Das Verkehrslexikon

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Bremsen des Vorausfahrenden und Auffahrunfall - abruptes unmotiviertes grundloses plötzliches Bremsen - Einsatzfahrzeuge

Auffahrunfall - Bremsen des Vorausfahrenden




Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines
-   Beweislast
-   Bremsen auf Beschleunigungsstreifen
-   Bremsen auf Verzögerungsstreifen
-   Bremsen im Kreisverkehr
-   Abwürgen des Motors
-   Bremsen vor einer nicht im Betrieb befindlichen Ampel
-   Bremsen wegen zu hoher Geschwindigkeit beim Lückenspringen
-   Bremsen wegen Gegenverkehr bei verbotenem Linksabbiegen
-   Bremsen wegen eines Vogels
-   Taxi bremst wegen winkendem potentiellen Fahrgast
-   Bremsen als Erziehungsmaßnahme



Einleitung:


Vielfach beruft sich der hintere Fahrzeugführer nach einem Unfall, der den Anschein eines Auffahrunfalls erweckt, darauf, dass der Führer des vorausfahrenden Fahrzeugs unbegründet und abrupt gebremst habe.


In den wenigsten Fällen nützt diese Behauptung dem Auffahrenden jedoch etwas. Insbesondere obliegt ihm angesichts des gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweises die volle Beweislast dafür, dass ein gewaltsames Bremsen grundlos geschah.

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Weiterführende Links:


Stichwörter zum Thema Auffahrunfälle

Auffahrunfall - Grundsätze

Auffahrunfälle und Anscheinsbeweis

Unterschreiten des nötigen Sicherheitsabstandes

Der Anscheinsbeweis spricht gegen den Auffahrenden - aber nicht immer

Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden und Auffahrunfall

Auffahrunfall infolge Drittverschuldens

Zur Haftungsverteilung bei einem durch den Fehler eines Dritten verursachten Auffahrunfall

Auffahrunfälle auf der Autobahn

Kettenunfall - doppelter Auffahrunfall - Massenkaramboulagen

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Allgemeines:


KG Berlin v. 03.03.1975:
Im Hinblick auf die erhöhte Betriebsgefahr dessen, der ohne ausreichenden Sicherheitsabstand, zu schnell oder unaufmerksam fährt, ist in der Regel der Verursachungsanteil des Auffahrenden doppelt so hoch wie der des Vorausfahrenden zu bewerten, der ohne verkehrsgemäßen Grund plötzlich abbremst.

LG München I v. 15.09.2005:
Keine Haftung des Auffahrenden, wenn Vorausfahrender nach Anfahren an einer Ampel im Kreuzungsbereichen einer Großstadt infolge eines Fahrfehlers ohne verkehrsbedingten Grund stark abbremst.

KG Berlin v. 13.02.2006:
Vollzieht der mit einem Automatik-Fahrzeug nicht vertraute Vorausfahrende in einem Abstand von 75–100 m vor einer roten Ampel plötzlich eine Vollbremsung, weil er mit dem linken Fuß – in der Vorstellung, eine Kupplung zu treten – kräftig auf die Bremse tritt, kommt im Verhältnis zu dem unaufmerksamen Auffahrenden eine Haftungsverteilung 50:50 in Betracht.

OLG Karlsruhe v. 26.03.1982:
Bewiesenes Nichtaufleuchten der Bremslichter entkräftet den gegen den Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweis und führt zu einer diesem gegenüber doppelt so hohen Betriebsgefahr.

OLG Düsseldorf v. 16.06.2008:
Grundsätzlich ist von einer vollen Haftung des Auffahrenden auszugehen. Eine Mithaftung des Vorausfahrenden besteht jedoch, wenn dieser unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO abrupt bremst. In Betracht kommt eine Mithaftung des Vordermanns im Umfang von 1/3. Auch bei unverhofft starkem Bremsen des Vorausfahrenden ohne zwingenden Grund wird der Haftungsanteil des Auffahrenden überwiegen, wobei der zu geringe Abstand des Hintermanns die Betriebsgefahr auf einen Haftungsanteil von 2/3 erhöhen kann.

