Das oftmals als "unerklärlich" hingestellte Abkommen von der Fahrbahn oder das Ins-Schleudern-Geraten eines Fahrzeugs kann auf mannigfaltige Ursachen zurück zu führen sein.
Da vielfach nicht festzustellen ist, was zu einem entsprechenden Unfall geführt hat, muss auf Grund des hier anwendbaren Anscheinsbeweises bei der zivilrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts angenommen werden, dass stets der Fahrzeugführer an einem solchen Unfall schuld ist, weil er einen entsprechenden Fahrfehler - meist zu schnelles Fahren oder Unaufmerksamkeit, manchmal auch einfach mangelnde Fahrzeugbeherrschung - begangen hat.
Es ist Sache des Fahrzeugführers, nach einem solchen Unfall die Tatsachen zu beweisen, die ohne sein Zutun zu dem Unfall geführt haben könnten; bloße Behauptungen - etwa über ein fehlerhaftes Fahrverhalten eines Entgegenkommenden oder Überholenden oder unvorhergesehener Wildwechsel - helfen ohne konkrete Beweismittel zumindest bei der zivilrechtlichen Beurteilung nicht weiter. Anders mag es im Straf- oder Bußgeldverfahren sein, da dort der Anscheinsbeweis keine Anwendung findet; vielmehr müssen schlüssige Behauptungen des Fahrzeugführers widerlegt werden.
BGH v. 28.02.1967:
Der durch das Abkommen von der Überholfahrbahn begründete Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Fahrers kann bereits mit dem Nachweis der ernsthaften Möglichkeit einer Behinderung durch ein ausscherendes Fahrzeug erschüttert werden, die den Unfall hat unvermeidbar machen können.
BGH v. 19.03.1996:
Es entspricht zwar der allgemeinen Lebenserfahrung, dass einem Kraftfahrer, der mit dem von ihm geführten Kraftfahrzeug von einer geraden und übersichtlichen Fahrbahn abkommt, ein bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt vermeidbarer Fahrfehler zur Last fällt. Indessen reicht allein das "Kerngeschehen" des Abkommens von der Fahrbahn als solches dann als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen.
OLG München v. 08.10.1998:
Kommt ein Pkw auf einem Bahnübergang von der Fahrbahn ab und bleibt im Gleisbereich stecken, so spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass dies auf einer vermeidbaren Unaufmerksamkeit des Fahrers beruht. Dass starker Nebel mit einer Sichtweite von ca. 30 m herrschte und die Fahrbahn keine Markierungen aufwies, sind keine Besonderheiten, die gegen ein typisches Verschulden sprechen.
OLG Celle v. 15.02.2001:
Kommt es bei Kolonnenfahrt infolge eines Schleudervorgangs eines Vorausfahrenden zum Zusammenstoß mit dem nachfolgenden Kfz, haften beide jeweils zur Hälfte. Dabei ist unerheblich, welche genaue Ursache dem Schleudern seines Fahrzeuges zu Grunde lag. Wenn ein Kfz-Führer nicht durch äußere Umstände (z. B. plötzliches Abbremsen eines anderen Fahrzeuges) zu einem den Straßenverhältnissen nicht angemessenen scharfen Bremsvorgang gezwungen worden ist, so handelt es sich bei dem Schleudern im Rahmen des Bremsvorgangs um einen ihm zurechenbaren Fahrfehler. Sollte er tatsächlich durch das Bremen des vorausfahrenden Fahrzeuges zu einem den Straßenverhältnissen nicht mehr angepassten Bremsvorgang gezwungen worden sein, so hat er diese Gefahrenlage ebenfalls verschuldet. Denn gerade bei Straßenglätte ist ein Kraftfahrzeugführer besonders gehalten, den gemäß § 4 Abs. 1 StVO erforderlichen Sicherheitsabstand und die gemäß § 3 Abs. 1 StVO sich aus den Straßenverhältnissen ergebende Höchstgeschwindigkeit genau einzuhalten.
