Kommt es im Kreuzungsbereich zum Zusammenstoß zwischen einem zunächst wartenden Linksabbieger, der bei Grün in den Kreuzungsbereich eingefahren war, und einem ihm aus der ursprünglichen Fahrtrichtung entgegen kommenden Geradeausfahrer, ist es schwierig, die jeweilige Haftungsquote zu bestimmen, je nachdem, ob die Ampelschaltung strittig bleibt oder aber festgestellt werden kann, dass die für den Geradeausfahrer maßgebliche Ampel bereits gelbes oder sogar rotes Licht abstrahlte, als er die für ihn maßgebliche Haltelinie überfuhr.
Hier haben die Gerichte unter besonderer Berücksichtigung der hohen Sorgfaltsanforderungen den die Kreuzung räumenden Linksabbieger die unterschiedlichsten Haftungsquoten gefunden, so dass sich aus der Rechtsprechung keine allgemein gültige Lösung finden lässt.
Man wird also jeweils alle Umstände des zu beurteilenden Sachverhalts heranziehen müssen, um zu einer gerechten Haftungsverteilung zu gelangen.
KG Berlin v. 19.12.1974:
Die Grundsätze der Rechtsprechung in sog. Lückenfällen, wonach ein Kraftfahrer, welcher an einer haltenden Fahrzeugkolonne links vorbeifährt sich unter Umständen auf Querverkehr aus einer freigelassenen Lücke einrichten muß, sind auch auf Fälle anzuwenden, in denen der Vorfahrtberechtigte eine zum Stillstand gekommene Fahrzeugkolonne rechts überholt und mit einem aus dem Querverkehr von links oder aus dem Gegenverkehr links abbiegenden und eine für den Vorfahrtberechtigten deutlich erkennbare Lücke benutzenden Fahrzeug zusammenstößt
KG Berlin v. 25.11.2002:
An den Sorgfaltspflichten eines Linksabbiegers ändert sich nichts, wenn ein Entgegenkommender dem Linksabbieger zu erkennen gibt, dass er ihm den Vortritt einräumt ("gefährdende Höflichkeit"). Die Grundsätze der sogenannten "Lückenrechtsprechung" gelten nicht für die Ausnutzung von Lücken zur Ein- oder Ausfahrt in oder aus normalen Grundstücksausfahrten, etwa Parkplatzausfahrten.
BGH v. 11.01.2005:
Linksabbieger durch stark bewachsenen Mittelstreifen in der Dämmerung / entgegenkommendes schnelles unbeleuchtetes Krad.
OLG München v. 21.01.2005:
Der links in ein Grundstück Abbiegende hat die ihm auferlegten Pflichten auch gegenüber einem vom Straßenrand Anfahrenden zu erfüllen, dessen fehlerhaftes Verhalten im Rahmen des § 17 Abs. 1 StVG zu berücksichtigen ist (Schadensteilung bis 2/3 zugunsten des Einbiegenden)
OLG Saarbrücken v. 30.01.2007:
In Linksabbiegesituationen hat der prinzipiell bevorrechtigte Geradeaus-Verkehr, wenn er erkennen kann, dass sein Vorrecht missachtet wird oder aber die Verkehrslage unklar ist, seine Fahrweise anzupassen; er muss gegeben jedenfalls anhalten und den Verkehrsverstoß des Linksabbiegers sogar hinnehmen. Er darf sich sein Vorrecht vor dem Linksabbieger keinesfalls erzwingen (Kolonne von Kradfahrern).
LG Karlsruhe v. 18.04.2008:
§ 7 Abs. 5 StVO schützt regelmäßig nicht den Querverkehr. An die Annahme eines Vorfahrtsverzichts sind strenge Anforderungen zu stellen. Der bevorrechtigte Geradeausverkehr darf auf seinen Vorrang nicht vertrauen, wenn er rechtzeitig erkennen kann, dass der Wartepflichtige seiner Wartepflicht nicht genügt oder die Verkehrslage unklar ist.
OLG Brandenburg v. 23.10.2008:
Der Linksabbieger darf nicht in die Fahrspur eines potentiellen entgegenkommenden Geradeausfahrers einfahren, solange sich auf den anderen Fahrspuren noch Fahrzeuge - z. B. wartende entgegenkommende Rechtsabbieger - befinden, so dass der Abbiegevorgang nicht vor dem späteren Herannahen eines entgegenkommenden Geradeausfahrers beendet werden kann. Kommt es zu einem Unfall, haftet der Linksabbieger in der Regel allein, auch wenn der Unfall für den Geradeausfahrer nicht unabwendbar war.