KG Berlin v. 26.02.2009:
Im Falle eines Abbremsens ohne zwingenden Grund (Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO) ist die (Mit-)Haftung des Abbremsenden umso größer, je unwahrscheinlicher nach der Verkehrssituation ein plötzliches starkes Abbremsen ist.




OLG Schleswig v. 09.11.2011:
Wird innerörtlich ein KfZ auf übersichtlicher Straße mit nur mäßigem Verkehrsaufkommen ohne erkennbaren Grund bis zum Stand abrupt abgebremst und fährt ein nachfolgender Motorradfahrer auf, ist der Mitverursachungsanteil des vorausfahrenden Kfz mit 50% anzusetzen.

OLG Karlsruhe v. 20.12.2012:
Bei einem Auffahrunfall wird der Anscheinsbeweis für einen schuldhaften Verkehrsverstoß des Auffahrenden (zu geringer Abstand und/oder Unaufmerksamkeit) in der Regel auch dann nicht erschüttert, wenn der Fahrer des vorderen Fahrzeugs ohne verkehrsbedingten Anlass eine abrupte Bremsung durchgeführt hat. Bei einer abrupten Bremsung ohne äußeren Anlass liegt allerdings gleichzeitig ein schuldhafter Verkehrsverstoß des vorausfahrenden Fahrzeugführers vor; bei einem Auffahrunfall kann eine Haftungsquote von 50 % in Betracht kommen.

OLG Hamm v. 09.12.2013:
Kommt es zu einem Auffahrunfall, weil ein Pkw ohne zwingenden Grund stark abgebremst wird und der Auffahrende den gemäß § 4 StVO vorgeschriebenen Abstand nicht einhält, kann eine hälftige Schadensteilung gerechtfertigt sein.

OLG München v. 14.02.2014:
Bei einem typischen Auffahrunfall haftet der Auffahrende grundsätzlich allein und in voller Höhe. Im Allgemeinen spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen denjenigen, der auf ein vor ihm (vorwärts) fahrendes oder stehendes Fahrzeug fährt, weil der Auffahrende in diesen Fällen entweder zu schnell, mit unzureichendem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren ist. Der Auffahrende kann den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis erschüttern oder ausräumen, wenn er Umstände darlegt und beweist (nicht etwa nur behauptet), die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen atypischen Geschehensablaufs ergeben.

OLG München v. 22.07.2016:
Kommt es zu einem Auffahrunfall, weil ein Fahrzeugführer ohne verkehrsbedingten Anlass eine starke Bremsung vorgenommen hat (§ 4 Abs. 1 S. 2 StVO), während der Auffahrende keinen nennenswerten Sicherheitsabstand aufgebaut oder eingehalten und nicht rechtzeitig unter zu fordernder sofortiger Bremsbereitschaft reagiert hat (§§ 4 Abs. 1 S. 1, 1 Abs. 2 StVO), so hat dies eine hälftige Schadensteilung zur Folge.

OLG Hamm v. 31.08.2018:
Der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden kann allenfalls erschüttert sein, wenn eine grundlose Vollbremsung mit der nötigen Gewissheit im Sinne des § 286 ZPO bewiesen ist.

LG Saarbrücken v. 04.10.2019:
Der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Auffahrenden wird nicht allein dadurch erschüttert, dass der Vorausfahrende entgegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO ohne zwingenden Grund stark bremst.

LG Potsdam v. 14.05.2020:
Der gegen den Auffahrenden sprechende Anschein ist erschüttert, wenn der Vorausfahrende unmittelbar zuvor den Straßenverkehr für Machtspielchen und zum Ausleben von Animositäten missbraucht hat. Dann kommt auch ein bewusstes Herbeiführen des Auffahrunfalls durch Ausbremsen ernsthaft in Betracht.