OLG Brandenburg v. 21.06.2007:
Dass ein von einem Fahrstreifenwechsel überraschter Kfz-Führer sein Fahrzeug nicht abbremst, sondern in einer Schreckreaktion nach rechts ausgeweicht und dabei die Kontrolle über das Fahrzeug verliert, kann ihm im Rahmen der Haftungsabwägung nicht zum Nachteil gereichen.
OLG Saarbrücken v. 15.09.2009:
Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass wenn ein Fahrzeugführer auf einer gut ausgebauten Autobahn bei Helligkeit und trockener Fahrbahn in einer Linkskurve nach rechts von der Fahrbahn abkommt, ohne dass Bremsspuren auf eine Unfallvermeidungsreaktion hinweisen, der Anscheinsbeweis zwar für einen Fahrfehler, jedoch nicht zugleich für grobe Fahrlässigkeit spricht. Ein Rechtsabkommen von der Fahrbahn in einer Linkskurve kann unterschiedliche Gründe haben, die nicht sämtlich die Annahme subjektiv schweren Versagens rechtfertigen.
OLG Schleswig v. 04.01.2018:
Reflexhaftes Fahrverhalten - insbesondere ein Ausweichen auf die Bankette - schließt die Unabwendbarkeit nicht aus. Der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird jedoch nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) "ideal" verhält (zeitliche Vermeidbarkeit).
Anscheinsbeweis auch bei besonderen Witterungs- und Fahrbahnverhältnissen:
BGH v. 14.02.1967:
Das Abkommen eines KFZ von gerader Fahrbahn und Abrutschen in den Straßengraben spricht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises für ein Verschulden des Fahrers; das gilt auch bei - voraussehbarer - Glatteisbildung.
BGH v. 19.12.1969:
Auch bei regennasser Fahrbahn spricht der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Fahrzeugführers, wenn das Fahrzeug ins Schleudern gerät.
OLG Frankfurt am Main v. 18.11.2004:
Haftungsverteilung bei Auffahrunfall auf glatter Fahrbahn (2/3 zu 1/3 zu Gunsten des Auffahrenden, nachdem der Vorausfahrende die Gewalt über sein Fahrzeug verloren hatte)
OLG Frankfurt am Main v. 03.09.2015:
Gerät ein Kfz auf winterglatter Fahrbahn ins Schleudern und veranlasst in diesem Zusammenhang ein Ausweichmanöver des anderen an dem Unfallgeschehen beteiligten Kfz-Führers, so spricht Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Schleudervorgang auf Grund entweder überhöhter Geschwindigkeit oder Unaufmerksamkeit erfolgt ist.
LG Leipzig v. 20.04.2006:
Kommt ein Fahrzeugführer bei schlechten Straßenverhältnissen und Schneematsch bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,62 Promille beim Rechtsabbiegen zu weit nach links ab, so dass er im Kreuzungsbereich gegen ein auf der Gegenseite abgeparktes Fahrzeug fährt, so genügt dies nicht zum Nachweis der relativen Fahruntüchtigkeit. Dieses verkehrswidrige Verhalten konnte auch auf einem normalen „Fahrfehler”, welcher auch einem nüchternen Fahrer hätte unterlaufen können, beruhen.
OLG Hamm v. 24.10.2000:
Kommt ein Fahrzeugführer von der Fahrbahn ab, weil er auf schmaler Fahrbahn durch ein entgegenkommendes Fahrzeug (Großraumlimousine) zu einer Ausweichlenkung veranlasst wird, um einer vermeintlichen Kollision zu entgehen, ist die (teilweise) Haftung aus der Betriebsgefahr des in Gegenrichtung geführten Fahrzeugs auch dann begründet, wenn der vom Geschädigten behauptete Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des anderen Teils nicht erweislich ist und auch keine Berührung beider Fahrzeuge stattgefunden hat
OLG Hamm v. 07.02.2007:
Das Abkommen von einer schmalen Fahrbahn auf den Grünstreifen begründet nicht ohne Weiteres grobe Fahrlässigkeit. Wenn ein Versicherungsnehmer nicht in der Lage ist, einen plausiblen Grund für das Abkommen von der Fahrbahn anzugeben, kann daraus keine Umkehr der Beweislast abgeleitet werden, die nach § 61 VVG dem Versicherer obliegt.