Das Verkehrslexikon

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Augenblicksversagen und Geschwindigkeitsverstöße

Augenblicksversagen und Geschwindigkeitsverstöße




Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines
- Einzelfälle



Einleitung:


Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen wird ein Augenblicksversagen am ehesten anzunehmen sein, wenn der Betroffene ein geschwindigkeitsbeschränkendes Streckenverbot übersehen hat.


Allerdings ist Voraussetzung hierfür wie in allen Fällen des Augenblicksversagens, dass dem Betroffenen nicht ohnehin eine über das Maß leichtester Fahrlässigkeit hinausgehende Unaufmerksamkeit vorgeworfen werden kann.

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Weiterführende Links:


Stichwörter zum Thema Fahrverbot

Fahrverbot im Strafverfahren

Regelfahrverbot

Fahrverbot bei Rotlichtverstößen - Einzelfälle

Fahrverbot bei Geschwindigkeitsüberschreitungen - Einzelfälle

Absehen vom Fahrverbot allgemein

Fahrverbot und sog. Augenblicksversagen

Absehen vom Fahrverbot wegen Existenzgefährdung oder drohendem Verlust des Arbeitsplatzes

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Allgemeines:


BayObLG v. 03.05.1990:
Auch eine erhebliche Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit (hier um 62 km/h auf einer Autobahnstrecke, auf der aus Gründen des Lärmschutzes die zulässige Geschwindigkeit mittels eines sog. Geschwindigkeitstrichters zuletzt auf 80 km/h beschränkt war) rechtfertigt bei einem Ersttäter grundsätzlich nicht die Verhängung eines Fahrverbots, wenn sie ihren Grund darin hatte, dass der Betr. die die Geschwindigkeitsbeschränkung anordnenden Verkehrszeichen übersehen hat.

OLG Naumburg v. 20.11.1996:
Vorlagefrage an den BGH: Kommt die Verhängung eines Fahrverbotes gemäß StVG § 25 Abs 1 S 1, BKatV § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 iVm Nr 5.3 und Nr 5.3.3 der Tabelle 1a lit c) des Anhangs des Bußgeldkataloges auch dann in Betracht, wenn der Betroffene fahrlässig ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat, ohne dass weitere Anhaltspunkte vorgelegen haben, die eine Geschwindigkeitsreduzierung nahegelegt hätten?

BGH v. 11.09.1997:
Die Anordnung eines Fahrverbots gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers kommt auch bei einer die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV erfüllenden Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in Betracht, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruht, dass der Betr. infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat, und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste.

AG Riesa v. 25.11.2003:
Kein Augenblicksversagen bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h in 30iger-Bereich

OLG Koblenz v. 12.09.2005:
Ein Kraftfahrer, der vorhat, sich ab Geschwindigkeitsfreigabe mit rasendem Tempo (über 200 km/h) durch dichten Verkehr zu bewegen, muss absolut sicher sein, dass die bisherige Geschwindigkeitsbeschränkung auch tatsächlich aufgehoben ist. Er muss dafür sorgen, dass ein Irrtum völlig ausgeschlossen ist. Das Außerachtlassen dieser gesteigerten Sorgfalt bei der Beobachtung von Verbotsaufhebungszeichen ist deshalb unter Ausschuss der Berufung auf ein sog. Augenblicksversagen regelmäßig als grobe Nachlässigkeit zu bewerten, die das Regelfahrverbot rechtfertigt

OLG Karlsruhe v. 30.11.2005:
Bei einer dreispurig autobahnmäßig ausgebauten Landstraße mit Mittelleitplanke braucht ein auswärtiger Verkehrsteilnehmer außerhalb geschlossener Ortschaften nicht mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h zu rechnen. Ergibt sich diese Verkehrssituation aus einem zulässiger Weise zur Identifizierung des Betroffenen aus den Akten in Bezug genommenen Lichtbild, so muss sich der Tatrichter auch dann mit dem Vorliegen eines Augenblicksversagens auseinandersetzen, wenn sich der Betroffene nach den Urteilsgründen nicht ausdrücklich hierauf berufen hat

OLG Hamm v. 12.06.2009:
Allein der Umstand, dass die für die Indizierung eines Fahrverbotes maßgebliche Grenze einer Geschwindigkeitsüberschreitung nur knapp (hier um 1 km/h) überschritten wurde, begründet noch keinen Ausnahmefall. Im Falle der Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften hat der Verordnungsgeber die maßgebliche untere Grenze, ab der ein Fahrverbot eingreift, mit 31 km/h festgesetzt, so dass allein der Umstand, dass der abzuurteilende Verstoß am untersten Rand dieser Grenze liegt, ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots nicht zu rechtfertigen vermag.