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Beweislast:


Beweislast

Stichwörter zum Thema Beweisprobleme

OLG München v. 31.07.2015:
Ein schuldhafter Fahrfehler des Fahrers des vorausfahrenden Fahrzeugs lässt sich nicht deswegen für erwiesen halten, weil ein verkehrsbedingter Grund für eine starke Bremsung nicht erweislich gewesen sei. Vielmehr tragen Fahrer und Halter des auffahrenden Fahrzeugs die Beweislast auch für eine nicht verkehrsbedingte Bremsung, wobei zusätzlich ein Anscheinsbeweis gegen sie spricht, wobei Verkehrsverstöße des auffahrenden Fahrzeugführers nicht zu einem Mitverschulden führen, sondern ursprüngliches, haftungsbegründendes Verschulden bilden.

OLG Karlsruhe v. 28.04.2017:
Die abrupte Bremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs ohne äußeren Anlass ändert bei einem Auffahrunfall grundsätzlich nichts an einem im Wege des Anscheinsbeweises festzustellenden schuldhaften Verkehrsverstoß des Hintermanns. - Bei einem Auffahrunfall trifft den auffahrenden Fahrzeugführer in der Regel eine Haftungsquote von 100 %. Die nicht ausgeräumte Möglichkeit, dass der Vordermann eventuell vorsätzlich aus "erzieherischen Gründen" abrupt gebremst hat, ändert daran nichts. Denn ein Verkehrsverstoß des vorausfahrenden Fahrzeugführers wäre nur dann zu berücksichtigen, wenn er nachgewiesen wäre.

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Bremsen auf Beschleunigungsstreifen:


Einfahren in die Autobahn

Ein- und Ausfahren in und aus Bundesstraßen

LG Bonn v. 19.12.1997:
Bremst der Fahrer eines vorausfahrenden Pkw das Fahrzeug auf dem BAB-Beschleunigungsstreifen plötzlich ohne verkehrsbedingten Grund scharf ab, um einen Auffahrunfall zu provozieren, kann der Auffahrende auch dann vollen Schadenersatz fordern, wenn er den Auffahrunfall bei äußerster Sorgfalt evtl. hätte verhindern können.

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Bremsen auf Verzögerungsstreifen:


Ausfahren aus der Autobahn

Ein- und Ausfahren in und aus Bundesstraßen

OLG Stuttgart v. 30.06.2014:
Kommt es auf dem Verzögerungsstreifen zu einem Auffahrunfall, weil der Kfz-Führer, der die Autobahn verlassen will, dort eine sehr starke Bremsung vornimmt, so haftet er dem Auffahrenden zu 2/3, wenn dieser seinerseits den nötigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat.

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Bremsen im Kreisverkehr:


Unfälle im Kreisverkehr

LG Bielefeld v. 20.06.2007:
Fährt ein im Kreisverkehr fahrender Lkw auf ein Fahrzeug auf, das kurz zuvor in den Kreisverkehr eingefahren ist und dort bereits eine gewisse Fahrtstrecke, d.h. ca. zwei bis drei Fahrzeuglängen zurückgelegt und sodann verkehrsbedingt gebremst und angehalten hat, so ist eine hälftige Haftungsverteilung gerechtfertigt, wenn der Lkw-Fahrer erst nach Bemerken des Bremsmanövers des Vorausfahrenden abgebremst hat, und nicht aufgeklärt werden kann, ob es auch dann zu der Kollision gekommen wäre, wenn der Lkw-Fahrer sofort auf das Einfahren des Vorausfahrenden in den Kreisverkehr durch Bremsung reagiert hätte.

LG Saarbrücke v. 02.11.2018:

  1.  Jeder Verkehrsteilnehmer, der einem deutlich als solchen gekennzeichneten Fahrschulfahrzeug folgt, muss mit plötzlichen und sonst nicht üblichen Reaktionen, auch ohne dass sie durch eine vor dem Fahrschulfahrzeug bestehende Verkehrssituation hervorgerufen werden, rechnen und seine Fahrweise darauf einstellen. Denn das grundlose Abbremsen oder auch „Abwürgen“ des Motors gehört zu den typischen Anfängerfehlern eines Fahrschülers.

