sie durch einen abgesenkten Bordstein deutlich von der Straße abgesetzt, handelt es sich um einen anderen Straßenteil im Sinne des § 10 StVG. Bei einer Kollision des aus der Zuwegung Ausfahrenden mit einem Fahrzeug des normalen Straßenverkehrs ist Schadensteilung angemessen, wenn der Vorfahrtberechtigte erkennen kann, dass sein Vorrecht nicht rechtzeitig und ausreichend erkannt werden wird.

OLG Karlsruhe v. 24.06.2015:
Ob ein "anderer Straßenteil" im Sinne von § 10 Satz 1 StVO vorliegt - mit besonderen Pflichten für den Einfahrenden -, richtet sich nach dem äußeren Gesamteindruck der örtlichen Verhältnisse; der Umstand, dass eine Straße wegen einer Baustelle zeitweise nur für Anlieger freigegeben ist, macht - für sich allein - diese Straße noch nicht zu einem "anderen Straßenteil".

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Radwege:


Radwege und Radwegebenutzungspflicht

OLG Köln v. 07.10.1998:
Zu den von anderen Straßenteilen Einfahrenden gehören auch die Radfahrer, die von Radwegen oder Seitenstreifen auf die Fahrbahn einbiegen. Auch sie müssen mehr als besondere Rücksicht, wie sie bisher § 27 III StVO verlangte, nämlich das Äußerste an Sorgfalt aufbringen. Sie werden sich zwar kaum je einweisen lassen müssen; dafür haben sie dann bei Unübersichtlichkeit abzusitzen.

KG Berlin v. 12.09.2002:
Grundsätzlich ist das Verlassen eines Radweges unter Beachtung des § 10 StVO zu werten. Nach dieser Vorschrift darf ein Verkehrsteilnehmer "von anderen Straßenteilen" auf die Straße, also auf die Fahrbahn nur einfahren, wenn die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Das Verlassen eines Radweges entspricht dem Verlassen eines derartigen Straßenteiles mit der Folge, dass § 10 StVO zu beachten ist.

LG Frankenthal v. 24.11.2010:
Grundsätzlich ist das Verhalten eines Radfahrers bei Verlassen eines Radweges an den in § 10 S. 1 StVO niedergelegten Sorgfaltsanforderungen zu messen. Danach hat sich ein Verkehrsteilnehmer, der "von anderen Straßenteilen" auf die Fahrbahn einfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Das Verlassen eines Radweges entspricht dem Verlassen eines derartigen Straßenteiles mit der Folge, dass sich ein Radfahrer an diesen erhöhten Sorgfaltsmaßstäben des § 10 StVO messen lassen muss.

Saarbrücken v. 13.02.2014:
Fährt ein Radfahrer von einem rechts neben der Fahrbahn verlaufenden Radweg in die Fahrbahn ein, um sogleich nach links abzubiegen, unterliegt dieser Vorgang sowohl den Regeln des Einfahrens gemäß § 10 Satz 1 StVO als auch denjenigen des Abbiegens gemäß § 9 Abs. 1 und 2 StVO. Kommt es in einem solchen Fall zum Zusammenstoß mit einem auf dieser Fahrbahn geradeausfahrenden Pkw, kann das grobe Mitverschulden des Radfahrers gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB so weit überwiegen, dass die einfache Betriebsgefahr des Pkw dahinter vollständig zurücktritt.

OLG Hamm v. 08.01.2016:
Bei Verlassen des durch eine durchgehend weiße Linie von der Fahrbahn abgeteilten Radweges in Richtung Fahrbahn sind die erhöhten Sorgfaltspflichten des § 10 S. 1 StVO zu beachten. - Das Überqueren dieser Linie entgegen § 2 Abs. 4 S. 2 StVO unter Missachtung der sich aus § 10 S. 1 StVO ergebenden Sorgfaltspflichten, um unmittelbar anschließend unter Missachtung der weiteren sich auf § 9 Abs. 1 und 4 StVO ergebenden Pflichten zwecks Linksabbiegens zur Straßenmitte zu lenken, rechtfertigt die Alleinhaftung des Radfahrers im Falle der Kollision mit dem nachfolgenden Verkehr.