OLG Düsseldorf v. 05.03.2010:
Die Möglichkeit, dass der Verkehrsteilnehmer das die Beschränkung anordnende Verkehrszeichen übersehen hat, muss der Tatrichter dann in Rechnung stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Bußgeldverfahren einwendet. Soweit der Betroffene geltend macht, infolge eines entschuldbaren Augenblicksversagens das die Geschwindigkeit begrenzende Verkehrszeichen an der Messstelle übersehen zu haben, ist das Amtsgericht gehalten, nähere Feststellungen zur Art und Weise der Geschwindigkeitsbeschränkung und zu den örtlichen Gegebenheiten zu treffen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit zur Prüfung der Frage eröffnet ist, ob der Wahrnehmungsfehler vorwerfbar ist.

OLG Hamm v. 01.07.2011:
Von der Verhängung eines damit indizierten Regelfahrverbots kann nur ausnahmsweise abgesehen werden, nämlich wenn die Anordnung einer Härte ganz außergewöhnlicher Art darstellen würde oder sonstige, das äußere und innere Tatbild beherrschende außergewöhnliche Umstände ein Absehen von einem Regelfahrverbot rechtfertigen können. Eines ausdrücklichen Ansprechens der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot bedarf es dann nicht, wenn der Begründung des amtsrichterlichen Urteils im Übrigen eindeutig zu entnehmen ist, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße bei gleichzeitigem Wegfall des Fahrverbots nicht erreicht werden kann. Die Schwere des Verstoßes beurteilt sich dabei nicht nur anhand des Maßes der Geschwindigkeitsüberschreitung, sondern auch anhand der im Einzelfall gegebenen Verkehrs- und Messsituation.

OLG Bamberg v. 09.03.2012:
Der Annahme einer beharrlichen Pflichtenverletzung i.S.v. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV kann im Einzelfall die mangelnde individuelle Vorwerfbarkeit des Verkehrsverstoßes entgegen stehen. Ob eine Geschwindigkeit von über 50 km/h in einer Tempo-30-Zone allein zur Bejahung des subjektiven Vorwurfs der Beharrlichkeit ausreicht, bedarf keiner Entscheidung, wenn weitere Aspekte hinzutreten, die der Anerkennung eines Augenblicksversagens wertungsmäßig entgegen stehen. Insoweit kann auch die Vorahndungslage des Betroffenen zu berücksichtigen sein.

OLG Bamberg v. 06.06.2012:
Unter Umständen kann ein Irrtum über die beschränkte Wirkung von Zusatzschildern dazu führen, dass trotz Vorliegens der Regelvoraussetzungen die Anordnung eines Fahrverbots entfällt; dies kann dann angezeigt sein, wenn eine deutliche Trennung des durch das Zusatzschild eingeschränkten Überholverbots von dem Zeichen 274 nicht vorgenommen ist.

OLG Bamberg v. 22.02.2017:
Wird von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot wegen einer innerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung mit der Begründung abgesehen, dass die Messung entgegen der polizeilichen Verkehrsüberwachungsrichtlinien in einem zu geringen Abstand vor der das Ende der innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit markierenden Ortstafel (Zeichen 311) durchgeführt wurde, haben sich die Urteilsgründe dazu zu verhalten, ob sachliche Gründe für die Wahl und Einrichtung der konkreten Messstelle bestanden haben (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Juli 2012, 3 Ss OWi 944/12, DAR 2012, 528 = ZfS 2012, 648 = OLGSt StVG § 25 Nr. 52 = VM 2013, Nr. 3).