  2.  Die Verpflichtung, den Sicherheitsabstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug so zu bemessen, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird, trifft grundsätzlich jeden Verkehrsteilnehmer. Der nachfolgende Fahrer hat aber besondere Vorsicht walten zu lassen, denn die deutliche Kenntlichmachung von Fahrschulfahrzeugen bei Übungsfahrten dient dem Zweck, auf das insoweit erhöhte Risiko eines unangepassten Fahrverhaltens, vorliegend in Form des unvermittelten Abbremsens ohne zwingenden Grund, hinzuweisen.

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Abwürgen des Motors:


LG Hagen v. 12.12.2012:
Kommt es zu einem Auffahrunfall, weil der Fahrer des vorausfahrenden Fahrzeugs beim Anfahren mit dem Fuß von der Kupplung gerutscht ist, so dass das Fahrzeug wegen des abgewürgten Motors ruckartig stehen geblieben ist, so trifft den Vorausfahrenden eine Mithaftung von mindestens 25%.

OLG München v. 14.02.2014:
Erschüttert bzw. ausgeräumt ist der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis u.a. dann, wenn der Auffahrende nachweist, dass der Vorausfahrende unter Verstoß gegen § 4 I 2 StVO ohne zwingenden Grund plötzlich stark gebremst hat. Jedenfalls mit einem „ruckartigen“ Stehenbleiben muss der Hintermann nicht ohne weiteres rechnen, etwa einem Abwürgen des Motors mit sofortigem Stillstand des Fahrzeugs.

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Bremsen vor einer nicht im Betrieb befindlichen Ampel:


OLG München v. 17.05.2013:
Ein zwingender Grund im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO, der ein starkes Bremsen (= mehr als normales Bremsen), aber nicht notwendig eine Vollbremsung des Vorausfahrenden rechtfertigen könnte, setzt voraus, dass das Bremsen zum Schutz von Rechtsgütern und Interessen erfolgt, die dem Schutzobjekt der Vorschrift (Sachen und Personen) mindestens gleichwertig sind. Dies trifft nicht zu, wenn ein Kfz-Führer aus einer Geschwindigkeit von 40 km/h vor einer außer Betrieb befindlichen Ampel bis zum Stillstand abbremst.

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Bremsen wegen zu hoher Geschwindigkeit beim Lückenspringen:


OLG Stuttgart v. 07.04.2010:
Hat ein schnellerer Fahrzeugführer den Wagen des Geschädigten überholt und sich mit einem Fahrstreifenwechsel in die vor diesem befindliche Lücke gedrängt und musste er dann wegen seiner höheren Geschwindigkeit sein Fahrzeug abrupt ausbremsen, worauf hin der Geschädigte aufgefahren ist, dann haftet er für den Schaden des Auffahrenden in voller Höhe.

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Bremsen wegen Gegenverkehr bei verbotenem Linksabbiegen:


Linkseinbiegen trotz Verbot

AG Wuppertal v. 27.04.2010:
Hält ein Kfz-Führer in einer Kreuzung an, um verbotenermaßen entgegen dem Verkehrszeichen Z 214 (Geradeaus-Pfeil) nach links abzubiegen, dann haftet er für den Schaden des dadurch auf sein Fahrzeug Auffahrenden zu 1/4.

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Bremsen wegen eines Vogels:


AG Solingen v. 17.07.2003:
Eine Taube auf der Straße stellt in Anbetracht der drohenden höheren Sachschäden und sogar der Gefährdung von Menschen keinen zwingenden Grund für ein Bremsen dar. - Bremst der Vordermann in einer Fahrzeugkolonne vor einer Ampel nach dem Anfahren bei Grünlicht sofort wieder ab, um eine auf der Fahrbahn sitzende Taube nicht zu überfahren, hat der Auffahrende Anspruch auf Ersatz von 1/4 seines Schadens.