KG Berlin v. 13.08.2009:
Kommt es im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers. Eine Beweislastumkehr greift zu Lasten einer Partei nicht ein. Der Anscheinsbeweis ist Folge der besonderen Gefährlichkeit des Linksabbiegens, die sich weder durch das prozessuale Verhalten der Parteien noch das Aussageverhalten von Zeugen ändert.
OLG Düsseldorf v. 19.01.2010:
Bricht ein Kfz-Führer einen zunächst eingeleiteten Linksabbiege-Vorgang, bei dem er sich zudem auf einer mit Linkspfeilen gekennzeichneten Fahrbahn befunden hat, ab, so verursacht er damit eine Gefahrensituation für den entgegenkommenden Geradeausverkehr. Hierdurch wird der Geradeausfahrende zu einer unfallvermeidenden Reaktion gezwungen. Ist diese Reaktion allerdings nur unzureichend, ist eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des ursprünglichen Linksabbiegers gerechtfertigt.
BGH v. 07.02.2012:
Für die Folgen eines Verkehrsunfalls hat der Linksabbieger, der die ihn gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO gegenüber dem Gegenverkehr treffende Wartepflicht missachtet hat, regelmäßig in vollem Umfang allein oder doch zumindest zum größten Teil zu haften.
KG Berlin v. 31.01.2019:
Zu den Voraussetzungen der Eigenschaft als Kreuzungsräumer und zur Sach- und Rechtslage im Kreuzungsräumerfall sowie dem (nicht existenten) „Vorrang“ des Kreuzungsräumers. - Selbstverständlich gilt die Rechtslage zu Kreuzungsräumern auch für entgegenkommende Rechtsabbieger im Gegenverkehr. Die Anwendung der Grundsätze ist keineswegs auf den Querverkehr beschränkt
OLG Karlsruhe v. 14.07.1989:
Schadensteilung bei Kollision zwischen Linksabbieger in Grundstück und entgegenkommendem zu schnell fahrendem Rechtsüberholer
OLG Hamm v. 20.09.1993:
Linksabbieger / zu schnelles entgegenkommendes Krad (Haftung 3/4 zu Lasten des Kradfahrers)
OLG Rostock v. 02.09.1999:
Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 20 km/h führt jedenfalls dann nicht zu einer höheren Haftung des Geradeausfahrers als 3/4, wenn der Linksabbieger, der in der ersten Rotlichtsekunde mit Nachzüglern rechnen und diesen den Vorrang einräumen muss, bei sorgfältiger Beobachtung der Fahrbahn erkennen konnte, dass sich der Geradeausfahrer mit höherer Geschwindigkeit näherte.
LG Neubrandenburg v. 08.05.2009:
Kollidiert ein vorfahrtberechtigter Motorradfahrer mit erheblich erhöhter Geschwindigkeit (100 km/h statt erlaubter 50 km/h) innerorts an einer Kreuzung mit einem entgegenkommenden wartepflichtigen Linksabbieger, so haftet der Vorfahrtberechtigte für den entstandenen Schaden zu 2/3.
KG Berlin v. 31.05.2010:
Steht fest, dass ein Geradeausfahrer den Unfall mit einem entgegenkommenden Linksabbieger bei ungeklärter Ampelschaltung dadurch mitverursacht hat, dass er bei Einfahrt in die Kreuzung die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 10 km/h überschritten hatte, kann eine Erhöhung seiner Haftungsquote von 1/2auf 2/3 angemessen sein.
OLG Saarbrücken v. 06.06.2013:
Kommt es beim Linkseinbiegen zum Zusammenstoß zwischen dem Wartepflichtigen und einem dem ersten Vorfahrtberechtigten nachfahrenden Kraftfahrzeug, ist die unfallursächliche Nichteinhaltung des gebotenen Sicherheitsabstands (§ 4 Abs. 1 Satz 1 StVO) durch den Nachfahrenden auch im Verhältnis zum Wartepflichtigen unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 StVG zu berücksichtigen.
OLG Köln v. 30.10.1991:
Mithaftungsquote bei Kollision zwischen Linksabbieger und entgegenkommendem Gelblichtfahrer von 30 %
OLG Rostock v. 02.09.1999:
Lässt sich nicht feststellen, ob bei einem Zusammenstoß eines links abbiegenden mit einem geradeausfahrenden Pkw auf einer mit Linksabbiegepfeil versehenen ampelgeregelten Kreuzung der Linksabbieger erst nach Aufleuchten des Abbiegepfeils in die Kreuzung eingefahren ist, dann ist der Schaden grundsätzlich hälftig zu teilen. Ist in diesem Fall die Betriebsgefahr des geradeausfahrenden Pkw erhöht, weil dessen Fahrer einen einfachen Rotlichtverstoß begeht (hier: rotes Ampellicht seit 0,59 Sekunden), dann haftet der Geradeausfahrende in Höhe von 3/4.
