Die Rechtsprechung zur Verhängung eines Regelfahrverbots ist inzwischen nahezu unübersehbar geworden. Das gleiche gilt für die Rechtsprechung zum Absehen vom Fahrverbot im Regelfall.
Die Zusammenstellung einzelner Fälle hat daher lediglich die Funktion, etwas Orientierung im Gewirr der Einzelfallbetrachtung zu geben, indem durch Beispiele auf Strukturen aufmerksam gemacht wird (falls solche überhaupt bestehen).
OLG Bamberg v. 22.10.2009:
Die Anordnung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes außerhalb eines Regelfalls ist wegen der Vorahndungslage des Betroffenen angezeigt, wenn die (neuerliche) Geschwindigkeitsüberschreitung zwar die Voraussetzungen des Regelfalls nicht erfüllt, der Verkehrsverstoß jedoch wertungsmäßig dem Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV gleichzusetzen ist. Eine derartige Gleichsetzung kann im Einzelfall aufgrund der Rückfallgeschwindigkeit auch bei einer Unterschreitung des Richtwertes von 26 km/h der verfahrensgegenständlichen oder aber der früheren Geschwindigkeitsverstöße geboten sein.
OLG Düsseldorf v. 06.05.2010:
Soweit der Betroffene geltend macht, infolge eines entschuldbaren Augenblicksversagens das die Geschwindigkeit begrenzende Verkehrszeichen an der Messstelle übersehen zu haben, ist das Amtsgericht gehalten, nähere Feststellungen zur Art und Weise der Geschwindigkeitsbeschränkung und zu den örtlichen Gegebenheiten zu treffen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit zur Prüfung der Frage eröffnet ist, ob der Wahrnehmungsfehler vorwerfbar ist. Beruft sich der Fahrzeugführer darauf, das Zeichen 274 schlicht übersehen zu haben, und kann ihm diese Einlassung nicht widerlegt werden, so scheidet die Verhängung eines Fahrverbots gleichwohl nicht zwingend aus. Eine Geschwindigkeitstrichter, die Bebauung oder sogar ein übersehenes Ortsschild können die Annahme groben Verschuldens nahelegen.
AG Bayreuth v. 27.05.1999:
Auch bei mehrfachen Nichtregelverstößen nach § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV kann von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden.
OLG Hamm v. 23.02.2006:
Steht ein Regelfahrverbot wegen zweimaliger Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 26 km/h innerhalb eines Jahres zur Diskussion, muss das Urteil Angaben enthalten, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung des Zeitpunktes der Vorbelastung ermöglichen.
Für die Verwirkung eines bußgeldrechtlichen Fahrverbots aufgrund eines Regelfalls im Sinne der §§ 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV kommt es weder darauf an, ob sich der neuerliche Verkehrsverstoß zugleich als Regelfall nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV darstellt noch darauf, dass der Betroffene bislang erst eine einschlägige Voreintragung aufweist oder darauf, dass die Jahresfrist des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV nur knapp unterschritten worden ist.
Dass der Betroffene als 'Vielfahrer' berufsbedingt verstärkt am Straßenverkehr teilnimmt und nunmehr erst zum zweiten Mal wegen eines einschlägigen Verstoßes auffällig geworden ist, rechtfertigt ein Abweichen von der Regelahndung auch in Verbindung mit der Annahme einer günstigen Prognose hinsichtlich des künftigen Verkehrsverhaltens grundsätzlich nicht (u.a. Festhaltung OLG Bamberg, 1. Dezember 2015, 3 Ss OWi 834/15, StraFo 2016, 116).
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Mehrfache Überschreitungen, aber immer unter 26 km/h:
OLG Bamberg v. 30.03.2011:
Sind dem Betroffenen mehrere Überschreitungen anzulasten, die teilweise länger zurückliegen, aber niemals den Grenzwert von 26 km/h erreichten oder gar überschritten, rechtfertigt allein diese Vorahndungslage bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht den Schluss, das Gewicht des aktuellen verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsverstoßes um 21 km/h entspreche wertungsmäßig demjenigen eines Regelfalls im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV.
BayObLG v. 16.06.1994:
Von der Verhängung eines Fahrverbots als Regelfolge einer Geschwindigkeitsüberschreitung kann nicht allein deshalb abgesehen werden, weil die Verkehrsbeschränkung aus Lärmschutzgründen angeordnet worden ist
KG Berlin v. 08.08.1994:
Auf innerörtlichen Autobahnen wird ein Regelfahrverbot bei einer Überschreitung von mindestens 31 km/h verhängt
BayObLG v. 16.07.1996:
Auch eine praktisch völlig fehlende Bebauung rechtfertigt bei einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht das Absehen von einem Fahrverbot
OLG Düsseldorf v. 11.09.1996:
Kein Absehen vom Regelfahrverbot bei Geschwindigkeitsüberschreitungen auf einer eiliger Fahrt zum Arzt (Ehefrau mit Herzbeschwerden)
AG Riesa v. 25.11.2003:
Kein Augenblicksversagen bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h in 30iger-Bereich
OLG Hamm v. 29.09.2004:
Ein Fahrverbot muss auch nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu verkehrsarmer Zeit auf einer Autobahn verhängt werden.
OLG Hamm v. 23.02.2006:
Dem Tatrichter steht hinsichtlich des Absehens vom Fahrverbot kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen zu. § 4 BKatV konkretisiert im Sinne der Ermächtigungsnorm des § 26 a Abs. 2 StVG die Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbots nach § 25 StVG als Regelmaßnahme und gewährleistet damit die Gleichbehandlung des Betroffenen, wodurch auch ein Gebot der Gerechtigkeit erfüllt wird. Der Richter muss deshalb die Grundentscheidung des Verordnungsgebers für Verkehrsverstöße der vorliegenden Art respektieren und für seine abweichende Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben. Diese darf sich insbesondere nicht in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen.
OLG Hamm v. 12.04.2006:
Dem Tatrichter ist bezüglich des Absehens vom Fahrverbot kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist.
BayObLG v. 03.05.1990:
Kein Fahrverbot bei Geschwindigkeitsüberschreitung infolge Übersehens des Begrenzungsschildes
AG Nidda v. 23.08.1995:
Kein Fahrverbot bei Geschwindigkeitsüberschreitung und Nichteinhaltung des Mindestabstandes von 120 m zwischen Ortsschild und Messpunkt
OLG Hamm v. 17.12.1996:
Kein Fahrverbot bei Geschwindigkeitsüberschreitung in einer 30-km/h-Zone, wenn eine erhebliche Zeitdifferenz zwischen Ein- u. Weiterfahrt lag
AG Weißenfels v. 25.05.1999:
Kein Fahrverbot für einen Taxifahrer, der einen Fahrgast wegen eines Schwächeanfalls in eine Klinik bringt und dabei zu schnell fährt