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Einzelfälle:


OLG Dresden v. 02.06.2005:
Hat ein Kraftfahrer ein Ortseingangsschild übersehen und musste sich ihm aufgrund äußerer Umstände (vorhergehender Geschwindigkeitstrichter, Bebauung) nicht aufdrängen, dass er sich innerorts befand, ist die Annahme eines Augenblicksversagens nicht zu beanstanden

OLG Dresden v. 10.05.2005:
Eine grob pflichtwidrige Missachtung der gebotenen Aufmerksamkeit liegt auch dann vor, wenn der Verkehrsteilnehmer nicht nur die durch Zeichen 274 beschränkte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h, sondern auch die an sich innerörtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in erheblicher Weise (hier: um 16 km/h) überschreitet. In diesem Fall kann er sich hinsichtlich der Überschreitung der durch das Zeichen angeordneten Geschwindigkeitsüberschreitung nicht auf ein sogenanntes "Augenblicksversagen" berufen

OLG Dresden v. 01.11.2005:
Übersieht ein Ortsfremder, der eine gut ausgebaute vierspurige Straße befährt, das die Geschwindigkeit begrenzende Ortseingangsschild, weil er aufgrund der örtlichen Bebauung den Eindruck hat, er befände sich noch außerorts, dann liegt – falls keine Anhaltspunkte für grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit vorliegen – ein Augenblicksversagen vor, das ein Absehen vom Regelfahrverbot rechtfertigt

OLG Hamm v. 18.08.2005:
Übersieht der Betroffene eine - auf Autobahnen häufig übliche - über die Breite mehrerer Fahrbahnen sich erstreckende hochgestellte Leuchtanzeige, die flexibel die Geschwindigkeitsanzeige an die gegebenen Verkehrsverhältnisse anzupassen in der Lage ist, wird wegen der besonderen Auffälligkeit dieser Anzeige ein Augenblicksversagen in der Regel ausgeschlossen sein

OLG Hamm v. 01.06.2006:
Muss sich durch die Umstände (Passieren einer Tunneldurchfahrt, durch das Vorhandensein einer Schule geprägte Örtlichkeit) das Vorhandensein einer Geschwindigkeitsbegrenzung aufdrängen, kann nicht mehr von leichter Fahrlässigkeit und somit nicht von einem Augenblicksversagen ausgegangen werden, insbesondere, wenn die Fahrstrecke täglich benutzt wird.



OLG Karlsruhe v. 22.06.2007:
Wer die außerorts bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h die ansonsten außerortes zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 sogar erheblich überschreitet kann sich nicht auf das Vorliegen eines Augenblickversagens wegen Übersehen eines Verkehrschildes berufen.

OLG Brandenburg v. 23.07.2009:
Der Umstand, dass der Betroffene ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen nicht beachtet hat, genügt für sich allein genommen nicht, um ihm ein auch in subjektiver Hinsicht grob pflichtwidriges Verhalten zur Last zu legen. Die Lebenserfahrung zeigt, dass es in Ausnahmefällen Verkehrssituationen gibt, in denen die Aufmerksamkeit eines Kraftfahrzeugführers so abgelenkt werden kann, dass dieser auch ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen übersehen kann, ohne dass ihm dafür mehr als nur der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit gemacht werden kann. Zudem gibt es Verkehrssituationen, in denen zumindest die Sicht auf eines der beidseitig aufgestellten Verkehrszeichen verdeckt sein kann. Ebenso ist es möglich, dass Geschehnisse innerhalb des Fahrzeugs eine kurzzeitige Ablenkung des Fahrzeugführers bewirken, die ihn ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen ebenso übersehen lassen wie ein nur einseitig aufgestelltes. Schließlich ist gerade bei längeren Autobahnfahrten mit geringer Verkehrsdichte das Phänomen bekannt, dass die Aufmerksamkeit des Fahrzeugführers allmählich nachlässt; in all diesen Fällen mag der Vorwurf der einfachen Fahrlässigkeit gegen den Fahrzeugführer begründet sein, nicht jedoch notwendigerweise der eines auch in subjektiver Hinsicht groben Pflichtenverstoßes.

OLG OLdenburg v. 13.01.2014:
Bei Nichteinhaltung einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift über den Abstand bis zur Messstelle kann der Schuldgehalt einer Tat geringer bewertet werden mit der Folge, dass allein die Verwirklichung des Tatbestandes noch keine grobe Verletzung der Pflichten eines Fahrzeugführers darstellt und im Einzelfall daher von einem Regelfahrverbot Abstand genommen werden kann.

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