OLG Celle v. 15.03.2001:
Haftungsverteilung bei Zusammenstoß zwischen einem Kraftfahrer, der bei gerade auf Rot umgesprungener Ampel über eine Kreuzung fährt (1/3) und einem wartepflichtigen Linksabbieger, für den der Linksabbiegepfeil noch nicht Grün zeigte (2/3).
KG Berlin v. 31.05.2010:
Leuchtet gelbes Ampellicht und steht rotes Ampellicht bevor, muss der Kraftfahrer nur anhalten, wenn ihm dies noch mit normaler Betriebsbremsung möglich ist.
OLG Frankfurt am Main v. 05.04.2011:
Stoßen auf einer Kreuzung ein zunächst wartender Linksabbieger und ein ihm aus der ursprünglichen Fahrtrichtung entgegenkommender Geradeausfahrer zusammen, so ist es angemessen, den Schaden hälftig zu teilen, wenn fest steht, dass der Geradeausfahrer zumindest bei spätem Gelb, wenn nicht sogar bei Rot in den Kreuzungsbereich eingefahren ist.
OLG München v. 09.05.2014:
Kollidiert ein nach links abbiegendes Fahrzeug unter Missachtung des angezeigten Rotlichts mit einem vorfahrtsberechtigten Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn, so ist von einer Alleinhaftung des abbiegenden Fahrers für den entstandenen Schaden auszugehen. Im Hinblick auf den erheblichen Verkehrsverstoß des Abbiegenden hat die Betriebsgefahr des vorfahrtsberechtigten Fahrzeugs gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 StVG zurückzutreten.
OLG Düsseldorf v. 26.08.2014:
Kollidiert ein nach links abbiegendes Kraftfahrzeug unter Verletzung des Vorfahrtsrechts mit einem entgegenkommenden und nicht den vorgeschriebenen Radweg benutzenden Fahrradfahrer, so ist der Schaden des Fahrradfahrers unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens lediglich in Höhe von drei Vierteln ersatzfähig.
OVG Saarlouis v. 19.10.2017:
Ein schuldhafter Verstoß gegen die Wartepflicht gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO ist nur festzustellen, wenn bei Beginn des Abbiegevorgangs Gegenverkehr bereits sichtbar ist, was im Bestreitensfall vom geschädigten Geradeausfahrer zu beweisen ist. Bei Dunkelheit und Regen muss ein Linksabbieger nicht (mehr) mit Verkehrsteilnehmern rechnen, die auf einer Straße mit erhöhtem Verkehrsaufkommen ohne Beleuchtung fahren.
OLG München v. 04.07.2014:
Kollidiert ein nach links abbiegendes Kraftfahrzeug unter Verletzung des Vorfahrtsrechts mit einem entgegenkommenden und nicht den vorgeschriebenen Radweg benutzenden Fahrradfahrer, so ist der Schaden des Fahrradfahrers unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens lediglich in Höhe von drei Vierteln ersatzfähig.
LG Krefeld v. 12.05.2016:
Gegen einen Linksabbieger spricht im Falle eines Verkehrsunfalls mit einem Geradeausfahrer der Beweis des ersten Anscheins, dass er den Verkehrsunfall allein verschuldet hat. Dies ist dar Fall, wenn ein Motorradfahrer in unmittelbarem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang mit der Kollision mit einem linksabbiegenden Radfahrer ein gegenüberliegendes Tankstellengelände verlassen hat und nicht feststeht, dass er für den Radfahrer bei Beginn des Abbiegevorgangs bereits als entgegenkommender Fahrer erkennbar war oder ob er sich zu dieser Zeit noch auf dem Tankstellengelände befand.
LG Bonn v. 05.09.2012:
Kollidiert ein Fahrzeugführer mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,6 Promille nach Überfahren einer roten Ampel als Linksabbieger mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, so lässt dieses Unfallgeschehen als solches noch keinen Rückschluss auf eine alkoholbedingte, relative Fahrunsicherheit zu. Gibt er als Unfallursache an, er sei von einer Linksabbiegerampel mit grünem Pfeil ausgegangen und zudem durch ein Gespräch mit seinem Beifahrer abgelenkt gewesen, und konnte er darüber hinaus die "vier Grundübungen" (Gang, plötzliche Kehrtwendung, Finger-Finger-Probe, Finger-Nase-Probe) sicher ablegen, so ist nicht festzustellen, dass der Unfall auf eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit zurückzuführen ist.