OLG München v. 05.08.2016:
Kommt es zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Kfz und einem Radfahrer, der den gemeinsamen Geh- und Radweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung benutzt und von ihm kommend auf die Straße auffährt, ohne das Vorrecht des fließenden Verkehrs zu beachten, so resultiert daraus eine Haftungsverteilung von drei Vierteln zu Lasten des Radfahrers. - Die Rechtsprechung über die Vorfahrtsberechtigung des in entgegengesetzter Richtung auf dem Radweg der Vorfahrtsstraße fahrenden Radfahrers (vgl. BGH NJW 1986, 2651) ist nicht anwendbar, wenn sich der Radweg weder auf dem gegenüberliegenden Gehweg fortsetzt noch eine Markierung auf der Fahrbahn derartiges vermuten lässt.

LG Arnsberg v. 07.03.2017:

1. Andere Straßenteile gehören zwar zur Straße im verkehrsrechtlichen Sinn, sie dienen jedoch nicht dem durchgehenden Verkehr. Das Einfahren von einem kombinierten Geh- und Radweg unterfällt dem Begriff des "anderen Straßenteils" (vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 10 StVO Rn. 6).

2. Gem. § 10 StVO hat derjenige, der aus einem anderen Straßenteil auf eine Fahrbahn einfahren will, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

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"Drive-In" eines Schnellrestaurants:


AG Bremen v. 29.05.2013:
Die Ausfahrt des "Drive-In" eines Schnellrestaurants stellt einen "anderen Straßenteil" im Sinne von § 10 StVO (analog) dar, denn bei dem Zuweg zu einem Drive-In handelt es sich um einen untergeordneten Straßenteil der Verkehrsführung des Restaurants, so dass mangels einer Kreuzung oder Einmündung die Regelung "Rechts vor Links" nicht gilt. Bei Kollision eines Nutzers des um das Schnellrestaurant befindlichen Parkplatzes mit einem Fahrzeug, das von der Ausfahrt des Drive-In wieder in den Parkplatz einfährt, ist eine Haftung in Höhe von 60% zu 40% zu Lasten des Ausfahrers gerechtfertigt, wenn dieser gegen seine ihm obliegende Wartepflicht verstoßen hat, und der Parkplatznutzer angesichts der herrschenden Dunkelheit und der winterlichen Wetterverhältnisse zu schnell gefahren ist.

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Anderer Straßenteil auf Parkplätzen:


OLG Saarbrücken v. 02.02.2017:
Nach § 10 Satz 1 StVO hat u.a. derjenige, der von anderen Straßenteilen auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Nach wohl vorherrschender Auffassung kommt eine unmittelbare oder zumindest eine analoge Anwendung von § 10 Satz 1 StVO auf einem - öffentlichen Parkplatz nur dort in Betracht, wo verschiedene Bereiche des Parkplatzes sich im Verhältnis zueinander nach dem objektiven Erscheinungsbild als über- und untergeordnete Verkehrsflächen darstellen; verleiht die bauliche Gestaltung oder Markierung einer bestimmten Teilfläche - etwa einem Zu- und Abfahrtsweg - einen eindeutigen Straßencharakter, dann sind die angrenzenden Teilflächen - etwa die einzelnen Parkgassen - als (insoweit untergeordnete) „andere Straßenteile" einzustufen. Handelt es sich aber lediglich um eine Fahrgasse zwischen den Parktaschenreihen, kommt nur § 1 Abs. 2 StVO als Sorgfaltsnorm in Betracht.

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Teils überdachter Großparkplatz:


OLG Nürnberg v. 28.07.2014:
Allein die ausgedehnte Überdachung eines Großparkplatzes reicht für eine analoge Anwendung des § 10 StVO auf den Bereich der Einmündung einer Parkgasse in den umlaufenden Zu- und Abfahrtsweg jedenfalls dann nicht aus, wenn gerade die Parkgassen von der Überdachung ausgenommen sind.

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