LG Karlsruhe v. 27.07.2009:
Wenn ein Fahrzeugführer auf freier Strecke (im Stadtverkehr) plötzlich und stark abbremsen will, weil er auf der Fahrbahn eine Taube sieht, muss er sich zuvor nach hinten orientieren und den Folgeverkehr gegebenenfalls durch Antippen der Bremse oder Hupen auf die sich verändernde Situation aufmerksam machen. Es ist insbesondere durch einen Blick in den Rückspiegel zu überprüfen, in welchem Abstand sich nachfolgende Fahrzeuge befinden. Kommt der Fahrzeugführer diesen Anforderungen nicht nach, sondern bremst er stark ab, so dass es zu einem Auffahrunfall kommt, ist ihm ein Verschuldensvorwurf mit einer Mithaftungsquote von 40% zu machen.

LG Duisburg v. 30.06.2016:
Das Abbremsen eines Vorausfahrenden wegen eines Vogels ist nicht verkehrsimmanent und daher nicht zwingend; es führt bei einem dadurch mitverursachten Auffahrunfall zu einer Mithaftung des Abbremsenden von 30%.

AG Dortmund v. 10.07.2018:

  1.  Das Bremsen für eine Taube unmittelbar nach dem Anfahren an einer Ampel erfolgt nicht ohne zwingenden Grund und stellt keinen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO dar.

  2.  Allein weil es sich bei einer Taube um ein Kleintier handelt, kann nicht verlangt werden, das Tier zu überfahren.

  3.  Das Töten eines Wirbeltiers stellt nach §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 5 TierSchG grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit dar. Art. 20a GG ist bei der Anwendung der Vorschriften der StVO zu berücksichtigen.

  4.  Der Auffahrende hat allein für den Schaden aufzukommen (andere Auffassung AG Solingen ZfS 2003, 539).

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Taxi bremst wegen winkendem potentiellen Fahrgast:


KG Berlin v. 26.04.1993:
Zur Haftungsverteilung bei einem Auffahrunfall, wenn der Vorausfahrende ohne zwingenden Grund stark abgebremst hat und zum Begriff des grundlosen starken Bremsens (Auffahren auf Taxi, dessen Fahrer wegen eines winkenden Fahrgastes bremst - 1/3 zu 2/3, bei unbefugter Sonderstreifennutzung des Auffahrenden 1/4 zu 3/4 zu Lasten des Auffahrenden).

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Bremsen als Erziehungsmaßnahme:


LG Mönchengladbach v. 16.04.2002:

  1.  Wer absichtlich nur deshalb scharf abbremst, um den nachfolgenden Verkehrsteilnehmer zu disziplinieren oder zu maßregeln, haftet für die Folgen eines Auffahrunfalls auch dann zu 100 %, wenn der Nachfolgende den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis dafür, dass dieser die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hat, nicht entkräften kann.

  2.  Akte der Selbstjustiz im Straßenverkehr widersprechen in schwerwiegender Weise den im Straßenverkehr geltenden Geboten der Vorsicht und Rücksichtnahme, und zwar auch dann, wenn sie sich gegen ein vorhergehendes Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers richten.



OLG München v. 22.02.2008:
Ein zwingender Grund i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, der ein starkes Abbremsen des Vorausfahrenden rechtfertigen könnte, setzt voraus, dass das Bremsen zum Schutz von Rechtsgütern und Interessen erfolgt, die dem Schutzobjekt der Vorschrift mindestens gleichwertig sind. - Ein scharfes Bremsen zum Zwecke der Disziplinierung/Verkehrserziehung des Nachfolgenden führt zur vollen Haftung des Bremsenden.

AG Solingen v. 06.01.2017:
Ein Verkehrsteilnehmer, der absichtlich und nur aus dem Grund scharf abbremst, um den nachfolgenden Verkehr zu maßregeln oder zu disziplinieren, haftet auch dann allein für die Folgen eines Auffahrunfalls, wenn der Auffahrende den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis einer Sorgfaltspflichtverletzung nicht zu entkräften vermag.

LG Essen v. 12.01.2018:
Bei einem durch scharfes Abbremsen zum Zwecke der „Verkehrserziehung“ des Nachfolgenden verursachten Auffahrunfall haftet der Abbremsende voll, da ein solcher Akt der Selbstjustiz im Straßenverkehr den in § 1 StVO verankerten Geboten der Vorsicht und Rücksichtnahme eklatant widerspricht.

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